Massgeschneiderte Beratung auf höchstem Niveau ist die Grundlage der nachhaltigen Zufriedenheit unserer Mandanten.
Als mittelständische, auf das Wirtschaftsrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei mit Standorten in München, Nürnberg und Berlin betreuen wir Ihre rechtlichen Anliegen kompetent, effektiv und “auf den Punkt”, egal wo Sie uns brauchen.
Die Ausstattung unserer Kanzleistandorte mit modernster Technik erlaubt es uns, mit Ihnen jederzeit auf über große Distanz auch über Videokonferenz zu kommunizieren.
Wenn Sie also auf dem Gebiet des (internationalen) Wirtschaftsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts oder auch des Sanierungs- und Insolvenzrechts einen lösungsorientierten Partner suchen, sind wir gerne an Ihrer Seite! Individuelle Beratung, Vertragsgestaltung, und Prozessvertretung gehören zu unseren Stärken, auf die Sie bauen können
Die Effektive Durchsetzung Ihrer Rechte und Interessen Stehen im Zentrum Unserer Beratung.
Gemeinsam mit Ihnen als Mandanten erörtern wir zunächst eingehend Ihre Ziele und Wünsche. Sodann identifizieren wir unter Einbeziehung unserer interdisziplinären Betrufsträger mit Ihnen zusammen den Weg, um Ihr Ziel zu erreichen. Die Erfassung komplexer Sachverhalte und die Entwicklung einer klaren und nachvollziehbaren Handlungsstruktur für Ihr Vorhaben bilden dabei die Kernkompetenzen unserer Kanzlei.
Die Spezialisten unserer Kanzlei stehen Ihnen auf ihren jeweiligen Fachgebieten gerne zur Verfügung. Zur der für Sie zu bearbeitenden Fragestellung wählen Sie das in Betracht kommende Tätigkeitsgebiet aus, für das wir in unserer Kanzlei den oder die richtigen Experten haben.
Unser Fachwissen ist immer topaktuell, intensive Aus- und Weiterbildung ist für uns Selbstverständlichkeit.
3 Standorte
22 Berufsträger
8 Fachanwälteca. 100 MITARBEITER
Die Rechtsanwaltskanzlei Pöhlmann Früchtl Oppermann ist ursprünglich aus dem Zusammenschluss dreier mittelständischer Rechtsanwaltskanzleien an den Standorten München und Nürnberg im Jahr 2005 entstanden. Um der zunehmenden Nachfrage des Marktes nach überregionalen, interdisziplinären Rechtsdienstleistungen gerecht zu werden, haben wir eine entsprechende Kanzleistruktur aufgebaut, die im Jahre 2020 durch den Beitritt der Rechtsanwaltskanzlei Houben aus Berlin sinnvoll ergänzt wurde. Hierdurch können wir unseren Mandanten ein Höchstmaß an Flexibilität, kompetente Ansprechpartner vor Ort und eine moderne Beratungsstruktur bieten.
An unseren Standorten in München, Nürnberg und Berlin sind wir mit 22 Berufsträgern, davon 8 mit der Berechtigung einen oder mehrere Fachanwaltstitel zu führen, dort für Sie tätig, wo Sie uns brauchen. Mit dieser Struktur können wir uns Ihrem Vorhaben professionell, schnell und “auf den Punkt” annehmen. Komplexe Beratungen begleiten wir mit interdisziplinären Teams, um für Sie sämtliche Facetten einer rechtlichen Gestaltung zu beleuchten. Dabei achten unsere Spezialisten auf eine klare und verständliche Sprache. Jederzeitige Erreichbarkeit und Kommunikation sind für uns wichtige Bausteine einer langfristigen Partnerschaft.
3 Standorte
22 Berufsträger
8 Fachanwälteca. 100 MITARBEITER
An unserem Kanzleistandort in München sind wir seit dem 20.12.2012 nach DIN ISO 9001:2015 zertifiziert. Die Re-Zertifizierung ist letztmals durch die SGS Société Générale de Surveillance SA, Zürich am 05.04.2023 erfolgreich vorgenommen worden. Das Zertifikat führen wir unter der Nummer DE13/81840258. Daneben verfügen alle Standorte innerhalb der CURATOR AG über zusätzliche Zertifizierungen für die von uns auch ausgeübte Tätigkeit der Insolvenzverwaltung und damit über eine ganzheitlich geordnete Struktur sowie eine niedergeschriebene Ablauf- und Aufbauorganisation, die regelmäßig durch unabhängige Auditoren im Rahmen interner und externer Audits überprüft wird.
Die Zertifizierung ermöglicht es uns, noch flexibler unsere Prozesse ggf. auch in bestimmten Bereichen kurzfristig und optimal für unsere Mandanten anzupassen. Personenunabhängig sind wir durch die Zertifizierung in der Lage, die hohe Qualität unserer Arbeit für unsere Mandanten transparent zu gestalten und Kontinuität zu sichern.
Bereits vor Jahren haben sich unsere Partner über ihr berufliches Engagement hinaus auch für die Rechte der schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft eingesetzt. In diesem Bestreben haben sich insgesamt sieben mittelständische Unternehmer im Februar 2011 zusammengefunden und den Verein Perspektiven e.V. zur Unterstützung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher gegründet. Im Rahmen dieses Vereins werden Spendengelder sowohl durch Beiträge als auch durch Charity-Veranstaltungen generiert und dann auf direktem Wege zum Zwecke der Ausbildung oder der Förderung von Freizeitaktivitäten an Kinder und Jugendliche eingesetzt.
Besonders hervorzuheben ist dabei, dass der Verein hierbei zu 100% ehrenamtlich geführt wird und die Gelder gerade nicht einfach an Träger von Kinder- und Jugendheimen weitergeleitet, sondern gezielt und direkt zum Wohle der Kinder und Jugendlichen verwendet werden. Gerne unterstützen wir daher sowohl finanziell als auch durch unsere ehrenamtliche Tätigkeit als Vorstände und Mitglieder im Verein Perspektiven e.V. die Ziele des Vereins und sorgen dafür, dass auch diesen Kindern eine positive Zukunftsperspektive aufgezeigt werden kann.
Der seit Februar 2022 währende Krieg in der Ukraine und die damit einsetzende Fluchtbewegung innerhalb Europas hat uns dazu bewogen, auch dort helfend aktiv zu werden. Gemeinsam mit weiteren Freunden, die teilweise selbst aus verschiedenen Regionen der Ukraine stammen, wurde der gemeinnützige Verein Ukraine Donation e.V. gegründet. Zweck des Vereins ist es Sach- und Geldspenden einzusammeln, um diese dann im Rahmen von eigens organisierten Hilfstransporten direkt nach Dnipro zu bringen. Dort werden Krankenhäuser, Kinderheime, aber auch ukrainische Flüchtlingsfamilien mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und - wenn benötigt - mit Kleidung versorgt. Teilweise kommen Familien mit wortwörtlich nichts als der eigenen Kleidung in Dnipro aus den unmittelbar von Kampfhandlungen betroffenen Regionen an. In diesem Zusammenhang erreichen uns dramatische Schicksale, gleichzeitig aber auch ungblaublich große Dankbarkeit der Zivilbevölkerung.
Deswegen möchten wir auch Sie dafür gewinnen, nach Ihren Möglichkeiten einen Beitrag für Menschen in größter Not zu spenden. Nähere Informationen finden Sie unter auf der Webseite UADONATION unseres Vereins.
Mit einem Klick erhalten Sie alle Infomation über das jeweilige PFO Mitglied
Bei uns finden Sie Berufsträger für die verschiedensten Fachgebiete, die sich in speziell für Ihren Fall zusammengestellten Teams um Sie kümmern.
Wir verstehen uns nicht nur als konstruktive aber auch kritische Prüfer, Berater und Ideengeber, sondern auch als visionäre Wegbereiter, die zu Lösungen anregen.
Klicken Sie auf ein Foto, um mehr über die jeweilige Person zu erfahren.
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Wir haben Büros in München, Nürnberg und Berlin, um Sie erfolgreich und nahe an Ihrem Standort betreuen zu können.
Landsberger Straße 346, 80687 Münchent +49-89-23806-0 f +49-89-23806-120e muenchen@pfo-anwaelte.de
Nordostpark 7-9, 90411 Nürnbergt +49-911-59890-20 f +49-911-59890-49e nuernberg@pfo-anwaelte.de
Fasanenstraße 71, 10719 Berlint +49-30-484824-60 f +49-911-59890-95e berlin@pfo-anwaelte.de
Um den wachsenden Anforderungen an die Betreuung von Insolvenzverfahren gerecht zu werden, agieren die Rechtsanwälte unserer Kanzlei, die auch als Insolvenzverwalter bestellt werden und tätig sind, seit dem 1.12.2012 unter der CURATOR AG - Insolvenzverwaltungen, an der wir als einer von zwei Gründungsgesellschafter beteiligt sind. Die CURATOR AG ist bundesweit tätig, und hier kooperieren allein für diesen Tätigkeitsbereich inzwischen 14 Insolvenzverwalter aus neun Kanzleien, die über ein interdisziplinäres Know How und ein umfassendes Netzwerk verfügen und die in einem engen Verbund in großen und komplexen Verfahren sich gegenseitig unterstützen.
Als Insolvenzverwalter und auch als Sachwalter im Rahmen von Eigenverwaltungen werden Dr. Stefan Oppermann, Alexander Kubusch, André Houben und Sirko Hampel regelmäßig von vielen Insolvenzgerichten bestellt und sind im Verbund der CURATOR AG tätig. Im Bereich der Insolvenzverwaltung sind alle unsere Standorte sowohl nach DIN ISO 9001:2015 als auch nach GOI (Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenz- und Eigenverwaltung) vom TÜV Austria zertifiziert und decken alle Bereiche der Insolvenzverwaltung ab. Sämtliche Verwalter sind dazu in der Lage, Verfahren jeder Größenordnung zu betreuen, Insolvenzpläne zu erarbeiten und (vorläufige) Eigenverwaltungen zu beaufsichtigen. Insolvenzrechtliche Beratungen von Gläubigern und die Begleitung von Schuldnern in Eingeverwaltungsverfahren erfolgen im Rahmen unserer anwaltlichen Tätigkeit in der PFO.
Wir halten Sie auf dem Laufenden mit aktuellen Informationen und hilfreichen News.
Download: Vorsteuerabzug aus Insolvenzverwalterleistungen bei Unternehmensfortführung
Vorbemerkung
Nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer von seiner Umsatzsteuerzahllast unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen, wenn eine Reihe weiterer formaler Voraussetzungen, wie der Besitz einer Rechnung für den Eingangsumsatz, gegeben sind. Allerdings ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn der Unternehmer die Eingangsumsätze unter anderem für steuerfreie Umsätze verwendet. Bei gemischter Verwendung bestimmt § 15 Abs. 4 UStG:
„Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten … Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzuordnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Gesamtumsätzen ist nur zulässig, wenn keine andere, präzisere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist. …“
Mit anderen Worten ist danach der Steuerpflichtige nur und soweit er „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen.
An der Umsatzsteuerpflicht eines Unternehmers, sei er eine natürliche oder juristische Person, ändert sich grundsätzlich nichts dadurch, dass über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dasselbe gilt für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Im Ausgangspunkt gilt dies auch für die Verwaltungsleistung des Insolvenzverwalters. Hier begegnet die Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG jedoch gewissen Schwierigkeiten.
Zweifelsfrei erbringt er mit seiner Verwaltungsleistung eine im umsatzsteuerrechtlichen Sinn „sonstige Leistung“ an die Insolvenzmasse, deren Rechtsträger der Insolvenzschuldner auch im Verfahren bleibt. Ihm steht daher im Grundsatz auch der Vorsteuerabzug aus der ihm vom Insolvenzverwalter in Rechnung gestellten Vergütung zu.
In der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur war allerdings über lange Zeit für bestimmte Fälle die Ermittlung der (anteiligen) Vorsteuerabzugsberechtigung hier streitig. Dies betraf zum einen Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, bei denen die Insolvenzmasse sowohl privates wie unternehmerisches Vermögen erfasste, und zum anderen solche Unternehmer, bei denen der Insolvenzverwalter für die Masse sowohl steuerpflichtige wie steuerfreie Umsätze ausführte. Gegebenenfalls können diese Formen auch in Kombination auftreten.
2015 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) sodann (V R 44/14), dass die Aufteilung entsprechend § 15 Abs. 4 UStG für die Vorsteuer aus der Verwaltervergütung sich im ersten Fall nicht nach dem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistungen zu richten hat, sondern auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit des Schuldners zu entscheiden ist. Der direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht danach zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Der Vorsteuerabzug stehe der Masse daher im Verhältnis der privaten zu den unternehmerischen Insolvenzforderungen zu. Auf die vom Verwalter ausgeführten Umsätze kommt es damit nicht an. Diese dogmatisch zweifelhafte Rechtsprechung birgt für die Praxis der Insolvenzverwaltung den sehr großen Vorteil der einfachen Anwendung.
Abweichend von diesen Grundsätzen könnte es allerdings nach Auffassung des BFH sein, wenn der Insolvenzverwalter nicht das Vermögen des Schuldners zum Zweck der anteiligen Gläubigerbefriedigung verwerte, sondern in erster Linie die Fortführung des Unternehmens beabsichtige. Wie in diesem Fall zu entscheiden sei, blieb bislang offen. Hiermit befasst sich die vorliegende Entscheidung.
Wie die Rechtslage ist, wenn der Insolvenzschuldner seine unternehmerische Tätigkeit eingestellt hat, konkretisiert der BFH mit dem ebenfalls auf unserer Website besprochenen auch auf den 23.10.2024 datierenden Urteil im Verfahren XI R 8/22.
Der zu entscheidenden Fall
Der Kläger war zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter und später Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Y (Schuldner). Bei Verfahrensaufhebung ordnete das Insolvenzgericht hinsichtlich eventueller Steuererstattungen und Erstattung der Umsatzsteuer aus der Vergütung des Insolvenzverwalters Nachtragsverteilung nach § 203 der Insolvenzordnung (InsO) an.
Es waren Insolvenzforderungen in Höhe von insgesamt 333.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet worden.
Der Schuldner war als IT-Administrator selbständig tätig. Es bestanden Fortführungsaussichten, so dass der Kläger das Unternehmen im Wege der fachlichen Tätigkeit des Schuldners, der die von Kunden erteilten Aufträge für die Masse abwickelte, weiterführte. Der Kläger gab Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Im Zeitraum des Insolvenzverfahrens ergaben sich aus der fortgeführten Tätigkeit Umsätze in Höhe von insgesamt 250.000 € und aus der Verwertung des Privatvermögens insgesamt 178,50 €.
Der Kläger gab ferner eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Jahr der Zahlung seiner Vergütung ab, in welcher er ausschließlich Vorsteuerbeträge (unter anderem die Vorsteuer aus seinen Insolvenzverwaltervergütungen) anmeldete. Er nahm eine Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der in der Zeit der Insolvenzverwaltung erzielten betrieblich begründeten Einnahmen zu den Gesamteinnahmen vor. Die Vorsteuer sei danach zu 97,37 % abziehbar.
Das Finanzamt (FA) sah die Vorsteuer nur zu 17,06 % als abziehbar an, da die Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der zur Insolvenztabelle angemeldeten privaten und unternehmerischen Insolvenzforderungen vorzunehmen sei, und setzte die Steuer entsprechend fest.
Der Einspruch des Klägers war erfolglos, seiner Klage hat das Finanzgericht (FG) Köln stattgegeben. Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der Kläger sei als Insolvenzverwalter trotz der Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners prozessführungsbefugt, weil das Insolvenzgericht die Nachtragsverteilung auch hinsichtlich der hier streitigen Forderungen angeordnet habe.
In der Sache richte sich die Vorsteueraufteilung bei Unternehmensfortführung ohne (wesentliche) Verwertungshandlungen nach der Gesamttätigkeit in der Zeit der Insolvenzverwaltung nach Maßgabe der Anteile steuerpflichtiger, steuerfreier bzw. nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten.
Verwende ein Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschlössen, sei gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen sei. Der Unternehmer könne die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer von ihm zu wählenden sachgerechten Schätzung ermitteln. Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG sei eine Ermittlung nach dem Verhältnis der Umsätze nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich sei.
Habe der Schuldner seine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit bereits vor der Insolvenzeröffnung eingestellt, sei es sachgerecht, über den Vorsteuerabzug aus der Leistung des Insolvenzverwalters auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit zu entscheiden. Der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang bestehe dann [wie oben dargestellt] zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Insolvenzforderungen, die auf die frühere Umsatztätigkeit zurückzuführen seien, so dass es auf die einzelnen Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters nicht ankomme. Auch für Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen (privaten) Tätigkeit des Unternehmers dienten, sei § 15 Abs. 4 UStG analog anzuwenden. Es komme hier auf das Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten angemeldeten Insolvenzforderungen an.
Wie bei Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter zu entscheiden sei, habe der BFH bisherig offengelassen. Er urteilt nunmehr, dass der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger jedenfalls dann ausnahmsweise nicht bestehe, wenn der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen fortführe und dabei das Vermögen des Insolvenzschuldners nicht verwerte.
Hier bestehe der direkte und unmittelbare Zusammenhang nur zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und der von ihm fortgeführten wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners. Die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters werde dann ausschließlich für das Unternehmen, das sich in Insolvenz befinde, bezogen und damit für dessen gegenwärtige und künftig beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen verwendet.
In einem solchen Fall komme es gemäß § 15 Abs. 4 UStG zu einer Vorsteueraufteilung nach Maßgabe der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit, zu der der erforderliche Leistungszusammenhang mit der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters bestehe. Die Verwaltervergütung gehöre dann zu den Gemeinkosten, so dass für die Aufteilung der Vorsteuer die allgemeinen Grundsätze zu gelten hätten und es auf das Verhältnis der gesamten Umsätze (steuerpflichtige und steuerfreie) im Besteuerungszeitraum ankomme. Das setze voraus, dass die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners diene, sondern vorrangig darauf abziele, das Unternehmen des Insolvenzschuldners zu erhalten, insbesondere wenn in einem Insolvenzplan Regelungen zum Erhalt des Unternehmens getroffen würden.
Der Kläger habe das Unternehmen des Schuldners, der als IT-Administrator selbständig tätig war und seine Tätigkeit für die Masse weiterführte, nicht zerschlagen, sondern fortgeführt, „so gut wie keine“ Verwertungshandlungen vorgenommen und Aufträge in erheblichem Umfang abgewickelt sowie Gewinne erwirtschaftetet. Der Erlös aus den ganz geringfügigen Verwertungshandlungen habe dagegen weniger als 0,07 % der Gesamteinnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens betragen hat.
Zwar sei vorliegend kein Insolvenzplan Grundlage des Erhalts des Unternehmens des Insolvenzschuldners gewesen, aber auch ohne einen Insolvenzplan sei das Unternehmen des Schuldners mit wirtschaftlichem Erfolg fortgeführt worden. Dies lasse im Zusammenhang mit den geringen Verwertungsmaßnahmen darauf schließen, dass das Insolvenzverfahren auf den Erhalt des schuldnerischen Unternehmens ausgerichtet gewesen sei. Dafür spreche auch die tatsächliche Fortführung selbst.
Der Kläger habe zudem insbesondere die weitergeführte Tätigkeit des Schuldners unter betriebswirtschaftlicher Abwägung der Chancen und Risiken der Aufträge und der Kosten überwacht und die Sanierung des Unternehmens des Insolvenzschuldners im Auge gehabt. Ziel sei es gewesen, eine Restschuldbefreiung zu erlangen. Die Tätigkeit des Klägers habe nach den besonderen Umständen als eine solche angesehen werden können, die wie bei einem externen Berater oder einem selbständigen Geschäftsführer zu Gemeinkosten des Unternehmens führe. Die geringfügigen Verwertungshandlungen könnten dann ausnahmsweise unbeachtlich sein.
Objektive Anhaltspunkte für eine steuerfreie oder nichtwirtschaftliche Tätigkeit des Klägers seien nicht zu erkennen. Bei der Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners seien ausschließlich steuerpflichtige Umsätze ausgeführt.
Der BFH lässt allerdings ausdrücklich offen, wie in einem Fall zu entscheiden wäre, in dem der Insolvenzverwalter sowohl Verwertungen vornehme als auch das Unternehmen fortführe. Es bedürfe vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob in solchen Mischfällen ein anderer Aufteilungsmaßstab, der sowohl die im Insolvenzverfahren geltend gemachten unternehmerischen und privaten Verbindlichkeiten als auch die Erträge aus der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit berücksichtige, ein im Sinne des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechter Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer aus der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters wäre. Ob das FG mit seiner Erwägung, dass sich der als Vorsteuer abziehbare Teil aus dem Verhältnis der Summe der unternehmerischen Verbindlichkeiten und der Erlöse aus der Betriebsfortführung zu der Summe aus den gesamten Verbindlichkeiten und der gesamten Erlöse ergebe, bedürfe hier keiner Entscheidung.
Download: Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer einer GmbH
Vorbemerkung
Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 37 Abs. 1 des GmbH-Gesetzes (GmbHG) zwar einerseits der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang seiner Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Andererseits haben solche Beschränkungen gegen dritte Personen, mithin im Außenverhältnis, gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG keine rechtliche Wirkung.
Diese sehr apodiktisch formulierten Regeln erfahren allerdings durch andere gesetzliche Vorschriften Ausnahmen, um einem Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer entgegenzuwirken.
So verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein Rechtsgeschäft, welches ein Vertreter im bewussten Zusammenwirken mit dem anderen Vertragsteil zum Nachteil des Vertretenen, hier der GmbH, (kollusiv) abschließt, gegen die guten Sitten und ist nach § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nichtig. [§ 138 Abs. 1 BGB lautet: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“]
Auch wenn ein Fall der Kollusion nicht vorliegt oder zumindest nicht festgestellt werden kann, muss der Vertretene ein von seinem Vertreter abgeschlossenes Rechtsgeschäft dann nicht gegen sich gelten lassen, wenn der andere Vertragspartner den Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt hat oder er diesen zwar nicht erkannt hat, aber nach den Umständen hätte erkennen müssen. In einem solchen Fall ist der andere Vertragsteil wegen einer nach Treu und Glauben gemäß § § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung gehindert, sich auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, des Vertrags, zu berufen. [§ 242 BGB lautet: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“]
Allerdings braucht sich derjenige, der einen Vertrag mit einer GmbH abschließen will, im Hinblick auf die im Außenverhältnis unbeschränkbare Vertretungsmacht des Geschäftsführers gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich nicht darum zu kümmern, ob der Geschäftsführer die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Schranken seiner Befugnis einhält. Nachforschungen hierüber sollen dem redlichen Geschäftsverkehr erspart bleiben. Das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vertretungsmacht hat grundsätzlich der Vertretene, hier also die GmbH, zu tragen. Diese im Interesse des Verkehrsschutzes angeordnete rechtliche Unbeachtlichkeit von Beschränkungen der Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vertragspartner gilt jedoch, wie oben schon ausgeführt, nicht ausnahmslos. Das Vertrauen des Geschäftspartners auf den Bestand des Geschäfts ist nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. In einem solchen Fall kann er aus dem formal durch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten.
Das Besprechungsurteil behandelt einen Fall, in dem eine GmbH meinte, ihr früherer Geschäftsführer habe seine Vertretungsmacht missbraucht. Der BGH stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Zum kollusiven Zusammenwirken im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB zwischen dem Vertreter des Vermieters (hier: dem Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und dem Mieter bei Abschluss eines Wohnraummietvertrags zum Nachteil des Vermieters sowie zur unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) durch den Mieter bei von ihm erkanntem oder sich ihm aufdrängenden Missbrauch der Vertretungsmacht.“
Der zu entscheidende Fall
Die Beklagte zu 1 und ihr Lebensgefährte, der Beklagte zu 2, bewohnen seit Dezember 2017 eine im Eigentum der klagenden GmbH stehende Fünfzimmerwohnung in Berlin mit einer Wohnfläche von rund 177 m². Nach dem schriftlichen Mietvertrag, der von der Beklagten zu 1 als (alleiniger) Mieterin und für die Klägerin als Vermieterin von ihrem damaligen (alleinvertretungsberechtigten) Geschäftsführer unterzeichnet wurde, sollte das Mietverhältnis zum 21.12.2017 beginnen und die Nettokaltmiete monatlich 600 € betragen, die Bruttomiete 1.010 €. Die Mietzahlungspflicht sollte erst zum 01.09.2018 beginnen und die Beklagte zu 1 bis dahin – „als Gegenleistung“ für die im Vertrag enthaltene Verpflichtung, die Wohnung fachgerecht renovieren zu lassen – eine Bruttomietbefreiung erhalten.
Dem damaligen Geschäftsführer war bei Mietvertragsschluss bekannt, dass von den Gesellschaftern der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt die Vermietung gerade nicht beabsichtigt war, weil die Wohnungen im Gebäude verkauft werden sollten und die Vermietung deshalb nicht im Interesse der Gesellschaft lag.
Durch ihren neuen Geschäftsführer verlangte die Klägerin am 18.02.2021 von der Beklagten zu 1 die Räumung und Herausgabe der Wohnung mit der Begründung, der Mietvertrag sei durch kollusives Verhalten zustande gekommen und zudem wegen der niedrigen Miete sittenwidrig. Die Beklagte zu 1 ließ dieses Begehren mit anwaltlichem Schreiben zurückweisen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von beiden Beklagten die Räumung und Herausgabe der Wohnung und von der Beklagten zu 1 zudem die Zahlung einer Nutzungsentschädigung für das Jahr 2018. Die Beklagten verlangen im Wege der Widerklage von der Klägerin Ersatz der vorgerichtlich für die Zurückweisung des Räumungsverlangens vom Februar 2021 entstandenen Kosten der Rechtsverteidigung.
Das Amtsgericht Berlin (AG) hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht Berlin (LG) das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage – bis auf einen Teil des Zahlungsbegehrens – stattgegeben sowie die Widerklage abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht für die Beklagten zugelassenen Revision erstreben diese die Wiederherstellung des Urteils des AG. Der BGH hebt die Sache auf und verweist sie an das LG als Berufungsgericht zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH führt aus, dass die Annahme des LG, der zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 geschlossene Mietvertrag sei wegen kollusiven Zusammenwirkens des damaligen Geschäftsführers der Klägerin und des Beklagten zu 2 sittenwidrig und deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam, sei rechtsfehlerhaft. Das LG habe seiner Prüfung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es – obwohl dies für die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens nicht genüge – eine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis von dem Missbrauch der Vertretungsmacht habe ausreichen lassen, was aber nur [wie oben dargestellt] bei einem Verstoß gegen § 242 BGB ausreiche und es an tragfähigen Feststellungen fehle, um die vom LG bejahte Kenntnis beziehungsweise grobfahrlässige Unkenntnis des Beklagten zu 2 der Beklagten zu 1 als (alleiniger) Vertragspartnerin der Klägerin zurechnen zu können. Damit entfalle zugleich die Grundlage für den gegen die Beklagte zu 1 geltend gemachten Anspruch auf Nutzungswertersatz sowie für die Beurteilung des von den Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Zurückweisung des Räumungs- und Herausgabebegehrens der Klägerin.
Gemessen an den [oben in der Vorbemerkung dargestellten] höchstrichterlichen Maßstäben erweise sich die Beurteilung des Berufungsgerichts weder im Hinblick auf die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen der Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB noch im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB als frei von Rechtsfehlern.
Der Mietvertrag sei nicht nach § § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Das LG habe keine Feststellungen getroffen, die den Schluss erlaubten, die Beklagte zu 1 als alleinige Vertragspartnerin der Klägerin habe mit der Eingehung des Mietverhältnisses zu den im schriftlichen Mietvertrag enthaltenen Bedingungen im bewussten Zusammenwirken mit dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin zu deren Nachteil (kollusiv) handeln wollen. Das LG habe nichts zum Kenntnisstand der Beklagten zu 1 hinsichtlich der den Abschluss des schriftlichen Mietvertrags begleitenden Umstände oder zu einer Billigung etwaiger Absprachen zwischen dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin und dem Beklagten zu 2 oder zu einer Einbindung der Beklagten zu 1 in solche Absprachen festgestellt. Der Beklagte zu 2 sei gerade nicht Partei des Mietvertrags und habe auch keine mietvertraglichen Erklärungen für die Beklagte zu 1 abgegeben.
Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eine (bloße) Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis des Beklagten zu 2 von einem Missbrauch der Vertretungsmacht des damaligen Geschäftsführers der Klägerin habe genügen lassen, deute dies darauf hin, dass es die Fälle der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens einerseits und der nach § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung wegen eines vom Vertragspartner erkannten oder sich diesem aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht andererseits nicht hinreichend unterschieden und infolgedessen zu geringe Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen eines kollusiven Zusammenwirkens gestellt habe.
Die Feststellungen des Berufungsgerichts erlaubten aber auch nicht die Annahme, die Beklagte zu 1 sei im Streitfall jedenfalls wegen eines von ihr erkannten oder sich ihr aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht durch den damaligen Geschäftsführer gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf die Wirksamkeit des in Rede stehenden Mietvertrags mit der Klägerin zu berufen.
Zwar habe der damalige Geschäftsführer wegen der nicht gewünschten Vermietung seine Vertretungsmacht missbraucht, ohne dass es hierbei auf die Ausgestaltung der Mietzahlungspflicht – insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Nettokaltmiete – im Einzelnen ankäme. Es komme in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die Gesellschafter diesbezüglich bereits eine abschließende Willensbildung in Gestalt eines Gesellschafterbeschlusses erzielt und hierdurch mit Wirkung für das Innenverhältnis die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers nach § 37 GmbHG beschränkt hätten. Der Geschäftsführer dürfe seine Vertretungsmacht nämlich auch nicht gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter gebrauchen.
Indessen wirke sich die Missachtung der internen Beschränkungen im Außenverhältnis zur Beklagten zu 1 nicht aus. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts erlaubten auch nicht den Schluss, dass die Beklagte zu 1 einen Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt gehabt hätte oder hätte erkennen müssen.
Das LG habe lediglich eine Kenntnis des nicht als Partei am Mietvertrag beteiligten Beklagten zu 2 von einer pflichtwidrigen Ausübung der Vertretungsmacht aus bestimmten, dem Beklagten zu 2 bekannten Umständen – der fehlenden Vermietungsabsicht der Gesellschafter der Klägerin, den günstigen Bedingungen des Mietvertrags sowie einem Konflikt der Gesellschafter – hergeleitet. Diese Kenntnis habe es der Beklagten zu 1 nach § 166 BGB zugerechnet. Indessen fehle es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für eine solche Wissenszurechnung.
Der Beklagte zu 2 sei beim Abschluss des Mietvertrags schon nicht als Stellvertreter der Beklagten zu 1 im Sinne der §§ 164 ff. BGB aufgetreten, so dass die Vorschrift des § 166 BGB unmittelbar keine Anwendung finde.
Der Beklagten zu 1 sei eine (etwaige) Kenntnis des Beklagten zu 2 auch nicht aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 166 BGB zuzurechnen. Zwar müsse sich eine Person das Wissen eines Dritten entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben als eigenes Wissen zurechnen lassen, wenn sie den Dritten mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut habe. Eine Wissenszurechnung auf dieser Grundlage scheide im Streitfall jedoch aus, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beklagte zu 1 den Beklagten zu 2 mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in Bezug auf die Anmietung der Wohnung in eigener Verantwortung betraut gehabt hätte.
Sollte der Beklagte zu 2 hingegen ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag der Beklagten zu 1 gehandelt haben, bedürfte es für eine Wissenszurechnung des Bestehens konkreter Anhaltspunkte dafür, dass sein Tätigwerden der Beklagten zu 1 bekannt war und von ihr wenigstens gebilligt wurde. Solches habe das LG nicht festgestellt.
Die persönliche Nähe der beiden Beklagten reiche dafür nicht aus. Dies hätte selbst für Ehegatten zu gelten. Die erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter dürfe nicht schlicht vermutet, sondern müsse vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden.
Auf den Erkenntnisstand des Beklagten zu 2 komme es insoweit nicht an, da dieser nicht die Stellung eines Wissensvertreters im Sinne des § 166 BGB gehabt habe.
Da grundsätzlich der Vertretene das Risiko eines Vollmachtmissbrauchs zu tragen habe, setze der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem Geschäftsgegner eine auf massiven Verdachtsmomenten beruhende objektive Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht voraus. Diese objektive Evidenz sei insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdränge.
Eine dahingehende Prüfung habe das LG jedoch nicht vorgenommen. Zwar könne das Revisionsgericht die Beurteilung des Vorliegens einer objektiven Evidenz des Missbrauchs selbst vornehmen, wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts ein abgeschlossenes Tatsachenbild ergäben, daran fehlt es hier jedoch.
Allein aufgrund der Höhe der im Mietvertrag vereinbarten Nettokaltmiete und der Gesamtbruttomiete und der für die ersten Monate vereinbarten vollständigen Befreiung von jeglicher Mietzahlung, für die der Mietvertrag ausdrücklich eine – als Gegenleistung bezeichnete – Verpflichtung der Beklagten zu 1 zur fachgerechten Renovierung der gesamten Wohnung enthalte, habe sich der Beklagten zu 1 auch angesichts der Größe der Wohnung jedenfalls nicht ohne Weiteres aufdrängen müssen, dass die Überlassung der Wohnung in Verbindung mit der Gestaltung der beiderseitigen Vertragspflichten im Mietvertrag den Interessen der Klägerin zuwiderlaufen und der damalige Geschäftsführer der Klägerin insoweit treuwidrig gehandelt haben könnte.
Vorbemerkung
Unter in den §§ 233 ff. der Abgabenordnung (AO) näher bestimmten Voraussetzungen sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (das sind unter anderem gemäß § 233a AO Steuerforderungen und Steuererstattungsansprüche) vom jeweiligen Schuldner – Finanzamt oder Steuerpflichtiger – zu verzinsen. Nach § 238 AO a. F. war der Zinssatz fix auf 0,5 % pro vollen Monat bestimmt. Seit 2022 gilt rückwirkend zum 01.01.2019 ein niedriger Zinssatz von 0,15 % pro Monat, dessen Angemessenheit zudem alle zwei Jahre zu evaluieren ist.
Die frühere unflexible Regelung hält das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Niedrigzinsphasen für verfassungswidrig. Es hatte 2021 entschieden, dass sie gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt.
In der Folge dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entschieden einige Senate des Bundesfinanzhofs (BFH), dass auch die Säumniszuschläge nach § 240 AO in gleicher Weise verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Andere Senate vertraten die gegenteilige Auffassung. Säumniszuschläge entstehen, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird, und zwar in Höhe von 1 % für jeden angefangenen Monat. Dabei wird ihnen in Höhe der Hälfte des Zuschlags eine sogenannte Druckfunktion zugewiesen, mit der der säumige Steuerschuldner zur Entrichtung der Steuer angehalten werden soll. Der zweiten Hälfte wird eine Zinsfunktion zugesprochen. Eine der oben erwähnten Neuregelung des § 238 AO entsprechende Regelung findet sich in § 240 AO nicht.
Die Besprechungsentscheidung befasst sich zum einen mit den Auswirkungen der Zinssteigerungen ab 2022, die in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine eintraten und bis heute nicht erheblich reduziert sind. Zum anderen war zu klären, welcher Einfluss einer vom Finanzamt (FA) angeordneten Sicherheitsleistung zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Steuerbescheids auf die Säumnis des Steuerschuldners beizumessen ist.
Der zu entscheidende Fall
Das FA erließ gegen die Antragstellerin am19.08.2020 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2017, aus dem sich aufgrund des erhöhten Ansatzes des Gewinnanteils an einer gewerblichen Personengesellschaft eine Nachzahlung in Höhe von rund 190.000 € ergab. Da die Personengesellschaft ein Rechtsbehelfsverfahren gegen den zugrunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheid führte, gewährte das FA der Antragstellerin unter Widerrufsvorbehalt am 01.09.2020 zunächst ohne Sicherheitsleistung AdV für die Steuernachzahlung.
Am 15.02.2022 erließ es einen geänderten AdV-Bescheid. Darin hieß es unter anderem: Die AdV werde von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 108.000 € abhängig gemacht und sei nur dann weiter wirksam, wenn die Sicherheit erbracht sei. Um Gelegenheit zu geben, geeignete Sicherheiten zu stellen, werde bis zum 18.03.2022 von Vollstreckungsmaßnahmen absehen. Die Vollziehung werde weiterhin ab Fälligkeit der Nachzahlung ausgesetzt, sofern die Sicherheitsleistung erbracht werde.
Am 09.03.2022 legte die Antragstellerin Einspruch gegen den geänderten AdV-Bescheid ein. Zur Begründung führte sie aus, sie könne die geforderten Sicherheiten mangels Liquidität nicht aufbringen, bot aber die Eintragung einer nachrangigen Grundschuld auf dem Grundstück A an. Das FA lehnte unter dem 22.04.2022 die Annahme der Grundschuld als Sicherheit ab, weil sie entgegen § 241 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AO nicht erstrangig sein könne. Zudem sei weder der Wert des Grundstücks noch die Höhe der Vorbelastungen belegt worden. Es bat die Antragstellerin um Vorlage einer Vermögensauskunft, die die Antragstellerin am 23.05.2022 vorlegte. Daraus ergab sich, dass sie Eigentümerin des Grundstücks B (nach Wertgutachten Verkehrswert in Höhe von 1,2 Mio. €) war.
Auch dieses Grundstück war bereits mit zwei Grundschulden (nominal 700.000 € und 150.000 €) belastet. Am 30.06.2022 trug die Antragstellerin dem FA telefonisch vor, die erste Grundschuld valutiere nur noch mit 340.000 €. Das FA ließ sodann das Wertgutachten durch seinen Bausachverständigen überprüfen.
Am 08.08.2022 wies das FA den Einspruch gegen den AdV-Widerrufsbescheid zurück und setzte eine Nachfrist für die Zahlung der sich hieraus ergebenden Gesamtbeträge bis zum 18.08.2022. Am 15.08.2022 bot die Antragstellerin dem FA konkret die Eintragung einer Grundschuld auf dem Grundstück B an, was das FA am 19.08.2022 ablehnte. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.08.2022. In der Folgezeit kam es zu mehreren Telefongesprächen zwischen der Antragstellerin und dem FA. Am 27 06.10.2022 übermittelte die Antragstellerin dem FA den Entwurf zur Grundschuldbestellung. Am 10.10.2022 akzeptierte das FA telefonisch den Entwurf.
Am 20.12.2022 wurde die Grundschuld zugunsten des FA im Grundbuch eingetragen. Daraufhin gewährte das FA mit Bescheid vom 09.01.2023 erneut AdV mit Wirkung ab dem 20.12.2022.
Das FA vertrat die Auffassung, für die Zeit vom 19.03.2022 bis zum 19.12.2022 seien Säumniszuschläge in Höhe von rund 17.000 € entstanden und erließ einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Antragstellerin blieb ohne Erfolg.
Nachdem das FA einen AdV-Antrag hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die Gewährung von AdV. Das FG setzte die Vollziehung des Abrechnungsbescheids in voller Höhe aus. Der Beschwerde des FA half das FG nicht ab, sodass der BFH hierüber zu entscheiden hatte. Er wies sie als unbegründet zurück.
Die Begründung des BFH
Nach § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen bejaht der BFH vorliegend, allerdings nicht wegen einer Verfassungswidrigkeit des § 240 AO.
Zum ersten der beiden oben angesprochenen Themenkreise stellt der BFH seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voraus:
„Aufgrund des deutlichen und nachhaltigen Anstiegs der Marktzinsen, der seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zu verzeichnen ist, bestehen jedenfalls seit März 2022 keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge.“
Anders als noch das FG meint der BFH, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für die hier in Rede stehende Zeit ab März 2022.
Das Zinsniveau sei ab Februar 2022 markant und nachhaltig gestiegen. Im Vergleich mit den Marktzinsen könne ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. GG durch Vornahme einer nicht realitätsgerechten Typisierung nicht (mehr) festgestellt werden.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 FGO lägen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage träten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirkten. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts könnten auch auf verfassungsrechtlichen Zweifeln hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm beruhen.
Selbst wenn man darauf abstellen wollte, dass die Grundsätze des zur Höhe der Nachzahlungszinsen ergangenen Beschlusses des BVerfG auf Säumniszuschläge für übertragbar seien, wäre dies durch die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung auf den Geld- und Kapitalmärkten überholt. Denn mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 und den dadurch auch in der Bundesrepublik Deutschland ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen habe sich die Lage auf den Geld- und Kapitalmärkten grundlegend verändert. Der Kriegsbeginn habe eine klare und sogleich für jeden erkennbare Ursache dafür gesetzt, dass die Zinssätze in der Folgezeit deutlich und sehr schnell gestiegen seien. Dies habe bis heute Bestand. Die ausgeprägte Niedrigzinsphase hätte damit ein Ende gefunden. Dies alles ergäbe sich nach den unter www.bundesbank.de/de/statistiken veröffentlichten Daten der Deutschen Bundesbank.
Die Bemessung des hälftigen Zinsanteils der Säumniszuschläge könne daher jedenfalls für den Zeitraum ab März 2022 nicht mehr als realitätsfremd angesehen werden.
Gleichwohl stelle sich die vom FG ausgesprochene AdV-Gewährung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA bestünden, die Vollziehung abweichend von dem Wortlaut des geänderten AdV-Bescheids vom 15.02.2022 trotz Erbringung der Sicherheitsleistung nicht weiterhin ab Fälligkeit auszusetzen.
Die Fälligkeit der sich aus dem Bescheid vom 19.08.2020 ergebenden Nachzahlungen sei durch die AdV-Verfügung vom 01.09.2020 zunächst aufgeschoben worden. Mit dem geänderten AdV-Bescheid vom 15.02.2022 sei die Fortdauer der AdV zwar unter die aufschiebende Bedingung der Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 108.000 € gestellt worden, es heiße dort aber: „Die Vollziehung wird weiterhin ab Fälligkeit ausgesetzt (sofern die Sicherheitsleistung erbracht wird).“ Diese Formulierung sei für sich genommen eindeutig: Sofern die geforderte Sicherheitsleistung erbracht werde – was hier mit Eintragung der Grundschuld im Grundbuch geschehen sei –, werde die Vollziehung weiterhin ab Fälligkeit ausgesetzt. Säumniszuschläge seien dann bei rückblickender Betrachtung nicht entstanden.
Nach der Rechtsprechung gelte im Regelfall, dass die Sicherheitsleistung zuvor entstandene Säumniszuschläge in Wegfall geraten lasse. - Dem stehe die Formulierung in § 361 Abs. 2 Satz 5 AO nicht entgegen, wonach die AdV von einer Sicherheitsleistung „abhängig gemacht werden“ könne, eine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO darstelle, die Wirkungen der AdV damit nur und erst dann einträten, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheit leiste und die getroffene Verfügung ins Leere gehe, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheitsleistung nicht innerhalb der von der Finanzbehörde gesetzten Frist erbringe. Denn eine aufschiebende Bedingung habe zwar im Regelfall zur Folge, dass die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung (erst) mit dem Eintritt der Bedingung beginne (§ 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –). § 159 BGB sehe aber ausdrücklich vor, dass die Beteiligten, wenn nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts die an den Eintritt der Bedingung geknüpften Folgen auf einen früheren Zeitpunkt zurückbezogen werden sollten, im Fall des Eintritts der Bedingung verpflichtet seien, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Folgen in dem früheren Zeitpunkt eingetreten wären. So liege es hier, da das FA in dem geänderten AdV-Bescheid ausgesprochen habe, im Fall der Erbringung der Sicherheitsleistung werde die Vollziehung „weiterhin“ ab Fälligkeit ausgesetzt. Damit habe das FA ausgesprochen, dass die Folgen der Erbringung der Sicherheitsleistung auf einen früheren Zeitpunkt zurückbezogen werden sollten.
Zwar habe das FA die Möglichkeit, im Einzelfall einen anderen Wirksamkeitszeitpunkt der AdV zu verfügen (Ende der zuvor gewährten AdV einen Monat nach Bekanntgabe des geänderten AdV-Bescheids; Wirksamwerden einer erneuten AdV erst mit Erbringung der Sicherheitsleistung), bei Anwendung des im summarischen Verfahren gebotenen Maßstabs bestünden aber jedenfalls ernstliche Zweifel daran, ob dies vorliegend mit der erforderlichen Eindeutigkeit geschehen sei.
Download: Handeln des Geschäftsführers für die GmbH
Vorbemerkung
Kommt jemandem eine Doppelstellung zu, kann im Einzelfall fraglich sein, für wen seine Erklärungen abgegeben sein sollen. Im Fall des Geschäftsführers einer GmbH können Zweifel bestehen, ob er für sich persönlich oder für die GmbH handelt. Unklar kann aber auch etwa sein, ob er etwa nur eine Willenserklärung der Gesellschafterversammlung „seiner“ GmbH als Bote überbringen oder selbst für die Gesellschaft handeln will.
Es hat dann eine Auslegung der Erklärung des Geschäftsführers zu erfolgen, die sich an §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu orientieren hat.
§ 133 BGB:
„Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“
§ 157 BGB:
„Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“
Im Besprechungsfall ging es um die Frage, ob die Erklärung, mit der einer von zwei Geschäftsführern dem anderen gegenüber eine fristlose Kündigung ausgesprochen hat, wirksam für die GmbH abgegeben worden war. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Gibt ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten soll, geht der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden soll.“
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger und seine Brüder T. und J. F. waren zu gleichen Anteilen Gesellschafter der Gebrüder F. GmbH, über deren Vermögen im laufenden Rechtsstreit das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Der Kläger war neben T. F. zur Einzelvertretung berechtigter Geschäftsführer der Schuldnerin mit einem Gehalt von 6.525 € monatlich.
Nach § 9 Nr. 3 der Satzung der F. GmbH wird die Gesellschaft bei Abschluss, Änderung oder Beendigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags „durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten“.
Die Gesellschafterversammlung berief den Kläger durch Beschluss vom 24.06.2019 als Geschäftsführer ab. In der Gesellschafterversammlung vom 31.07.2019 wurde beschlossen, den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Kläger außerordentlich fristlos zu kündigen. An beiden Gesellschafterversammlungen nahm der Kläger nicht teil. Unter dem 13.08.2019 sprach T. F. die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags gegenüber dem Kläger aus.
In der Gesellschafterversammlung vom 23.12.2019 wurde erneut beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen und den Geschäftsführeranstellungsvertrag zu kündigen. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte T. F., der von der Gesellschafterversammlung mit dem Ausspruch der Kündigung gegenüber dem Kläger beauftragt worden war, die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags auf dem Briefpapier der F. GmbH, das ihn durch einen Aufdruck als Geschäftsführer auswies. Im individuellen Text wurde nicht noch einmal auf seine Geschäftsführerstellung hingewiesen.
Der Kläger klagte späterhin auf Zahlung seines Gehalts für den Zeitraum Dezember 2019 bis Dezember 2020. Das Landgericht verurteilte die F. GmbH antragsgemäß zur Zahlung von 84.825 €.
Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlte die F. GmbH im Anschluss den ausgeurteilten Betrag an den Kläger. Sie hat das landgerichtliche Urteil akzeptiert, soweit es von der Unwirksamkeit der ersten Kündigung ausgegangen ist, im Übrigen aber Berufung eingelegt und insoweit Klageabweisung beantragt. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Beklagte hat nach Wiederaufnahme des Verfahrens hilfsweise beantragt, den Kläger zu verurteilen, an ihn 26.595,05 € und 58.725 € (zurück) zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es meinte, T. F. habe lediglich als Bote der Gesellschafterversammlung deren Auftrag ausgeführt, nicht aber für die F. GmbH eine Erklärung als Geschäftsführer abgegeben. Mit der Frage der Wirksamkeit der Kündigung brauchte es sich daher nicht auseinander zu setzen.
Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seine Anträge weiter. Der BGH hebt das Urteil auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH begründet kurz, dass dem Beklagten als Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits möglich gewesen sei, und kommt sodann zur Begründetheit der Berufung und damit auch der Revision.
Er meint, entgegen der Auslegung des Berufungsgerichts, sei bei der unter dem 23.12.2019 erklärten außerordentlichen Kündigung die F. GmbH, wie § 9 Nr. 3 ihrer Satzung es verlange, durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten worden.
Zwar sei die Auslegung einer Individualerklärung, wie hier der Kündigungserklärung, grundsätzlich Sache des Tatrichters (also des Land- und Oberlandesgerichts) und könne revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt habe oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden sei. Leide die tatrichterliche Auslegung aber an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, binde sie das Revisionsgericht (hier: den BGH) nicht.
Danach halte die Auslegung des Kündigungsschreibens durch das Berufungsgericht der Überprüfung nicht stand. Seiner Auslegung, dem Schreiben lasse sich nicht entnehmen, dass T. F. die Kündigungserklärung zugleich als Geschäftsführer der F. GmbH, mithin in fremdem Namen für diese, ausgesprochen habe, verstoße gegen anerkannte Auslegungsregeln.
Der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille bilde den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung. Dabei entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bilde. Es sei insbesondere auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen. Dies gelte auch bei der Auslegung einseitiger Rechtsgeschäfte wie der Erklärung einer Kündigung.
Diesen Auslegungsgrundsätzen würden die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht gerecht. Die Kündigungserklärung sei nicht nur für die F. GmbH vertreten durch die Gesellschafter abgegeben worden, sondern zugleich durch T. F. als Geschäftsführer der F. GmbH. Das Revisionsgericht könne die Auslegung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter eine Erklärung nicht oder unter Verletzung anerkannter Auslegungsgrundsätze ausgelegt habe und weitere, für die Auslegung maßgebliche tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten seien, und zwar auch dann, wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestünden. So sei es hier.
Das von T. F. verfasste Kündigungsschreiben vom 23.12.2019 enthalte vorliegend ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigungserklärung auch durch die Geschäftsführung in Vertretung der F. GmbH, nicht nur durch die Gesellschafter, erklärt worden sei. Gebe ein Geschäftsführer einer GmbH auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten solle, gehe der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden solle. Ein ausdrücklicher Zusatz wie „in Vertretung“ oder als „Geschäftsführer“ sei nicht erforderlich, wenn sich seine Stellung für den Erklärungsempfänger, wie hier für den Kläger, erkennbar, durch die gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 des GmbH-Gesetzes (GmbHG) vorgeschriebene Namhaftmachung auf dem Geschäftsbrief ergebe. Dass hier ausnahmsweise etwas Anderes habe erklärt werden sollen, lasse sich der Kündigung nicht entnehmen.
Ergänzend weist der BGH darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung der Erklärung der weitere Inhalt des Schreibens nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. In diesem werde dem Kläger ein Hausverbot erteilt, wobei der Ausspruch des Hausverbots grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung falle und im vorliegenden Fall auch nicht vom Auftrag der Gesellschafterversammlung umfasst gewesen sei. Der Ausspruch des Hausverbots und der Kündigungserklärung in einem Schreiben spräche ebenfalls dafür, dass auch die Kündigung durch den Geschäftsführer im Namen der F. GmbH erklärt worden sein sollte.
In der neuerlichen Berufungsinstanz wird das Oberlandesgericht die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Kündigung vom 23.12.2019 zu klären haben.
Download: Kein Werbungskostenabzug bei einem Umzug wegen Einrichtung eines häuslichen Arbeitszimmers
Vorbemerkung
Ob die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer und gegebenenfalls in welcher Höhe als Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, ist vielfach zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt umstritten. Die Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) hat hier für Entspannung gesorgt, sie gilt für Veranlagungszeiträume ab 2023.
Die Vorschrift lautet:
„Die folgenden Betriebsausgaben dürfen den Gewinn nicht mindern:
...
6b. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung. 2Dies gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 3Anstelle der Aufwendungen kann pauschal ein Betrag von 1 260 Euro (Jahrespauschale) für das Wirtschafts- oder Kalenderjahr abgezogen werden. 4Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 2 nicht vorliegen, ermäßigt sich der Betrag von 1 260 Euro um ein Zwölftel;
...
Danach sind Arbeitszimmeraufwendungen grundsätzlich vom Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ausgeschlossen. Ausnahmsweise ist ein unbeschränkter Abzug von Arbeitszimmeraufwendungen allerdings möglich, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen bildet. Ein Abzug der Aufwendungen für das Arbeitszimmer ist unter diesen Voraussetzungen in voller Höhe möglich. Alternativ zum Ansatz der tatsächlich nachgewiesenen Aufwendungen kann pauschal eine Jahrespauschale in Höhe von 1.260 € abgezogen werden.
Liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG nicht vor, kann nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c EStG die sogenannte Homeoffice-Pauschale (das Gesetz bezeichnet sie als Tagespauschale) geltend gemacht werden. Die frühere Differenzierung zwischen Vollabzugsfähigkeit und Steuerpflichtigen für deren betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, ist damit zwar entfallen, Streitpotential bleibt aber bei der Frage, ob das Arbeitszimmer tatsächlich den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Ist dies nicht der Fall, gilt die schon erwähnte Tagespauschale nach § 6 Abs. 5 Nr. 6c EStG:
„…
6c. für jeden Kalendertag, an dem die betriebliche oder berufliche Tätigkeit überwiegend in der häuslichen Wohnung ausgeübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene erste Tätigkeitsstätte aufgesucht wird, kann für die gesamte betriebliche und berufliche Betätigung ein Betrag von 6 Euro (Tagespauschale), höchstens 1 260 Euro im Wirtschafts- oder Kalenderjahr, abgezogen werden. 2Steht für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, ist ein Abzug der Tagespauschale zulässig, auch wenn die Tätigkeit am selben Kalendertag auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird. …“
Im Besprechungsfall ging es nun nicht um die Frage, ob das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete, sondern darum, unter welchen Voraussetzungen Umzugskosten, die in Zusammenhang mit dem häuslichen Arbeitszimmer stehen, als Werbungskosten abgezogen werden können.
Der Bundesfinanzhof stellt seinem Urteil folgenden Leitsatz voran:
„Aufwendungen des Steuerpflichtigen für einen Umzug in eine andere Wohnung, um dort (erstmals) ein Arbeitszimmer einzurichten, sind nicht als Werbungskosten abzugsfähig.“
Der zu entscheidende Fall
Die verheirateten Kläger lebten zu Beginn des Streitjahres (2020) gemeinsam mit ihrer 2015 geborenen Tochter in einer 3-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von circa 65 m² in Hamburg, die nicht über separaten Arbeitszimmer verfügte. Der Kläger war als Teil-Projektleiter in Hamburg nichtselbständig tätig. Bis Mitte März des 2020 arbeitete er nur in Ausnahmefällen zu Hause. Zu Beginn der Corona-Maßnahmen im März schloss das Büro seines Arbeitgebers. Der Kläger arbeitete ab dann ausschließlich zu Hause. Zum 30.06.2020 wechselte er den Arbeitgeber und arbeitete seither an vier Tagen der Woche zu Hause sowie einmal wöchentlich in den ebenfalls in Hamburg belegenen Räumen seines neuen Arbeitsgebers.
Die Klägerin war 2020 als Sachbearbeiterin in Teilzeit tätig. Zudem fertigte sie ihre Masterarbeit an. Zunächst arbeitete sie ausschließlich im Büro ihres Arbeitgebers, ab Mitte März jedoch an vier Tagen der Woche im Homeoffice und an einem Tag im Büro. Das Arbeiten im Homeoffice war nicht zwingend, wurde aufgrund der Corona-Pandemie jedoch dringend empfohlen.
Die Kläger arbeiteten im Wesentlichen im Wohn-/Esszimmer und nutzten den Esstisch (abwechselnd) als Schreibtisch. Aufgrund dieser als unbefriedigend empfundenen Wohn-/Arbeitssituation mieteten die Kläger ebenfalls in Hamburg eine 110 m² große 5-Zimmer-Wohnung, in die sie im Juli zogen. Zwei Zimmer der neuen Wohnung statteten sie büromäßig aus und nutzten diese als häusliche Arbeitszimmer.
In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger unter anderem Umzugskosten in Höhe von 4.218 € als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend, die das Finanzamt nicht anerkannte.
Im Rahmen des anschließenden Einspruchsverfahrens setze das FA unter anderem weitere Werbungskosten an, darunter jeweils auch Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer. Im Hinblick auf die geltend gemachten Umzugskosten wies es den Einspruch dagegen als unbegründet zurück.
Die Klage, mit der die Kläger den Werbungskostenabzug für den Umzug weiterverfolgten, hatte vor dem Finanzgericht (FG) Hamburg Erfolg. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies jedoch auf die Revision des Finanzamts die Klage ab.
Die Begründung des BFH
Der BFH legt zu Werbungskosten allgemein dar, dass es sich hierbei Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG handele. Nach seiner ständigen Rechtsprechung lägen Werbungskosten vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang bestehe. Davon sei auszugehen, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt seien, sie also in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stünden. Maßgeblich sei zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre.
Dazu könnten auch Aufwendungen für einen Umzug gehören. Zwar sei das Bewohnen einer Wohnung dem privaten Lebensbereich zuzurechnen, so dass die Kosten für einen Umzug grundsätzlich als steuerlich nicht abziehbare Kosten der Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG anzusehen seien, es sei denn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen stelle den entscheidenden Grund für den Wohnungswechsel dar und private Umstände spielten eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle. Dies müsse sich anhand objektiver Umstände, die typischerweise auf eine berufliche Veranlassung des Umzugs schließen ließen, feststellen lassen.
Das hatte der BFH in früheren Entscheidungen angenommen,
-wenn der Umzug die Folge eines Arbeitsplatzwechsels gewesen war und die für die täglichen Fahrten zur Arbeitsstätte benötigte Zeit sich durch den Umzug erheblich, das heißt: um mindestens eine Stunde täglich, verminderte. In einem solchen Fall träten die mit einem Umzug stets einhergehenden privaten Begleitumstände regelmäßig in den Hintergrund und könnten deshalb vernachlässigt werden.
-wenn der Grund des Umzugs der Auszug aus einer oder der Einzug in eine Dienstwohnung war.
Der berufliche Veranlassungszusammenhang sei in diesen Fällen nur aufgrund objektiver, außerhalb der individuellen Wohnsituation liegender Umstände bejaht worden. Hier komme es auf sonstige Motive für den Umzug nicht mehr an, denn die Motive für die Auswahl einer Wohnung und die Bestimmung des Wohnorts seien nahezu stets durch die private Lebensgestaltung geprägt. Würden sie eine Rolle spielen, könnten Umzugskosten nie als Werbungskosten abgezogen werden.
Auf dieser Grundlage sei eine nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung des Umzugs jedoch zu verneinen, wenn in der neuen Wohnung (erstmals) die Möglichkeit zur Einrichtung eines Arbeitszimmers bestehe. Es fehle insoweit an einem objektiven Kriterium, welches nicht durch die private Wohnsituation jedenfalls mitveranlasst sei. Denn auch in einem solchen Fall sei wegen des natürlichen Bestrebens nach einer Verbesserung der Wohnqualität nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu ermitteln, ob die Einrichtung des Arbeitszimmers Anlass oder nur Folge des Umzugs in die neue, unter Umständen größere Wohnung sei. Objektive Umstände seien allein in dem Bestreben, ein abgeschlossenes Arbeitszimmer einzurichten, nicht gegeben. Die Wahl einer Wohnung, insbesondere deren Lage, Größe, Zuschnitt und Nutzung, sei vielmehr vom Geschmack, den Lebensgewohnheiten, den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, der familiären Situation und anderen privat bestimmten Vorentscheidungen des Steuerpflichtigen abhängig und daher grundsätzlich der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzuordnen.
Die zunehmende Akzeptanz von Homeoffice, Tele- und sogenannter Remote-Arbeit (ortsunabhängiges/mobiles Arbeiten) ändere nichts daran, dass der Wunsch, im privaten Lebensbereich in einem (häuslichen) Arbeitszimmer zu arbeiten, nicht allein auf objektiven beruflichen Kriterien, sondern in erster Linie auf privaten Motiven und Vorlieben beruhe, auch wenn mit einem separaten Arbeitszimmer eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehe und es von einer Vielzahl von Steuerpflichtigen deshalb für ein ungestörtes Arbeiten zu Hause als notwendig empfunden werde. Dies werde jedoch nicht in ausreichendem Maße durch objektive berufliche Erwägungen überlagert, die typischerweise für eine nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung eines Wohnungswechsels stritten. Denn die Entscheidung, nach dem Umzug einen gesonderten Raum nicht privat, sondern beruflich als Arbeitszimmer zu nutzen oder die Berufstätigkeit im privaten Lebensbereich (weiterhin) in einer "Arbeitsecke" auszuüben, beruhe auch in Zeiten einer gewandelten Arbeitswelt nicht auf nahezu ausschließlich objektiven beruflichen Kriterien. Sie möge zwar auch von beruflichen Erwägungen bestimmt sein, gründe aber letztlich vorrangig auf privaten Motiven und Vorlieben. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige über keinen anderen (außerhäuslichen) Arbeitsplatz verfüge, weil er wie in der Corona-Pandemie (zwangsweise) zum Arbeiten im häuslichen Bereich angehalten gewesen sei oder er durch die Arbeit im Homeoffice Berufs- und Familienleben zu vereinbaren suche. Auch mit der Einrichtung eines (häuslichen) Arbeitszimmers gehe nicht nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einher, es verbessere sich auch die private Wohnsituation insoweit, als der ansonsten mit der „Arbeitsecke“ belastete Wohnraum nunmehr davon ungestört genutzt werden könne.
Ob es sich überhaupt um ein steuererhebliches häusliches Arbeitszimmer handele, sei wegen des multikausalen Veranlassungszusammenhangs für die Entscheidung nach allem unerheblich.
Download: Vorsteuerabzug aus Insolvenzverwalterleistungen bei Unternehmenseinstellung
Vorbemerkung
Nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer von seiner Umsatzsteuerzahllast unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen, wenn eine Reihe weiterer formaler Voraussetzungen, wie der Besitz einer Rechnung für den Eingangsumsatz, gegeben sind. Allerdings ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn der Unternehmer die Eingangsumsätze unter anderem für steuerfreie Umsätze verwendet. Bei gemischter Verwendung bestimmt § 15 Abs. 4 UStG:
„Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten … Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzuordnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Gesamtumsätzen ist nur zulässig, wenn keine andere, präzisere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist. …“
Mit anderen Worten ist danach der Steuerpflichtige nur und soweit er „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen.
An der Umsatzsteuerpflicht eines Unternehmers, sei er eine natürliche oder juristische Person, ändert sich grundsätzlich nichts dadurch, dass über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dasselbe gilt für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Im Ausgangspunkt gilt dies auch für die Verwaltungsleistung des Insolvenzverwalters. Hier begegnet die Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG jedoch gewissen Schwierigkeiten.
Zweifelsfrei erbringt er mit seiner Verwaltungsleistung eine im umsatzsteuerrechtlichen Sinn „sonstige Leistung“ an die Insolvenzmasse, deren Rechtsträger der Insolvenzschuldner auch im Verfahren bleibt. Ihm steht daher im Grundsatz auch der Vorsteuerabzug aus der ihm vom Insolvenzverwalter in Rechnung gestellten Vergütung zu.
In der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur war allerdings über lange Zeit für bestimmte Fälle die Ermittlung der (anteiligen) Vorsteuerabzugsberechtigung hier streitig. Dies betraf zum einen Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, bei denen die Insolvenzmasse sowohl privates wie unternehmerisches Vermögen erfasste, und zum anderen solche Unternehmer, bei denen der Insolvenzverwalter für die Masse sowohl steuerpflichtige wie steuerfreie Umsätze ausführte. Gegebenenfalls können diese Formen auch in Kombination auftreten.
2015 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) sodann (V R 44/14), dass die Aufteilung entsprechend § 15 Abs. 4 UStG für die Vorsteuer aus der Verwaltervergütung sich im ersten Fall nicht nach dem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistungen zu richten hat, sondern auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit des Schuldners zu entscheiden ist. Der direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht danach zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Der Vorsteuerabzug stehe der Masse daher im Verhältnis der privaten zu den unternehmerischen Insolvenzforderungen zu. Auf die vom Verwalter ausgeführten Umsätze kommt es damit nicht an. Diese dogmatisch zweifelhafte Rechtsprechung birgt für die Praxis der Insolvenzverwaltung den sehr großen Vorteil der einfachen Anwendung.
Abweichend von diesen Grundsätzen könne es allerdings nach Auffassung des BFH sein, wenn der Insolvenzverwalter nicht das Vermögen des Schuldners zum Zweck der anteiligen Gläubigerbefriedigung verwerte, sondern in erster Linie die Fortführung des Unternehmens beabsichtige. Wie in diesem Fall zu entscheiden sei, blieb bislang offen. Wie die Rechtslage in diesem Fall zu beurteilen ist, konkretisiert der BFH nunmehr mit dem ebenfalls auf unserer Website besprochenen auch auf den 23.10.2024 datierenden Urteil im Verfahren XI R 20/22.
Vorliegend ging es dagegen um einen Fall, in dem das schuldnerische Unternehmen eingestellt wurde und der Verwalter für die Masse teilweise steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze ausführte. Es stellte sich hier die Frage nicht, wie zwischen privaten und unternehmerischen Insolvenzforderungen abzugrenzen ist, weil Insolvenzschuldner eine GmbH war. Es stand jedoch zur Diskussion, ob auf die Ausgangsumsätze der Insolvenzverwaltung oder die bisherige unternehmerische Tätigkeit der GmbH abzustellen sei.
Der zu entscheidenden Fall
Der Kläger war zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter und sodann Insolvenzverwalter einer GmbH (Schuldnerin), die ein Bauunternehmung betrieb. Die Schuldnerin übernahm Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Bauherrin für eigene oder fremde Rechnung sowie die Betreuung von fremden Bauvorhaben für fremde Rechnung.
Der Kläger teilte den Auftraggebern bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens mit, dass eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht möglich ist. Die Bauvorhaben wurden in der Folge nur noch abgewickelt und abgerechnet. Eine Fortführung der Tätigkeit der Schuldnerin war dementsprechend nicht beabsichtigt und erfolgte auch nicht.
Nachdem der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts ergangen war, stellte der Kläger der Schuldnerin seine Vergütung zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung und entnahm die Vergütung der Masse.
Den Vorsteuerabzug aus seiner Vergütungsrechnung machte der Kläger zu Gunsten der Masse in voller Höhe geltend. Das Finanzamt (FA) gewährte den Abzug nur in Höhe von 1,43 %, da der Kläger für die Masse steuerfreie Umsätze in Höhe von rund 940.000 € und steuerpflichtige Umsätze nur in Höhe von rund 44.000 € ausgeführt habe.
Der Einspruch gegen den entsprechenden Bescheid blieb ohne Erfolg. Während des Klageverfahrens wurde eine sogenannte tatsächliche Verständigung dahingehend getroffen, dass die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen anteilig zu 45% mit von der Insolvenzschuldnerin im Insolvenzverfahren ausgeführten steuerpflichtigen Umsätzen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang bestand danach nicht für die übrigen 55 % der zur Tabelle angemeldeten Forderungen, da es sich hierbei um Leistungen anderer Unternehmer handelte, die die Schuldnerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten.
Die Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg, die Revision des FA hat der BFH zurückgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der BFH weist die Revision mit Blick auf § 15 Abs. 4 UStG zurück. Er rekurriert zunächst auf seine oben dargestellte Rechtsprechung. Abweichend von dieser Rechtsprechung könne zu entscheiden sein, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners fortführe und keine wesentlichen Verwertungshandlungen vornehme. Es könne dann sachgerecht sein, die abziehbare Vorsteuer nach dem Gesamtumsatz des Schuldners während der Zeit der Insolvenzverwaltung nach Maßgabe der steuerpflichtigen, steuerfreien und nichtwirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen. Eine Fortführung in diesem Sinne habe es vorliegend nicht gegeben.
Der zulässige Vorsteuerabzug für die vom Kläger als Insolvenzverwalter erbrachten Leistungen sei folglich anteilig mit 45% gemäß der tatsächlichen Verständigung in Ansatz zu bringen.
Es bestehe der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter und den im Insolvenzverfahren angemeldeten unternehmerischen Forderungen der Insolvenzgläubiger.
Der Kläger habe die Insolvenzmasse verwaltet, verwertet und verteilt, um die Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Er habe während des Insolvenzverfahrens für die Schuldnerin Abrechnungen vorgenommen, Forderungen eingezogen und ihr gesamtes Vermögen verwertet.
Ausgehend davon habe das FG zutreffend angenommen, dass die einheitliche Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter nicht mit den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Verwertungshandlungen des Klägers in einem für den Vorsteuerabzug maßgeblichen direkten und unmittelbaren Zusammenhang stehe. Entgegen der Auffassung des FA seien für den Vorsteuerabzug aus der einheitlichen Leistung des Klägers die nach Verfahrenseröffnung ausgeführten (steuerfreien) Verwertungsumsätze vorliegend nicht maßgeblich, weil das Unternehmen der Schuldnerin nicht fortgeführt worden sei.
Die Fortführung der bisherigen Unternehmenstätigkeit beziehe sich auf den „Erhalt des Unternehmens“. Dies setze voraus, dass die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel des Insolvenzverfahrens mittels Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Schuldners diene, sondern vorrangig darauf abziele, sein Unternehmen zu erhalten. Von der Fortführung des Unternehmens sei insbesondere dann auszugehen, wenn – anders als im Streitfall – in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen werde. Dafür reiche nicht, dass der Insolvenzverwalter das Vermögen mit dem Ziel, den Erlös zur gemeinschaftlichen Befriedigung an die Insolvenzgläubiger zu verteilen, verwerte.
So aber sei es vorliegend gewesen. Der Kläger habe bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens den Insolvenzgläubigern mitgeteilt, dass eine Fortführung des Unternehmens nicht möglich sei. Davon sei er später auch nicht abgewichen. Die vorhandenen Bauvorhaben seien nicht weiterbetrieben worden, sondern zusammen mit den Auftraggebern beziehungsweise Grundstückseigentümern abgewickelt worden. Die Leistung des Klägers habe danach nicht darauf abgezielt, das Unternehmen fortzuführen, um es zu erhalten.
Es führe zu keiner Ungleichbehandlung, wenn steuerfreie Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters anders als bei Unternehmen, die sich nicht in der Insolvenz befinden, in Bezug auf die Vorsteueraufteilung und den Vorsteuerabzug nicht zu berücksichtigen sind. Auf Konkurrenzunternehmen, die sich nicht in Insolvenz befinden, sei schon deshalb nicht abzustellen, da diese mit den umsatzsteuerbelasteten Verfahrenskosten einer Insolvenz nicht belastet seien, was auch für in Liquidation befindliche Unternehmen gelte.
Die Schuldnerin habe die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger auch für ihr Unternehmen und damit für ihre wirtschaftliche Tätigkeit verwendet. Die angemeldeten Forderungen seien unstreitig ausschließlich im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin entstanden. Die Vorsteuer sei daher nach Maßgabe der tatsächlichen Verständigung in Höhe von 45 % abziehbar.
Vorbemerkung
Kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer nicht mehr existierenden Person eröffnet werden? Welche Konsequenzen hätte das?
Das Gesetz – die Insolvenzordnung (InsO) – hat sich in bestimmten Fällen für ein solches Insolvenzverfahren entschieden. Das gilt nicht nur, aber insbesondere, für die Nachlassinsolvenz gemäß §§ 315 ff. InsO. Das Insolvenzverfahren beschränkt sich hier auf den Nachlass selbst, es erfasst das übrige Vermögen des Erben im Grundsatz nicht. Allerdings hat der Erbe die Rolle des Insolvenzschuldners zu übernehmen. – Ist über das Vermögen einer natürlichen Person ein Insolvenzverfahren anhängig, so führt deren nach der Verfahrenseröffnung eintretender Tod ohne Weiteres zu einer Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in ein Nachlassinsolvenzverfahren.
Eine ganz ähnliche Situation ergibt sich, wenn eine Handelsgesellschaft, etwa eine Kommanditgesellschaft (KG) aufgelöst wird. Dem trägt § 11 Abs. 3 InsO Rechnung, indem er nach Auflösung einer juristischen Person oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft, zum Beispiel durch Auflösungsbeschluss der Gesellschafter oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, bis zu deren Vollbeendigung durch Löschung im Handelsregister nach Abwicklung oder wegen Vermögenslosigkeit, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in diesem Zwischenstadium ausdrücklich zulässt.
Durch die Art der Abwicklung des Nachlassinsolvenzverfahrens wird sowohl der Erbe wie die Nachlassgläubiger geschützt. Dadurch wird einerseits verhindert, dass Nachlassgläubiger auf das sonstige Vermögen des Erben zugreifen, andererseits wird gewährleistet, dass die persönlichen Gläubiger des Erben nicht auf den Nachlass zugreifen können, und so die Zugriffsmasse der Nachlassgläubiger bewahrt.
Bei Personengesellschaften führt unter bestimmten Voraussetzungen das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dazu, dass das Gesellschaftsvermögen dem letzten verbleibenden Gesellschafter anwächst und die Gesellschaft damit liquidationslos vollbeendet wird. Die Gesellschaftsgläubiger können nunmehr auf den letzten Gesellschafter zugreifen. Haftete dieser während des Bestehens der Gesellschaft nur beschränkt, wie insbesondere ein Kommanditist, soll dies, wie der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 1990 entschieden hatte, außerhalb eines Insolvenzverfahrens dazu führen, dass der Gesellschafter nur beschränkt auf das ihm zugefallene Gesellschaftsvermögen haftet. Ähnlich wie bei der Nachlassinsolvenz werden dadurch sowohl der letzte Gesellschafter wie die Gesellschaftsgläubiger geschützt.
Der Besprechungsfall ist etwas anders gelagert. Hier war zum einen der letzte Gesellschafter, dem das Gesellschaftsvermögen anwuchs, der voll haftende Komplementär, zum anderen war über das Vermögen der voll beendeten Gesellschaft in Unkenntnis der Vollbeendigung ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zu klären war deshalb, ob dieser insolvenzgerichtliche Beschluss dennoch wirksam war und der bestellte Insolvenzverwalter befugt war für die Insolvenzmasse zu handeln.
Der zu entscheidende Fall
Komplementärin war die Verwaltungs- und Beteiligungs-Gesellschaft mbH. Einzig verbliebener Kommanditist der Schuldnerin war bis Ende 2015 der Onkel der Beklagten. Dieser trat seinen Gesellschaftsanteil sodann an die V. AG mit Sitz in der Schweiz (Kommanditistin) ab. Die Kommanditistin wurde am 22.01.2017 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Schweizer Handelsregister gelöscht.
Am 26.01.2018 stellte die Schuldnerin einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, worauf das Insolvenzgericht am 09.05.2018 das Insolvenzverfahren eröffnete und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellte.
In der Folge erließ das Insolvenzgericht am 09.03.2020 einen Beschluss mit dem Inhalt, der Eröffnungsbeschluss werde „dahingehend klargestellt, dass es sich um die Eröffnung eines Sonderinsolvenzverfahrens analog den § 315 ff. InsO über das Vermögen der durch Ausscheiden der einzigen Kommanditistin liquidationslos erloschenen“ Schuldnerin handele, „welches sich aufgrund von Anwachsung in der Trägerschaft deren einziger Komplementärin (…)“ befinde.
Am 18.06.2020 begründete der Kläger nach vorausgegangenem Mahnverfahren die im Mahnbescheid geltend gemachten Zahlungsansprüche gegen die Beklagte, die er auf Vermögensverschiebungen von Anfang 2016 bis Anfang 2017 stützte.
Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Das Oberlandesgericht (OLG) wies sie vollständig ab und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger persönlich (!) auf. Ob die Ansprüche als solche gerechtfertigt seien, hat es nicht entschieden, weil es der Ansicht war, der Kläger sei nicht sachbefugt. Der BGH hebt die Sache auf die Revision des Klägers auf und verweist sie zurück an das OLG.
Das OLG hatte argumentiert, die geltend gemachten Ansprüche seien in der Hand der Schuldnerin entstanden, aber noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen auf die Komplementärin übergegangen. Die Schuldnerin sei mit dem Ausscheiden der Kommanditistin infolge deren Löschung aus dem Schweizer Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit liquidationslos beendet worden. Etwaige Ansprüche der Schuldnerin seien auf die Komplementärin als ihre Rechtsnachfolgerin übergegangen.
Das (ehemalige) Vermögen der (ehemaligen) Schuldnerin sei nicht infolge des Insolvenzeröffnungsbeschlusses dem Insolvenzbeschlag und damit der Verwaltung durch den Kläger unterfallen. Der Beschluss habe sich auf eine nicht (mehr) existente Schuldnerin bezogen. Dies habe zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses geführt und damit zu dessen fehlender Bindungskraft für später befasste Gerichte.
Die Begründung des BGH
Die vom klagenden Insolvenzverwalter geltend gemachten Ansprüche waren noch in Person der A. GmbH & Co. KG entstanden, die durch das Ausscheiden der Kommanditistin infolge von deren Löschung im schweizerischen Handelsregister liquidationslos beendet wurde. Die Ansprüche waren hierdurch auf die bisherige Komplementärin übergegangen.
Der Kläger hätte nicht über die notwendige Sachbefugnis (Aktivlegitimation) verfügt, wenn der Insolvenzeröffnungsbeschluss unwirksam, das heißt nichtig, gewesen wäre, ihm mithin nicht die Rechtsmacht des Insolvenzverwalters verschafft hätte.
Der BGH sieht den Eröffnungsbeschluss vom 09.05.2018 als wirksam an, dem weiteren Beschluss vom 09.03.2020 maß er dagegen nicht die Bedeutung einer Insolvenzeröffnung zu.
Der rechtskräftige Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, so führt der BGH aus, sei vom Prozessgericht, vorliegend den Zivilgerichten, grundsätzlich auch dann als gültig hinzunehmen, wenn er verfahrensfehlerhaft ergangen sei. Als in dem dafür vorgesehenen Verfahren ergangener hoheitlicher Akt beanspruche er Geltung gegenüber jedermann, sofern der Entscheidung nicht ausnahmsweise ein Fehler anhafte, der zur Nichtigkeit führe. Wegen der für das Insolvenzverfahren grundlegenden Bedeutung des die Eröffnung anordnenden Beschlusses sei er schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur außerordentlich selten als nichtig zu behandeln, hauptsächlich dann, wenn dem Akt infolge des festgestellten Fehlers bereits äußerlich ein für eine richterliche Entscheidung wesentliches Merkmal fehlt.
Auf dieser Grundlage habe der BGH den Eröffnungsbeschluss über das Vermögen einer unter Geltung der Konkursordnung nicht konkursfähigen Gesellschaft 1991 als wirksam angesehen, ebenso den Beschluss eines örtlich unzuständigen Amtsgerichts. Als nichtig sei dagegen ein nicht unterschriebener Eröffnungsbeschluss behandelt worden. Vor allem aber habe der II. Zivilsenat des BGH 2008 (II ZR 37/07) einen Insolvenzeröffnungsbeschluss, der gegen einen nicht (mehr) existenten Schuldner ergangen war für unwirksam erachtet. [Der Fall entsprach, soweit es hier darauf ankommt, dem Besprechungsfall.]
Der BGH begründet die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses nunmehr wie folgt.
Das von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfasste Vermögen sei regelmäßig nach § 35 Abs. 1 InsO zu bestimmen. Erfasst werde demnach das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre und dass er während des Verfahrens erwerbe. Dabei sei in der Regel der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Insolvenzgläubiger unbeschränkt.
Das Recht kenne jedoch Insolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften. Sei nur eine solche Vermögensmasse erfasst, sei regelmäßig auch der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Gläubiger beschränkt. Sie müssten dann in einem besonderen Verhältnis zu dieser Vermögensmasse stehen, insbesondere über gegen diese Vermögensmasse gerichtete Forderungen verfügen. Ein Beispiel hierfür sei das [oben bereits angesprochene] Nachlassinsolvenzverfahren.
Im juristischen Schrifttum werde überwiegend angenommen, dass auch das Gesellschaftsvermögen, das infolge des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft auf den letzten Gesellschafter übergegangen sei, Gegenstand eines Partikularinsolvenzverfahrens sein könne. Insolvenzschuldner sei nach dieser Ansicht der letzte Gesellschafter, dem das Gesellschaftsvermögen angewachsen sei.
Hintergrund dieser Ansicht sei die Schutzbedürftigkeit des letzten Gesellschafters wie diejenige der Gesellschaftsgläubiger [wie ebenfalls oben dargestellt]. Komme es, so entscheidet der BGH jetzt, infolge eines Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters und einer dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft zu einem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter, sei ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen möglich. Insolvenzschuldner sei der letzte Gesellschafter. Dieser Fall werde allerdings von § 11 Abs. 3 InsO wegen der eingetretenen Vollbeendigung nicht erfasst.
Die Möglichkeit eines Partikularinsolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters rechtfertige sich jedoch unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des letzten Gesellschafters und der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger. Wenn der Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den ursprünglich nur beschränkt haftenden Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens – zusätzlich zur fortbestehenden ursprünglichen Haftung – nur zu der Pflicht führe, die Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen zu dulden, könne die Lage in der Insolvenz nicht anders sein.
Ein solches Partikularinsolvenzverfahren sei aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der letzte Gesellschafter – wie im Streitfall die Komplementärin – ursprünglich unbeschränkt mit seinem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden einzustehen gehabt habe. Auch in diesem Fall könne der Schutz der Gesellschaftsgläubiger ein auf das Gesellschaftsvermögen beschränktes Insolvenzverfahren und den damit verbundenen Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters erfordern. Dies entspreche der Lage im Nachlassinsolvenzverfahren. Der Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung stehe nämlich der Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nicht entgegen, wie sich aus § 316 Abs. 1 InsO ergebe. Dies diene dem Interesse der Nachlassgläubiger, die von den persönlichen Gläubigern des Erben ungehindert auf den Nachlass zugreifen können sollen.
Vorliegend sei die Interessenlage entsprechend. Auch das Vertrauen der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger auf den Erhalt des zugriffsfähigen Vermögens unter Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters sei schutzwürdig und es gebe auch keinen Grund, den persönlichen Gläubigern des letzten Gesellschafters einen Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen zu ermöglichen.
Auf Anfrage des hier entscheidenden IX. Zivilsenats des BGH habe der II. Zivilsenat erklärt, an seiner abweichenden Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 [siehe oben] nicht festhalten zu wollen.
Der BGH hat nicht entschieden, unter welchen nähern Voraussetzungen die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens in Fällen wie dem vorliegenden möglich ist, weil jedenfalls von der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auszugehen gewesen sei.
Insbesondere stehe der Wirksamkeit nicht entgegen, dass von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Wortlaut des Beschlusses nach die nicht mehr existente Schuldnerin als Trägerin der Insolvenzmasse benannt sei. Dies belegten die Vorschriften über das Nachlassinsolvenzverfahren, wo es anerkannt sei, dass der Tod des Schuldners nach Eröffnung des Verfahrens ohne Weiteres eine Überleitung des bisherigen Verfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren bewirke. Für das Partikularinsolvenzverfahren nach Anwachsung des Gesellschaftsvermögens beim letzten Gesellschafter gelte nichts anderes.
Da das OLG die weiteren Voraussetzungen der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche, aus seiner Sicht konsequent, nicht geprüft hatte, musste der BGH die Sache an das OLG zurückverweisen.
Download: Betreiber einer Waschanlage – Arbeitnehmer oder selbständig Tätiger?
Vorbemerkung
Häufig weisen im Arbeitsleben Vertragsverhältnisse sowohl Aspekte einer abhängigen Beschäftigung wie einer selbständigen Tätigkeit auf. Die Abgrenzung ist für viele Aspekte sozialer und vertragsrechtlicher Art maßgebend, insbesondere steht nur dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Arbeitsentgelt zu. Vor allem im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeitnehmer) bereitet dies oft nicht unerhebliche Schwierigkeiten, was der Gesetzgeber 2016/2017 zum Anlass genommen hat, das Arbeitsverhältnis im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) konkreter zu umschreiben und - inhaltlich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) folgend - Absatz 1 des § 611a BGB, der Abgrenzungsregeln für diesen Fall enthält, zu reformieren.
In der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21.02.2017 hat § 611a Abs. 1 BGB nunmehr folgenden Wortlaut:
„(1)Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. 2Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. 3Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. 4Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. 5Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. 6Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Das BAG hatte vorliegend zu entscheiden, ob der örtliche Betreiber einer Waschanlage, der vertraglich mit der Beklagten verbunden war, die im Bundesgebiet etwa 300 solcher Anlagen unterhielt, deren Arbeitnehmer oder selbständig tätig war.
Der zu entscheidende Fall
Der im Juli 2009 geschlossene „Partnervertrag“ der Parteien, in dem der Kläger als Partner bezeichnet wurde, sah folgende Regelungen vor:
„§ 1
Partner übernimmt als selbstständiger Gewerbetreibender im Namen und für Rechnung von I mit Wirkung ab 1. Juli 2009 den Betrieb der I-Autowaschstraße in H.Zu diesem Zweck überlässt I Partner gegen Entgelt diese I-Autowaschstraße mit allen Baulichkeiten, technischen Einrichtungen und Geräten. …
§ 3
Partner kann nach Maßgabe dieses Vertrages seine Tätigkeit frei gestalten und seine eigene Arbeitszeit selbst bestimmen. Für die durch diesen Vertrag durchzuführenden Aufgaben und Arbeiten kann von Partner Personal eingesetzt werden. Die Suche, die Auswahl, die Regelung der Vertrags- und Arbeitsbedingungen sowie die Überwachung seines Personals obliegen allein dem Partner.
Partner wird alles Mögliche unternehmen, um den Erfolg der I-Autowaschstraße zu gewährleisten. Die Fortentwicklung ist dem Partner ein besonderes Anliegen. Er wird die I-Autowaschstraße nach den Gepflogenheiten eines ordentlichen Kaufmanns führen.
Der Einsatz von Dritten entbindet ihn nicht von seiner Verantwortung.
Partner wird sich selbst und sein Personal über die Anforderungen an einen modernen I-Autowaschbetrieb und den dazu erforderlichen Kundenservice informieren.
Partner hat die Möglichkeit an den von I angebotenen Schulungsmaßnahmen (technische sowie kaufmännische und verwaltungsmäßige Einweisungen) teilzunehmen.
Die notwendigen Kenntnisse und Anforderungen für ein erfolgreiches Autopflegegeschäft inklusive des erforderlichen Kundenservices werden Partner für sich und sein Personal durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erreichen.
§ 4
Die im Namen und für Rechnung von I an der I-Autowaschstraße vereinnahmten Gelder sind ausschließlich Eigentum von I. …
Über die im Namen und für Rechnung von I vereinnahmten Gelder und über die von I unentgeltlich überlassenen Warenbestände, Ersatzteile und andere Materialien ist Buch zu führen und dem Beauftragten der I hierzu jederzeit auf Verlangen Einsicht zu gewähren. …
Die Art und Anzahl der für I durchgeführten Waschvorgänge und die vereinnahmten Gelder sind täglich in einer Abrechnung zu erfassen und die Richtigkeit durch Unterzeichnung zu bestätigen. Diese Abrechnungen sind jeweils donnerstags und montags nach Betriebsschluss an I zu senden.
§ 5
I legt die gültigen Verkaufspreise für alle Leistungen, die in ihrem Namen und für ihre Rechnung erbracht werden, fest und nimmt die Preisauszeichnung vor. …
Partner erklärt zur Provisionsvergütung, dass er zum Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnungen nach § 14 Abs. 1 UStG berechtigt ist und diese Umsatzsteuer an das zuständige Finanzamt abführt. …
§ 6
Die Betriebszeiten an der I-Autowaschstraße wurden zwischen Partner und I unter Berücksichtigung eines kundenorientierten Betriebes, mietvertraglicher oder sonstiger Verpflichtungen der I gegenüber Dritten, der Wettbewerbsverhältnisse sowie vorliegender Marktanalysen in einem Protokoll gemeinsam vereinbart. …
Bei Bedarf können die Betriebszeiten entsprechend dem vorstehend beschriebenen Verfahren jederzeit einvernehmlich geändert werden. …
§ 8
Für die Überlassung der I-Autowaschstraße mit ihren Baulichkeiten, Einrichtungen und Geräten sowie für die Möglichkeit, zusätzlich auf dem Grundstück zustimmungsfreie Eigengeschäfte (vgl. § 7 Abs. 2) durchführen zu können, zahlt der Partner an I ein umsatzabhängiges Nutzungsentgelt.
Dieses beträgt
11% (in Worten: elf Prozent)
der jeweils vereinnahmten monatlichen Nettoprovision aus dem gesamten Waschgeschäft. …
§ 9
Partner wird sein Gewerbe spätestens zum Zeitpunkt der Übernahme bei der zuständigen Behörde anmelden. …
Sicherheitsprüfungen, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten sind vom Partner gemäß Handbuch für die Partnerschulung und Betriebstagebuch vorzunehmen. Das Handbuch für die Partnerschulung und das Betriebstagebuch werden dem Partner von I ausgehändigt und der Empfang bestätigt. …
Partner wird die I-Autowaschstraße in einem sauberen und gepflegten, sowie betriebsbereiten Zustand halten. Die Kosten für Reinigung und Pflege übernimmt Partner, mit Ausnahme der Reinigungsmittel. …
Das Führen eines Betriebstagebuchs ist gesetzlich vorgeschrieben. Daher wird Partner dieses Betriebstagebuch führen und darin alle erforderlichen Eintragungen den Vorschriften entsprechend vornehmen.
I-Beauftragte können während der Geschäftszeiten zu Reparaturzwecken, zu Prüfungen des allgemeinen Zustandes von Maschinen, Einrichtungen und Geräten oder sonst aus wichtigem Grund, das gesamte Gelände der I-Autowaschstraße einschließlich Baulichkeiten der Waschstraße jederzeit betreten.“
Die Parteien verständigten sich auf bestimmte Betriebszeiten und vereinbarten auf Wunsch des Klägers mit Wirkung ab dem 01.06.2020 abweichende Winteröffnungszeiten. Der Kläger, der zum Betrieb der Waschstraße Mitarbeiter einstellte, erwirtschaftete im Jahr 2020 Provisionen in Höhe von 28.626,59 €.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei für die Beklagte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig gewesen. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt eines angestellten Betriebsleiters einer Waschstraße betrage bei Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 160 Stunden mindestens 4.000,00 €. Da er für die Beklagte im Durchschnitt 306 Stunden im Monat tätig gewesen sei, belaufe sich sein monatlicher Entgeltanspruch auf 7.650,00 € brutto, von dem die seitens der Beklagten gezahlten Provisionen in Abzug zu bringen seien.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass zwischen den Parteien seit dem 01.07.2009 ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611a Abs. 1 BGB besteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn seit dem 01.01.2019 monatlich 7.650,00 € brutto abzüglich der gezahlten Provisionen zu zahlen.
Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg.
Die Begründung des BAG
Das BAG sieht die Klage als zulässig an. Ein [vermeintlicher] Arbeitnehmer könne mit der allgemeinen Feststellungsklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geltend machen. Der Kläger habe ein rechtliches Interesse daran, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde, wie § 256 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraussetze.
Die Klage sei jedoch nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht sei ohne revisiblen Rechtsfehler davon ausgegangen, der Kläger betreibe die Waschstraße der Beklagten nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Dienstnehmer.
Ein Arbeitsverhältnis unterscheide sich gemäß § 611a BGB von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten.
Arbeitnehmer sei, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sei. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung seien eng miteinander verbunden und überschnitten sich teilweise. Eine weisungsgebundene Tätigkeit sei in der Regel zugleich fremdbestimmt. Das Merkmal der Fremdbestimmung könne in Bezug auf die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eigenständige Bedeutung erlangen. Beide Kriterien, die Bindung an Weisungen und die Fremdbestimmung, müssten einen Grad an persönlicher Abhängigkeit des Betroffenen erreichen, der für ein Rechtsverhältnis prägend sei. Die Weisungsbindung sei das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB näher ausgestaltet sei.
Das Gesetz bestimme die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten, indem es ihr die Freiheit des Selbstständigen gegenüberstelle. Weisungsgebunden sei danach, wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht bestimmen könne. Dies korrespondiere mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen könne. Im Rahmen der Gesetze und des Vertrags sei der Arbeitgeber befugt, die Umstände, unter denen der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringe, nach billigem Ermessen einseitig näher auszugestalten.
Weisungsrechte könnten aber auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gegeben sein. Die Anweisung gegenüber einem Selbstständigen sei typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert ausgestaltet und damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet. Im Unterschied dazu sei das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen und ablauforientiert geprägt. Werde die Tätigkeit durch den „Auftraggeber“ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten „Arbeitsergebnisses“ faktisch ausschließe, liege ein Arbeitsverhältnis nahe. Das Recht, Dritte in die Leistungserbringung einzubinden, sei dagegen ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit.
Die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild beeinflussten den Vertragstyp. Bei untergeordneten, einfachen Arbeiten bestehe eher eine persönliche Abhängigkeit als bei gehobenen Tätigkeiten.
Erforderlich sei schließlich eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls. Ein Arbeitsverhältnis sei nur gegeben, wenn den Umständen, die für eine persönliche Abhängigkeit sprächen, dabei hinreichendes Gewicht beizumessen sei oder sie dem Rechtsverhältnis ihr Gepräge gäben. Maßgeblich sei die tatsächliche Tätigkeit, nicht der Wortlaut der Vereinbarung. Die Vertragsdurchführung, nicht die Vertragsbezeichnung sei entscheidend, wie § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB unabdingbar bestimme.
Bei der konkreten Prüfung sei der Vertrag zunächst nach § 157 BGB auszulegen. Ergebe sich bereits daraus, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis begründen wollten, liege ein Arbeitsverhältnis vor, ohne dass es auf die Vertragsdurchführung ankomme. Anderenfalls sei in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags in den Blick zu nehmen. Stimme die Vertragspraxis mit den vertraglichen Vorgaben überein, sei Selbstständigkeit gegeben. Bei Abweichungen richte sich die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses allein nach der Vertragsdurchführung. Maßgeblich seien beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis.
Gemessen an diesen Grundsätzen und der zulässigen revisionsrechtlichen Überprüfung sei das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) nicht zu beanstanden. Die für ein freies Dienstverhältnis sprechenden Umstände überwögen die Umstände, die auf ein Arbeitsverhältnis schließen ließen.
Die Parteien hätten den „Partnervertrag“ weder als Arbeitsverhältnis klassifiziert noch darin Regelungen getroffen, die in ihrer Gesamtschau auf einen Arbeitsvertrag schließen ließen.
Eine Vielzahl von Vertragsbestimmungen deuteten darauf hin, dass der Partnervertrag einen dienstvertraglichen Inhalt hat.
Das LAG habe auch berücksichtigt, dass einige Regelungen den Kläger in der freien Gestaltung seiner Tätigkeit einschränkten.
Hinsichtlich der Durchführung des Vertrags gelte:
Die Abwägung dieser Gesichtspunkte ergebe das Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters. Das LAG habe zutreffend den Vertragsbestimmungen, die die Handlungsfreiheit des Klägers beschränkten, eine weniger große Bedeutung zugemessen als seiner Befugnis, die von ihm geschuldete Dienstleistung durch Dritte zu erbringen, die er frei habe auswählen und deren Tätigkeit er eigenverantwortlich habe kontrollieren können.
Mit den Vorgaben des PV seien lediglich die Rahmenbedingungen festgelegt worden, unter denen die Beklagte ihren Partnern bundesweit anbiete, unter einheitlichem Namen den Kunden Waschleistungen mit im Wesentlichen einheitlichem Standard und einheitlichen Preisen zu bestimmten Öffnungszeiten zu erbringen. Die Verpflichtung, die Waschstraße instand zu halten, das Verhalten gegenüber den Kunden und der Umgang mit Reklamationen zielten auf eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit ab, die beiden Parteien gleichermaßen zugutekomme. Die Bestimmungen über die Buchhaltung, die Kassenführung und den Zahlungsverkehr dienten der geordneten Abrechnung, insbesondere der Berechnung der vom Kläger verdienten Provision, nach der sich gemäß § 8 PV das von ihm zu entrichtende Nutzungsentgelt richte.
Zu Unrecht rüge der Kläger, die Beklagte verfüge über eine Marktmacht, die es ihr erlaube, die Bedingungen der Zusammenarbeit nach Belieben zu bestimmen. Dies sei kein Indikator für Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung in persönlicher Abhängigkeit.
Da nach allem der Feststellungantrag schon nicht begründet sei, bedürfe der Zahlungsantrag als uneigentlicher Hilfsantrag keiner Entscheidung mehr.
Download: Wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers bei D&O-Versicherung
Vorbemerkung
Nachdem in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung vor einigen Jahren die Ansicht vertreten worden war, Ansprüche gegen den Geschäftsführer einer GmbH aus § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) wegen unzulässiger Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft fielen nicht unter den Deckungsschutz der D&O Versicherung, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 18.11.2020 (IV ZR 217/19) das Eingreifen des Deckungsschutzes klargestellt. Zwischenzeitlich haben eine Reihe von Versicherern Ansprüche aus § 64 GmbHG (heute § 15b der Insolvenzordnung [InsO]) ausdrücklich in den Versicherungsschutz aufgenommen. Damit ist die Eintrittspflicht der Versicherer allerdings nicht in jedem Fall gewährleistet, denn in Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind vielfach Ausschlüsse vom Versicherungsschutz aufgenommen, so auch bei der D&O Versicherung.
Dort regelt Nr. 6 Abs. 1 der „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten“ (D&O Bedingungen, kurz auch: ULLA):
6. Ausschlüsse
Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch eine versicherte Person.
Danach kommt es entscheidend darauf an, ob der Geschäftsführer als versicherte Person wissentlich eine Pflichtverletzung begangen hat. Die Frage ist von erheblicher Praxisrelevanz, entscheidet sie doch über die Leistungsfreiheit des Versicherers mit oft gravierenden wirtschaftlichen Folgen für den Geschäftsführer.
Entscheidend kommt es daher darauf an, ob der Geschäftsführer (zumindest) wissentlich gegen seine Pflichten verstoßen hat.
Wissentlich handelt nach der Rechtsprechung des BGH nur derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür nicht aus. Im Deckungsprozess muss daher feststehen, dass der Versicherte seine Pflichten zutreffend erkannt hat.
Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer. Er muss folglich im Prozess vortragen, dass die versicherte Person gewusst hat, wie sie sich hätte verhalten müssen.
Aus dieser grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt, dass er zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien für das Wissen des Geschäftsführers ist dabei dann entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (sogenannte Kardinalpflichten).
Kann die Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, nicht festgestellt werden, muss der beweispflichtige Versicherer Anknüpfungstatsachen vortragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.
Die Inanspruchnahme von Geschäftsführern wegen verbotswidriger Zahlungen gemäß § 64 GmbHG a. F. oder jetzt § 15b InsO erfolgt im Allgemeinen durch den Insolvenzverwalter der Gesellschaft. In diesen Fällen treten die betroffenen Geschäftsführer häufig, zum Beispiel im Rahmen eines Vergleichsschlusses, ihre Ansprüche aus der Versicherung an den Verwalter ab, sodass dieser gegen den Versicherer klagt, so auch vorliegend.
Nicht selten wird in diesem Zusammenhang darum gestritten, ob die Verletzung der Insolvenzantragspflicht eine Kardinalpflicht in diesem Sinne darstellt. Um eine solche Fallgestaltung ging es auch vorliegend.
Der zu entscheidende Fall
Der Insolvenzverwalter behauptete, der eingetragene Geschäftsführer der Gesellschaft X habe lediglich als Strohmann für den faktischen Geschäftsführer Y fungiert. Durch Auslegung des Entwurfs der dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügten Klageentwurfs ermittelt das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG), dass der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer X in Anspruch nimmt, weil er den (vermeintlichen) faktischen Geschäftsführer Y nicht ordnungsgemäß überwacht habe. Nach den Feststellungen des OLG wurde der Geschäftsbetrieb trotz „eindeutiger und unverkennbarer Anzeichen für den Verlust der Zahlungsfähigkeit“ noch über ein weiteres Jahr aufrechterhalten.
Das OLG hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Begründung des OLG Frankfurt
Der Geschäftsführer X der Insolvenzschuldnerin habe vorliegend eine Kardinalpflicht verletzt, da er bei Eintritt der Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag stellte und die Geschäfte weiterführte bzw. durch den faktischen Geschäftsführer führen ließ, ohne sich über die geschäftliche Situation ins Bild zu setzen und tätig zu werden.
Die Insolvenzantragspflicht nach § 64 GmbHG a. F. (§ 15a InsO) sei eine Kardinalpflicht im oben beschriebenen Sinne. Eine solche setze voraus, dass die von dem Versicherten verletze Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehöre. Dazu zähle auch die Pflicht eines Geschäftsführers, weder sich noch Dritten aus dem Gesellschaftsvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch bestehe, das Unternehmensvermögen nicht Zweck zu entfremden, und auch die Pflicht, bei Insolvenzreife rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Insolvenzantragspflicht sei eine wesentliche gläubigerschützende Regelung, die nach § 15a Abs. 4 InsO sogar strafbewährt sei. Zum Elementarwissen des Geschäftsführers gehöre die Verpflichtung zur Vergewisserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die Prüfung der Insolvenzreife und das Leisten der hierzu notwendigen Arbeiten. Geschäftsführern, die „blind in die Krise“ segelten, könne daher die Verletzung einer Kardinalpflicht vorgeworfen werden.
Vorliegend habe der Insolvenzverwalter die Indizwirkung der Kardinalpflichtverletzung nicht beseitigen können. Nach seinem Vortrag, so das OLG, habe der X die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, mithin den Eintritt des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit gekannt oder sich den zugrundeliegenden Tatsachen bewusst verschlossen. Sollte er tatsächlich als Strohmann aufgetreten sein, entlaste ihn dies nicht, weil er in diesem Fall die wissentliche Verletzung kardinaler Organisations- und Kontrollpflichten zu verantworten habe.
Die Insolvenzreife habe sich schon deshalb aufgedrängt, weil im maßgeblichen Zeitpunkt einer Steuerforderung von nahezu 100.000 € nur eine Liquidität von 12.000 € gegenübergestanden habe, was dem X nicht verborgen geblieben sein könne. Außerdem hätten eine Reihe von weiteren Aspekten für Insolvenzreife gesprochen.
Sei X lediglich als Strohmann anzusehen, entlaste ihn dies nicht, weil er dann den Y nicht überwacht habe.
Übe der eingetragene Geschäftsführer seine Tätigkeit nicht aus und habe er deswegen keine Kontrollmöglichkeit in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft, müsse er eine Organisationstruktur aufbauen und unterhalten, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermögliche, anderenfalls müsse er zur Haftungsvermeidung sein Amt niederlegen. Daher sei der nur zum Schein, aber wirksam bestellte Strohmann-Geschäftsführer sogar verantwortlich, wenn er jedwede Tätigkeit unterlasse. Auf eine Abstimmung mit den Gesellschaftern komme es insoweit nicht an.
Gegen diese Kardinalpflicht habe der X, wenn er reiner Strohmann gewesen sei, wissentlich verstoßen, da das Wissen darum, dass mit der Eintragung als Geschäftsführer einer GmbH vielfältige Pflichten in Bezug auf die Unternehmensleitung verbunden seien, zum Allgemeinwissen aller Berufstätigen gehören dürfte. X müsse jedenfalls gewusst haben, dass er sich als eingetragener Geschäftsführer nicht jeglicher Kontrolle über die faktische Geschäftsführung habe enthalten dürfen.
Download: Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter
Vorbemerkung
Nach § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Voraussetzung ist ein entsprechender frist- und formgerechter Antrag. Allerdings muss die bedürftige Partei in gewissem Umfang ihr Einkommen und Vermögen zunächst für die Prozesskosten einsetzen. Nur wenn das nach näherer Maßgabe des § 115 ZPO nicht ausreicht, besteht der Anspruch auf PKH. Diese Regeln gelten für natürliche Personen.
Aber auch eine sogenannte Partei kraft Amtes kann PKH erhalten. Dies sind Personen, die zwar als Partei auftreten, aber fremde Interessen vertreten und nicht mit ihrem eigenen Vermögen für die Kosten des Prozesses aufzukommen haben. Ihr Amt wird ihnen durch einen besonderen Bestellungsakt übertragen, meist durch einen gerichtlichen Beschluss. Hierunter fallen vor allem die Insolvenz- und Zwangsverwalter. Sie haben, handelnd für das von ihnen verwaltete Vermögen, nicht für sich persönlich, unter den Voraussetzungen des § 116 ZPO Anspruch auf PKH. Entscheidend für die Gewährung sind in der Konsequenz nicht ihre persönlichen Verhältnisse, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse des von ihnen verwalteten Vermögens. § 116 ZPO lautet:
„Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag
1. eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2. eine juristische Person …
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.“
Der Gesetzestext verdeutlicht, dass nicht nur die unmittelbaren Verhältnisse des jeweils verwalteten Vermögens maßgeblich sind, sondern es auch auf die Frage ankommt, ob diejenigen, auf die sich das Ergebnis des Prozesses mittelbar auswirkt verpflichtet sind, die Prozesskosten ganz oder teilweise aufzubringen. Im Fall des Insolvenzverwalters sind dies in aller erster Linie die Insolvenzgläubiger, denn sie werden begünstigt, wenn der Insolvenzverwalter als Beklagter Ansprüche gegen die Insolvenzmasse abwenden oder als Kläger Ansprüche der Masse realisieren kann, denn dies wirkt sich auf die Insolvenzquote aus.
Prozesskostenhilfe kann immer nur für die jeweilige Instanz bewilligt werden. Möchte die beschwerte Partei gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einlegen und ist sie nicht in der Lage, die die Kosten hierfür aufzubringen, muss sie einen erneuten PKH-Antrag stellen. Wünschenswert ist, dass dieser Antrag nicht nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei – dies ist zwingend –, sondern auch in der Sache begründet wird. Sinnvoll ist dabei, schon in diesem Stadium die Ausführungen zu machen, die später als Begründung der Berufung dienen, insbesondere den Entwurf einer Berufungsbegründung dem PKH-Antrag beizufügen. Allerdings besteht hier das Risiko, dass das Gericht annimmt, wegen des schon gefertigten Entwurfs bedürfe die Partei der PKH gar nicht mehr.
Mit dieser Problematik befasst sich die Besprechungsentscheidung. Darüber hinaus geht es um die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO. Dieser etwas antiquiert wirkende Begriff bedeutet, dass die Versäumung bestimmter Fristen bei rechtzeitigem Wiedereinsetzungsantrag unbeachtlich ist, wenn die Partei ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist einzuhalten. Dies gilt insbesondere für die sogenannten Notfristen, etwa die Berufungsfrist, und für die Fristen zur Begründung von Rechtsmitteln, also zum Beispiel die Berufungsbegründungsfrist. „Ohne ihr Verschulden“ ist eine Partei auch dann säumig, wenn sie wegen wirtschaftlich begründeten Unvermögens den erforderlichen Rechtsanwalt nicht vergüten kann und alles ihr zumutbare unternommen hat, um PKH bewilligt zu erhalten.
Der zu entscheidende Fall
Die klagende Insolvenzverwalterin (Klägerin) nimmt den Beklagten nach Gewährung von PKH für das Verfahren erster Instanz aus Insolvenzanfechtung in Anspruch. Gegen das ihr am 13.10.2022 zugestellte, klageabweisende Urteil des Landgerichts Hamburg (LG) hat sie mit am Montag, den 14.11.2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach Gewährung der beantragten Fristverlängerung zur Begründung der Berufung bis zum 13.01.2023 hat sie mit Schriftsatz vom selben Tag die Gewährung von PKH für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt. Darin teilten ihre Prozessbevollmächtigten mit, das Berufungsverfahren solle nur unter der Bedingung der Gewährung von PKH durchgeführt werden, und kündigten für diesen Fall näher bezeichnete Berufungsanträge an. Zudem begründeten sie unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil die hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung.
Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) hat das PKH-Gesuch mit Beschluss vom 08.02.2023 zurückgewiesen, weil die Mittellosigkeit der Klägerin für die Fristversäumung nicht ursächlich sei, nachdem ihr Prozessbevollmächtigte das Gesuch in gleicher Art und Weise wie eine Berufungsbegründung begründet habe. Zugleich hat das OLG darauf hingewiesen, dass es folglich beabsichtige, die Berufung wegen Fristversäumnisses als unzulässig zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom 23.02.2023 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO beantragt und Anhörungsrüge nach § 321a ZPO gegen die Zurückweisung des Antrags auf Gewährung von PKH erhoben. Es streite, so das OLG, eine Regelvermutung für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer Partei für eine Fristversäumung. Die Prozessvertreter hätten auch anwaltlich versichert, keine Bereitschaft zur Durchführung der Berufung ohne Gewährung von PKH oder eine anderweitige Finanzierung zu haben, dies sei jedoch nicht ausreichend. Vor dem Hintergrund der schon vorliegenden Begründung sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Prozessbevollmächtigten nicht auch ohne die Gewährung von PKH zur Durchführung der Berufung bereit gewesen seien. Am selben Tag begründete die Klägerin ihre Berufung.
Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung zurückgewiesen, die Berufung als unzulässig verworfen und die Anhörungsrüge gegen die Versagung von PKH zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Das Rechtsmittel hat vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist und der Verwerfung der Berufung als unzulässig Erfolg, jedoch nicht im Hinblick auf die Versagung der PKH.
Die Begründung des BGH
Die Rechtsbeschwerde ist nach Ansicht des BGH nur hinsichtlich der Ablehnung der Wiedereinsetzung und der Verwerfung der Berufung zulässig, da die Rechtsbeschwerde insoweit kraft Gesetzes, also auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht zulässig ist. Insoweit sei die Rechtsbeschwerde auch begründet.
Die Klägerin habe die Berufungsbegründungsfrist zwar versäumt, da sie mit dem PKH-Antrag nur einen (nicht unterzeichneten) Entwurf der Berufungsbegründung eingereicht habe, ihr hätte insoweit jedoch auf ihren rechtzeitig eigereichten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen.
Das OLG habe rechtsfehlerhaft angenommen, sie sei nicht schuldlos an der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen.
Die Mittellosigkeit einer Partei stelle einen Entschuldigungsgrund im Sinne von § 233 ZPO dar, wenn sich die Partei infolge der Mittellosigkeit außerstande sehe, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung ihres Rechtsmittels zu beauftragen.
Sei die bedürftige Partei bereits anwaltlich vertreten und lege ihr Rechtsanwalt uneingeschränkt Berufung ein, müsse sie allerdings glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit gewesen sei, die wirksam eingelegte Berufung im Weiteren ohne Bewilligung von PKH ordnungs- und fristgerecht zu begründen.
Dabei werde im Regelfall vermutet, eine Partei sei bis zur Entscheidung über ihr PKH-Gesuch so lange als schuldlos anzusehen, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die PKH ablehnenden Entscheidung rechnen müsse.
Diese Vermutung sei vor allem dann erschüttert, wenn der Prozessbevollmächtigte neben dem PKH-Gesuch innerhalb der noch laufenden Begründungsfrist zugleich den Entwurf einer Rechtsmittelbegründung vorlege. So habe der BGH die Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis verneint, wenn ein Prozessbevollmächtigter nach Berufungseinlegung innerhalb laufender Begründungsfristen einen Antrag auf Bewilligung der PKH und die vollständige, unterschriebene – wenn auch als Entwurf gekennzeichnete – Berufungsbegründung beifügt habe; denn in diesem Fall habe er seine Leistung in vollem Umfang erbracht.
Habe dagegen der Anwalt nach unbedingter Einlegung des Rechtsmittels und Vorlage des Entwurfs einer nicht unterschriebenen Berufungsbegründung innerhalb laufender Rechtsmittelbegründungsfrist glaubhaft gemacht, er sei nicht bereit, ohne Vorschussanforderung oder Bewilligung von Prozesskostenhilfe tätig zu werden, oder habe er mitgeteilt, dass der Entwurf noch der Bearbeitung oder Abstimmung bedürfe, habe der BGH angenommen, die Glaubhaftigkeit der anwaltlichen Erklärung, der anwaltliche Vertreter sei nicht bereit, die Mandanten in der Rechtsmittelinstanz über das Verfahren der Gewährung von Prozesskostenhilfe hinaus weitergehend zu vertreten, sei nicht erschüttert. Zu den Aufgaben eines Anwalts in der Rechtsmittelinstanz zähle nämlich nicht allein die Anfertigung von Schriftsätzen, er müsse für deren Inhalt durch seine Unterschrift die Verantwortung übernehmen; überdies habe er die gesamte Verfahrensführung zu übernehmen. Dafür reiche die Einreichung eines PKH-Antrags mit einem Schriftsatzentwurf zur Erläuterung des Antrags nicht aus.
Die Mittellosigkeit sei auch dann ursächlich für die Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist geworden, wenn der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte ein ordnungsgemäßes PKH-Gesuch für eine beabsichtigte Berufung einreiche und dieses fristgemäß begründe, denn dies sei nicht mit einer vollständig erstellten Berufungsbegründung gleichzusetzen.
Gemessen an diesen Voraussetzungen habe das OLG zu hohe Anforderungen an ein fehlendes Verschulden gestellt. Zu Gunsten der Klägerin greife vielmehr die nicht durch die Fallumstände erschütterte Vermutung, ihre Mittellosigkeit sei für ihr Fristversäumnis kausal. Sie habe glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigen nicht bereit gewesen seien, ohne Vorschusszahlung oder Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsverfahren weitergehend für sie tätig zu werden. Gründe, die deren Glaubhaftigkeit erschüttern, seien nicht ersichtlich.
Es gelte die Vermutungsregel, dass eine Partei grundsätzlich bis zu einer Entscheidung über den PKH-Antrag so lange als schuldlos im Sinne des § 233 ZPO an der Fristwahrung gehindert anzusehen sei, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen müsse, weil sie aus ihrer Sicht alles Erforderliche getan habe, damit aufgrund der von ihr vorgelegten Unterlagen über ihr Gesuch entschieden werden könne.
Vorliegend habe der Rechtsanwalt keinen Entwurf einer Berufungsbegründung vorgelegt und im Wiedereinsetzungsverfahren seine Bereitschaft zur Einreichung einer Berufungsbegründung verneint. An der Richtigkeit dieser Behauptung bestünden keine Zweifel. Insbesondere folgten solche nicht daraus, dass der Rechtsanwalt das PKH-Gesuch (ausführlich) begründet habe. Ein begründeter Prozesskostenhilfeantrag könne dem Entwurf einer Rechtsmittelbegründungsschrift nicht gleichgesetzt werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Ausführungen Umfang und Tiefe einer Berufungsbegründung erreichten. Dies lasse nicht den Schluss zu, der Rechtsanwalt sei auch zur Einreichung der Berufungsbegründung bereit. Daran ändere auch die Berufungseinlegung nichts. Sie erfolge mittels eines standardisierten Schriftsatzes von wenigen Zeilen und lasse keinen Rückschluss auf die Bereitschaft zu, das Berufungsverfahren darüber hinaus zu fördern und hierfür die volle anwaltliche Haftung zu übernehmen.
In dieser Hinsicht hatte die Rechtsbeschwerde auch in der Sache Erfolg.
Unzulässig sei die Rechtsbeschwerde jedoch, soweit die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung zwecks Gewährung von PKH begehre. Gegen die Versagung von PKH in zweiter Instanz sei die Rechtsbeschwerde nicht von Gesetzes wegen zugelassen und setze daher die Zulassung durch das Berufungsgericht voraus, die nicht erfolgt sei.
Die Entscheidungen über die Versagung von Prozesskostenhilfe erwüchsen allerdings nicht in materieller Rechtskraft, so dass die Klägerin nicht gehindert sei, einen neuen PKH-Antrag zu stellen.
Vorbemerkung
Nach § 35 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Die Insolvenzmasse ist nicht statisch, sie kann sich verringern, indem der Insolvenzverwalter Gegenstände der Masse an den Schuldner freigibt, sie kann sich durch Erwerb des Schuldners mehren.
Die Regelung des § 35 Abs. 1 InsO gilt nicht unbeschränkt, vielmehr macht § 36 InsO hiervon gewichtige Ausnahmen. So sind nach dessen Abs. 1 Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht massezugehörig und unterliegen daher nicht der Insolvenzverwaltung.
Welche Gegenstände vom Zwangsvollstreckungszugriff ausgenommen sind, regelt nicht die InsO, sondern die Zivilprozessordnung (ZPO), § 36 InsO verweist hierauf und nimmt für bestimmte Verfahren Modifikationen vor. Danach gehören zum Beispiel die Geschäftsbücher zur Insolvenzmasse. Wie in der Einzelzwangsvollstreckung ist aufgrund des pauschalen Verweises auf die ZPO etwa Arbeitseinkommen in bestimmten, von den persönlichen Verhältnissen des Schuldners abhängigen Grenzen nach §§ 850 ff. ZPO pfändungsfrei.
Unpfändbar sind zum Beispiel gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO „Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, ferner Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, wenn die Versicherungssumme 5 400 Euro nicht übersteigt“.
Die Besprechungsentscheidung erörtert die Frage, ob Ansprüche auf Auszahlung von Geldern, die im Rahmen eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrt werden, direkt nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO oder in einer analogen Anwendung der Vorschrift unpfändbar sind.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Besprechungsentscheidung dazu folgenden Leitsatz vorangestellt: „Ansprüche des Schuldners auf Auszahlung von im Rahmen eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrter Gelder sind grundsätzlich pfändbar und gehören zur Insolvenzmasse. Sie stehen weder nur bedingt pfändbaren Bezügen noch Ansprüchen aus Lebensversicherungen gleich, die nur auf den Todesfall abgeschlossen sind und deren Versicherungssumme 5.400 EUR nicht übersteigt.“
Daneben befasst sich das Urteil mit dem Einziehungsrecht des Insolvenzverwalters bei sicherungszedierten Forderungen.
Der zu entscheidende Fall
Am 13.06.2020 beauftragte O (im Folgenden: Schuldnerin) die Streithelferin der Beklagten (im Folgenden: Streithelferin) mit der „Vornahme aller im Zusammenhang mit der Durchführung der Bestattung anfallenden Dienstleistungen und Lieferungen“ entsprechend einer Kostenzusammenstellung („Bestattungsvorsorgevertrag“). Aus Anlass dieses Bestattungsvorsorgevertrags trafen die Schuldnerin, die Streithelferin und die Beklagte am 09.07.2020 eine als „Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag“ bezeichnete Vereinbarung. Darin verpflichtete sich die Beklagte, die von der Schuldnerin zur Finanzierung ihrer dereinstigen Bestattung bei ihr eingezahlten und noch einzuzahlenden Beträge nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung anzulegen und treuhänderisch zu verwalten.
Die Schuldnerin leistete hierauf eine Einmalzahlung in Höhe von 2.500 EUR. Aufgrund weiterer Ratenzahlungen belief sich der bei der Beklagten verwahrte Betrag am 23.04.2021 auf 2.740 EUR. Die Vereinbarung regelte verschiedene Fälle der Auszahlung des verwahrten Betrags nebst Zinsen. Weiter enthielt die Vereinbarung eine Bestimmung, wonach die Schuldnerin zur Sicherung der dereinstigen Bestattungskosten ihre gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag an die Streithelferin abtrat und diese die Abtretung annahm.
Am 09.04.2021 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt. Er forderte die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung des bei ihr verwahrten Betrags auf und kündigte vorsorglich den Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag mit der Beklagten sowie den Bestattungsvorsorgevertrag mit der Streithelferin. Die auf Auszahlung des verwahrten Betrags gerichtete Klage blieb in den beiden Tatsacheninstanzen erfolglos. Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Sache aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Begründung des BFH
Nach Ansicht des BGH ist das Guthaben aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag nicht in analoger Anwendung von § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO i. V. m. § 36 Abs. 1 InsO pfändungsfrei und fällt daher in die Insolvenzmasse. Auch wenn ein solcher Vertrag grundsätzlich eine einer Sterbegeldversicherung entsprechende Funktion erfüllen könnte, käme insoweit auch keine analoge Anwendung in Betracht. Einer analogen Anwendung stünde der klare und eindeutige Wortlaut der Norm sowie der Umstand, dass die Pfändbarkeit von Renten und rentenähnlichen Bezügen sowie Kleinlebensversicherungen durch sie geregelt werde, entgegen.
Der Pfändungsschutz nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO setze voraus, dass dem Schuldner Bezüge ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt würden, was vorliegend nicht der Fall sei. Ein Vertrag über eine Lebensversicherung liege mit dem hier gegebenen Treuhandvertrag ebenfalls nicht vor.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift sei nur dann zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthalte und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt habe, vergleichbar sei, dass angenommen werden könne, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Eine Analogie setze daher voraus, dass die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen sei. Erst die Planwidrigkeit der Regelungslücke eröffne die Möglichkeit einer Ausdehnung der Gesetzesvorschrift über ihren Wortlaut hinaus im Wege eines Analogieschlusses. Die Lücke müsse sich aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem – dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden – Regelungsplan ergeben, wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ableiten lasse.
Danach lasse sich nicht feststellen, dass die fehlende Erwähnung aufgrund eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrter Gelder auf einer planwidrigen Regelungslücke beruhe.
Einer analogen Anwendung des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO stehe allerdings nicht entgegen, dass es sich insoweit um eine Ausnahmevorschrift handele. Zwar sei eine Ausnahmevorschrift einer analogen Anwendung grundsätzlich nicht zugänglich, diese Regel greife aber nicht ein, wenn dem Ausnahmesatz seinerseits ein engeres Prinzip zugrunde liege. Der BGH habe daher bereits entschieden, dass die Vorschrift nicht lediglich auf Renten, Einkünfte oder Bezüge von Arbeitnehmern oder Beamten anwendbar sei. Ein treuhänderisch verwahrter Geldbetrag wie vorliegend stelle aber kein Einkommen oder sonstige andersartige Einkünfte im Sinn der Vorschrift dar.
Der Regelungszweck des § 850b ZPO erfasse keine von einem Unternehmen treuhänderisch verwahrten Gelder. Vielmehr diene der Pfändungsschutz von Geldrenten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten seien, der Sicherung der Existenz des Schuldners. Es solle verhindert werden, dass er seine Existenzgrundlage verliere. Die ebenfalls von der Norm erfassten Haftpflicht- und Berufsunfähigkeitsrenten träten ganz oder zum Teil an die Stelle des bisherigen Einkommens des Schuldners. Auch dies sei vorliegend hinsichtlich des verwahrten Betrags nicht der Fall.
Der Gesetzgeber wolle mit der Pfändungsschutzbestimmung des § 850b ZPO Versicherungen erfassen, die dazu dienten, beim Tode des Versicherungsnehmers anfallende Ausgaben, vor allem Bestattungskosten, abzudecken. Eine solche Todesfallversicherung entlaste jene Personen, von denen die Kosten der Bestattung des Schuldners zu tragen seien. Angesichts dieses – auch auf die Vermeidung von Armenbestattungen gerichteten – Schutzzwecks genüge es für die Anwendbarkeit der Vorschrift, dass der Versicherungsnehmer und der Versicherte identisch seien. Begünstigter könne auch ein Dritter, selbst ein Nichtangehöriger, sein, dem die Bestattung des Versicherungsnehmers obliege. Damit erfasse die Vorschrift insbesondere sogenannte Sterbegeldversicherungen.
Der Gesetzgeber habe aber Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen seien, für bedingt pfändbar erklärt, dabei jedoch nur Leistungen aufgrund von Versicherungsverträgen im Auge gehabt. Eine Erweiterung auf andere Vertragskonstruktionen habe er nicht vorgenommen. Auf eine nur versehentlich unterbliebene Erweiterung ließen weder die Gesetzgebungsmaterialien noch die nachfolgenden gesetzlichen Änderungen schließen.
Trotz der sich aus dem Vorstehenden ergebenden Massezugehörigkeit konnte der BGH nicht abschließend entscheiden, ob der Insolvenzverwalter die Rückzahlung zu Recht forderte. Zwar steht dem Insolvenzverwalter grundsätzlich das Recht zu Forderungen des Schuldners einzuziehen, und dies gilt auch gemäß § 166 Abs. 2 InsO für zur Sicherheit abgetretene Forderungen, vorliegend habe das Berufungsgericht, so der BGH, jedoch nicht ausreichend festgestellt, ob die Ansprüche aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag der Streithelferin nur zur Sicherheit abgetreten worden seien oder erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt wegen deren Leistungen aus dem Bestattungsvorsorgevertrag. In den letzten beiden Fällen stünde dem Insolvenzverwalter nicht das Recht zum Forderungseinzug zu, vielmehr sei dies allein Sache des Zedenten. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, in welcher Weise die Zession erfolgt ist.
Download: Zwangsversteigerung als privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des Einkommensteuerrechts
Vorbemerkung
Der Einkommensteuer unterliegen neben den klassischen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbetrieb, aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung nach § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die sonstigen Einkünfte im Sinne des § 22 EStG. Zu letzteren zählen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG private „Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt … Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden“. Erfasst werden von der Norm also Grundstücke, die der Wertanlage und nicht zu eigenen Wohnzwecken dienen.
Neben dem Ablauf der Zehnjahresfrist kommt es hier auf die Begriffe der „Anschaffung“ und der „Veräußerung“ an. Sie sind beide nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum einen durch die Entgeltlichkeit der Übertragung des Wirtschaftsguts geprägt, zum anderen davon, dass Erwerb und Veräußerung wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sind. Vorliegend ging es um die Frage, ob der Eigentumserwerb und -verlust in einer Zwangsversteigerung des Grundstücks diese Voraussetzungen erfüllen. Für die Anschaffung des Grundstücks hatte der BFH bereits mehrfach entschieden, dass die Abgabe des Meistgebots, das zum Zuschlag des Grundstücks und damit zum Erwerb des Eigentums führt, ausreicht. Jedenfalls für die privaten Veräußerungsgeschäfte hatte der BFH jedoch noch nicht abschließend dazu Stellung genommen, ob der Eigentumsverlust in der Zwangsversteigerung als „Veräußerung“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG qualifiziert werden kann, was der BFH jetzt bejaht. Hierin liegt der erste Schwerpunkt der Besprechungsentscheidung.
Den zweiten Schwerpunkt bildet die Frage, ob der aufgrund der Zwangsversteigerung entstandene Veräußerungsgewinn bei einer Zwangsversteigerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der sich daraus ergebenden Einkommensteuerforderung eine vorrangig vor den Insolvenzforderungen zu befriedigende Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) begründen kann. Vorliegend kam noch die Besonderheit hinzu, dass bereits vor dem Insolvenzverfahren die Zwangsversteigerung des Grundstücks angeordnet worden war.
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO lautet: „Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten: 1. die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören; …“.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren des Insolvenzschuldners (Schuldner). Der Schuldner war seit November 2012 Eigentümer einer Eigentumswohnung. Aufgrund von Steuerrückständen beantragte das Finanzamt (FA) aus einer auf diesem Grundstück eingetragenen Zwangssicherungshypothek, die aufgrund von Steuerverbindlichkeiten des Schuldners im Grundbuch eingetragen worden war, die Zwangsversteigerung beim zuständigen Amtsgericht (AG). Der Antrag auf Zwangsversteigerung wurde im Dezember 2018 vom AG positiv beschieden. Dieser Beschluss führt nach § 20 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) zur Beschlagnahme des Grundstücks zugunsten des Gläubigers, hier des FA.
Über das Vermögen des Schuldners wurde im Mai 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Zuschlagsbeschluss des AG im November 2020 wurde die Eigentumswohnung veräußert. Es ergab sich ein zwischen den Beteiligten unstreitiger Veräußerungsgewinn in Höhe von … €. Das FA ging davon aus, dass dieser Gewinn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfülle.
Das FA vertrat weiter die Auffassung, es handele sich bei der auf diesen Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuer um eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Absatz 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Daher erließ es einen an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Einkommensteuerbescheid für 2020. In diesem erfasste es den Veräußerungsgewinn als sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Der vom Kläger eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Seine Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte Erfolg. Auf die Revision des FA hat der BFH die Klage jedoch abgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der BFH geht auch vorliegend davon aus, dass für „Anschaffung“ und „Veräußerung“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG erforderlich ist, dass sie wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen, mithin Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sein müssen. Folgerichtig grenzt er den Begriff für den Fall der Enteignung oder Umlegung von Grundstücken ab. Dort hatte der BFH eine Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG verneint (zuletzt BFH, Urt. v. 14.02.2023 – IX R 11/21). Anders soll es nach der ständigen Rechtsprechung dagegen bei einer Veräußerung unter Zwang sein, da es auf die Motivlage des Steuerpflichtigen nicht ankomme.
Der Schritt von der Zwangslage, die für das rechtsgeschäftliche Handeln immerhin trotz des Zwangs noch eine Willensbetätigung des Veräußerers verlangt, zur Zwangsversteigerung, die ohne oder sogar gegen den Willen des Eigentümers durchgeführt wird, ist jedoch nicht unwesentlich. Dennoch behandelt der BFH den Fall der Zwangsversteigerung jetzt gleich. Der BFH stellt in seiner Argumentation jedoch mehr auf das Meistgebot ab, das in seinen Wirkungen dem Abschluss eines Kaufvertrags über das Grundstück entspreche. Eher nachgeschoben erscheint seine Begründung, die willentliche Betätigung sei durch die Zwangsversteigerung „nicht entfallen“.
Allerdings hätte er die willentliche Betätigung feststellen müssen, bevor über das „Entfallen“ nachgedacht werden konnte. Der BFH sieht die notwendige Betätigung vorgelagerten Unterlassen der Befriedigung des Gläubigers, die die Versteigerung abgewendet hätte, oder auch in der Nichtausübung des Antrags, die Zwangsversteigerung nach § 30a ZVG einstweilen einzustellen. Im Ergebnis rechnet der BFH damit dem Steuerpflichtigen ein – teilweise – rechtsgeschäftliches Unterlassen in der Vergangenheit bei der Beurteilung der Folgen des Meistgebots zu.
Allerdings hatte der BFH schon 1969 (BFH, Urt. v. 10.12.1969 – I R 43/67) entschieden, dass die Veräußerung eines Geschäftsanteils im Sinne des § 17 EStG, die ganz ähnliche Voraussetzungen hat wie die Veräußerung im Sinne des § 23 EStG, auch im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgen könne. Es sei, so die einzige Begründung damals, kein Grund erkennbar, den Versteigerungserlös anders zu behandeln als den Veräußerungspreis. Der BFH beruft sich zwar nicht ausdrücklich auf dieses Urteil, es bahnt aber den Weg zur vorliegenden Entscheidung.
Hinsichtlich der Einordnung der zuvor festgestellten Steuerforderung in die insolvenzrechtliche Befriedigungsreihenfolge kommt der BFH wie das FA zu Masseverbindlichkeiten. In inzwischen ständiger Rechtsprechung lässt der BFH sowohl für die Umsatzsteuer (Lieferung) als auch für die Ertragsteuern (Aufdeckung stiller Reserven) die Zwangsversteigerung des Grundstücks durch einen absonderungsberechtigten Gläubiger, hier das FA als Inhaber der Zwangssicherungshypothek, ohne Zutun des Insolvenzverwalters ausreichen, um das Entstehen der Steuer als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO zu attestieren. Der BFH sieht die Alt. 2 als erfüllt an, wenn die fraglichen Verbindlichkeiten einen irgendwie gearteten Bezug zur Insolvenzmasse aufweisen, was in der juristischen Literatur allerdings kritisch beurteilt wird. Der BFH geht auf diese Kritik vorliegend nicht ein. Ferner richte sich, so der BFH weiter, die Abgrenzung von Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen (allein) nach dem Zeitpunkt ihrer Begründung. Vor der Verfahrenseröffnung begründete Steuerforderungen seien Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO, danach begründete Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO. Diese Auffassung sieht der BFH dadurch bestätigt, dass ein Übererlös aus dem Zwangsversteigerungsverfahren in die Insolvenzmasse falle und den Insolvenzgläubigern zugutekomme.
Der Besprechungsfall wies allerdings wie erwähnt die bislang nicht entschiedene Besonderheit auf, dass das im Insolvenzverfahren versteigerte Grundstück bereits vor Insolvenzeröffnung zwangsvollstreckungsrechtlich zugunsten des absonderungsberechtigten FA durch Beschluss des Versteigerungsgerichts beschlagnahmt worden war. Der BFH hält diesen Aspekt für irrelevant. Er stellt insoweit darauf ab, dass die Beschlagnahme des Grundstücks durch den gerichtlichen Anordnungsbeschluss nach § 20 Abs. 1 ZVG vor Insolvenzeröffnung die Massezugehörigkeit des Grundstücks gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht hindere, sondern (nur) zu einem Absonderungsrecht nach § 49 InsO führe, das ohnehin auch ohne die Beschlagnahme allein wegen der Eintragung der Zwangssicherungshypothek bestanden hätte. Der mit einem Absonderungsrecht belastete Gegenstand gehöre zur Insolvenzmasse und gewähre dem Absonderungs-gläubiger lediglich nach Maßgabe der §§ 165 ff. InsO ein vorrangiges Befriedigungs-recht aus dem Gegenstand.
Im Ergebnis hatte nach der Besprechungsentscheidung das FA den Insolvenzverwalter zu Recht im Rang von Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen.
Vorbemerkung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich im Rahmen der Besprechungsentscheidung mit zwei Themenfeldern zu befassen, zum einen ging es um die Auslegung einer sogenannten Nachrangvereinbarung, zum anderen um die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit in dem Sonderfall, dass eine maßgebliche Verbindlichkeit (nur) vorläufig vollstreckbar tituliert ist.
Durch eine Rangrücktrittsvereinbarung tritt ein Gläubiger – häufig ein Darlehensgeber - mit seinem Anspruch auf Befriedigung einer Forderung hinter einen, mehrere oder alle anderen Gläubiger des Schuldners zurück. Der konkrete Inhalt einer solchen Rangrücktrittsvereinbarung ist vom Gesetz nicht vorgegeben, die Parteien der Vereinbarung haben daher einen weiten Gestaltungsspielraum. Er bezieht sich auf die Rangtiefe und kann sogar so formuliert werden, dass die Gläubigerforderung nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Gesellschafter berücksichtigt werden darf, also so behandelt wird, als handele es sich bei ihr um statutarisches Kapital. Der Rangrücktritt kann zeitlich beschränkt oder auf Dauer vereinbart oder in seinen Wirkungen auf das eröffnete Insolvenzverfahren beschränkt werden oder auch bereits vorinsolvenzliche Wirkungen entfalten.
Die vorinsolvenzlichen Wirkungen können darin bestehen, dass der Gläubiger vor Verfahrenseröffnung keine Befriedigung seiner Forderung von der Gesellschaft verlangen kann, sofern bei dieser als Folge einer Zahlung Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zumindest einzutreten droht. Im Falle des Rangrücktritts gegenüber bestimmten einzelnen Gläubigern können sich die Wirkungen aber auch darauf beschränken, dass der nachrangige Gläubiger seine Leistung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit der Höhe nach bis zu deren Befriedigung nur gemindert erhält. Der Nachrang kann sich auf den Forderungsschuldner beschränken oder auch die Forderungen gegen Mithaftende (etwa Bürgen) erfassen.
Zur Frage der Berücksichtigung vorläufig titulierter Forderungen bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit hat der BGH folgenden Leitsatz formuliert:
Ein vorläufig vollstreckbarer Titel über eine streitige Forderung ist bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit durch den Schuldner in Höhe des Nennwerts der titulierten Forderung zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für eine Vollstreckung aus dem Titel vorliegen und der Titelgläubiger die Vollstreckung eingeleitet hat.
Der zu entscheidende Fall
Die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft beriet die Schuldnerin. Der Kläger ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin.
Die B gewährte einer Tochtergesellschaft (T) der Schuldnerin 2008 ein Darlehen über 2,3 Mio. €, das dazu diente, die für ein Immobilienobjekt geforderte Eigenkapitalquote der T zu erfüllen. Das Darlehen wurde im Vertrag als „nachrangiges Darlehen“ bezeichnet. Unter Nr. 5 des Darlehensvertrags verpflichtete die T sich „bei Veräußerung des Projektes als Ganzes oder in Teilen“ den Verkaufserlös zunächst zur Rückführung des Darlehens eines weiteren Darlehensgebers zu verwenden und erst danach zugunsten der B. Weiter sollte die Rückführung der Darlehensvaluta der B allen Ansprüchen der T vorgehen. Weitere Regelungen zum Nachrang enthielt der Darlehensvertrag nicht. Die Schuldnerin erklärte im Darlehensvertrag ihren Schuldbeitritt. – Die Rückzahlung wurde mehrmals verschoben, zuletzt bis 31.03.2011. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Schuldnerin ihrer aus dem Schuldbeitritt folgenden Zahlungspflicht mangels Liquidität nicht nachkommen. Danach passierte tabellarisch gefasst Folgendes:
09.05.2011
B erstritt ein vorläufig vollstreckbares Urteil gegen die Schuldnerin über 2,3 Mio. €. Diese legte Berufung ein.
05.09.2011
Die Schuldnerin beantragte, die Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
13.10.2011
Das Oberlandesgericht (OLG) wies den Antrag auch mit der Begründung fehlender Erfolgsaussicht der Berufung zurück.
22.11.2011
B gewährte der Schuldnerin monatliche Raten in Höhe von 30 T€ und verzichtete auf die Vollstreckung bis 28.02.2012. Bestehende Vollstreckungsmaßnahmen sollten aufrecht erhalten bleiben. Die Schuldnerin nahm daraufhin die Berufung zurück.
01.06.2011 bis 21.12.2011
Die Schuldnerin leistete in insgesamt sieben Teilbeträgen 91 T€ an die Beklagte.
03.07.2012
Insolvenzantrag
01.10.2012
Insolvenzeröffnung. Der Kläger wird zum Verwalter bestellt.
Der Kläger begehrt die 91 T€ aufgrund der sogenannten Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO) von der Beklagten zurück. Das Landgericht (LG) verurteilt die Beklagte, das OLG weist die Klage ab. Der BGH hebt auf und verweist die Sache an das OLG zurück.
Die Begründung des BGH
Der Anspruch des Klägers könne sich aus der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung ergeben. Für den hierfür notwendige Gläubigerbenachteiligungsvorsatz könne die erkannte Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sprechen. Allerdings reichten die Feststellungen des OLG bislang nicht aus, weshalb die Zurückverweisung erforderlich wurde.
Der BGH geht davon aus, dass die Schuldnerin am 01.04.2011 objektiv zahlungsunfähig war, weil sie die zu diesem Zeitpunkt fällige und durchsetzbare Forderung der B aus dem Schuldbeitritt aus Mangel an liquiden Mitteln nicht befriedigen konnte. Die Rangrücktrittsvereinbarung habe der Durchsetzbarkeit der Forderung nicht entgegengestanden, weil sie nicht gegenüber der Schuldnerin gewirkt habe.
Die Nachrangvereinbarung habe nur die Befriedigungsreihenfolge unter den beiden Darlehensgebern der T (B und der weitere Darlehensgeber) betroffen, und zwar nur die Verteilungsreihenfolge im Fall der Veräußerung des Projekts - eine der Veräußerung des Projekts vorausgehende Durchsetzungssperre zugunsten des weiteren Darlehensgebers habe nicht geregelt werden sollen. Hintergrund sei die Erfüllung der von dem weiteren Darlehensgeber zur Finanzierung des Immobilienprojekts geforderten „Eigenkapitalquote“ gewesen. Die B habe kein Interesse an einer Beschränkung ihrer Gläubigerrechte, die über den Wortlaut der getroffenen Vereinbarung hinausging, gehabt. Der T sei es nur darum gegangen, die von dem weiteren Darlehensgeber geforderte „Eigenkapitalquote“ zu schaffen. Jedenfalls aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergebe sich daher zugunsten der Schuldnerin nichts.
Anderes folge auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 417 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach solle ein Schuldbeitritt ins Leere gehen, wenn die Schuld, die mit übernommen werden soll, nicht bestehe. Dies sei hier aber nicht der Fall. Schlüge die Nachrangabrede auf die Schuldnerin durch, wäre der Schuldbeitritt als Sicherungsinstrument wertlos.
Das Indiz der erkannten Zahlungsunfähigkeit für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz könne darüber hinaus vorliegen. Die Schuldnerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Forderung aus dem Schuldbeitritt nicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO fällig gewesen sei. Ob der Schuldner seine (objektiv gegebene) Zahlungsunfähigkeit erkannt habe, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen gekannt habe, welche die Zahlungsunfähigkeit begründeten, und ob die gesamten Umstände zwingend auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinwiesen. Ein Irrtum hierüber sei belanglos, wenn der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit zwingend naheliege, was der Fall sei, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst sei, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen könne, der Schuldner sei zahlungsunfähig. Angesichts der vorstehenden Ausführungen habe sich die Schuldnerin vorliegend der Erkenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit nicht verschließen dürfen.
Dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit habe schließlich die nur vorläufige Vollstreckbarkeit des Titels nicht entgegengestanden. Die Wirkungen eines solchen Titels seien allerdings in der juristischen Literatur umstritten, wenn die Forderung trotz der Titulierung zwischen Gläubiger und Schuldner streitig geblieben sei. Zum Teil werde die Auffassung vertreten, es komme auch hier lediglich auf den materiellen Bestand der Forderung an. Andere Stimmen wollten die Forderung stets vollständig berücksichtigen, weil der Schuldner es sonst in der Hand habe, den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch Bestreiten zu beeinflussen. Wieder andere wollten nur solche Titel berücksichtigen, die auf einer gerichtlichen Sachprüfung beruhten, was zum Beispiel für einen Vollstreckungsbescheid nicht zutrifft. Schließlich werde vertreten, die Forderung sei nur mit einem Teil des Nennwerts zu berücksichtigen.
Der BGH meint, es komme im Ausgangspunkt auf die objektive Rechtslage an. Die Zahlungsunfähigkeit sei ein objektiver Zustand, sie setze voraus, dass die berücksichtigten Forderungen bestünden und fällig seien. Fehle es hieran, ändere auch ein vorläufig vollstreckbarer Titel nichts. Allerdings könne er auf die Nachweispflicht Auswirkungen haben.
Nach ständiger Rechtsprechung werde eine Zahlungspflicht im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO allein schon dadurch nachgewiesen, dass für eine Geldforderung ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorgelegt werde.
Folglich seien Einwendungen des Schuldners gegen die titulierte Forderung oder gegen deren Vollstreckbarkeit nicht zu berücksichtigen, solange der Titel vollstreckbar sei. Solche seien in dem jeweils vorgesehen Verfahren, also dem Vollstreckungsrecht der jeweiligen Prozessordnung oder in der Berufung, zu prüfen, nicht bei § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO.
Ob Einwendungen gegen den vollstreckbaren Titel ausnahmsweise nicht im dafür vorgesehenen Verfahren verfolgt werden müssten, wenn die Tatsachen, die dem Titel entgegenstünden, unstreitig oder offensichtlich seien, habe der BGH zuletzt offengelassen. In einer früheren Entscheidung sei er davon ausgegangen, dass in offensichtlichen Fällen das Insolvenzgericht die Prüfung selbst nachholen könne.
Zu berücksichtigen sei allerdings, dass auch der Titelgläubiger die titulierte Forderung für zweifelhaft halten und aus diesem Grund von einer Vollstreckung aus dem noch nicht rechtskräftigen Vollstreckungstitel absehen könne. Deshalb sei der Schuldner erst dann gehalten, die Forderung in Höhe ihres Nennwerts bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für eine Vollstre-ckung aus dem Titel vorlägen und der Titelgläubiger die Vollstreckung eingeleitet oder den Titel Im Insolvenzeröffnungsverfahren vorgelegt habe.
Hierfür spreche das Ziel der Insolvenzordnung, durch eine frühzeitige Verfahrenser-öffnung eine geordnete und gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherzustellen und im Interesse des Rechtsverkehrs eine fortgesetzte Teilnahme von Schuldnern mit erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten am Rechts- und Geschäftsverkehr zu ver-hindern. Bleibe der Schuldner untätig oder seien zum Beispiel Vollstreckungsschutz-anträge etwa mangels liquider (Sicherungs-)Mittel erfolglos, sei es nicht gerechtfer-tigt, die vorläufig vollstreckbar titulierte Forderung im Rahmen der Zahlungsunfähig-keitsprüfung unberücksichtigt zu lassen und dem Schuldner auf diesem Weg die Möglichkeit einzuräumen, das Insolvenzverfahren weiter hinauszuschieben.
Dass der Schuldner gehalten sei, die titulierte Forderung bei der Beurteilung der Zah-lungsunfähigkeit zu berücksichtigen, folge aus der Beweiswirkung des Titels. Der vor-läufig vollstreckbare Titel beweise den Bestand der Forderung sowohl für die Zwecke des Eröffnungsverfahrens als auch für die (vorgelagerte) Beurteilung der Zahlungs-unfähigkeit durch den Schuldner. Deshalb sei die Forderung im Liquiditätsstatus in voller Höhe - und nicht nur den durch die Vollstreckung erwartbaren Abfluss liquider Mittel oder sonstiger Anteile - zu passivieren.
Lägen nicht nur die Voraussetzungen für eine Vollstreckung aus dem Titel vor, son-dern leite der Titelgläubiger die Vollstreckung ein, trete zur Beweiswirkung des Titels hinzu, dass der Schuldner zur Abwendung der Vollstreckung liquide Mittel benötige. Daher erscheine eine nur anteilige Berücksichtigung der streitigen Forderung nicht (mehr) gerechtfertigt.
Die Beweiswirkung des vorläufig vollstreckbaren Titels wirke auch im Anfechtungsprozess fort und müsse vom Anfechtungsgegner entkräftet werden. Hierzu müsse der Anfechtungsgegner den Bestand der titulierten Forderung widerlegen.
Vgl. auch die Besprechung zu BGH, Beschluss vom 21.11.2024 – IX ZB 38/24, auf unserer Website. Dort geht es um die Frage, ob ein rechtskräftiger Titel bei der Ermittlung eines Insolvenzgrunds (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) ausnahmslos Berücksichtigung findet.
Vorbemerkung
Erstinstanzliche Entscheidungen können durch denjenigen, der durch sie beschwert ist, im Allgemeinen mindestens einer weiteren Überprüfung in der nächsthöheren Instanz zugeführt werden. Dies erfordert regelmäßig eine nicht unerhebliche Zeitspanne, sodass die sehr häufig mögliche Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung bis zur Entscheidung der zweiten oder gar dritten Instanz schon vollendete Tatsachen schaffen kann. Dies zu verhindern, gibt es in allen Prozessordnungen die Möglichkeit einer einstweiligen Aussetzung der Vollziehung in unterschiedlicher rechtlicher Gestalt durch entsprechende Anordnungen.
Das gilt auch für Beschlüsse des Insolvenzgerichts, soweit sie mit der (sofortigen) Beschwerde angreifbar sind (dazu § 6 der Insolvenzordnung – InsO -). Insbesondere ist hier der Beschluss über die Insolvenzeröffnung in seinen Wirkungen kaum mehr rückgängig zu machen, auch wenn der Eröffnungsbeschluss vom Landgericht (LG) als Beschwerdegericht später aufgehoben werden sollte. Nach § 4 InsO sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) entsprechend anwendbar, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt. Auf diesem Wege gelten für das insolvenzrechtliche Verfahren auch die Vorschriften der ZPO über die (sofortige) Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO entsprechend.
Nach § 570 Abs. 3 ZPO kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung über die Beschwerde eine einstweilige Anordnung erlassen, insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen. Das gilt gemäß § 575 Abs. 5 ZPO i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO auch im Fall der Rechtsbeschwerde, die insbesondere dann zulässig ist, wenn das Beschwerdegericht sie zulässt.
Die Aussetzung der Vollziehung einer erstinstanzlichen Entscheidung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt im Rechtsbeschwerdeverfahren nach der Rechtsprechung dann in Betracht, wenn durch die weitere Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Falle der Aufschiebung der vom Insolvenzgericht beschlossenen Maßnahme, die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist und die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht, das Gesetz begnügt sich hier mit einer Wahrscheinlichkeitsentscheidung.
Vorliegend geht es um einen Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem dieses das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet hatte. Die Beschwerde des Schuldners zum LG blieb ohne Erfolg, das LG hatte aber die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, die der Schuldner auch eingelegt hatte. Parallel dazu beantragte er die Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses.
Der zu entscheidende Fall
Die Darstellung des Sachverhalts beruht auf der Beschwerdeentscheidung des LG Karlsruhe (Beschluss vom 14.10.2024 - 20 T 23/24), da der BGH seiner Entscheidung keinen Sachverhalt vorangestellt hat.
Zwei (Insolvenz)Gläubiger hatten einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt. Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit (§§ 14, 17 InsO) stützten sie sich auf Titel, die sie aufgrund testamentarischer Erbfolge von der Erblasserin erworben hatten, hierunter ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe. Der Schuldner verweigerte die Bedienung der von den Gläubigern vorgelegten Titel mit der Begründung, die Gläubiger seien nicht Erben geworden, da das zu ihren Gunsten errichtete Testament unwirksam sei.
Das Insolvenzgericht eröffnete das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners nach Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hob das LG den Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurück.
Der Schuldner erhob gegen die beiden Gläubiger „Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO“ und „Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO“ zum LG Karlsruhe unter anderem mit den Anträgen festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus den von den Gläubigern aufgeführten Titeln unzulässig sei. Zur Begründung führte er (auch hier) aus, die Erbeinsetzung der beiden Gläubiger sei unwirksam. Das LG Karlsruhe stellte die Zwangsvollstreckung aus den genannten Titeln auf weiteren Antrag des Schuldners einstweilen ein.
Späterhin eröffnete das Insolvenzgericht, dessen erster Eröffnungsbeschluss aufgehoben worden war, (erneut) das Insolvenzverfahren. Die gegen diesen Beschluss vom Schuldner eingelegte sofortige Beschwerde wies das LG Karlsruhe als unbegründet zurück. Der Schuldner verfolgte die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses mit der Rechtsbeschwerde weiter und beantragte im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde. Der vorliegend zur Entscheidung allein anstehende Antrag auf einstweilige Anordnung hatte vor dem BGH Erfolg.
Die Begründung des BGH
Die Begründung des BGH ist recht knapp. Er erachtet den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 4 InsO, §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 2 ZPO als zulässig.
Auch in der Sache selbst sei die Rechtslage hinsichtlich der die Entscheidung des Beschwerdegerichts tragenden Gründe in einem entscheidenden Punkt zumindest zweifelhaft. Das Beschwerdegericht habe angenommen, dass die Gläubiger ihre Forderung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO glaubhaft gemacht und darüber hinaus auch nachgewiesen hätten, weil diese durch das Urteil des OLG Karlsruhe rechtskräftig tituliert worden sei, obwohl der Schuldner unstreitig eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil erreicht habe. Entscheidend sei, so das LG, dass es im Streitfall im Ergebnis weder über § 767 ZPO noch über § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) – Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung - möglich sei, die Rechtskraft der Entscheidung des OLG Karlsruhe zu durchbrechen, weil keine gegenüber dem Ursprungsprozess neuen Einwendungen erhoben worden seien.
Ob diese Argumentation die Beschwerdeentscheidung trage, sei höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Insbesondere sei zweifelhaft, ob der Gläubiger – wie das Beschwerdegericht angenommen habe – auch in einem solchen Fall (einstweilige Einstellung der Vollstreckung aus dem Titel, der zur Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit dienen soll) seiner Darlegungslast durch die Vorlage des rechtskräftigen Titels genüge oder ob vom Gläubiger im Hinblick auf die erfolgte Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Titel nunmehr die Glaubhaftmachung oder gegebenenfalls sogar der Beweis seiner Forderung zu verlangen sei, er also so behandelt werden müsste, als hätte er keinen Titel für seine Forderung vorlegen können. Diese offene Rechtsfrage lässt der BGH ausreichen und trifft zudem folgende Abwägung der den Parteien drohenden Nachteile:
Dem Schuldner drohten durch die Vollziehung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses voraussichtlich größere Nachteile als den Gläubigern durch die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine nähere Begründung für dieses allerdings plausible Ergebnis liefert der BGH nicht.
Vgl. auch die Besprechung zu BGH, Urteil vom 23.01.2025 – IX ZR 229/22, auf unserer Website. Dort geht es um die Frage, ob ein vorläufig vollstreckbarer Titel bei der Ermittlung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit Berücksichtigung findet.
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