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Vorbemerkung
Die Vereinbarung von Vertragsstrafen zur Sanktionierung einer Schlechtleistung, vor allem bei nicht fristgemäßer Leistung, ist, insbesondere beim Bauvertrag, gängige Praxis. Ihre gesetzliche Regelung findet eine solche Vertragsstrafe in den §§ 339 bis 345 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die für den Besprechungsfall maßgeblichen Vorschriften finden sich in § 339 BGB und § 341 Abs. 1 BGB:
„§ 339 Verwirkung der Vertragsstrafe
Verspricht der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt. Besteht die geschuldete Leistung in einem Unterlassen, so tritt die Verwirkung mit der Zuwiderhandlung ein.“
„§ 341 Strafversprechen für nicht gehörige Erfüllung
(1) Hat der Schuldner die Strafe für den Fall versprochen, dass er seine Verbindlichkeit nicht in gehöriger Weise, insbesondere nicht zu der bestimmten Zeit, erfüllt, so kann der Gläubiger die verwirkte Strafe neben der Erfüllung verlangen.
(2) Steht dem Gläubiger ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der nicht gehörigen Erfüllung zu, so findet die Vorschrift des § 340 Abs. 2 Anwendung.
(3) Nimmt der Gläubiger die Erfüllung an, so kann er die Strafe nur verlangen, wenn er sich das Recht dazu bei der Annahme vorbehält.“
Eine Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt wird, soll zweierlei Funktionen erfüllen. Zum einen dient eine solche Strafe regelmäßig dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion).
Unter den Voraussetzungen des Verzugs mit der Bauleistung kann der Bauherr im Allgemeinen auch vom Vertrag zurücktreten. Dies kann auf den gesetzlichen Vorschriften beruhen, aber auch individuell vereinbart werden. Nach § 346 BGB sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
Im Besprechungsfall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zu klären, ob der Bauherr eine vor dem Rücktritt vom Vertrag durch den Werkunternehmer verwirkte Vertragsstrafe noch verlangen kann, wenn er später wegen Verzugs des Werkunternehmers vom Vertrag zurücktritt. Der BGH stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.“
Der zu entscheidende Fall
Die Klägerin (Bauherrin) verlangt von der Beklagten (Werkunternehmerin) die Zahlung einer Vertragsstrafe.
Mit dem am 18.10.2018 geschlossenen notariellen Kaufvertrag über ein bebautes Grundstück mit Bauverpflichtung sollte die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen. Zugunsten der Klägerin wurde eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Der Vertrag enthielt unter anderem folgende Regelungen:
Nach Ziffer 5.9. Abs. 1 hatte die Fertigstellung des Kaufgegenstands – mit Ausnahme der der Endabnahme nicht entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen – spätestens bis zum 17.10.2020 zu erfolgen („Fertigstellungstermin“).
5.9. Abs. 2: „Vom Verkäufer nicht zu vertretende Bauverzögerungen (zum Beispiel […]) führen zu einer Verschiebung des Fertigstellungstermins um die Dauer, die der Verkäufer an der Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung gehindert ist.“
Ziffer 6.8.: „Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5% des Kaufpreises insgesamt.“
Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15.12.2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15.08.2022 nicht eingetreten war („Longstop-Date“). Für die Kaufpreisfälligkeit sind nach Ziffern 4.1., 4.2. d) unter anderem eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich.
Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Unter dem 14.12.2022 trat die Klägerin von dem Vertrag zurück.
Das Landgericht Berlin II (LG) hat der zunächst nur auf die Zahlung eines Teilbetrags der Vertragsstrafe in Höhe von 100.000 € und die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer weitergehenden Vertragsstrafe gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht Berlin (KG, es entspricht den Oberlandesgerichten in den übrigen Bundesländern) die Beklagte nach einer Klageerweiterung verurteilt, an die Klägerin 365.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen eine von der Klägerin zu erklärende Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung zu zahlen. Die Revision der Beklagten wies der BGH zurück. - Die von der Beklagten erhobene Widerklage auf Löschung der Auflassungsvormerkung spielte in der Revisionsinstanz keine Rolle mehr.
Die Begründung des BGH
Der BGH davon aus, dass die vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5% des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14.12.2022 vorlagen. Dieser Anspruch sei durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen.
Die Vertragsauslegung durch das KG, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele, die der BGH selbst auslegen könne, seien nicht geltend gemacht worden.
Der BGH lässt offen, ob die Parteien vertraglich vereinbart haben, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob der Vertrag dahin zu verstehen sei, er stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen.
Im ersten Fall wäre die Klage ohne Weiteres begründet. Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestünden nicht.
Im zweiten Fall führe die Anwendung des dispositiven (abdingbaren) Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen habe.
Gesetzlich seien die Wirkungen des Rücktritts vom Vertrag in Bezug auf eine – wie hier – zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe nicht geregelt. Die Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und die Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) seien dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlösche.
Der Rücktritt von einem Vertrag führe nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirke lediglich vom Zeitpunkt seiner Erklärung an (ex nunc). Zwar würden durch den Rücktritt die ursprünglichen Leistungspflichten beider Parteien erlöschen, das führe jedoch nicht ohne weiteres dazu, dass der rechtliche Zustand wieder eintrete, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr sei im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen oder verändert würden oder neu entstünden, um den Vertrag rückabzuwickeln.
Vorliegend folge aus dem Umstand, dass die Ansprüche der Klägerin auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen seien, nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erlösche. Insbesondere ergebe sich das nicht daraus, dass die §§ 339 Satz 1, 341 Abs. 1 BGB jeweils eine „Verbindlichkeit“ des Schuldners voraussetzen, die nicht in gehöriger Weise erfüllt werde. Denn zum Zeitpunkt der Verwirkung der Strafe, dem Eintritt des Verzugs, habe die Verbindlichkeit der Beklagten bestanden, ohne dass der Rücktritt hieran [rückwirkend] etwas ändere.
Auch der [in der Vorbemerkung dargestellte] Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spreche dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen.
Dieser Zweck könnte nicht oder nur deutlich abgeschwächt erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner – sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung – darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte zum einen nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines vor dem Rücktritt entstandenen Schadens. Zum anderen müsste er auch ohne einen Rücktritt spätestens bei Eintritt eines Schuldnerverzugs Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, bei einem nur eventuellen späteren Rücktritt seinen durch den Verzug bedingten Schaden darlegen und beweisen zu können; hiervor solle ihn die vereinbarte Vertragsstrafe jedoch gerade entlasten.
Der Klägerin sei schließlich die Berufung auf die verwirkte Vertragsstrafe nicht gemäß § 242 BGB wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben in Form unzulässiger Rechtsausübung verwehrt. Ein Vertragsstrafengläubiger verletze weder eine Schadensminderungsobliegenheit noch handele er treuwidrig, wenn er ein wegen Verzugs des Schuldners erworbenes Rücktrittsrecht in dem hierfür vertraglich vorgesehenen Zeitraum ausübe. Insbesondere bestehe keine Obliegenheit des Vertragsstrafengläubigers, von einem Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner noch eine Chance darauf zu geben, dass die Strafe nicht mehr verlangt werden könnte, wenn der Gläubiger sich das Recht dazu bei der Annahme der Erfüllung nicht vorbehalten sollte [was für den Fortbestand des Vertragsstrafenanspruchs bei Annahme der Erfüllung nach § 341 Abs. 3 BGB vorgeschrieben ist].
Vorbemerkung
Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist ein unter anderem aufgrund vieler gesetzesinterner Verweisungen recht kompliziertes Rechtsgebiet und für einen Laien nur sehr schwer zu erfassen.
Nach § 985 BGB kann „der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen“. Diese für sich kaum verständliche Vorschrift zeigt, dass der Besitzer einer Sache, also derjenige, der die tatsächliche (körperliche) Gewalt über sie ausübt, nicht deren Eigentümer sein muss und umgekehrt. Nach § 903 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Fallen Eigentum und Besitz auseinander, folgt aus § 985 BGB, dass der Eigentümer jederzeit berechtigt ist, die Sache vom Besitzer herauszuverlangen.
Eine der von § 903 angesprochenen Einschränkungen ergibt sich aus § 986 BGB: Der Besitzer kann danach die Herausgabe der Sache verweigern, wenn er dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist. Eine solche Berechtigung kann sich zum Beispiel aus einem zwischen ihnen abgeschlossenen, ungekündigten Mietvertrag ergeben. Eine weitere Einschränkung folgt aus § 994 BGB, der dem Besitzer das Recht gibt, für die auf die Sache gemachten notwendigen Verwendungen von dem Eigentümer Ersatz zu verlangen. Sind dagegen die Verwendungen, die der Besitzer auf die Sache gemacht hat, nicht notwendig, sondern nur nützlich, bestimmt § 996 BGB, dass für sie Ersatz nur verlangt werden kann, wenn der Besitzer zum dem Zeitpunkt, als er die Verwendungen getätigt hat, noch nicht auf Herausgabe der Sache verklagt war und ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausging, zum Besitz der Sache berechtigt zu sein.
Bei aller Sorgfalt, mit der das Grundbuch geführt wird, kann es dazu kommen, dass derjenige, der als Eigentümer eingetragen ist, tatsächlich nicht Eigentümer ist. Der wahre Eigentümer kann in diesem Fall vom fälschlich Eingetragenen die Grundbuchberichtigung und die Herausgabe des Grundstücks verlangen. Eine solche Buchposition kann Gegenstand im Sinne des § 273 Abs. 2 BGB sein, Verwendungen auf das Grundstück können vom zu Unrecht Eingetragenen unter den Voraussetzungen der §§ 994, 996 BGB ersetzt verlangt und dem Berichtigungsanspruch entgegengehalten werden.
In jedem Fall muss es sich aber bei den getätigten Aufwendungen um „Verwendungen“ im Sinne der genannten Vorschriften handeln. Was hierunter zu verstehen ist, ist seit langem zwischen der juristischen Literatur und der höchstrichterlichen Rechtsprechung streitig. Während die Literatur einhellig dem sogenannten „weiten Verwendungsbegriff“ den Vorzug gibt, vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) bislang den „engen Verwendungsbegriff“, was insbesondere zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, wenn es um die Errichtung eines Gebäudes auf fremdem Grundstück geht. Hiermit befasst sich zentral die Besprechungsentscheidung. Der BGH gibt mit ihr den engen Verwendungsbegriff auf und schließt sich der Ansicht der Literatur an.
Kann sich der Besitzer zu Recht auf einen Verwendungsersatzanspruch berufen, hindert das das Herausgabeverlangen des Eigentümers zwar nicht, es gewährt dem Besitzer aber ein Zurückbehaltungsrecht (ZBR) nach § 273 Abs. 2 BGB, bis sein Verwendungsersatzanspruch durch den Eigentümer befriedigt wird. Im Rechtsstreit über die Herausgabe muss sich der Besitzer auf das ZBR berufen, es wird nicht von Amts wegen durch das Gericht berücksichtigt. Hält das Gericht das ZBR für gegeben, führt dies allerdings nicht zur Klageabweisung, sondern nur zur Verurteilung Zug um Zug.
Die vorliegende Besprechung befasst sich mit den Themenschwerpunkten der Entscheidung, einige weniger bedeutsame Aspekte werden nicht behandelt.
Der zu entscheidende Fall
Der in Amerika lebende Kläger war seit 1993 als Eigentümer eines Grundstücks, das er von seiner Tante geerbt hatte, im Grundbuch eingetragen. Das in der ehemaligen DDR gelegene Grundstück war nach 1990 restituiert worden und eine früher gewährte Zahlung nach dem Lastenausgleichsgesetz wurde durch das Landratsamt zurückgefordert. Obwohl die ladungsfähige Anschrift des Klägers in Amerika dem zuständigen Finanzamt bekannt war, gelang es dem Landratsamt nicht, diese zu ermitteln. Das Landratsamt verfügte daher eine Zustellung des Rückforderungsbescheides durch öffentliche Zustellung, die, unter Beachtung der hierzu erforderlichen Formerfordernissen, - wie kaum anders zu erwarten - ohne Reaktion des Klägers blieb. Ab dem Jahr 2008 wurde ohne dessen Wissen die Zwangsversteigerung in das Grundstück aus dem Rückforderungsbescheid durch das Landratsamt betrieben.
Durch Beschluss vom 21.04.2010 erhielt die Beklagte zu 1 den Zuschlag für das Grundstück und wurde im August 2010 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Anschließend wurde das Grundstück zur Sicherung eines von der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2, ihrem Ehemann, aufgenommenen Darlehens mit einer im Oktober 2011 eingetragenen Grundschuld über 280.000 EUR nebst Zinsen belastet. Die Beklagten ließen das auf dem Grundstück befindliche Wochenendhaus abreißen und ein neues Wohnhaus errichten, das beide seit dem 01.08.2012 bewohnen.
Durch Beschluss vom 11.03.2014 wurde der Zuschlagsbeschluss auf die Beschwerde des Klägers, der zwischenzeitlich Kenntnis von der Zwangsversteigerung erlangt hatte, aufgehoben. Die von der Beklagten zu 1 hiergegen erhobene Anhörungsrüge sowie ihre Verfassungsbeschwerde hatten keinen Erfolg.
Mit der Klage nahm der Kläger die Beklagte zu 1 auf Grundbuchberichtigung und beide Beklagten auf Beseitigung des Wohnhauses, Räumung und Herausgabe des Grundstücks, Löschung der Grundschuld (hilfsweise: Wertersatz) und Zahlung von Nutzungsersatz für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.12.2014 in Höhe von 6.041,67 EUR in Anspruch.
Die Beklagten beantragten die Klageabweisung und beriefen sich hilfsweise auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Wertersatzanspruchs für das von ihnen errichtete Haus, den sie auf 500.000 EUR bezifferten und der sich aus der Werterhöhung des Grundstücks ergeben soll.
Das LG Potsdam (LG) hat der Klage nur in Bezug auf die Grundbuchberichtigung und den Nutzungsersatz stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG Brandenburg (OLG) die Beklagten zusätzlich zur Beseitigung des Wohnhauses, Räumung und Herausgabe des Grundstücks und Löschung der Grundschuld verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf (vollständige) Klageabweisung weiter. Das Rechtsmittel hat beim BGH teilweise Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Die Begründung des BGH
Zwischen den Parteien war offensichtlich die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, mit dem der Zuschlag zugunsten der Beklagten aufgehoben wurde, streitig. Der BGH prüft die Rechtmäßigkeit nicht, denn wegen der Rechtskraft des Beschlusses komme es auf seine materielle Rechtmäßigkeit nicht mehr an. Als rechtsgestaltender Hoheitsakt entfalte der Aufhebungsbeschluss ebenso wie der Zuschlagsbeschluss Wirkung gegenüber jedermann und damit auch gegenüber der Beklagten zu 1 und sei vom entscheidenden Gericht daher zwingend zu beachten.
Die zentrale Frage, ob den Beklagten wegen ihrer Verwendungen in Folge des Hausbaus ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, beantwortet der BGH im Sinne der Beklagten. Allerdings kam eine notwendige Verwendung im Sinne des § 994 BGB nicht in Betracht, es konnte sich allenfalls um eine nützliche Verwendung handeln. Damit stelle sich, so der BGH, zunächst die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob die Aufwendungen für die Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück auch dann Verwendungen im Sinne von § 996 BGB sein können, wenn der Bau das Grundstück grundlegend verändere.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH liege § 996 BGB der enge Verwendungsbegriff zugrunde. Verwendungen seien danach nur solche Vermögensaufwendungen, die der Sache zugutekommen sollen, ohne sie grundlegend zu verändern; die Maßnahmen müssten darauf abzielen, den Bestand der Sache als solcher zu erhalten oder wiederherzustellen oder deren Zustand zu verbessern. Hierunter könne zwar auch die Errichtung eines Bauwerks fallen, zum Beispiel die Errichtung eines Deichs auf einem durch Hochwasser gefährdeten Grundstück, der Bau einer Stützmauer auf einem abschüssigen Grundstück oder der Bau eines Stalls bzw. Kesselhauses auf einem landwirtschaftlich bzw. industriell genutzten Grundstück. Anderes solle dagegen gelten, wenn auf einem bisher unbebauten Grundstück ein Wohnhaus, eine Lagerhalle oder ein Fabrikgebäude errichtet werde; dann werde das Grundstück nicht in seinem Bestand verbessert, sondern dessen Zustand verändert, weil es fortan für einen anderen Zweck genutzt werde.
Nach dem weiten Verwendungsbegriff, der in der Literatur befürwortet werde, werde die Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück stets als Verwendung eingeordnet. Verwendungen seien danach alle Vermögensaufwendungen, die der Sache zugutekommen sollen, also auch solche, die sie grundlegend veränderten.
Diesem weiten Begriff schließt sich der BGH nunmehr an. Die Errichtung eines Gebäudes sei vom möglichen Wortsinn einer Verwendung erfasst. Dem Wortlaut des § 996 BGB, speziell dem Begriff der Verwendung, ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Maßnahmen, die zu einer grundlegenden Veränderung der Sache (im Sinne einer Änderung der Zweckbestimmung) führten, nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fielen. Auch der historische Gesetzgeber sei wohl vom weiten Verwendungsbegriff ausgegangen. Der weite Verwendungsbegriff führe zudem zu einem gerechten Ausgleich zwischen dem (wahren) Eigentümer und dem gutgläubigen Besitzer. Schließlich bedinge der enge Verwendungsbegriff erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Frage, ob eine Zustandsveränderung mit der fraglichen Maßnahme verbunden gewesen sei.
Dies zugrunde gelegt hätten die Beklagten mit dem Hausbau Verwendungen im Sinne des § 996 BGB getätigt.
Diese Verwendungen seien auch „nützlich“ im Sinne des § 996 BGB gewesen. Allerdings sei auch der Begriff der Nützlichkeit umstritten. Es werde vertreten, es komme auf eine Werterhöhung für den Eigentümer an. Verwendungen seien nur insoweit ersatzfähig, als sie für den Eigentümer aufgrund seiner konkreten Interessenlage einen Wert hätten. Dagegen stehe eine Ansicht, die die Nützlichkeit allein an der objektiven Verkehrswerterhöhung durch die Verwendungen messe. Der BGH hatte sich hierzu bislang noch nicht positioniert.
Er entscheidet nunmehr im Sinne der zuletzt genannten Auffassung. Bereits der Wortlaut des § 996 BGB spreche eindeutig für ein objektives Verständnis der Nützlichkeit, das auch der historische Gesetzgeber im Blick gehabt habe. Zudem führe diese Sicht zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Eigentümer und Besitzer. Zwar müsse der Eigentümer eine objektive Wertsteigerung gegen sich gelten lassen, für die es auf den Zeitpunkt der Wiedererlangung des Besitzes ankomme. Zudem sei der Anspruch begrenzt auf die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Besitzers. Seien diese höher als die Wertsteigerung, sei der Ersatzanspruch durch diese begrenzt. Zudem sorge der objektive Begriff für Rechtssicherheit, wohingegen die subjektive Betrachtung die Unwägbarkeiten der zukünftigen Vermögensdispositionen und Nutzungsentscheidungen des Eigentümers zu berücksichtigen habe.
Allerdings biete § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Eigentümer die Möglichkeit, die Beseitigung einer Beeinträchtigung seines Grundstücks zu verlangen. Für den vorliegenden Fall bedeutete dies, das der Kläger die Beseitigung des Wohnhauses von den Beklagten verlangen könnte, um sich seiner Ersatzpflicht zu entziehen. Dies werde auch so vertreten, auch das OLG habe sich vorliegend dieser Ansicht angeschlossen. Die Gegenauffassung lehne eine Beseitigungspflicht (nur) des redlichen, unverklagten Besitzers aus § 1004 BGB ab. Der BGH folgt der zweiten Ansicht.
Das Verhältnis von Beseitigungs- und Verwendungsersatzanspruch sei zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Das Gesetz sehe jedoch den gutgläubigen, nicht verklagten Besitzer als besonders schutzwürdig an. Diese Wertung müsse im Hinblick auf einen Anspruch des Eigentümers nach § 1004 BGB auf Beseitigung des Resultats der Verwendungen beachtet werden. Auch wenn § 1004 BGB kein Schadensersatzanspruch sei, sei er im wirtschaftlichen Ergebnis hiermit vergleichbar. Er nähere sich dem Umfang nach diesem an und verlange dem Besitzer ein ähnliches Opfer ab, was beim gutgläubigen, nicht verklagten Besitzer nicht gerechtfertigt sei.
Im Ergebnis sei die Verurteilung der Beklagten zur Beseitigung des Wohnhauses deshalb unzutreffend.
Der BGH verweist die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das OLG zurück.
BFH, Urteil vom 13.05.2025 - VIII B 34/24
Download: Das Urteil ist rechtskräftig, ist da noch etwas zu machen?
Vorbemerkung
Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gebieten, dass Prozesse – gegebenenfalls auch nach langwieriger Verhandlung – zu einem Abschluss gebracht werden. Dafür zu sorgen, ist Aufgabe der formellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, nicht nur, aber vor allem von Urteilen. Sie tritt ein, wenn kein in der jeweiligen Prozessordnung zulässiges Rechtsmittel mehr gegeben ist, die Entscheidung mithin unanfechtbar ist. Der Prozess ist damit beendet.
Verhindert der Eintritt der formellen Rechtskraft zwar das Fortführen des Prozesses, bliebe allerdings doch möglich, einen Rechtsstreit zwischen denselben Parteien mit demselben Streitgegenstand neu aufzunehmen, was Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nicht minder belastete als ein endloser Erstprozess. Zudem wären einander widersprechende Entscheidungen möglich, was die genannten Rechtsgüter in gleichem Maß beeinträchtigte. Dies zu vermeiden, ist Aufgabe der materiellen Rechtskraft. Sie bedingt, dass nach Eintritt der formellen Rechtskraft das entscheidende Gericht und alle anderen Gerichte derselben Gerichtsbarkeit an die Entscheidung gebunden sind, sie dürfen sie nicht mehr abändern. Die Rechtskraft beschränkt sich jedoch nicht auf diese Gerichtsbarkeit, sondern wirkt auch in den Verfahren anderer Gerichtsbarkeiten. So ist etwa ein Finanzgericht an die Entscheidung eines Zivilgerichts gebunden oder ein Verwaltungsgericht an diejenige eines Sozialgerichts.
Diese Wirkungen der Rechtskraft können dazu führen, dass, gleich aus welchem Grund, nicht der wahren Rechtslage entsprechende Urteile von den Parteien und den Gerichten hinzunehmen sind, womit offensichtlich auch Ungerechtigkeiten einhergehen können. Das Gesetz wertet hier die Güter der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens höher als die absolute Einzelfallgerechtigkeit des Urteils.
Allerdings schafft das Gesetz in als besonders gravierend empfundenen Fällen auch Ausnahmen. So bestimmt etwa § 323 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO):
„Enthält ein Urteil eine Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen, kann jeder Teil die Abänderung beantragen. Die Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich eine wesentliche Veränderung der der Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergibt.“
Diese Vorschrift greift insbesondere bei Unterhaltsklagen und soll wesentlichen Änderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie einer Veränderung des tatsächlichen Bedarfs des Unterhaltsberechtigten Rechnung tragen. Allerdings greift eine Urteilsabänderung nicht rückwirkend. Für alle Leistungen, die vor der Erhebung der Abänderungsklage zu erbringen sind, verbleibt es beim ursprünglichen Urteil. Die Rechtskraft wird hier nur eingeschränkt, nicht aber beseitigt.
Unter besonders engen Voraussetzungen gewährt das Gesetz allerdings auch die Möglichkeit der Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens. Das Nähere regeln die §§ 578 ff. ZPO. Das Gesetz unterscheidet zwischen der Nichtigkeits- (§ 579 ZPO) und der Restitutionsklage (§ 580 ZPO). § 579 ZPO ermöglicht die Wiederaufnahme des Rechtsstreits bei schwersten Verfahrensverstößen, also bei groben Fehlern des entscheidenden Gerichts:
„Die Nichtigkeitsklage findet statt:
1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.“
Die Restitutionsklage nach § 580 ZPO ist im Fall fehlerhafter und urteilskausaler Entscheidungsgrundlagen gegeben:
„Die Restitutionsklage findet statt:
1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;
5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7. wenn die Partei
a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder
b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
8. wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.“
Die Restitution findet nach § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO jedoch gemäß § 581 ZPO nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann.
Beide Klagearten zielen letztlich auf dasselbe Ergebnis ab, nämlich die Beseitigung des rechtskräftigen Urteils und die Neuverhandlung der Sache, beide Klagen sind allerdings nicht unbegrenzt zulässig, sondern gemäß § 586 ZPO innerhalb eines Monats zu erheben. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Partei von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erhalten hat. Außerdem gibt es eine absolute zeitliche Grenze: Nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tag der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, sind die Klagen unstatthaft. Nach dieser Frist wird endgültig Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorrang eingeräumt.
In den meisten Prozessordnungen gelten die Vorschriften der ZPO analog, soweit sie keine Sonderregelungen enthalten, und damit auch die Regelungen über die Wiederaufnahme.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte sich im Rahmen einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) mit der Wiederaufnahme zu befassen, nachdem das Finanzgericht Hessen (FG) die Restitutionsklage des Klägers als unzulässig abgewiesen hatte. Die NZB führt allerdings nicht zu einer vollständigen Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils, vielmehr prüft der BFH nur, ob das FG die Revision bei prozessordnungsgemäßem Vorgehen hätte zulassen müssen. Erweist sich die NZB als zulässig und begründet, schließt sich die Durchführung des Revisionsverfahrens an, anderenfalls wird sie zurückgewiesen und das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Die Hürden für den Erfolg einer NZB sind recht hoch.
Die Revision kann nach § 118 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Nach § 115 Abs. 2 FGO kann die Revision ist nur zuzulassen, wenn
„1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.“
Mit der NZB muss der Beschwerdeführer legen, dass einer dieser Zulassungsgründe vorliegt.
Der zu entscheidende Fall
Das FG hatte mit Urteil vom 15.05.2019 die ursprüngliche Klage des Klägers abgewiesen, mit der dieser sich gegen die Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer für 2010 gewendet hatte. Die Revision hatte es nicht zugelassen. Die hiergegen eingelegte NZB zum BFH hatte keinen Erfolg, sodass das Urteil des FG formell und materiell rechtskräftig wurde.
Im Dezember 2022 erhob der Kläger Restitutionsklage gegen das Urteil des FG. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens werde auf das Vorliegen einer neuen Urkunde gestützt, die dem Kläger in einem früheren Stadium des Verfahrens nicht zur Verfügung gestanden habe, den jetzigen Klageanspruch trage und aufzeige, dass das rechtskräftige Urteil der sachlichen Rechtslage nicht entspreche. Der BFH habe in seinem Beschluss vom 27.08.2021 (VIII B 126/20) eine einschlägige Entscheidung zum Verfahrensrecht getroffen. Diese betreffe mit der Ermittlungspflicht der Finanzgerichte zum Sachverhalt unter Einbeziehung des ausländischen Rechts eine Rechtsfrage, die auch im Streitfall erheblich sei. Nachfolgend sei das BFH-Urteil vom 25.06.2021 (II R 31/19) veröffentlicht worden, das zwar zeitlich nach dem Urteil in dem Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt werde, ergangen sei, aber die zuvor vorliegende und unter zwingender Anwendung des ausländischen Gesellschaftsrechts zu ermittelnde Tatsache der fehlenden Kapitalbeteiligung des Klägers an der A-Gesellschaft belege. Die Sperre des § 582 ZPO greife hier nicht, weil der Kläger ohne Verschulden außerstande gewesen sei, die beiden genannten Entscheidungen als Restitutionsgrund in dem früheren Rechtsbehelfs- und Klageverfahren geltend zu machen.
Mit seinem Hilfsantrag machte der Kläger geltend, bei Nichtzulassung oder Nichtstattgabe der Restitutionsklage bleibe ein krasses Fehlurteil, dessen Rechtskraft nach den Maßstäben des Bundesgerichtshofs (BGH) zurücktreten müsse. Objektiv sei in dem FG-Urteil, dessen Wiederaufnahme begehrt werde, eine Rechtsbeugung nach § 339 des Strafgesetzbuches (StGB) zu sehen.
Das FG hat die Restitutionsklage als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die nunmehrige NZB des Klägers im Restitutionsverfahren. Auch sie bleibt vor dem BFH ohne Erfolg.
Die Begründung des BFH
Zunächst habe der Kläger eine grundsätzlich bedeutsame Frage im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht aufgezeigt. Die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung verlange neben substantiierten Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer hinreichend bestimmten – abstrakt beantwortbaren – Rechtsfrage, dass sich der Beschwerdeführer mit der einschlägigen Rechtsprechung, insbesondere des BFH, sowie den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetze. Dabei seien Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergebe, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten sei. Der Kläger setze sich zu seiner Behauptung, die von ihm angeführten neuen Urteile des BFH seien „eine andere Urkunde“ im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO in seiner Begründung aber nicht einmal mit der vom FG zitierten Rechtsprechung und den angeführten Auffassungen des Schrifttums auseinander, warum solche Entscheidungen keine Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO sein sollen.
Einen Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO habe der Kläger ebenfalls nicht dargetan. Zwar stelle es einen Verfahrensmangel dar, wenn ein FG eine Klage zu Unrecht durch ein Prozessurteil als unzulässig abweise, statt diese durch Sachurteil zu entscheiden, solches habe der Kläger vorliegend aber nicht begründen können.
Die Zulassung der Revision könne auch nicht auf den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 5 ZPO i. V. m. § 581 ZPO gestützt werden.
Die Restitutionsklage finde nach dieser Vorschrift statt, wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hebe, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht habe. Hinzutreten müsse aber nach § 581 ZPO, dass wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung des Richters ergangen sei oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen könne. Das FG habe sich darauf gestützt, der Kläger habe die Voraussetzungen dieses Restitutionsgrunds nicht schlüssig dargelegt, weil schon nach seinem eigenen Vortrag das Strafverfahren gegen den Richter am Finanzgericht A im Hauptverfahren gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) mangels hinreichenden Tatverdachts im Hinblick auf eine zur Rechtsbeugung gemäß § 339 des Strafgesetzbuchs (StGB) genügende Tathandlung (bereits) von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei.
Der Kläger mache insoweit geltend, dass „eine Verweigerung der Staatsanwaltschaft, in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren überhaupt einzusteigen, … bei Anwendung des § 580 Nr. 5 ZPO nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden [darf], wenn feststeht, dass objektiv der Tatbestand des § 16 EStG bei zutreffender Sachverhaltsermittlung unter Einbeziehung des ausländischen Rechts nicht erfüllt worden ist“. Dass das FG dieser Ansicht nicht gefolgt sei, sei nicht zu beanstanden. Seien die Voraussetzungen des § 581 ZPO nicht gegeben, sei das Restitutionsbegehren unzulässig. Die Strafverfolgungsbehörde solle vor Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens darüber befinden, ob ein Strafverfahren einzuleiten oder durchzuführen sei. Eine selbständige strafrechtliche Prüfung der Frage durch das FG, ob die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen könne, sei im finanzgerichtlichen Verfahren daher nicht statthaft. Demzufolge habe das FG nach Ablehnung der Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft wegen eines hinreichenden Tatverdachts für eine Rechtsbeugung keine eigenständige Prüfung einer etwaigen Straftat des Richters am Finanzgericht A bei der Entscheidung über das Hauptsacheverfahren durchzuführen gehabt.
Ferner sei die Revision auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der Frage zuzulassen, ob eine analoge Anwendung der Restitutionsgründe in Fällen in Betracht komme, in denen das rechtskräftig gewordene Urteil im Hauptsacheverfahren an einem schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler leide, wie der BFH bereits mehrfach entschieden habe. Es sei danach auch unerheblich, ob die vom Kläger angeführten, nach der Hauptsacheentscheidung im Ausgangsverfahren ergangenen BFH-Entscheidungen überhaupt Anlass geben könnten, um auf Rechtsfehler der Hauptsacheentscheidung des FG im Ausgangsverfahren schließen zu können.
Soweit der Kläger die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen einer unzureichenden Sachaufklärung des ausländischen Gesellschaftsrechts durch das FG begehre, könne das FG-Urteil nicht auf dem behaupteten Fehler beruhen.
Das FG habe die Restitutionsklage als unzulässig verworfen. Gerügte Verfahrensmängel, die sich auf die rechtskräftige Entscheidung des FG im Hauptsacheverfahren beziehen und im Übrigen auch Gegenstand der Prüfung im Verfahren über die frühere NZB gewesen seien, seien im vorliegenden Verfahren unbeachtlich. Hier gehe es allein um das Restitutionsverfahren.
Schließlich sei das Begehren des Klägers, die Finanzverwaltung zu verpflichten, im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung seinem ursprünglichen Klageziel zum Durchbruch zu verhelfen, unbegründet, was der BFH näher darlegt.
Download: Sammelanmeldungen zur Insolvenztabelle - Wirksamkeitserfordernisse
Vorbemerkung
Die wirksame Anmeldung seiner Forderung zur Insolvenztabelle gemäß §§ 174 ff. der Insolvenzordnung (InsO) ist für den Insolvenzgläubiger Voraussetzung für die Teilnahme am Insolvenzverfahren. An den Quotenverteilungen nimmt er nur Teil, wenn seine Forderung zudem zur Insolvenztabelle festgestellt ist. Die Forderung wird festgestellt, wenn weder der Insolvenzverwalter noch ein anderer Insolvenzgläubiger ihr widersprochen hat oder, wenn ein Widerspruch erhoben wurde, dieser im Klageverfahren nach Maßgabe der §§ 179 ff. InsO beseitigt und die Forderung nachträglich auf diesem Weg zur Tabelle festgestellt wird. Festgestellte Forderungen werden in das Verteilungsverzeichnis aufgenommen.
Ein Gläubiger, der seine Forderung nicht zum Insolvenzverfahren anmeldet, hat dagegen keine Möglichkeit, an der Insolvenzmasse zu partizipieren, selbst wenn er für seine Forderung bereits einen Titel erstritten hatte.
Nach § 174 Abs. 2 InsO sind bei der Anmeldung der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben. Da die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung in die Tabelle (sogenannter Tabellenvermerk) nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung gemäß §§ 178 Abs. 3, 201 InsO betreiben kann, muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden. Die Individualisierung der Forderung bezweckt zudem, den Insolvenzverwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger in den Stand zu setzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen. Deshalb erfordert die Angabe des Forderungsgrunds die bestimmte Bezeichnung des Lebenssachverhalts, aus dem die Forderung nach der Behauptung des Gläubigers entspringt. Eine schlüssige Darlegung der Forderung ist für die Anmeldung als solche dagegen nicht erforderlich. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Verfügt ein Gläubiger über mehrere Forderungen, kann er auch diese zur Tabelle anmelden. Allerdings muss er hierbei aus den genannten Gründen jede einzelne Forderung nach Grund und Betrag individualisieren. Eine solche Sammelanmeldung, bei der mehrere Forderungen zusammengefasst werden, ist deshalb unzulässig, wenn Grund und Betrag der Forderungen nicht jeweils, also nicht jede für sich, ausreichend bestimmt bezeichnet sind.
Die Besprechungsentscheidung befasst sich mit dem Spezialfall einer Sammelanmeldung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA), das Bundesarbeitsgericht (BAG) gibt aber allgemeine Hinweise für derartige Sammelanmeldungen, deren Kenntnis sowohl für den anmeldenden Gläubiger als auch für den Insolvenzverwalter und die übrigen zum Widerspruch berechtigten Insolvenzgläubiger bei der Forderungsprüfung wichtig sind.
Das BAG stellt seiner Entscheidung unter anderem folgenden Leitsatz voraus:
„Bei einer Forderungsanmeldung der Bundesagentur für Arbeit zur Insolvenztabelle, mit der Ansprüche mehrerer Arbeitnehmer aus übergegangenem Recht nach § 169 Satz 1 SGB III [Sozialgesetzbuch 3. Teil] geltend gemacht werden, handelt es sich um eine Sammelanmeldung, die nur dann ordnungsgemäß im Sinne von § 174 Abs. 2 InsO erfolgt ist, wenn die einzelnen betreffenden Arbeitnehmer, ihr jeweiliges monatliches Bruttoentgelt und die konkreten Anspruchszeiträume angegeben sind.“
Dies beruht auf folgendem sozialrechtlichen Hintergrund: Nach § 165 SGB III haben Arbeitnehmer/innen Anspruch auf Insolvenzgeld. Der Anspruch besteht, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, gehen mit dem Antrag auf Insolvenzgeld nach § 169 Satz 1 SGB III auf die BA über. Der Anspruchsübergang vollzieht sich, ohne die arbeitsrechtliche Natur des Anspruchs zu ändern. Wird der Antrag zurückgenommen oder abgelehnt, fällt der Anspruch auf Arbeitsentgelt auf den Arbeitnehmer zurück, der wieder Inhaber der vollen Bruttolohnforderung gegenüber dem Arbeitgeber wird.
Der zu entscheidende Fall
Klägerin ist die BA, Beklagter der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Arbeitgeberin. Die Parteien streiten über die Ordnungsgemäßheit einer Forderungsanmeldung der BA zur Insolvenztabelle. Den Insolvenzgläubigern wurde im Eröffnungsbeschluss aufgegeben, ihre Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO unter Angabe von Grund und Betrag schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Gleichzeitig erhielten sie Gelegenheit, etwaigen Forderungsanmeldungen anderer Gläubiger schriftlich bis zum 21.05.2021 zu widersprechen.
Die BA meldete mit Schreiben vom 22.02.2021 beim Beklagten eine Insolvenzforderung in Höhe eines Schätzwerts von 100.000,00 Euro an. Sie begründete die Forderung mit Anträgen auf Insolvenzgeld, denen sie im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe, sodass die zugrunde liegenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt gemäß § 169 SGB III auf sie übergegangen und als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zu berücksichtigen seien. Das Schreiben endete nach der Grußformel mit dem Satz: „Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift rechtswirksam.“
Mit Bescheid vom 16.03.2021 wurde sechs Arbeitnehmer/innen sodann Insolvenzgeld durch die BA bewilligt. Sie erhielten eine Berechnung des konkreten Insolvenzgeldes, das unter Anrechnung etwaiger Vorschüsse ausgezahlt wurde. Die Höhe des Insolvenzgeldes richtete sich nach ihrem jeweiligen Bruttoentgelt und betrug insgesamt 52.607,81 Euro.
Nach Ablauf der Widerspruchsfrist am 21.05.2021 bestritt der Beklagte mit Schreiben vom 14.06.2021 die klägerische Forderung von 100.000,00 Euro in voller Höhe mit der Begründung, der Betrag sei lediglich geschätzt und bat um Berichtigung. Die BA korrigierte am 18.06.2021 die Forderung auf 52.607,81 Euro. Zugleich teilte sie dem Beklagten in einer Liste die Namen der Arbeitnehmer, denen sie Insolvenzgeld gewährt hatte, die Höhe des jeweils gezahlten Insolvenzgeldes und die Zeiträume der Leistungsgewährung mit.
Der Beklagte informierte die BA am 02.03.2022 darüber, dass eine Konkretisierung der ursprünglichen Schätzanmeldung ausscheide, da es sich um eine Mehrzahl von Forderungen verschiedener Arbeitnehmer und Beitragsmonate und somit um eine Sammelanmeldung gehandelt habe. Er bat zudem um Benachrichtigung, ob die Konkretisierung vom 18.06.2021 als Neuanmeldung behandelt werden solle.
Mit ihrer Klage hat die BA die Auffassung vertreten, ihre Forderungsanmeldung vom 22.02.2021 erfülle in der konkretisierten Fassung vom 18.06.2021 die Anforderungen gemäß § 174 Abs. 2 InsO. Der bezeichnete Lebenssachverhalt sei anhand der angegebenen Umstände hinreichend bestimmt. Die Forderung sei von anderen Anmeldungstatbeständen zweifelsfrei zu unterscheiden. Die BA sei die einzige gesetzlich befugte und verpflichtete Stelle zur Auszahlung von Insolvenzgeld. Eine Bezifferung ihrer gesamten Forderung sei innerhalb der hierfür im Eröffnungsbeschluss gesetzten Frist nicht möglich gewesen. Insoweit sei die Schätzanmeldung zulässig erfolgt. Andernfalls müsse sie in den einzelnen Verfahren jedes Mal eine gebührenauslösende Neu- bzw. nachträgliche Anmeldung vornehmen, auch wenn eine Masseunzulänglichkeit bereits abzusehen sei. Sonderwissen des Insolvenzverwalters – wie zum Beispiel die im Verfahren bekannt gewesene Anzahl der potenziell anspruchsberechtigten Arbeitnehmer der Schuldnerin – sei zu berücksichtigen, selbst wenn die übrigen Insolvenzgläubiger hierüber nicht verfügten.
Das Arbeitsgericht (ArbG) hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter und hat vor dem BAG Erfolg.
Die Begründung des BAG
Das BAG legt zugrunde, dass die BA keine Neuanmeldung, sondern mit ihrem Schreiben vom 02.03.2022 lediglich eine Konkretisierung ihrer ursprünglichen Forderung beabsichtigt hatte.
Die Klage auf Feststellung dieser Forderung zur Tabelle sei unzulässig. Es fehle an der erforderlichen Sachurteilsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Anmeldung durch die BA.
Der Klageantrag legt das BAG als Antrag auf Feststellung zur Tabelle nach § 179 Abs. 1 InsO aus. Die Klägerin erstrebe nämlich mit der Klage das Recht auf Teilnahme an der Verteilung der Insolvenzmasse. Voraussetzung hierfür sei eine vorherige ordnungsgemäß Anmeldung zur Tabelle.
Vorliegend fehle an einer ordnungsgemäßen Anmeldung und einer Prüfung der geltend gemachten Forderung zur Insolvenztabelle.
Unschädlich sei allerdings, dass das Schreiben der Klägerin vom 22.02.2021 weder eine Unterschrift trage noch eine Wiedergabe des Verfassernamens mit Beglaubigungsvermerk aufweise. Das BAG begründet ausführlich, dass die Anmeldung zur Insolvenztabelle zwar schriftlich zu erfolgen habe, aber keiner eigenhändigen Unterschrift oder der Wiedergabe des Namens des Verfassers der Anmeldung bedürfe. Es reiche aus, dass die Anmeldung eindeutig erkennen lasse, von wem die Anmeldung ausgehe. Dies sei vorliegend der Fall.
Das Schreiben der BA vom 22.02.2021 genüge dem Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses. Der von ihr verwendete Kopfbogen enthalte Name, Postanschrift, Angaben zum bearbeitenden Team unter Nennung der Sachbearbeiterin, Angaben zur internen Antragsnummer sowie im Betreff die Bezeichnung des konkreten Insolvenzverfahrens und die Angabe des Aktenzeichens des Insolvenzgerichts. Damit enthalte es die wesentlichen, üblicherweise gerade bei einer arbeitsteilig organisierten juristischen Person des öffentlichen Rechts zu erwartenden formalen und inhaltlichen Anhaltspunkte für eine dem Insolvenzverwalter mit Wissen und Wollen einer vertretungsberechtigten Person zugeleitete Erklärung. Bei dem Hinweis, das Schreiben sei maschinell erstellt und ohne Unterschrift rechtswirksam, handele es sich um eine bei Behörden ebenfalls übliche Verfahrensweise, die für sich genommen keinen Zweifel am Willen der BA begründe, die Anmeldung dem Insolvenzverwalter willentlich zuzuleiten. Gegenteilige Indizien seien nicht ersichtlich.
Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Auch für privatrechtliche Forderungen gilt, dass eine Unterschrift des Anmeldenden nicht zwingend erforderlich ist. Es reicht aus, dass die Anmeldung eindeutig erkennen lässt, von wem die Anmeldung stammt. Um von vornherein keine Zweifel aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich jedoch, die Anmeldung zur Tabelle zu unterschreiben.
Die Forderungsanmeldung der BA vom 22.02.2021, so das BAG weiter, genüge im Besprechungsfall entgegen der Annahme der Vorinstanzen jedoch nicht den Anforderungen des § 174 Abs. 2 InsO. Es liege eine unzulässige Sammelanmeldung vor, da es sich bei den einzelnen auf die BA übergegangenen Forderungen um unterschiedliche Streitgegenstände mit potentiell unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen handele.
Eine Sammelanmeldung sei unzulässig, wenn Grund und Betrag der einzelnen Forderungen nicht jeweils ausreichend bestimmt bezeichnet seien. Erst diese Angaben ermöglichten es dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern, bestimmte Einzelforderungen – zum Beispiel unter Berufung auf eine Doppelanmeldung – zu bestreiten.
Um zu gewährleisten, dass die einzelnen Forderungen verifiziert werden können, hätte das Schreiben vom 22.02.2021 in der Anmeldung die Arbeitnehmer, die Insolvenzgeld beantragt hätten, der jeweilige konkrete Anspruchszeitraum und das zugrunde liegende Bruttoentgelt zuzüglich etwaiger Sonderzahlungen bezeichnet werden müssen. Es genüge deshalb nicht, dass durch die Mitteilung, der Forderung lägen Anträge auf Insolvenzgeld zugrunde, eine Verwechslungsgefahr mit anderen Insolvenzforderungen ausgeschlossen sei. Zwar erlaube diese Information eine Abgrenzung zu anderen Insolvenzforderungen wie etwa aus Werk- bzw.
Dienstleistungsverträgen oder Schadensersatzansprüchen, befähige jedoch nicht zur Überprüfung, welche Arbeitnehmer einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld gestellt habe. Auch erlaube diese pauschale Bezeichnung dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern nicht zu kontrollieren, ob Insolvenzgeldanträge vor dem Hintergrund von Anschlussarbeitsverhältnissen nur für einen Teil des gesetzlich vorgesehenen Anspruchszeitraums von drei Monaten gestellt und bewilligt worden seien. Schließlich wäre der Umfang der Rechtskraft bei einer Anerkennung der nicht aufgeschlüsselt angemeldeten Forderungen der Klägerin zur Tabelle unklar.
Der Beklagte müsse sich auch keine Kenntnisse über die Anzahl der bei der Schuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer und deren arbeitsvertragliche Daten zurechnen lassen. Ein etwaiges Sonderwissen des Insolvenzverwalters sei unbeachtlich, da § 174 Abs. 2 InsO nicht nur ihm, sondern auch den übrigen Insolvenzgläubigern ermöglichen wolle, über die Berechtigung oder Nichtberechtigung der angemeldeten Forderung zu entscheiden. Der Insolvenzverwalter sei zudem grundsätzlich nicht gehalten, selbst Ermittlungen anzustellen.
Die BA könne sich schließlich nicht erfolgreich auf eine eigene Sonderstellung gegenüber anderen Insolvenzgläubigern berufen, weil sie etwa wegen noch laufender Kündigungsschutzverfahren im Zeitpunkt des Ablaufs der Anmeldungsfrist die genaue Höhe ihrer Ansprüche häufig noch nicht beziffern könne und ein Abwarten des Abschlusses des jeweiligen Insolvenzgeldbewilligungs- oder Kündigungsschutzverfahrens sie mangels Stimmberechtigung davon ausschließen würde, ihre Gläubigerrechte wahrzunehmen. Sie habe selbst zutreffend vorgetragen, dass die angegebene Forderungshöhe keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Anmeldung habe, sondern allein deren Begründetheit betreffe. Die Klägerin könne zu hohe Forderungen jederzeit reduzieren.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aufgrund des Berichtigungsschreibens vom 18.06.2021. Der Mangel der Forderungsanmeldung vom 22.02.2021 könne nur durch eine Neuanmeldung behoben werden. Es könne dahinstehen, ob das Schreiben als Neuanmeldung nach § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO angesehen werden könne, denn es fehle in diesem Fall an der Sachurteilsvoraussetzung der Durchführung eines Prüfungstermins, in dem die Forderung einen Widerspruch erfahren habe. Eine Heilung von wesentlichen Mängeln der Anmeldung sei ohne dessen Absolvierung nicht möglich.
Download: Gesellschaftersicherheit für den Leasinggeber – Anfechtung nach Verwertung des Leasingobjekts
Insolvenzrechtliche Ausgangslage
Bis zum Jahr 2008 galt das Recht der sogenannten kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, wonach Darlehen, die der GmbH in der Krise gewährt oder ihr in der Krise belassen wurden, den Kapitalschutzregeln der §§ 30, 31 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) a. F. unterstanden. In der Krise der Gesellschaft wurden Darlehen folglich wie haftendes Eigenkapital behandelt. Ergänzt wurden diese Grundsätze durch die §§ 32a, 32b GmbHG und § 32a der Konkursordnung (KO) für den Fall der Insolvenz.
Diese vom Bundesgerichtshof (BGH) initiierten Regeln wurden zwecks Deregulierung durch die Neufassung des § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG aufgegeben, wonach Satz 1 der Vorschrift kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht auf Gesellschafterdarlehen und ihnen wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlungen anzuwenden ist.
Im neuen Recht unterliegen Gesellschafterdarlehen besonderen Regelungen im Grundsatz nur in der Insolvenz der Gesellschaft. Hier sind sie und ihnen gleichgestellte Verbindlichkeiten nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 der Insolvenzordnung (InsO) nachrangig, was bedeutet, dass auf sie in der ganz überwiegenden Zahl der Insolvenzen keine Quote gezahlt werden kann. Tilgungsleistungen der Gesellschaft auf derartige Forderungen sind anders als im Kapitalersatzrecht auch in einer Krise zulässig; die Rückzahlung des Darlehens kann von der Gesellschaft nicht unter Berufung auf eine Krise verweigert werden.
Die dadurch entstehende Gläubigerschutzlücke soll durch eine anfechtungsrechtliche Lösung geschlossen werden, die sich in § 135 InsO findet. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegt eine Rechtshandlung der Anfechtung, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag für ein Darlehen oder eine gleichgestellte Forderung des Gesellschafters eine Sicherung gewährt hat. Anfechtbar ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch eine Rechtshandlung, durch die dem Gesellschafter im letzten Jahr vor dem Insolvenzantragantrag Befriedigung gewährt wurde. Hat ein Dritter der Gesellschaft ein Darlehen gewährt oder verfügt er über eine wirtschaftlich entsprechende Forderung und erhält er von dem Gesellschafter eine Sicherheit oder eine Bürgschaft, nimmt der Gesetzgeber an, der Gesellschafter sei letztlich derjenige, der die hiermit verbundene Belastung vorrangig vor der Gesellschaft zu tragen habe. Deshalb bestimmt § 135 Abs. 2 InsO:
„Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen.“
Dasselbe gilt, wenn auch die Gesellschaft dem Dritten eine Sicherheit gewährt hatte, diese durch ihn oder die Gesellschaft verwertet und der Dritte aus dem Erlös befriedigt wird (Doppelsicherheit).
Da hier, wie ausgeführt, der Gesellschafter letztlich belastet werden soll und nicht der Dritte, bestimmt § 143 Abs. 3 InsO, dass und in welcher Weise der Gesellschafter als Anfechtungsgegner heranzuziehen ist:
„Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt.“
Nicht aus dem Blick geraten darf dadurch die Grundnorm des Anfechtungsrechts, § 129 InsO, wonach jede Anfechtung eine objektive Gläubigerbenachteiligung voraussetzt. Das heißt, die Gläubiger müssen fiktiv bei Hinwegdenken der anfechtbaren Handlung bessere Befriedigungschancen haben. Die im Fall der §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO schwer in den Griff zu bekommende Gläubigerbenachteiligung sieht der BGH in der Befreiung des Gesellschafters von der übernommenen Sicherung durch Tilgung der Verbindlichkeit mit Mitteln der Gesellschaft, weil der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft zur vorrangigen Befriedigung der von ihm besicherten Verbindlichkeit verpflichtet ist.
§ 129 InsO hält ein weiteres Problem bereit, indem er ausschließlich Rechtshandlungen für anfechtbar erklärt, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurden. Verwertet nun der Insolvenzverwalter oder der Dritte die Gesellschaftssicherheit nach der Verfahrenseröffnung, scheint die Anfechtung auch gegenüber dem Gesellschafter ausgeschlossen zu sein. Der BGH behilft sich in einem solchen Fall mit einer entsprechenden Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO und gelangt auf diese Weise auch hier zur Anfechtbarkeit gegenüber dem Gesellschafter.
Im Besprechungsfall hatten die beiden Tatsacheninstanzen die beklagte Gesellschafterin zur Rückgewähr nach diesen Grundsätzen verurteilt. Der BGH meint dagegen, im speziellen Fall fehle es an der erforderlichen Gläubigerbenachteiligung, und stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Die Verwertung des in seinem Eigentum stehenden Leasinggegenstands durch den Leasinggeber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leasingnehmers führt nicht zur Anwendung der Grundsätze über die rechtliche Behandlung von Doppelsicherheiten.“
Der zu entscheidende Fall
Zur Absicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche aus einem Leasingvertrag über einen Mercedes SL 63 AMG zwischen der Schuldnerin, einer GmbH, als Leasingnehmerin und der Leasinggeberin übernahm die Beklagte, die mit 40 % an der Schuldnerin beteiligt und zugleich eine von zwei Geschäftsführern war, am 02.02.2016 eine selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber der Leasinggeberin. – Die Schuldnerin beglich die Leasingraten bis zur Insolvenzeröffnung am 01.04.2016 pünktlich.
Im Insolvenzeröffnungsbeschluss wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Er gab das Fahrzeug an die Leasinggeberin, die es zu einem Netto-Verwertungserlös in Höhe von 53.634,65 € verwertete, heraus.
Die Leasinggeberin meldete eine Forderung aus dem Leasingvertrag in Höhe von 88.912,61 € abzüglich des Verwertungserlöses zur Tabelle an, die auch festgestellt wurde.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung in Höhe des Verwertungserlöses von 53.634,65 € gemäß §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO in Anspruch, weil die Beklagte insoweit von ihrer Bürgschaftsschuld befreit worden sei.
Nachdem der Kläger wie erwähnt in den unteren Instanzen Erfolg hatte, weist der BGH auf die Revision der Beklagten die Klage ab.
Die Begründung des BGH
Werde die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, sei [wie oben schon dargestellt] der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrags zur Insolvenzmasse verpflichtet. Zwar regele das Gesetz die Frage der Verwertung derart doppelter Sicherheiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht, der Masseschutz gebiete aber diese Regelungslücke dahingehend zu schließen, dass eine vorrangige Haftung der Gesellschaftersicherheit erreicht werde. Im Fall der Inanspruchnahme der Gesellschaftssicherheit sei daher § 143 Abs. 3 InsO entsprechend anzuwenden.
So liegt der Fall bei vordergründiger Betrachtung auch hier, der BGH erkennt jedoch, dass es an der erforderlichen objektiven Gläubigerbenachteiligung mangelt, was im Ergebnis die Anfechtung ausschließt.
Eine Gläubigerbenachteiligung liege vor, so der BGH, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehre oder die Aktivmasse verkürze und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitele, erschwere oder verzögere, mithin, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten. Genau genommen unterläge nicht die Rechtshandlung der Anfechtung, sondern deren Rechtswirkungen.
Werde der Gesellschafter von der übernommenen Sicherung befreit, benachteilige das die Gesellschaftsgläubiger, wenn das durch den Gesellschafter besicherte Darlehen entgegen der Vorstellung des Gesetzes aus Mitteln der Gesellschaft getilgt werde. Tilge, mit anderen Worten, eine Gesellschaft ein von ihr selbst und ihrem Gesellschafter besichertes Darlehen gegenüber dem Darlehensgeber, liege die Gläubigerbenachteiligung bei der Anfechtung der Befreiung des Gesellschafters von seiner Sicherung in dem Abfluss der Mittel aus dem Gesellschaftsvermögen, weil der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft zur vorrangigen Befriedigung der von ihm besicherten Verbindlichkeit verpflichtet sei.
Nach diesen Grundsätzen sei es im Besprechungsfall nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung gekommen. Die Verwertung des Fahrzeugs durch die Leasinggeberin habe nicht zu einem Abfluss von Mitteln aus dem Vermögen der Schuldnerin geführt. Die Leasinggeberin sei nicht Inhaberin eines Sicherungsrechts an dem Fahrzeug gewesen, sondern dessen Eigentümerin. Der Schuldnerin habe lediglich der entgeltliche und zudem auf die Dauer des Vertrags beschränkte Gebrauch zugestanden. Die Rechte der Leasinggeberin am Fahrzeug hätten mithin keine Sicherung am Gesellschaftsvermögen dargestellt.
Zum Erwerb eines wie auch immer gearteten Mehrerlösanspruchs der Schuldnerin nach (unterstellt vorgesehener) Vollamortisation, wodurch eine Gläubigerbenachteiligung unter Umständen hätte eintreten können, hätte es nur im Falle der Fortführung des Leasingvertrags kommen können. Derartige hypothetische Kausalverläufe seien im Rahmen der Insolvenzanfechtung allerdings unbeachtlich. Maßgeblich sei allein der reale Geschehensablauf. Der Leasingvertrag sei jedoch im Besprechungsfall nicht fortgeführt worden, Vollamortisation habe nicht eintreten können.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts sei die Beklagte, worauf der BGH ergänzend hinweist, auch nicht in Höhe des aus der Verwertung des Fahrzeugs erzielten Erlöses von ihrer Bürgschaftsverpflichtung frei geworden.
Der BGH lässt schließlich offen, ob und falls ja unter welchen Voraussetzungen die Besicherung von Ansprüchen aus einem Leasingvertrag in den Anwendungsbereich der Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendbarkeit von §§ 143 Abs. 3, 135 Abs. 2 InsO auf Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Doppelsicherheiten fallen könnte. Gegenstand der bisherigen Rechtsprechung seien jedenfalls nur Doppelsicherheiten für Darlehensrückzahlungsansprüche gewesen.
Vorbemerkung
Welche Befriedigungschancen eine Forderung in der Insolvenz des Schuldners hat, hängt entscheidend von ihrem insolvenzrechtlichen Rang ab. Neben den hier nicht interessierenden Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen sind dies Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO) und sogenannte Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die im eröffneten Insolvenzverfahren nur vom Insolvenzverwalter begründet werden können. Das Privileg der Masseverbindlichkeiten rechtfertigt sich, jedenfalls für vertragliche Ansprüche aus der Überlegung, dass derjenige, der sich auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einlässt, darauf vertrauen können muss, dass er seine Gegenleistung aus der Insolvenzmasse vollständig erhält.
Insolvenzforderungen sind dagegen Forderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren.
Während die Masseverbindlichkeiten abgesehen von Fällen der Masseunzulänglichkeit volle Befriedigung erwarten dürfen, erhalten die Insolvenzgläubiger nur die Insolvenzquote, die häufig sehr niedrig ist, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, in dem lediglich eine Quote von 0,1 % auf die Insolvenzforderungen gezahlt wurde. Nicht selten wird gar keine Quote gezahlt.
Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben der Gläubiger nachvollziehbar, ihre Forderungen in den Rang von Masseverbindlichkeiten einzuordnen. Dies ist jedoch an die strengen Vorgaben des § 55 InsO geknüpft.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits eine größere Zahl von Entscheidungen zu dieser Thematik im Zusammenhang mit der Insolvenz einer bekannten deutschen Fluggesellschaft zu treffen gehabt. Einige davon sind auf unserer Website besprochen (BGH, Urt. v. 11.07.2024 – IX ZR 247/22; BGH, Urteil vom 26.09.2024 – IX ZR 146/22; BGH, Urteil vom 16.01.2025 – IX ZR 236/23).
In seinem Urteil vom 09.03.2023 (IX ZR 91/22) hatte der BGH einen (nur) auf den ersten Blick dem Besprechungsfall vergleichbaren Sachverhalt zu entscheiden: Der dortige Kläger hatte vor Insolvenzeröffnung einen Flug gebucht und bezahlt, sein Beförderungsanspruch war daher im Ausgangspunkt lediglich eine Insolvenzforderung. Dennoch führte die Fluggesellschaft Hin- und Rückflug durch, den Rückflug aber mit mehrstündiger Verspätung. Der Kläger verlangte deshalb nach der Fluggastrechte-VO einen Ausgleich in Höhe von 600 €, den ihm der BGH als Masseverbindlichkeit zubilligte.
Zur Begründung führte der BGH damals aus, Masseverbindlichkeiten entstünden, wenn der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner bei der Erfüllung der Insolvenzforderung Rechte des Insolvenzgläubigers verletze, diesen schädigte oder in anderer Weise zusätzliche Rechte für die Insolvenzmasse auf Kosten des Insolvenzgläubigers in Anspruch nehme. Entscheidend dafür sei, dass der Insolvenzgläubiger nicht nur die insolvenzbedingten Einschränkungen bei der Durchsetzung seiner Forderung hinzunehmen habe, sondern zusätzliche Nachteile erleide, die in keinem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stünden. Eine solche Verletzung von Rechten des Insolvenzgläubigers, die in keinem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fluggesellschaft gestanden hätten, sei bei einer großen, mindestens dreistündigen Verspätung des Flugs, auf dem ein Fluggast ohne durchsetzbaren Anspruch befördert worden sei, zu bejahen.
In Abgrenzung dazu stellt der BGH dem Besprechungsfall folgenden Leitsatz voraus:
„Stellt ein Flugbeförderungsanspruch nur eine Insolvenzforderung dar, begründet die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Luftfahrtunternehmens erfolgte Ausstellung einer Bordkarte keine Masseverbindlichkeit.“
Der zu entscheidende Fall
Im August 2019 buchten und bezahlten die Kläger bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt a. M. nach Cancún für den 22.12.2019 mit einer Flugstrecke von mehr als 3.500 km. Die Landung in Cancún war planmäßig für 18:05 Uhr vorgesehen. Am 01.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Am Abflugtag verweigerte sie nach Ausstellung der Bordkarten den Klägern die Beförderung wegen Überbuchung des Flugs. Sie bot ihnen eine Ersatzbeförderung auf einem anderen Flug an, die diese annahmen. Die Fluggäste erreichten den Zielflughafen Cancún am 23.12.2019 um 00:15 Uhr. Der von den Gläubigern angenommene und vom Gericht bestätigte Insolvenzplan sieht für Insolvenzforderungen eine Quote von 0,1% vor.
Die Kläger verlangen von der Beklagten nunmehr eine Ausgleichszahlung von 600 € pro Fluggast. Das Amtsgericht Frankfurt a. M. (AG) hat die Klage abgewiesen, das Landgericht Frankfurt a. M. (LG) hat auf die Berufung der Kläger die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH, der das Urteil des AG wieder hergestellt hat, Erfolg.
Die Forderung der Kläger beruht auf der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (kurz: Fluggastrechte-VO).
Nach Art. 5 Abs. 1 Fluggastrechte-VO gilt unter anderem:
Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,
b) …
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen…
Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-VO lautet:
Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr
als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500
km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen…
Art. 8 Fluggastrechte-VO gewährt dem Reisenden bei Flugannullierungen unter anderem Anspruch auf einen Ersatzflug durch das Luftfahrtunternehmen.
Die Begründung des BGH
Die Grundlage des Anspruchs der Kläger auf Ausgleichszahlungszahlungen in Höhe von 600 € pro Person verortet der BGH in Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 Buchst. c Fluggastrechte-VO.
Diese Ansprüche stellten jedoch nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar, die nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur nach Maßgabe des Insolvenzplans (hier also in Höhe von 0,1 %) zuerkannt werden könnten.
Beförderungsansprüche, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden seien, seien von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fluggesellschaft an nicht mehr durchsetzbar. Sekundäransprüche, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgten, begründeten ebenfalls keine Masseverbindlichkeiten, wie der BGH bereits mehrfach entschieden hatte.
Auf dieser Basis seien die ursprünglichen Beförderungsansprüche der Kläger Insolvenzforderungen, da sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden seien. Bei der Verweigerung der Beförderung wegen Überbuchung habe es sich folglich um die Nichterfüllung eines insolvenzbedingt nicht durchsetzbaren Beförderungsanspruchs gehandelt. Die geltend gemachten Ansprüche auf Ausgleichszahlung stellten deshalb Sekundäransprüche aus der Nichterfüllung eines nicht durchsetzbaren Beförderungsanspruchs und damit grundsätzlich Insolvenzforderungen dar.
Die Fortsetzung des Flugbetriebs für sich habe die Insolvenzforderungen nicht zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet. Der Umstand, dass der Flug als solcher durchgeführt worden sei, sei daher nicht geeignet, den Beförderungsanspruch einzelner Passagiere zu Masseforderungen aufzuwerten, auch wenn die Beklagte andere Fluggäste, deren Beförderungsansprüche ebenfalls insolvenzbedingt nicht durchsetzbar gewesen sein mögen, anstandslos befördert habe.
Die Beförderungsansprüche der Kläger (und damit auch Sekundäransprüche wegen deren Nichterfüllung) seien vorliegend nicht durch eine stillschweigende, die ursprüngliche Übereinkunft bestätigende Vereinbarung – eine sogenannte Schuldumschaffung - zu Masseverbindlichkeiten geworden.
Zwar könne eine Insolvenzforderung durch Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgläubiger zu einer Masseverbindlichkeit werden. Eine solche Vereinbarung habe aber auch für die übrigen Beteiligten des Insolvenzverfahrens Auswirkungen. Sie erfordere wegen ihrer einschneidenden Wirkungen, dass die Anforderungen an eine Schuldumschaffung (Novation) erfüllt seien oder die Vereinbarung in einer der Novation vergleichbaren Weise zur Begründung einer Masseverbindlichkeit führe. Das setze den Willen der Parteien voraus, das alte Schuldverhältnis durch ein neues zu ersetzen und damit zugleich das alte Schuldverhältnis aufzuheben, so dass die Beteiligten nicht mehr darauf zurückgreifen könnten. Vorliegend hätten daher keine Zweifel daran verbleiben dürfen, dass eine (Neu-)Begründung der Verbindlichkeit als Masseverbindlichkeit gewollt gewesen sei, wie der BGH bereits mehrfach entschieden habe.
Diese Voraussetzungen seien im Besprechungsfall jedoch nicht erfüllt. Insbesondere werte die Ausgabe von Bordkarten einen als Insolvenzforderung zu qualifizierenden Beförderungsanspruch nicht zu einer Masseverbindlichkeit auf.
Der Beförderungsanspruch werde durch den Abschluss des Flugbeförderungsvertrags begründet. Die Bordkarte diene demgegenüber als Nachweis, dass der Check-in-Prozess abgeschlossen und dass die auf ihr genannte Person berechtigt sei, in das bereitstehende Flugzeug einzusteigen. Ein eigenständiges Rechtsgeschäft gehe mit ihrer Ausstellung nicht einher. Ihrer Ausgabe könne deshalb auch nicht die Wirkung einer Umwandlung eines Insolvenzanspruchs in eine Masseverbindlichkeit beigemessen werden.
Zudem lasse die teilweise Erfüllung einer Insolvenzforderung – etwa die Durchführung des Hinflugs bei einheitlich gebuchtem Hin- und Rückflug – die Rechtsnatur des nicht erfüllten Teils der Forderung unberührt, ohne dass dem Treu und Glauben entgegenstehe. Für die Ausgabe von Bordkarten, die keine teilweise Erfüllung, sondern eine bloße Vorbereitungshandlung im Vorfeld der geschuldeten Beförderungsleistung darstellten, gelte dies erst recht.
Der Streitfall sei auch nicht mit dem durch Urteil vom 09.03.2023 (IX ZR 91/22 – siehe die Vorbemerkung) entschiedenen Sachverhalt vergleichbar. In jenem Fall habe der BGH Ansprüche auf Ausgleichszahlung wegen großer Verspätung des Flugs, mit dem der Fluggast tatsächlich befördert worden sei, als Masseverbindlichkeiten eingeordnet. Darum gehe es im Streitfall nicht.
Anders als im dortigen Fall hätten die Kläger keine zusätzlichen Nachteile, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren gestanden hätten, erlitten. Vielmehr hätten sie allein insolvenzbedingte Einschränkungen bei der Durchsetzung ihrer Forderung hinnehmen müssen: Insolvenzbedingt sei ihr Anspruch auf Beförderung nicht durchsetzbar gewesen; deshalb stellten auch die mit der Verweigerung der Beförderung entstandenen (Sekundär-)Ansprüche auf Ausgleichszahlung bloße Insolvenzforderungen dar, die allein durch Anmeldung zur Insolvenztabelle hätten geltend gemacht werden können.
Wenn die Beklagte gleichwohl den ebenfalls nur eine Insolvenzforderung begründenden Sekundäranspruch auf anderweitige Beförderung zum Endziel nach der Fluggastrechte-VO (durch Bereitstellung eines anderen Fluges) erfüllt habe, ohne dass die Kläger hierauf einen durchsetzbaren Anspruch gehabt hätten, habe sie die Kläger bessergestellt, als sie insolvenzrechtlich eigentlich stünden. Die anderweitige Beförderung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden; eine Verspätung dieses Flugs sei nicht behauptet. Die Beklagte habe daher bei der Erfüllung einer Insolvenzforderung weder die Kläger geschädigt noch ihre Rechte verletzt.
Download: Vereinbarung über Maklerkosten bei Verbraucherbeteiligung – unzulässige Abwälzung der Maklerkosten
Vorbemerkung
Im Grundsatz sind die Parteien einer vertraglichen Vereinbarung bei deren inhaltlicher Gestaltung frei. Hiervon gibt es jedoch viele Ausnahmen. So ist beispielhaft eine Vereinbarung nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nichtig, die gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Insbesondere wenn auf einer Seite des Vertrags ein Verbraucher, auf der anderen ein Unternehmer steht, gibt es viele Einschränkungen, die dem Verbraucherschutz dienen.
Einige besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzes findet sich im Maklerrecht des BGB. Grundsätzlich steht dem Makler gegenüber seinem Auftraggeber ein Maklerlohn zu. Auch sind Vereinbarungen über die damit verbundene Kostentragungspflicht zwischen den Parteien des vom Makler vermittelten Vertrags und auch mit dem Makler sebst zulässig. Ist jedoch eine der Parteien des vermittelten Vertrags ein Verbraucher, ohne dass es darauf ankäme, ob die andere Partei Unternehmer oder Verbraucher ist, gelten Einschränkungen, vor allem bei einem Vertrag über ein Einfamilienhaus oder eine Wohnung. Lässt sich hier der Makler von beiden Parteien des Kaufvertrags den Lohn versprechen, so kann dies nach § 656c BGB nur in der Weise erfolgen, dass sich die Parteien in gleicher Höhe verpflichten. Wird der Makler für eine Partei unentgeltlich tätig, darf er sich auch von der anderen keinen Maklerlohn versprechen lassen. Weicht der Maklervertrag hiervon ab, ist er insgesamt unwirksam.
Diese Regelung wird ergänzt durch den erst am 23.12.2020 in Kraft getretenen § 656d BGB:
„§ 656d Vereinbarungen über die Maklerkosten
(1) Hat nur eine Partei des Kaufvertrags über eine Wohnung oder ein Einfamilienhaus einen Maklervertrag abgeschlossen, ist eine Vereinbarung, die die andere Partei zur Zahlung oder Erstattung von Maklerlohn verpflichtet, nur wirksam, wenn die Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen hat, zur Zahlung des Maklerlohns mindestens in gleicher Höhe verpflichtet bleibt. Der Anspruch gegen die andere Partei wird erst fällig, wenn die Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen hat, ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Maklerlohns nachgekommen ist und sie oder der Makler einen Nachweis hierüber erbringt.
(2) § 656c Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.“
Der Besprechungsfall behandelt einen Sachverhalt, bei dem der Hausverkäufer den Makler beauftragt hatte und der Käufer in einer gesonderten Vereinbarung mit dem Makler sich zur Entrichtung der vollen Courtage verpflichtet hatte. Streitig war, welche Rechtsfolgen sich aus § 656d BGB für die Vereinbarung zwischen dem Käufer und dem Makler ergeben. Im Einzelnen war folgendes passiert.
Der zu entscheidende Fall
Die beklagte Immobilienmaklerin bewarb im Auftrag des Verkäufers im Jahr 2021 ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück zu einem Kaufpreis von 397.500 € mit dem Hinweis, dass keine Käuferprovision anfalle.
Die Kaufvertragsparteien handelten zunächst einen Kaufpreis in Höhe von 395.000 € und sodann in Höhe von 370.000 € aus. Mit der zweiten Reduzierung sollte der Kaufpreis in Höhe des Maklerlohnanspruchs gesenkt werden, den der Verkäufer der Beklagten für die Vermittlung der Immobilie schuldete.
In einem als „Vereinbarung“ überschriebenen und von dem Käufer, dem jetzigen Kläger, und der Beklagten unterschriebenen Schreiben vom 26.07.2021 wurde unter anderem ausgeführt, der Kläger wünsche, „dass ein Honorar aus dem Verkaufspreis herausgerechnet wird. Damit ermäßigt sich der Kaufpreis von Euro 395.000 auf Euro 370.000. Dieser Betrag soll beurkundet werden. Wir verpflichten uns als Käufer, an L. & P. Immobilien GmbH [das ist die Beklagte] einen Betrag in Höhe von 25.000 € inkl. MwSt. als Honorar zu zahlen. Dieser Betrag ist am Tage der Beurkundung fällig (…).“
Nach der notariellen Beurkundung des Grundstückskaufvertrags zahlte der Kläger die ihm von der Beklagten in Rechnung gestellte Provision in Höhe von 25.000 €, verlangte diesen Betrag in der Folgezeit aber klageweise zurück.
Das Landgericht Bonn (LG) hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Köln (OLG) das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 12.500 € verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Revision für beide Parteien zugelassen.
Beide Parteien haben in der Folge Revision eingelegt. Die Beklagte begehrt die vollumfängliche Abweisung der Klage. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision der Beklagten und möchten mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
Nur die Revision des Klägers hat Erfolg, diejenige der Beklagten weist der Bundesgerichtshof (BGH) zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH urteilt, dass die von den Prozessparteien getroffene Vereinbarung vom 26.07.2021 gegen § 656d Abs. 1 Satz 1 BGB verstoße.
Der zeitliche Anwendungsbereich dieser Norm sei wegen des Vertragsschlusses erst im Jahr 2021ebenso wie der persönliche Anwendungsbereich eröffnet, weil der Kläger als Käufer und Verbraucher einen Kaufvertrag über ein Einfamilienhaus geschlossen habe. Ferner habe auch nur der Verkäufer den Maklervertrag abgeschlossen und die andere Partei, der Kläger, sich aufgrund einer mit der Beklagten (Maklerin) getroffenen Vereinbarung zur Zahlung des vollen Maklerlohns verpflichtet.
Da der Kläger aufgrund der streitgegenständlichen Vereinbarung im Verhältnis zum Verkäufer als der Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen habe, den Maklerlohn folglich in voller Höhe zu zahlen gehabt hätte, liege ein Verstoß gegen § 656d Abs. 1 Satz 1 BGB vor.
§ 656d BGB sei nicht nur auf Vereinbarungen der Parteien des Kaufvertrags untereinander anwendbar, aus denen sich ein Anspruch des Maklers auf Maklerlohn ergebe, sondern auf jegliche Art einer vertraglichen Vereinbarung, durch die unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch des Maklers auf Zahlung oder Erstattung von Maklerlohn gegenüber der Partei begründet werde, die nicht Partei des Maklervertrags sei, hier mithin gegen den Kläger. § 656d BGB umfasse deshalb auch alle auf eine Verpflichtung zur Zahlung oder Erstattung des Maklerlohns gerichteten Vereinbarungen des Maklers mit der Partei des Kaufvertrags, die nicht Partei des Maklervertrags ist – etwa in Gestalt einer Schuldübernahme, eines Schuldbeitritts oder einer Erfüllungsübernahme.
Dass vorliegend der Verkäufer von der Verpflichtung zur Entrichtung des vereinbarten Maklerlohns gegenüber der Beklagten nicht entbunden gewesen sei, stehe der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der getroffenen Vereinbarungen ergebe, sei der Kläger im Innenverhältnis zum Verkäufer verpflichtet, den Maklerlohn in voller Höhe zu bezahlen. Der Verkäufer als die Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen habe, sei aufgrund dessen nicht im Sinne des § 656d BGB zur Zahlung des Maklerlohns mindestens in gleicher Höhe verpflichtet geblieben.
Ob § 656d BGB auch eingreife, wenn Käufer und Verkäufer im Wege einer sogenannten Direktzahlungsvereinbarung übereinkämen, dass der Käufer zur Erfüllung der Verpflichtung des Verkäufers zur Zahlung des Maklerlohns einen Teil des Kaufpreises unmittelbar an den Makler zu zahlen habe, bedürfe hier keiner Entscheidung, da die Beklagte eine solche Regelung nicht behauptet habe.
Die streitgegenständliche Vereinbarung sei mit einer solchen Konstellation auch nicht vergleichbar. Es treffe zwar zu, dass die Kläger mit der Zahlung des Maklerlohns im Ergebnis genau den Betrag ausgegeben hätten, den sie vor der (zweiten) Reduzierung des Kaufpreises geschuldet hätten, nämlich 395.000 €, hierauf komme es jedoch nicht an. Die zwischen den Prozessparteien getroffene Vereinbarung betreffe nicht einen Teil des für das Hausgrundstück vereinbarten Kaufpreises. Vielmehr hätte sich der Käufer damit verpflichtet, anstelle des Verkäufers den (vollen) Maklerlohn an die Beklagte zu zahlen.
Diese Vereinbarung beinhalte daher nicht lediglich die Anweisung, an welche Stelle der Kaufpreis zu entrichten sei, und mache die Beklagte gerade nicht lediglich zur „Zahlstelle“ für den Verkäufer. Die Beklagte habe den Maklerlohn vielmehr für sich selbst vereinnahmt.
Der damit gegebene Verstoß gegen § 656d BGB führe dazu, dass die Zahlung des Maklerlohns insgesamt rechtsgrundlos erfolgt sei und den Klägern gegenüber der Beklagten ein Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB in Höhe von 25.000 € zustehe. Diese Folge ergebe sich bereits aus § 656d BGB selbst, sodass es eines Rückgriffs auf § 134 BGB [dazu bereits in der Vorbemerkung] entgegen einigen Stimmen in der juristischen Literatur nicht bedürfe. § 656d BGB bestimme, dass eine Vereinbarung über den Maklerlohn nur wirksam sei, wenn die Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen habe, zur Zahlung des Maklerlohns mindestens in gleicher Höhe verpflichtet bleibe. Anderenfalls sei die Vereinbarung unwirksam. Ordne eine Verbotsnorm aber selbst eine Rechtsfolge an, so sei diese maßgeblich; für eine Anwendung des § 134 BGB verbleibe dann kein Raum.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Nichtigkeit der streitgegenständlichen Vereinbarung nicht auf das nach der gesetzgeberischen Wertung zulässige Maß zu beschränken, sodass dem Kläger nicht nur in Höhe der Hälfte des gezahlten Maklerlohns ein Rückzahlungsanspruch zustehe. Vielmehr sei die Vereinbarung vom 26.07.2021 insgesamt unwirksam und der gezahlte Maklerlohn daher in voller Höhe zu erstatten.
Auch diese Rechtsfolge lasse sich bereits dem Wortlaut des § 656d BGB entnehmen, dem zufolge eine Vereinbarung, die die andere Partei zur Zahlung oder Erstattung des Maklerlohns verpflichte, nur wirksam sei, „wenn“ (und nicht: „soweit“) die Partei, die den Maklervertrag abgeschlossen habe, zur Zahlung des Maklerlohns mindestens in gleicher Höhe verpflichtet bleibe. Ein solches Normverständnis werde außerdem maßgeblich durch die damit verbundene effektive Durchsetzung des mit der Neuregelung beabsichtigten Verbraucherschutzes gestützt.
Der BGH weist daher im Ergebnis die Revision der Beklagten zurück und stellt auf die Revision des Klägers das Urteil des LG wieder her. Der Versuch, die Maklerkosten auf den Kläger abzuwälzen scheiterte damit.
Vorbemerkung
Nach Autounfällen ist fast immer neben der Verschuldensfrage die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schadensersatzanspruch in Streit. Dabei geht es auch um die Art und Weise der Schadensberechnung. Grundnorm hierzu ist § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB):
„§ 249 Art und Umfang des Schadensersatzes
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.“
Nach § 249 Abs. 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger die sogenannte Naturalrestitution, die Herstellung eines gleichwertigen wirtschaftlichen Zustands, wie er ohne das schädigende Ereignis bestünde, verlangen. Diese Wiederherstellung spielt bei Personen- oder Sachschäden jedoch keine Rolle, da Abs. 2 Satz 1 der Norm eine Ersetzungsbefugnis in diesen Fällen bereitstellt, der Geschädigte ist dann nicht gehalten, den Schädiger den Schaden beseitigen zu lassen, sondern kann den zur Schadensbeseitigung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Diese Möglichkeit wird bei Verkehrsunfällen fast ausnahmslos genutzt.
Eine der in Betracht kommenden Varianten ist die fiktive Schadensberechnung. Dem Geschädigten eines Kraftfahrzeugsachschadens steht es nach dem Gesetz nämlich frei, bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abzurechnen. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufrieden gibt
Der Geschädigte kann gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nur den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in der Vorschrift verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht „verdienen“. Diese Grundsätze gelten sowohl für die konkrete als auch für die fiktive Schadensabrechnung.
Im Besprechungsfall möchte der geschädigte Kläger auf fiktiver Basis abrechnen, nachdem er seinen PKW im Urlaub in der Türkei hat reparieren lassen.
Der zu entscheidende Fall
Der in Deutschland wohnende Kläger nimmt die beklagte Haftpflichtversicherungsgesellschaft des Unfallgegners auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall im Sauerland in Anspruch. Bei dem Unfall wurde sein in Deutschland zugelassenes Fahrzeug beschädigt. Das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage er seinen Schaden gegenüber der Beklagten abrechnete, wies Reparaturkosten in Höhe von 3.087,80 EUR netto aus. Während eines Urlaubs in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig sach- und fachgerecht reparieren. Zu den Kosten dieser Reparatur macht er keine Angaben. Mit seiner Klage verlangt er Schadensersatz in Höhe von 4.178,05 EUR (3.087,80 EUR Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Unkostenpauschale) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen. In der Revisionsinstanz ging es nur noch um die Reparaturkosten.
Das Amtsgericht Meinerzhagen (AG) hat die Klage als unschlüssig abgewiesen; der Kläger könne nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen, zu denen er aber nicht vorgetragen habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht Hagen (LG) das Urteil des AG abgeändert und die Beklagte auf der Grundlage einer Haftungsquote von 40 % zu ihren Lasten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.583,48 EUR (davon 1.132,38 EUR Reparaturkosten) verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Bundesgerichtshof (BGH) keinen Erfolg.
Die Begründung des BGH
Der BGH führt aus, der Geschädigte habe regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lasse. Bei der fiktiven Schadensabrechnung genüge er dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze und Ersatzteilpreise einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde lege, die der Sachverständige auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt habe. Allerdings müsse sich der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung nach § 254 Abs. 2 BGB vom Schädiger auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlege und im Bestreitensfall beweise, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspreche und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlege, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.
Auf dieser Grundlage hatte der BGH früher bereits entschieden, dass nach Maßgabe einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen und ein Verweis des Schädigers darauf nicht einmal erforderlich sei, wenn der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten, aber preiswerteren Reparatur selbst darlege und sogar wahrgenommen habe.
Unter Verweis auf diese Rechtsprechung werden von den Instanzgerichten und in der juristischen Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einerseits wird angenommen, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs in dem Umfang erfolgt sei, den der Sachverständige für notwendig gehalten habe, sei der Schadensersatz auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt, weil sonst die Gefahr einer unzulässigen Bereicherung durch den Unfall bestehe. Der Geschädigte sei daher zur Darlegung der tatsächlichen Reparaturkosten verpflichtet.
Andererseits wird darauf hingewiesen, diese zuvor dargestellte Ansicht die Aufgabe der Rechtsprechung zur fiktiven Abrechnung zur Folge habe, was vom BGH nicht beabsichtigt worden sei.
Der BGH entscheidet jetzt, dass zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden die Tragweite der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten gegen die Verpflichtung zum Vortrag der tatsächlichen Reparaturkosten spräche. Bei der fiktiven Abrechnung habe der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen habe reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden sei. Ihm könne auch nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden, denn entscheidend sei der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag. Bei der Ermittlung dieses Betrags sei im Rahmen der fiktiven Abrechnung eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) grundsätzlich irrelevant.
Zwar habe der BGH in der erwähnten früheren Entscheidung ausgeführt: „Deshalb beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten, wenn der Geschädigte seinen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren lässt, den der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten unterschreiten.“ Diese Aussage beziehe sich jedoch auf einen vom Besprechungsfall abweichenden Sachverhalt. Im dortigen Fall war nämlich der Verweis des Schädigers auf eine gleichwertige, aber günstigere Reparaturmöglichkeit in einer dem Geschädigten mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Werkstatt nicht erforderlich, weil der Geschädigte hierzu selbst – auch zu den Kosten der in einer Fachwerkstatt an seinem Wohnort durchgeführten Reparatur – vorgetragen hatte. Damit habe der Geschädigte selbst eingeräumt, dass die Voraussetzungen der Schadensminderungspflicht erfüllt seien.
Der Besprechungsfall liege aber anders. Der Kläger habe die fiktive Abrechnung gewählt und nicht selbst zu einer gleichwertigen, aber günstigeren Reparaturmöglichkeit in einer ihm mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Werkstatt vorgetragen. Um eine solche Werkstatt, auf die die Beklagte den Kläger hätte verweisen können, habe es sich bei der Reparaturmöglichkeit in der Türkei von vornherein nicht gehandelt. In diesem Sinne hatte der BGH bereits in einem anderen früheren Urteil entschieden, dass der Geschädigte sich nicht auf eine 130 km von seinem Wohnort entfernte Werkstatt verweisen lassen müsse.
Etwaige finanzielle Vorteile, die der in Deutschland wohnende Kläger durch die Reparatur seines hier zugelassenen Fahrzeugs in der Türkei erzielt habe, seien im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung vorliegend nicht zu berücksichtigen.
Download: Vorsteuerabzug aus Insolvenzverwalterleistungen bei Unternehmensfortführung
Vorbemerkung
Nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer von seiner Umsatzsteuerzahllast unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen, wenn eine Reihe weiterer formaler Voraussetzungen, wie der Besitz einer Rechnung für den Eingangsumsatz, gegeben sind. Allerdings ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn der Unternehmer die Eingangsumsätze unter anderem für steuerfreie Umsätze verwendet. Bei gemischter Verwendung bestimmt § 15 Abs. 4 UStG:
„Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten … Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzuordnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Gesamtumsätzen ist nur zulässig, wenn keine andere, präzisere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist. …“
Mit anderen Worten ist danach der Steuerpflichtige nur und soweit er „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen.
An der Umsatzsteuerpflicht eines Unternehmers, sei er eine natürliche oder juristische Person, ändert sich grundsätzlich nichts dadurch, dass über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dasselbe gilt für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Im Ausgangspunkt gilt dies auch für die Verwaltungsleistung des Insolvenzverwalters. Hier begegnet die Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG jedoch gewissen Schwierigkeiten.
Zweifelsfrei erbringt er mit seiner Verwaltungsleistung eine im umsatzsteuerrechtlichen Sinn „sonstige Leistung“ an die Insolvenzmasse, deren Rechtsträger der Insolvenzschuldner auch im Verfahren bleibt. Ihm steht daher im Grundsatz auch der Vorsteuerabzug aus der ihm vom Insolvenzverwalter in Rechnung gestellten Vergütung zu.
In der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur war allerdings über lange Zeit für bestimmte Fälle die Ermittlung der (anteiligen) Vorsteuerabzugsberechtigung hier streitig. Dies betraf zum einen Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, bei denen die Insolvenzmasse sowohl privates wie unternehmerisches Vermögen erfasste, und zum anderen solche Unternehmer, bei denen der Insolvenzverwalter für die Masse sowohl steuerpflichtige wie steuerfreie Umsätze ausführte. Gegebenenfalls können diese Formen auch in Kombination auftreten.
2015 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) sodann (V R 44/14), dass die Aufteilung entsprechend § 15 Abs. 4 UStG für die Vorsteuer aus der Verwaltervergütung sich im ersten Fall nicht nach dem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistungen zu richten hat, sondern auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit des Schuldners zu entscheiden ist. Der direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht danach zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Der Vorsteuerabzug stehe der Masse daher im Verhältnis der privaten zu den unternehmerischen Insolvenzforderungen zu. Auf die vom Verwalter ausgeführten Umsätze kommt es damit nicht an. Diese dogmatisch zweifelhafte Rechtsprechung birgt für die Praxis der Insolvenzverwaltung den sehr großen Vorteil der einfachen Anwendung.
Abweichend von diesen Grundsätzen könnte es allerdings nach Auffassung des BFH sein, wenn der Insolvenzverwalter nicht das Vermögen des Schuldners zum Zweck der anteiligen Gläubigerbefriedigung verwerte, sondern in erster Linie die Fortführung des Unternehmens beabsichtige. Wie in diesem Fall zu entscheiden sei, blieb bislang offen. Hiermit befasst sich die vorliegende Entscheidung.
Wie die Rechtslage ist, wenn der Insolvenzschuldner seine unternehmerische Tätigkeit eingestellt hat, konkretisiert der BFH mit dem ebenfalls auf unserer Website besprochenen auch auf den 23.10.2024 datierenden Urteil im Verfahren XI R 8/22.
Der zu entscheidenden Fall
Der Kläger war zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter und später Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Y (Schuldner). Bei Verfahrensaufhebung ordnete das Insolvenzgericht hinsichtlich eventueller Steuererstattungen und Erstattung der Umsatzsteuer aus der Vergütung des Insolvenzverwalters Nachtragsverteilung nach § 203 der Insolvenzordnung (InsO) an.
Es waren Insolvenzforderungen in Höhe von insgesamt 333.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet worden.
Der Schuldner war als IT-Administrator selbständig tätig. Es bestanden Fortführungsaussichten, so dass der Kläger das Unternehmen im Wege der fachlichen Tätigkeit des Schuldners, der die von Kunden erteilten Aufträge für die Masse abwickelte, weiterführte. Der Kläger gab Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Im Zeitraum des Insolvenzverfahrens ergaben sich aus der fortgeführten Tätigkeit Umsätze in Höhe von insgesamt 250.000 € und aus der Verwertung des Privatvermögens insgesamt 178,50 €.
Der Kläger gab ferner eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Jahr der Zahlung seiner Vergütung ab, in welcher er ausschließlich Vorsteuerbeträge (unter anderem die Vorsteuer aus seinen Insolvenzverwaltervergütungen) anmeldete. Er nahm eine Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der in der Zeit der Insolvenzverwaltung erzielten betrieblich begründeten Einnahmen zu den Gesamteinnahmen vor. Die Vorsteuer sei danach zu 97,37 % abziehbar.
Das Finanzamt (FA) sah die Vorsteuer nur zu 17,06 % als abziehbar an, da die Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der zur Insolvenztabelle angemeldeten privaten und unternehmerischen Insolvenzforderungen vorzunehmen sei, und setzte die Steuer entsprechend fest.
Der Einspruch des Klägers war erfolglos, seiner Klage hat das Finanzgericht (FG) Köln stattgegeben. Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der Kläger sei als Insolvenzverwalter trotz der Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners prozessführungsbefugt, weil das Insolvenzgericht die Nachtragsverteilung auch hinsichtlich der hier streitigen Forderungen angeordnet habe.
In der Sache richte sich die Vorsteueraufteilung bei Unternehmensfortführung ohne (wesentliche) Verwertungshandlungen nach der Gesamttätigkeit in der Zeit der Insolvenzverwaltung nach Maßgabe der Anteile steuerpflichtiger, steuerfreier bzw. nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten.
Verwende ein Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschlössen, sei gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen sei. Der Unternehmer könne die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer von ihm zu wählenden sachgerechten Schätzung ermitteln. Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG sei eine Ermittlung nach dem Verhältnis der Umsätze nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich sei.
Habe der Schuldner seine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit bereits vor der Insolvenzeröffnung eingestellt, sei es sachgerecht, über den Vorsteuerabzug aus der Leistung des Insolvenzverwalters auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit zu entscheiden. Der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang bestehe dann [wie oben dargestellt] zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Insolvenzforderungen, die auf die frühere Umsatztätigkeit zurückzuführen seien, so dass es auf die einzelnen Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters nicht ankomme. Auch für Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen (privaten) Tätigkeit des Unternehmers dienten, sei § 15 Abs. 4 UStG analog anzuwenden. Es komme hier auf das Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten angemeldeten Insolvenzforderungen an.
Wie bei Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter zu entscheiden sei, habe der BFH bisherig offengelassen. Er urteilt nunmehr, dass der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger jedenfalls dann ausnahmsweise nicht bestehe, wenn der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen fortführe und dabei das Vermögen des Insolvenzschuldners nicht verwerte.
Hier bestehe der direkte und unmittelbare Zusammenhang nur zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und der von ihm fortgeführten wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners. Die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters werde dann ausschließlich für das Unternehmen, das sich in Insolvenz befinde, bezogen und damit für dessen gegenwärtige und künftig beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen verwendet.
In einem solchen Fall komme es gemäß § 15 Abs. 4 UStG zu einer Vorsteueraufteilung nach Maßgabe der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit, zu der der erforderliche Leistungszusammenhang mit der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters bestehe. Die Verwaltervergütung gehöre dann zu den Gemeinkosten, so dass für die Aufteilung der Vorsteuer die allgemeinen Grundsätze zu gelten hätten und es auf das Verhältnis der gesamten Umsätze (steuerpflichtige und steuerfreie) im Besteuerungszeitraum ankomme. Das setze voraus, dass die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners diene, sondern vorrangig darauf abziele, das Unternehmen des Insolvenzschuldners zu erhalten, insbesondere wenn in einem Insolvenzplan Regelungen zum Erhalt des Unternehmens getroffen würden.
Der Kläger habe das Unternehmen des Schuldners, der als IT-Administrator selbständig tätig war und seine Tätigkeit für die Masse weiterführte, nicht zerschlagen, sondern fortgeführt, „so gut wie keine“ Verwertungshandlungen vorgenommen und Aufträge in erheblichem Umfang abgewickelt sowie Gewinne erwirtschaftetet. Der Erlös aus den ganz geringfügigen Verwertungshandlungen habe dagegen weniger als 0,07 % der Gesamteinnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens betragen hat.
Zwar sei vorliegend kein Insolvenzplan Grundlage des Erhalts des Unternehmens des Insolvenzschuldners gewesen, aber auch ohne einen Insolvenzplan sei das Unternehmen des Schuldners mit wirtschaftlichem Erfolg fortgeführt worden. Dies lasse im Zusammenhang mit den geringen Verwertungsmaßnahmen darauf schließen, dass das Insolvenzverfahren auf den Erhalt des schuldnerischen Unternehmens ausgerichtet gewesen sei. Dafür spreche auch die tatsächliche Fortführung selbst.
Der Kläger habe zudem insbesondere die weitergeführte Tätigkeit des Schuldners unter betriebswirtschaftlicher Abwägung der Chancen und Risiken der Aufträge und der Kosten überwacht und die Sanierung des Unternehmens des Insolvenzschuldners im Auge gehabt. Ziel sei es gewesen, eine Restschuldbefreiung zu erlangen. Die Tätigkeit des Klägers habe nach den besonderen Umständen als eine solche angesehen werden können, die wie bei einem externen Berater oder einem selbständigen Geschäftsführer zu Gemeinkosten des Unternehmens führe. Die geringfügigen Verwertungshandlungen könnten dann ausnahmsweise unbeachtlich sein.
Objektive Anhaltspunkte für eine steuerfreie oder nichtwirtschaftliche Tätigkeit des Klägers seien nicht zu erkennen. Bei der Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners seien ausschließlich steuerpflichtige Umsätze ausgeführt.
Der BFH lässt allerdings ausdrücklich offen, wie in einem Fall zu entscheiden wäre, in dem der Insolvenzverwalter sowohl Verwertungen vornehme als auch das Unternehmen fortführe. Es bedürfe vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob in solchen Mischfällen ein anderer Aufteilungsmaßstab, der sowohl die im Insolvenzverfahren geltend gemachten unternehmerischen und privaten Verbindlichkeiten als auch die Erträge aus der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit berücksichtige, ein im Sinne des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechter Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer aus der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters wäre. Ob das FG mit seiner Erwägung, dass sich der als Vorsteuer abziehbare Teil aus dem Verhältnis der Summe der unternehmerischen Verbindlichkeiten und der Erlöse aus der Betriebsfortführung zu der Summe aus den gesamten Verbindlichkeiten und der gesamten Erlöse ergebe, bedürfe hier keiner Entscheidung.
Download: Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer einer GmbH
Vorbemerkung
Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 37 Abs. 1 des GmbH-Gesetzes (GmbHG) zwar einerseits der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang seiner Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Andererseits haben solche Beschränkungen gegen dritte Personen, mithin im Außenverhältnis, gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG keine rechtliche Wirkung.
Diese sehr apodiktisch formulierten Regeln erfahren allerdings durch andere gesetzliche Vorschriften Ausnahmen, um einem Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer entgegenzuwirken.
So verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein Rechtsgeschäft, welches ein Vertreter im bewussten Zusammenwirken mit dem anderen Vertragsteil zum Nachteil des Vertretenen, hier der GmbH, (kollusiv) abschließt, gegen die guten Sitten und ist nach § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nichtig. [§ 138 Abs. 1 BGB lautet: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“]
Auch wenn ein Fall der Kollusion nicht vorliegt oder zumindest nicht festgestellt werden kann, muss der Vertretene ein von seinem Vertreter abgeschlossenes Rechtsgeschäft dann nicht gegen sich gelten lassen, wenn der andere Vertragspartner den Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt hat oder er diesen zwar nicht erkannt hat, aber nach den Umständen hätte erkennen müssen. In einem solchen Fall ist der andere Vertragsteil wegen einer nach Treu und Glauben gemäß § § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung gehindert, sich auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, des Vertrags, zu berufen. [§ 242 BGB lautet: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“]
Allerdings braucht sich derjenige, der einen Vertrag mit einer GmbH abschließen will, im Hinblick auf die im Außenverhältnis unbeschränkbare Vertretungsmacht des Geschäftsführers gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich nicht darum zu kümmern, ob der Geschäftsführer die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Schranken seiner Befugnis einhält. Nachforschungen hierüber sollen dem redlichen Geschäftsverkehr erspart bleiben. Das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vertretungsmacht hat grundsätzlich der Vertretene, hier also die GmbH, zu tragen. Diese im Interesse des Verkehrsschutzes angeordnete rechtliche Unbeachtlichkeit von Beschränkungen der Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vertragspartner gilt jedoch, wie oben schon ausgeführt, nicht ausnahmslos. Das Vertrauen des Geschäftspartners auf den Bestand des Geschäfts ist nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. In einem solchen Fall kann er aus dem formal durch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten.
Das Besprechungsurteil behandelt einen Fall, in dem eine GmbH meinte, ihr früherer Geschäftsführer habe seine Vertretungsmacht missbraucht. Der BGH stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Zum kollusiven Zusammenwirken im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB zwischen dem Vertreter des Vermieters (hier: dem Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und dem Mieter bei Abschluss eines Wohnraummietvertrags zum Nachteil des Vermieters sowie zur unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) durch den Mieter bei von ihm erkanntem oder sich ihm aufdrängenden Missbrauch der Vertretungsmacht.“
Der zu entscheidende Fall
Die Beklagte zu 1 und ihr Lebensgefährte, der Beklagte zu 2, bewohnen seit Dezember 2017 eine im Eigentum der klagenden GmbH stehende Fünfzimmerwohnung in Berlin mit einer Wohnfläche von rund 177 m². Nach dem schriftlichen Mietvertrag, der von der Beklagten zu 1 als (alleiniger) Mieterin und für die Klägerin als Vermieterin von ihrem damaligen (alleinvertretungsberechtigten) Geschäftsführer unterzeichnet wurde, sollte das Mietverhältnis zum 21.12.2017 beginnen und die Nettokaltmiete monatlich 600 € betragen, die Bruttomiete 1.010 €. Die Mietzahlungspflicht sollte erst zum 01.09.2018 beginnen und die Beklagte zu 1 bis dahin – „als Gegenleistung“ für die im Vertrag enthaltene Verpflichtung, die Wohnung fachgerecht renovieren zu lassen – eine Bruttomietbefreiung erhalten.
Dem damaligen Geschäftsführer war bei Mietvertragsschluss bekannt, dass von den Gesellschaftern der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt die Vermietung gerade nicht beabsichtigt war, weil die Wohnungen im Gebäude verkauft werden sollten und die Vermietung deshalb nicht im Interesse der Gesellschaft lag.
Durch ihren neuen Geschäftsführer verlangte die Klägerin am 18.02.2021 von der Beklagten zu 1 die Räumung und Herausgabe der Wohnung mit der Begründung, der Mietvertrag sei durch kollusives Verhalten zustande gekommen und zudem wegen der niedrigen Miete sittenwidrig. Die Beklagte zu 1 ließ dieses Begehren mit anwaltlichem Schreiben zurückweisen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von beiden Beklagten die Räumung und Herausgabe der Wohnung und von der Beklagten zu 1 zudem die Zahlung einer Nutzungsentschädigung für das Jahr 2018. Die Beklagten verlangen im Wege der Widerklage von der Klägerin Ersatz der vorgerichtlich für die Zurückweisung des Räumungsverlangens vom Februar 2021 entstandenen Kosten der Rechtsverteidigung.
Das Amtsgericht Berlin (AG) hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht Berlin (LG) das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage – bis auf einen Teil des Zahlungsbegehrens – stattgegeben sowie die Widerklage abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht für die Beklagten zugelassenen Revision erstreben diese die Wiederherstellung des Urteils des AG. Der BGH hebt die Sache auf und verweist sie an das LG als Berufungsgericht zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH führt aus, dass die Annahme des LG, der zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 geschlossene Mietvertrag sei wegen kollusiven Zusammenwirkens des damaligen Geschäftsführers der Klägerin und des Beklagten zu 2 sittenwidrig und deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam, sei rechtsfehlerhaft. Das LG habe seiner Prüfung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es – obwohl dies für die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens nicht genüge – eine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis von dem Missbrauch der Vertretungsmacht habe ausreichen lassen, was aber nur [wie oben dargestellt] bei einem Verstoß gegen § 242 BGB ausreiche und es an tragfähigen Feststellungen fehle, um die vom LG bejahte Kenntnis beziehungsweise grobfahrlässige Unkenntnis des Beklagten zu 2 der Beklagten zu 1 als (alleiniger) Vertragspartnerin der Klägerin zurechnen zu können. Damit entfalle zugleich die Grundlage für den gegen die Beklagte zu 1 geltend gemachten Anspruch auf Nutzungswertersatz sowie für die Beurteilung des von den Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Zurückweisung des Räumungs- und Herausgabebegehrens der Klägerin.
Gemessen an den [oben in der Vorbemerkung dargestellten] höchstrichterlichen Maßstäben erweise sich die Beurteilung des Berufungsgerichts weder im Hinblick auf die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen der Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB noch im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB als frei von Rechtsfehlern.
Der Mietvertrag sei nicht nach § § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Das LG habe keine Feststellungen getroffen, die den Schluss erlaubten, die Beklagte zu 1 als alleinige Vertragspartnerin der Klägerin habe mit der Eingehung des Mietverhältnisses zu den im schriftlichen Mietvertrag enthaltenen Bedingungen im bewussten Zusammenwirken mit dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin zu deren Nachteil (kollusiv) handeln wollen. Das LG habe nichts zum Kenntnisstand der Beklagten zu 1 hinsichtlich der den Abschluss des schriftlichen Mietvertrags begleitenden Umstände oder zu einer Billigung etwaiger Absprachen zwischen dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin und dem Beklagten zu 2 oder zu einer Einbindung der Beklagten zu 1 in solche Absprachen festgestellt. Der Beklagte zu 2 sei gerade nicht Partei des Mietvertrags und habe auch keine mietvertraglichen Erklärungen für die Beklagte zu 1 abgegeben.
Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eine (bloße) Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis des Beklagten zu 2 von einem Missbrauch der Vertretungsmacht des damaligen Geschäftsführers der Klägerin habe genügen lassen, deute dies darauf hin, dass es die Fälle der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens einerseits und der nach § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung wegen eines vom Vertragspartner erkannten oder sich diesem aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht andererseits nicht hinreichend unterschieden und infolgedessen zu geringe Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen eines kollusiven Zusammenwirkens gestellt habe.
Die Feststellungen des Berufungsgerichts erlaubten aber auch nicht die Annahme, die Beklagte zu 1 sei im Streitfall jedenfalls wegen eines von ihr erkannten oder sich ihr aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht durch den damaligen Geschäftsführer gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf die Wirksamkeit des in Rede stehenden Mietvertrags mit der Klägerin zu berufen.
Zwar habe der damalige Geschäftsführer wegen der nicht gewünschten Vermietung seine Vertretungsmacht missbraucht, ohne dass es hierbei auf die Ausgestaltung der Mietzahlungspflicht – insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Nettokaltmiete – im Einzelnen ankäme. Es komme in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die Gesellschafter diesbezüglich bereits eine abschließende Willensbildung in Gestalt eines Gesellschafterbeschlusses erzielt und hierdurch mit Wirkung für das Innenverhältnis die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers nach § 37 GmbHG beschränkt hätten. Der Geschäftsführer dürfe seine Vertretungsmacht nämlich auch nicht gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter gebrauchen.
Indessen wirke sich die Missachtung der internen Beschränkungen im Außenverhältnis zur Beklagten zu 1 nicht aus. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts erlaubten auch nicht den Schluss, dass die Beklagte zu 1 einen Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt gehabt hätte oder hätte erkennen müssen.
Das LG habe lediglich eine Kenntnis des nicht als Partei am Mietvertrag beteiligten Beklagten zu 2 von einer pflichtwidrigen Ausübung der Vertretungsmacht aus bestimmten, dem Beklagten zu 2 bekannten Umständen – der fehlenden Vermietungsabsicht der Gesellschafter der Klägerin, den günstigen Bedingungen des Mietvertrags sowie einem Konflikt der Gesellschafter – hergeleitet. Diese Kenntnis habe es der Beklagten zu 1 nach § 166 BGB zugerechnet. Indessen fehle es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für eine solche Wissenszurechnung.
Der Beklagte zu 2 sei beim Abschluss des Mietvertrags schon nicht als Stellvertreter der Beklagten zu 1 im Sinne der §§ 164 ff. BGB aufgetreten, so dass die Vorschrift des § 166 BGB unmittelbar keine Anwendung finde.
Der Beklagten zu 1 sei eine (etwaige) Kenntnis des Beklagten zu 2 auch nicht aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 166 BGB zuzurechnen. Zwar müsse sich eine Person das Wissen eines Dritten entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben als eigenes Wissen zurechnen lassen, wenn sie den Dritten mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut habe. Eine Wissenszurechnung auf dieser Grundlage scheide im Streitfall jedoch aus, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beklagte zu 1 den Beklagten zu 2 mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in Bezug auf die Anmietung der Wohnung in eigener Verantwortung betraut gehabt hätte.
Sollte der Beklagte zu 2 hingegen ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag der Beklagten zu 1 gehandelt haben, bedürfte es für eine Wissenszurechnung des Bestehens konkreter Anhaltspunkte dafür, dass sein Tätigwerden der Beklagten zu 1 bekannt war und von ihr wenigstens gebilligt wurde. Solches habe das LG nicht festgestellt.
Die persönliche Nähe der beiden Beklagten reiche dafür nicht aus. Dies hätte selbst für Ehegatten zu gelten. Die erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter dürfe nicht schlicht vermutet, sondern müsse vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden.
Auf den Erkenntnisstand des Beklagten zu 2 komme es insoweit nicht an, da dieser nicht die Stellung eines Wissensvertreters im Sinne des § 166 BGB gehabt habe.
Da grundsätzlich der Vertretene das Risiko eines Vollmachtmissbrauchs zu tragen habe, setze der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem Geschäftsgegner eine auf massiven Verdachtsmomenten beruhende objektive Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht voraus. Diese objektive Evidenz sei insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdränge.
Eine dahingehende Prüfung habe das LG jedoch nicht vorgenommen. Zwar könne das Revisionsgericht die Beurteilung des Vorliegens einer objektiven Evidenz des Missbrauchs selbst vornehmen, wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts ein abgeschlossenes Tatsachenbild ergäben, daran fehlt es hier jedoch.
Allein aufgrund der Höhe der im Mietvertrag vereinbarten Nettokaltmiete und der Gesamtbruttomiete und der für die ersten Monate vereinbarten vollständigen Befreiung von jeglicher Mietzahlung, für die der Mietvertrag ausdrücklich eine – als Gegenleistung bezeichnete – Verpflichtung der Beklagten zu 1 zur fachgerechten Renovierung der gesamten Wohnung enthalte, habe sich der Beklagten zu 1 auch angesichts der Größe der Wohnung jedenfalls nicht ohne Weiteres aufdrängen müssen, dass die Überlassung der Wohnung in Verbindung mit der Gestaltung der beiderseitigen Vertragspflichten im Mietvertrag den Interessen der Klägerin zuwiderlaufen und der damalige Geschäftsführer der Klägerin insoweit treuwidrig gehandelt haben könnte.
Vorbemerkung
Unter in den §§ 233 ff. der Abgabenordnung (AO) näher bestimmten Voraussetzungen sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (das sind unter anderem gemäß § 233a AO Steuerforderungen und Steuererstattungsansprüche) vom jeweiligen Schuldner – Finanzamt oder Steuerpflichtiger – zu verzinsen. Nach § 238 AO a. F. war der Zinssatz fix auf 0,5 % pro vollen Monat bestimmt. Seit 2022 gilt rückwirkend zum 01.01.2019 ein niedriger Zinssatz von 0,15 % pro Monat, dessen Angemessenheit zudem alle zwei Jahre zu evaluieren ist.
Die frühere unflexible Regelung hält das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Niedrigzinsphasen für verfassungswidrig. Es hatte 2021 entschieden, dass sie gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt.
In der Folge dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entschieden einige Senate des Bundesfinanzhofs (BFH), dass auch die Säumniszuschläge nach § 240 AO in gleicher Weise verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Andere Senate vertraten die gegenteilige Auffassung. Säumniszuschläge entstehen, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird, und zwar in Höhe von 1 % für jeden angefangenen Monat. Dabei wird ihnen in Höhe der Hälfte des Zuschlags eine sogenannte Druckfunktion zugewiesen, mit der der säumige Steuerschuldner zur Entrichtung der Steuer angehalten werden soll. Der zweiten Hälfte wird eine Zinsfunktion zugesprochen. Eine der oben erwähnten Neuregelung des § 238 AO entsprechende Regelung findet sich in § 240 AO nicht.
Die Besprechungsentscheidung befasst sich zum einen mit den Auswirkungen der Zinssteigerungen ab 2022, die in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine eintraten und bis heute nicht erheblich reduziert sind. Zum anderen war zu klären, welcher Einfluss einer vom Finanzamt (FA) angeordneten Sicherheitsleistung zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Steuerbescheids auf die Säumnis des Steuerschuldners beizumessen ist.
Der zu entscheidende Fall
Das FA erließ gegen die Antragstellerin am19.08.2020 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2017, aus dem sich aufgrund des erhöhten Ansatzes des Gewinnanteils an einer gewerblichen Personengesellschaft eine Nachzahlung in Höhe von rund 190.000 € ergab. Da die Personengesellschaft ein Rechtsbehelfsverfahren gegen den zugrunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheid führte, gewährte das FA der Antragstellerin unter Widerrufsvorbehalt am 01.09.2020 zunächst ohne Sicherheitsleistung AdV für die Steuernachzahlung.
Am 15.02.2022 erließ es einen geänderten AdV-Bescheid. Darin hieß es unter anderem: Die AdV werde von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 108.000 € abhängig gemacht und sei nur dann weiter wirksam, wenn die Sicherheit erbracht sei. Um Gelegenheit zu geben, geeignete Sicherheiten zu stellen, werde bis zum 18.03.2022 von Vollstreckungsmaßnahmen absehen. Die Vollziehung werde weiterhin ab Fälligkeit der Nachzahlung ausgesetzt, sofern die Sicherheitsleistung erbracht werde.
Am 09.03.2022 legte die Antragstellerin Einspruch gegen den geänderten AdV-Bescheid ein. Zur Begründung führte sie aus, sie könne die geforderten Sicherheiten mangels Liquidität nicht aufbringen, bot aber die Eintragung einer nachrangigen Grundschuld auf dem Grundstück A an. Das FA lehnte unter dem 22.04.2022 die Annahme der Grundschuld als Sicherheit ab, weil sie entgegen § 241 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AO nicht erstrangig sein könne. Zudem sei weder der Wert des Grundstücks noch die Höhe der Vorbelastungen belegt worden. Es bat die Antragstellerin um Vorlage einer Vermögensauskunft, die die Antragstellerin am 23.05.2022 vorlegte. Daraus ergab sich, dass sie Eigentümerin des Grundstücks B (nach Wertgutachten Verkehrswert in Höhe von 1,2 Mio. €) war.
Auch dieses Grundstück war bereits mit zwei Grundschulden (nominal 700.000 € und 150.000 €) belastet. Am 30.06.2022 trug die Antragstellerin dem FA telefonisch vor, die erste Grundschuld valutiere nur noch mit 340.000 €. Das FA ließ sodann das Wertgutachten durch seinen Bausachverständigen überprüfen.
Am 08.08.2022 wies das FA den Einspruch gegen den AdV-Widerrufsbescheid zurück und setzte eine Nachfrist für die Zahlung der sich hieraus ergebenden Gesamtbeträge bis zum 18.08.2022. Am 15.08.2022 bot die Antragstellerin dem FA konkret die Eintragung einer Grundschuld auf dem Grundstück B an, was das FA am 19.08.2022 ablehnte. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.08.2022. In der Folgezeit kam es zu mehreren Telefongesprächen zwischen der Antragstellerin und dem FA. Am 27 06.10.2022 übermittelte die Antragstellerin dem FA den Entwurf zur Grundschuldbestellung. Am 10.10.2022 akzeptierte das FA telefonisch den Entwurf.
Am 20.12.2022 wurde die Grundschuld zugunsten des FA im Grundbuch eingetragen. Daraufhin gewährte das FA mit Bescheid vom 09.01.2023 erneut AdV mit Wirkung ab dem 20.12.2022.
Das FA vertrat die Auffassung, für die Zeit vom 19.03.2022 bis zum 19.12.2022 seien Säumniszuschläge in Höhe von rund 17.000 € entstanden und erließ einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Antragstellerin blieb ohne Erfolg.
Nachdem das FA einen AdV-Antrag hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die Gewährung von AdV. Das FG setzte die Vollziehung des Abrechnungsbescheids in voller Höhe aus. Der Beschwerde des FA half das FG nicht ab, sodass der BFH hierüber zu entscheiden hatte. Er wies sie als unbegründet zurück.
Die Begründung des BFH
Nach § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen bejaht der BFH vorliegend, allerdings nicht wegen einer Verfassungswidrigkeit des § 240 AO.
Zum ersten der beiden oben angesprochenen Themenkreise stellt der BFH seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voraus:
„Aufgrund des deutlichen und nachhaltigen Anstiegs der Marktzinsen, der seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zu verzeichnen ist, bestehen jedenfalls seit März 2022 keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge.“
Anders als noch das FG meint der BFH, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für die hier in Rede stehende Zeit ab März 2022.
Das Zinsniveau sei ab Februar 2022 markant und nachhaltig gestiegen. Im Vergleich mit den Marktzinsen könne ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. GG durch Vornahme einer nicht realitätsgerechten Typisierung nicht (mehr) festgestellt werden.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 FGO lägen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage träten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirkten. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts könnten auch auf verfassungsrechtlichen Zweifeln hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm beruhen.
Selbst wenn man darauf abstellen wollte, dass die Grundsätze des zur Höhe der Nachzahlungszinsen ergangenen Beschlusses des BVerfG auf Säumniszuschläge für übertragbar seien, wäre dies durch die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung auf den Geld- und Kapitalmärkten überholt. Denn mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 und den dadurch auch in der Bundesrepublik Deutschland ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen habe sich die Lage auf den Geld- und Kapitalmärkten grundlegend verändert. Der Kriegsbeginn habe eine klare und sogleich für jeden erkennbare Ursache dafür gesetzt, dass die Zinssätze in der Folgezeit deutlich und sehr schnell gestiegen seien. Dies habe bis heute Bestand. Die ausgeprägte Niedrigzinsphase hätte damit ein Ende gefunden. Dies alles ergäbe sich nach den unter www.bundesbank.de/de/statistiken veröffentlichten Daten der Deutschen Bundesbank.
Die Bemessung des hälftigen Zinsanteils der Säumniszuschläge könne daher jedenfalls für den Zeitraum ab März 2022 nicht mehr als realitätsfremd angesehen werden.
Gleichwohl stelle sich die vom FG ausgesprochene AdV-Gewährung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA bestünden, die Vollziehung abweichend von dem Wortlaut des geänderten AdV-Bescheids vom 15.02.2022 trotz Erbringung der Sicherheitsleistung nicht weiterhin ab Fälligkeit auszusetzen.
Die Fälligkeit der sich aus dem Bescheid vom 19.08.2020 ergebenden Nachzahlungen sei durch die AdV-Verfügung vom 01.09.2020 zunächst aufgeschoben worden. Mit dem geänderten AdV-Bescheid vom 15.02.2022 sei die Fortdauer der AdV zwar unter die aufschiebende Bedingung der Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 108.000 € gestellt worden, es heiße dort aber: „Die Vollziehung wird weiterhin ab Fälligkeit ausgesetzt (sofern die Sicherheitsleistung erbracht wird).“ Diese Formulierung sei für sich genommen eindeutig: Sofern die geforderte Sicherheitsleistung erbracht werde – was hier mit Eintragung der Grundschuld im Grundbuch geschehen sei –, werde die Vollziehung weiterhin ab Fälligkeit ausgesetzt. Säumniszuschläge seien dann bei rückblickender Betrachtung nicht entstanden.
Nach der Rechtsprechung gelte im Regelfall, dass die Sicherheitsleistung zuvor entstandene Säumniszuschläge in Wegfall geraten lasse. - Dem stehe die Formulierung in § 361 Abs. 2 Satz 5 AO nicht entgegen, wonach die AdV von einer Sicherheitsleistung „abhängig gemacht werden“ könne, eine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO darstelle, die Wirkungen der AdV damit nur und erst dann einträten, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheit leiste und die getroffene Verfügung ins Leere gehe, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheitsleistung nicht innerhalb der von der Finanzbehörde gesetzten Frist erbringe. Denn eine aufschiebende Bedingung habe zwar im Regelfall zur Folge, dass die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung (erst) mit dem Eintritt der Bedingung beginne (§ 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –). § 159 BGB sehe aber ausdrücklich vor, dass die Beteiligten, wenn nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts die an den Eintritt der Bedingung geknüpften Folgen auf einen früheren Zeitpunkt zurückbezogen werden sollten, im Fall des Eintritts der Bedingung verpflichtet seien, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Folgen in dem früheren Zeitpunkt eingetreten wären. So liege es hier, da das FA in dem geänderten AdV-Bescheid ausgesprochen habe, im Fall der Erbringung der Sicherheitsleistung werde die Vollziehung „weiterhin“ ab Fälligkeit ausgesetzt. Damit habe das FA ausgesprochen, dass die Folgen der Erbringung der Sicherheitsleistung auf einen früheren Zeitpunkt zurückbezogen werden sollten.
Zwar habe das FA die Möglichkeit, im Einzelfall einen anderen Wirksamkeitszeitpunkt der AdV zu verfügen (Ende der zuvor gewährten AdV einen Monat nach Bekanntgabe des geänderten AdV-Bescheids; Wirksamwerden einer erneuten AdV erst mit Erbringung der Sicherheitsleistung), bei Anwendung des im summarischen Verfahren gebotenen Maßstabs bestünden aber jedenfalls ernstliche Zweifel daran, ob dies vorliegend mit der erforderlichen Eindeutigkeit geschehen sei.
Download: Handeln des Geschäftsführers für die GmbH
Vorbemerkung
Kommt jemandem eine Doppelstellung zu, kann im Einzelfall fraglich sein, für wen seine Erklärungen abgegeben sein sollen. Im Fall des Geschäftsführers einer GmbH können Zweifel bestehen, ob er für sich persönlich oder für die GmbH handelt. Unklar kann aber auch etwa sein, ob er etwa nur eine Willenserklärung der Gesellschafterversammlung „seiner“ GmbH als Bote überbringen oder selbst für die Gesellschaft handeln will.
Es hat dann eine Auslegung der Erklärung des Geschäftsführers zu erfolgen, die sich an §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu orientieren hat.
§ 133 BGB:
„Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“
§ 157 BGB:
„Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“
Im Besprechungsfall ging es um die Frage, ob die Erklärung, mit der einer von zwei Geschäftsführern dem anderen gegenüber eine fristlose Kündigung ausgesprochen hat, wirksam für die GmbH abgegeben worden war. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voran:
„Gibt ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten soll, geht der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden soll.“
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger und seine Brüder T. und J. F. waren zu gleichen Anteilen Gesellschafter der Gebrüder F. GmbH, über deren Vermögen im laufenden Rechtsstreit das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Der Kläger war neben T. F. zur Einzelvertretung berechtigter Geschäftsführer der Schuldnerin mit einem Gehalt von 6.525 € monatlich.
Nach § 9 Nr. 3 der Satzung der F. GmbH wird die Gesellschaft bei Abschluss, Änderung oder Beendigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags „durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten“.
Die Gesellschafterversammlung berief den Kläger durch Beschluss vom 24.06.2019 als Geschäftsführer ab. In der Gesellschafterversammlung vom 31.07.2019 wurde beschlossen, den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Kläger außerordentlich fristlos zu kündigen. An beiden Gesellschafterversammlungen nahm der Kläger nicht teil. Unter dem 13.08.2019 sprach T. F. die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags gegenüber dem Kläger aus.
In der Gesellschafterversammlung vom 23.12.2019 wurde erneut beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen und den Geschäftsführeranstellungsvertrag zu kündigen. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte T. F., der von der Gesellschafterversammlung mit dem Ausspruch der Kündigung gegenüber dem Kläger beauftragt worden war, die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags auf dem Briefpapier der F. GmbH, das ihn durch einen Aufdruck als Geschäftsführer auswies. Im individuellen Text wurde nicht noch einmal auf seine Geschäftsführerstellung hingewiesen.
Der Kläger klagte späterhin auf Zahlung seines Gehalts für den Zeitraum Dezember 2019 bis Dezember 2020. Das Landgericht verurteilte die F. GmbH antragsgemäß zur Zahlung von 84.825 €.
Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlte die F. GmbH im Anschluss den ausgeurteilten Betrag an den Kläger. Sie hat das landgerichtliche Urteil akzeptiert, soweit es von der Unwirksamkeit der ersten Kündigung ausgegangen ist, im Übrigen aber Berufung eingelegt und insoweit Klageabweisung beantragt. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Beklagte hat nach Wiederaufnahme des Verfahrens hilfsweise beantragt, den Kläger zu verurteilen, an ihn 26.595,05 € und 58.725 € (zurück) zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es meinte, T. F. habe lediglich als Bote der Gesellschafterversammlung deren Auftrag ausgeführt, nicht aber für die F. GmbH eine Erklärung als Geschäftsführer abgegeben. Mit der Frage der Wirksamkeit der Kündigung brauchte es sich daher nicht auseinander zu setzen.
Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seine Anträge weiter. Der BGH hebt das Urteil auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH begründet kurz, dass dem Beklagten als Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits möglich gewesen sei, und kommt sodann zur Begründetheit der Berufung und damit auch der Revision.
Er meint, entgegen der Auslegung des Berufungsgerichts, sei bei der unter dem 23.12.2019 erklärten außerordentlichen Kündigung die F. GmbH, wie § 9 Nr. 3 ihrer Satzung es verlange, durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten worden.
Zwar sei die Auslegung einer Individualerklärung, wie hier der Kündigungserklärung, grundsätzlich Sache des Tatrichters (also des Land- und Oberlandesgerichts) und könne revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt habe oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden sei. Leide die tatrichterliche Auslegung aber an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, binde sie das Revisionsgericht (hier: den BGH) nicht.
Danach halte die Auslegung des Kündigungsschreibens durch das Berufungsgericht der Überprüfung nicht stand. Seiner Auslegung, dem Schreiben lasse sich nicht entnehmen, dass T. F. die Kündigungserklärung zugleich als Geschäftsführer der F. GmbH, mithin in fremdem Namen für diese, ausgesprochen habe, verstoße gegen anerkannte Auslegungsregeln.
Der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille bilde den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung. Dabei entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bilde. Es sei insbesondere auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen. Dies gelte auch bei der Auslegung einseitiger Rechtsgeschäfte wie der Erklärung einer Kündigung.
Diesen Auslegungsgrundsätzen würden die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht gerecht. Die Kündigungserklärung sei nicht nur für die F. GmbH vertreten durch die Gesellschafter abgegeben worden, sondern zugleich durch T. F. als Geschäftsführer der F. GmbH. Das Revisionsgericht könne die Auslegung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter eine Erklärung nicht oder unter Verletzung anerkannter Auslegungsgrundsätze ausgelegt habe und weitere, für die Auslegung maßgebliche tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten seien, und zwar auch dann, wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestünden. So sei es hier.
Das von T. F. verfasste Kündigungsschreiben vom 23.12.2019 enthalte vorliegend ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigungserklärung auch durch die Geschäftsführung in Vertretung der F. GmbH, nicht nur durch die Gesellschafter, erklärt worden sei. Gebe ein Geschäftsführer einer GmbH auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten solle, gehe der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden solle. Ein ausdrücklicher Zusatz wie „in Vertretung“ oder als „Geschäftsführer“ sei nicht erforderlich, wenn sich seine Stellung für den Erklärungsempfänger, wie hier für den Kläger, erkennbar, durch die gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 des GmbH-Gesetzes (GmbHG) vorgeschriebene Namhaftmachung auf dem Geschäftsbrief ergebe. Dass hier ausnahmsweise etwas Anderes habe erklärt werden sollen, lasse sich der Kündigung nicht entnehmen.
Ergänzend weist der BGH darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung der Erklärung der weitere Inhalt des Schreibens nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. In diesem werde dem Kläger ein Hausverbot erteilt, wobei der Ausspruch des Hausverbots grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung falle und im vorliegenden Fall auch nicht vom Auftrag der Gesellschafterversammlung umfasst gewesen sei. Der Ausspruch des Hausverbots und der Kündigungserklärung in einem Schreiben spräche ebenfalls dafür, dass auch die Kündigung durch den Geschäftsführer im Namen der F. GmbH erklärt worden sein sollte.
In der neuerlichen Berufungsinstanz wird das Oberlandesgericht die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Kündigung vom 23.12.2019 zu klären haben.
Download: Kein Werbungskostenabzug bei einem Umzug wegen Einrichtung eines häuslichen Arbeitszimmers
Vorbemerkung
Ob die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer und gegebenenfalls in welcher Höhe als Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, ist vielfach zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt umstritten. Die Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) hat hier für Entspannung gesorgt, sie gilt für Veranlagungszeiträume ab 2023.
Die Vorschrift lautet:
„Die folgenden Betriebsausgaben dürfen den Gewinn nicht mindern:
...
6b. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung. 2Dies gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 3Anstelle der Aufwendungen kann pauschal ein Betrag von 1 260 Euro (Jahrespauschale) für das Wirtschafts- oder Kalenderjahr abgezogen werden. 4Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 2 nicht vorliegen, ermäßigt sich der Betrag von 1 260 Euro um ein Zwölftel;
...
Danach sind Arbeitszimmeraufwendungen grundsätzlich vom Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ausgeschlossen. Ausnahmsweise ist ein unbeschränkter Abzug von Arbeitszimmeraufwendungen allerdings möglich, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen bildet. Ein Abzug der Aufwendungen für das Arbeitszimmer ist unter diesen Voraussetzungen in voller Höhe möglich. Alternativ zum Ansatz der tatsächlich nachgewiesenen Aufwendungen kann pauschal eine Jahrespauschale in Höhe von 1.260 € abgezogen werden.
Liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG nicht vor, kann nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c EStG die sogenannte Homeoffice-Pauschale (das Gesetz bezeichnet sie als Tagespauschale) geltend gemacht werden. Die frühere Differenzierung zwischen Vollabzugsfähigkeit und Steuerpflichtigen für deren betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, ist damit zwar entfallen, Streitpotential bleibt aber bei der Frage, ob das Arbeitszimmer tatsächlich den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Ist dies nicht der Fall, gilt die schon erwähnte Tagespauschale nach § 6 Abs. 5 Nr. 6c EStG:
„…
6c. für jeden Kalendertag, an dem die betriebliche oder berufliche Tätigkeit überwiegend in der häuslichen Wohnung ausgeübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene erste Tätigkeitsstätte aufgesucht wird, kann für die gesamte betriebliche und berufliche Betätigung ein Betrag von 6 Euro (Tagespauschale), höchstens 1 260 Euro im Wirtschafts- oder Kalenderjahr, abgezogen werden. 2Steht für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, ist ein Abzug der Tagespauschale zulässig, auch wenn die Tätigkeit am selben Kalendertag auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird. …“
Im Besprechungsfall ging es nun nicht um die Frage, ob das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete, sondern darum, unter welchen Voraussetzungen Umzugskosten, die in Zusammenhang mit dem häuslichen Arbeitszimmer stehen, als Werbungskosten abgezogen werden können.
Der Bundesfinanzhof stellt seinem Urteil folgenden Leitsatz voran:
„Aufwendungen des Steuerpflichtigen für einen Umzug in eine andere Wohnung, um dort (erstmals) ein Arbeitszimmer einzurichten, sind nicht als Werbungskosten abzugsfähig.“
Der zu entscheidende Fall
Die verheirateten Kläger lebten zu Beginn des Streitjahres (2020) gemeinsam mit ihrer 2015 geborenen Tochter in einer 3-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von circa 65 m² in Hamburg, die nicht über separaten Arbeitszimmer verfügte. Der Kläger war als Teil-Projektleiter in Hamburg nichtselbständig tätig. Bis Mitte März des 2020 arbeitete er nur in Ausnahmefällen zu Hause. Zu Beginn der Corona-Maßnahmen im März schloss das Büro seines Arbeitgebers. Der Kläger arbeitete ab dann ausschließlich zu Hause. Zum 30.06.2020 wechselte er den Arbeitgeber und arbeitete seither an vier Tagen der Woche zu Hause sowie einmal wöchentlich in den ebenfalls in Hamburg belegenen Räumen seines neuen Arbeitsgebers.
Die Klägerin war 2020 als Sachbearbeiterin in Teilzeit tätig. Zudem fertigte sie ihre Masterarbeit an. Zunächst arbeitete sie ausschließlich im Büro ihres Arbeitgebers, ab Mitte März jedoch an vier Tagen der Woche im Homeoffice und an einem Tag im Büro. Das Arbeiten im Homeoffice war nicht zwingend, wurde aufgrund der Corona-Pandemie jedoch dringend empfohlen.
Die Kläger arbeiteten im Wesentlichen im Wohn-/Esszimmer und nutzten den Esstisch (abwechselnd) als Schreibtisch. Aufgrund dieser als unbefriedigend empfundenen Wohn-/Arbeitssituation mieteten die Kläger ebenfalls in Hamburg eine 110 m² große 5-Zimmer-Wohnung, in die sie im Juli zogen. Zwei Zimmer der neuen Wohnung statteten sie büromäßig aus und nutzten diese als häusliche Arbeitszimmer.
In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger unter anderem Umzugskosten in Höhe von 4.218 € als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend, die das Finanzamt nicht anerkannte.
Im Rahmen des anschließenden Einspruchsverfahrens setze das FA unter anderem weitere Werbungskosten an, darunter jeweils auch Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer. Im Hinblick auf die geltend gemachten Umzugskosten wies es den Einspruch dagegen als unbegründet zurück.
Die Klage, mit der die Kläger den Werbungskostenabzug für den Umzug weiterverfolgten, hatte vor dem Finanzgericht (FG) Hamburg Erfolg. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies jedoch auf die Revision des Finanzamts die Klage ab.
Die Begründung des BFH
Der BFH legt zu Werbungskosten allgemein dar, dass es sich hierbei Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG handele. Nach seiner ständigen Rechtsprechung lägen Werbungskosten vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang bestehe. Davon sei auszugehen, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt seien, sie also in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stünden. Maßgeblich sei zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre.
Dazu könnten auch Aufwendungen für einen Umzug gehören. Zwar sei das Bewohnen einer Wohnung dem privaten Lebensbereich zuzurechnen, so dass die Kosten für einen Umzug grundsätzlich als steuerlich nicht abziehbare Kosten der Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG anzusehen seien, es sei denn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen stelle den entscheidenden Grund für den Wohnungswechsel dar und private Umstände spielten eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle. Dies müsse sich anhand objektiver Umstände, die typischerweise auf eine berufliche Veranlassung des Umzugs schließen ließen, feststellen lassen.
Das hatte der BFH in früheren Entscheidungen angenommen,
-wenn der Umzug die Folge eines Arbeitsplatzwechsels gewesen war und die für die täglichen Fahrten zur Arbeitsstätte benötigte Zeit sich durch den Umzug erheblich, das heißt: um mindestens eine Stunde täglich, verminderte. In einem solchen Fall träten die mit einem Umzug stets einhergehenden privaten Begleitumstände regelmäßig in den Hintergrund und könnten deshalb vernachlässigt werden.
-wenn der Grund des Umzugs der Auszug aus einer oder der Einzug in eine Dienstwohnung war.
Der berufliche Veranlassungszusammenhang sei in diesen Fällen nur aufgrund objektiver, außerhalb der individuellen Wohnsituation liegender Umstände bejaht worden. Hier komme es auf sonstige Motive für den Umzug nicht mehr an, denn die Motive für die Auswahl einer Wohnung und die Bestimmung des Wohnorts seien nahezu stets durch die private Lebensgestaltung geprägt. Würden sie eine Rolle spielen, könnten Umzugskosten nie als Werbungskosten abgezogen werden.
Auf dieser Grundlage sei eine nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung des Umzugs jedoch zu verneinen, wenn in der neuen Wohnung (erstmals) die Möglichkeit zur Einrichtung eines Arbeitszimmers bestehe. Es fehle insoweit an einem objektiven Kriterium, welches nicht durch die private Wohnsituation jedenfalls mitveranlasst sei. Denn auch in einem solchen Fall sei wegen des natürlichen Bestrebens nach einer Verbesserung der Wohnqualität nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu ermitteln, ob die Einrichtung des Arbeitszimmers Anlass oder nur Folge des Umzugs in die neue, unter Umständen größere Wohnung sei. Objektive Umstände seien allein in dem Bestreben, ein abgeschlossenes Arbeitszimmer einzurichten, nicht gegeben. Die Wahl einer Wohnung, insbesondere deren Lage, Größe, Zuschnitt und Nutzung, sei vielmehr vom Geschmack, den Lebensgewohnheiten, den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, der familiären Situation und anderen privat bestimmten Vorentscheidungen des Steuerpflichtigen abhängig und daher grundsätzlich der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzuordnen.
Die zunehmende Akzeptanz von Homeoffice, Tele- und sogenannter Remote-Arbeit (ortsunabhängiges/mobiles Arbeiten) ändere nichts daran, dass der Wunsch, im privaten Lebensbereich in einem (häuslichen) Arbeitszimmer zu arbeiten, nicht allein auf objektiven beruflichen Kriterien, sondern in erster Linie auf privaten Motiven und Vorlieben beruhe, auch wenn mit einem separaten Arbeitszimmer eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehe und es von einer Vielzahl von Steuerpflichtigen deshalb für ein ungestörtes Arbeiten zu Hause als notwendig empfunden werde. Dies werde jedoch nicht in ausreichendem Maße durch objektive berufliche Erwägungen überlagert, die typischerweise für eine nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung eines Wohnungswechsels stritten. Denn die Entscheidung, nach dem Umzug einen gesonderten Raum nicht privat, sondern beruflich als Arbeitszimmer zu nutzen oder die Berufstätigkeit im privaten Lebensbereich (weiterhin) in einer "Arbeitsecke" auszuüben, beruhe auch in Zeiten einer gewandelten Arbeitswelt nicht auf nahezu ausschließlich objektiven beruflichen Kriterien. Sie möge zwar auch von beruflichen Erwägungen bestimmt sein, gründe aber letztlich vorrangig auf privaten Motiven und Vorlieben. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige über keinen anderen (außerhäuslichen) Arbeitsplatz verfüge, weil er wie in der Corona-Pandemie (zwangsweise) zum Arbeiten im häuslichen Bereich angehalten gewesen sei oder er durch die Arbeit im Homeoffice Berufs- und Familienleben zu vereinbaren suche. Auch mit der Einrichtung eines (häuslichen) Arbeitszimmers gehe nicht nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einher, es verbessere sich auch die private Wohnsituation insoweit, als der ansonsten mit der „Arbeitsecke“ belastete Wohnraum nunmehr davon ungestört genutzt werden könne.
Ob es sich überhaupt um ein steuererhebliches häusliches Arbeitszimmer handele, sei wegen des multikausalen Veranlassungszusammenhangs für die Entscheidung nach allem unerheblich.
Download: Vorsteuerabzug aus Insolvenzverwalterleistungen bei Unternehmenseinstellung
Vorbemerkung
Nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer von seiner Umsatzsteuerzahllast unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen, wenn eine Reihe weiterer formaler Voraussetzungen, wie der Besitz einer Rechnung für den Eingangsumsatz, gegeben sind. Allerdings ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn der Unternehmer die Eingangsumsätze unter anderem für steuerfreie Umsätze verwendet. Bei gemischter Verwendung bestimmt § 15 Abs. 4 UStG:
„Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten … Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzuordnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Gesamtumsätzen ist nur zulässig, wenn keine andere, präzisere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist. …“
Mit anderen Worten ist danach der Steuerpflichtige nur und soweit er „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen.
An der Umsatzsteuerpflicht eines Unternehmers, sei er eine natürliche oder juristische Person, ändert sich grundsätzlich nichts dadurch, dass über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dasselbe gilt für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Im Ausgangspunkt gilt dies auch für die Verwaltungsleistung des Insolvenzverwalters. Hier begegnet die Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG jedoch gewissen Schwierigkeiten.
Zweifelsfrei erbringt er mit seiner Verwaltungsleistung eine im umsatzsteuerrechtlichen Sinn „sonstige Leistung“ an die Insolvenzmasse, deren Rechtsträger der Insolvenzschuldner auch im Verfahren bleibt. Ihm steht daher im Grundsatz auch der Vorsteuerabzug aus der ihm vom Insolvenzverwalter in Rechnung gestellten Vergütung zu.
In der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur war allerdings über lange Zeit für bestimmte Fälle die Ermittlung der (anteiligen) Vorsteuerabzugsberechtigung hier streitig. Dies betraf zum einen Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, bei denen die Insolvenzmasse sowohl privates wie unternehmerisches Vermögen erfasste, und zum anderen solche Unternehmer, bei denen der Insolvenzverwalter für die Masse sowohl steuerpflichtige wie steuerfreie Umsätze ausführte. Gegebenenfalls können diese Formen auch in Kombination auftreten.
2015 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) sodann (V R 44/14), dass die Aufteilung entsprechend § 15 Abs. 4 UStG für die Vorsteuer aus der Verwaltervergütung sich im ersten Fall nicht nach dem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistungen zu richten hat, sondern auf der Grundlage der früheren Unternehmenstätigkeit des Schuldners zu entscheiden ist. Der direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht danach zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Der Vorsteuerabzug stehe der Masse daher im Verhältnis der privaten zu den unternehmerischen Insolvenzforderungen zu. Auf die vom Verwalter ausgeführten Umsätze kommt es damit nicht an. Diese dogmatisch zweifelhafte Rechtsprechung birgt für die Praxis der Insolvenzverwaltung den sehr großen Vorteil der einfachen Anwendung.
Abweichend von diesen Grundsätzen könne es allerdings nach Auffassung des BFH sein, wenn der Insolvenzverwalter nicht das Vermögen des Schuldners zum Zweck der anteiligen Gläubigerbefriedigung verwerte, sondern in erster Linie die Fortführung des Unternehmens beabsichtige. Wie in diesem Fall zu entscheiden sei, blieb bislang offen. Wie die Rechtslage in diesem Fall zu beurteilen ist, konkretisiert der BFH nunmehr mit dem ebenfalls auf unserer Website besprochenen auch auf den 23.10.2024 datierenden Urteil im Verfahren XI R 20/22.
Vorliegend ging es dagegen um einen Fall, in dem das schuldnerische Unternehmen eingestellt wurde und der Verwalter für die Masse teilweise steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze ausführte. Es stellte sich hier die Frage nicht, wie zwischen privaten und unternehmerischen Insolvenzforderungen abzugrenzen ist, weil Insolvenzschuldner eine GmbH war. Es stand jedoch zur Diskussion, ob auf die Ausgangsumsätze der Insolvenzverwaltung oder die bisherige unternehmerische Tätigkeit der GmbH abzustellen sei.
Der zu entscheidenden Fall
Der Kläger war zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter und sodann Insolvenzverwalter einer GmbH (Schuldnerin), die ein Bauunternehmung betrieb. Die Schuldnerin übernahm Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Bauherrin für eigene oder fremde Rechnung sowie die Betreuung von fremden Bauvorhaben für fremde Rechnung.
Der Kläger teilte den Auftraggebern bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens mit, dass eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht möglich ist. Die Bauvorhaben wurden in der Folge nur noch abgewickelt und abgerechnet. Eine Fortführung der Tätigkeit der Schuldnerin war dementsprechend nicht beabsichtigt und erfolgte auch nicht.
Nachdem der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts ergangen war, stellte der Kläger der Schuldnerin seine Vergütung zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung und entnahm die Vergütung der Masse.
Den Vorsteuerabzug aus seiner Vergütungsrechnung machte der Kläger zu Gunsten der Masse in voller Höhe geltend. Das Finanzamt (FA) gewährte den Abzug nur in Höhe von 1,43 %, da der Kläger für die Masse steuerfreie Umsätze in Höhe von rund 940.000 € und steuerpflichtige Umsätze nur in Höhe von rund 44.000 € ausgeführt habe.
Der Einspruch gegen den entsprechenden Bescheid blieb ohne Erfolg. Während des Klageverfahrens wurde eine sogenannte tatsächliche Verständigung dahingehend getroffen, dass die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen anteilig zu 45% mit von der Insolvenzschuldnerin im Insolvenzverfahren ausgeführten steuerpflichtigen Umsätzen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang bestand danach nicht für die übrigen 55 % der zur Tabelle angemeldeten Forderungen, da es sich hierbei um Leistungen anderer Unternehmer handelte, die die Schuldnerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten.
Die Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg, die Revision des FA hat der BFH zurückgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der BFH weist die Revision mit Blick auf § 15 Abs. 4 UStG zurück. Er rekurriert zunächst auf seine oben dargestellte Rechtsprechung. Abweichend von dieser Rechtsprechung könne zu entscheiden sein, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners fortführe und keine wesentlichen Verwertungshandlungen vornehme. Es könne dann sachgerecht sein, die abziehbare Vorsteuer nach dem Gesamtumsatz des Schuldners während der Zeit der Insolvenzverwaltung nach Maßgabe der steuerpflichtigen, steuerfreien und nichtwirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen. Eine Fortführung in diesem Sinne habe es vorliegend nicht gegeben.
Der zulässige Vorsteuerabzug für die vom Kläger als Insolvenzverwalter erbrachten Leistungen sei folglich anteilig mit 45% gemäß der tatsächlichen Verständigung in Ansatz zu bringen.
Es bestehe der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter und den im Insolvenzverfahren angemeldeten unternehmerischen Forderungen der Insolvenzgläubiger.
Der Kläger habe die Insolvenzmasse verwaltet, verwertet und verteilt, um die Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Er habe während des Insolvenzverfahrens für die Schuldnerin Abrechnungen vorgenommen, Forderungen eingezogen und ihr gesamtes Vermögen verwertet.
Ausgehend davon habe das FG zutreffend angenommen, dass die einheitliche Leistung des Klägers als Insolvenzverwalter nicht mit den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Verwertungshandlungen des Klägers in einem für den Vorsteuerabzug maßgeblichen direkten und unmittelbaren Zusammenhang stehe. Entgegen der Auffassung des FA seien für den Vorsteuerabzug aus der einheitlichen Leistung des Klägers die nach Verfahrenseröffnung ausgeführten (steuerfreien) Verwertungsumsätze vorliegend nicht maßgeblich, weil das Unternehmen der Schuldnerin nicht fortgeführt worden sei.
Die Fortführung der bisherigen Unternehmenstätigkeit beziehe sich auf den „Erhalt des Unternehmens“. Dies setze voraus, dass die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel des Insolvenzverfahrens mittels Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Schuldners diene, sondern vorrangig darauf abziele, sein Unternehmen zu erhalten. Von der Fortführung des Unternehmens sei insbesondere dann auszugehen, wenn – anders als im Streitfall – in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen werde. Dafür reiche nicht, dass der Insolvenzverwalter das Vermögen mit dem Ziel, den Erlös zur gemeinschaftlichen Befriedigung an die Insolvenzgläubiger zu verteilen, verwerte.
So aber sei es vorliegend gewesen. Der Kläger habe bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens den Insolvenzgläubigern mitgeteilt, dass eine Fortführung des Unternehmens nicht möglich sei. Davon sei er später auch nicht abgewichen. Die vorhandenen Bauvorhaben seien nicht weiterbetrieben worden, sondern zusammen mit den Auftraggebern beziehungsweise Grundstückseigentümern abgewickelt worden. Die Leistung des Klägers habe danach nicht darauf abgezielt, das Unternehmen fortzuführen, um es zu erhalten.
Es führe zu keiner Ungleichbehandlung, wenn steuerfreie Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters anders als bei Unternehmen, die sich nicht in der Insolvenz befinden, in Bezug auf die Vorsteueraufteilung und den Vorsteuerabzug nicht zu berücksichtigen sind. Auf Konkurrenzunternehmen, die sich nicht in Insolvenz befinden, sei schon deshalb nicht abzustellen, da diese mit den umsatzsteuerbelasteten Verfahrenskosten einer Insolvenz nicht belastet seien, was auch für in Liquidation befindliche Unternehmen gelte.
Die Schuldnerin habe die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger auch für ihr Unternehmen und damit für ihre wirtschaftliche Tätigkeit verwendet. Die angemeldeten Forderungen seien unstreitig ausschließlich im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin entstanden. Die Vorsteuer sei daher nach Maßgabe der tatsächlichen Verständigung in Höhe von 45 % abziehbar.
Vorbemerkung
Kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer nicht mehr existierenden Person eröffnet werden? Welche Konsequenzen hätte das?
Das Gesetz – die Insolvenzordnung (InsO) – hat sich in bestimmten Fällen für ein solches Insolvenzverfahren entschieden. Das gilt nicht nur, aber insbesondere, für die Nachlassinsolvenz gemäß §§ 315 ff. InsO. Das Insolvenzverfahren beschränkt sich hier auf den Nachlass selbst, es erfasst das übrige Vermögen des Erben im Grundsatz nicht. Allerdings hat der Erbe die Rolle des Insolvenzschuldners zu übernehmen. – Ist über das Vermögen einer natürlichen Person ein Insolvenzverfahren anhängig, so führt deren nach der Verfahrenseröffnung eintretender Tod ohne Weiteres zu einer Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in ein Nachlassinsolvenzverfahren.
Eine ganz ähnliche Situation ergibt sich, wenn eine Handelsgesellschaft, etwa eine Kommanditgesellschaft (KG) aufgelöst wird. Dem trägt § 11 Abs. 3 InsO Rechnung, indem er nach Auflösung einer juristischen Person oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft, zum Beispiel durch Auflösungsbeschluss der Gesellschafter oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, bis zu deren Vollbeendigung durch Löschung im Handelsregister nach Abwicklung oder wegen Vermögenslosigkeit, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in diesem Zwischenstadium ausdrücklich zulässt.
Durch die Art der Abwicklung des Nachlassinsolvenzverfahrens wird sowohl der Erbe wie die Nachlassgläubiger geschützt. Dadurch wird einerseits verhindert, dass Nachlassgläubiger auf das sonstige Vermögen des Erben zugreifen, andererseits wird gewährleistet, dass die persönlichen Gläubiger des Erben nicht auf den Nachlass zugreifen können, und so die Zugriffsmasse der Nachlassgläubiger bewahrt.
Bei Personengesellschaften führt unter bestimmten Voraussetzungen das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dazu, dass das Gesellschaftsvermögen dem letzten verbleibenden Gesellschafter anwächst und die Gesellschaft damit liquidationslos vollbeendet wird. Die Gesellschaftsgläubiger können nunmehr auf den letzten Gesellschafter zugreifen. Haftete dieser während des Bestehens der Gesellschaft nur beschränkt, wie insbesondere ein Kommanditist, soll dies, wie der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 1990 entschieden hatte, außerhalb eines Insolvenzverfahrens dazu führen, dass der Gesellschafter nur beschränkt auf das ihm zugefallene Gesellschaftsvermögen haftet. Ähnlich wie bei der Nachlassinsolvenz werden dadurch sowohl der letzte Gesellschafter wie die Gesellschaftsgläubiger geschützt.
Der Besprechungsfall ist etwas anders gelagert. Hier war zum einen der letzte Gesellschafter, dem das Gesellschaftsvermögen anwuchs, der voll haftende Komplementär, zum anderen war über das Vermögen der voll beendeten Gesellschaft in Unkenntnis der Vollbeendigung ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zu klären war deshalb, ob dieser insolvenzgerichtliche Beschluss dennoch wirksam war und der bestellte Insolvenzverwalter befugt war für die Insolvenzmasse zu handeln.
Der zu entscheidende Fall
Komplementärin war die Verwaltungs- und Beteiligungs-Gesellschaft mbH. Einzig verbliebener Kommanditist der Schuldnerin war bis Ende 2015 der Onkel der Beklagten. Dieser trat seinen Gesellschaftsanteil sodann an die V. AG mit Sitz in der Schweiz (Kommanditistin) ab. Die Kommanditistin wurde am 22.01.2017 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Schweizer Handelsregister gelöscht.
Am 26.01.2018 stellte die Schuldnerin einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, worauf das Insolvenzgericht am 09.05.2018 das Insolvenzverfahren eröffnete und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellte.
In der Folge erließ das Insolvenzgericht am 09.03.2020 einen Beschluss mit dem Inhalt, der Eröffnungsbeschluss werde „dahingehend klargestellt, dass es sich um die Eröffnung eines Sonderinsolvenzverfahrens analog den § 315 ff. InsO über das Vermögen der durch Ausscheiden der einzigen Kommanditistin liquidationslos erloschenen“ Schuldnerin handele, „welches sich aufgrund von Anwachsung in der Trägerschaft deren einziger Komplementärin (…)“ befinde.
Am 18.06.2020 begründete der Kläger nach vorausgegangenem Mahnverfahren die im Mahnbescheid geltend gemachten Zahlungsansprüche gegen die Beklagte, die er auf Vermögensverschiebungen von Anfang 2016 bis Anfang 2017 stützte.
Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Das Oberlandesgericht (OLG) wies sie vollständig ab und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger persönlich (!) auf. Ob die Ansprüche als solche gerechtfertigt seien, hat es nicht entschieden, weil es der Ansicht war, der Kläger sei nicht sachbefugt. Der BGH hebt die Sache auf die Revision des Klägers auf und verweist sie zurück an das OLG.
Das OLG hatte argumentiert, die geltend gemachten Ansprüche seien in der Hand der Schuldnerin entstanden, aber noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen auf die Komplementärin übergegangen. Die Schuldnerin sei mit dem Ausscheiden der Kommanditistin infolge deren Löschung aus dem Schweizer Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit liquidationslos beendet worden. Etwaige Ansprüche der Schuldnerin seien auf die Komplementärin als ihre Rechtsnachfolgerin übergegangen.
Das (ehemalige) Vermögen der (ehemaligen) Schuldnerin sei nicht infolge des Insolvenzeröffnungsbeschlusses dem Insolvenzbeschlag und damit der Verwaltung durch den Kläger unterfallen. Der Beschluss habe sich auf eine nicht (mehr) existente Schuldnerin bezogen. Dies habe zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses geführt und damit zu dessen fehlender Bindungskraft für später befasste Gerichte.
Die Begründung des BGH
Die vom klagenden Insolvenzverwalter geltend gemachten Ansprüche waren noch in Person der A. GmbH & Co. KG entstanden, die durch das Ausscheiden der Kommanditistin infolge von deren Löschung im schweizerischen Handelsregister liquidationslos beendet wurde. Die Ansprüche waren hierdurch auf die bisherige Komplementärin übergegangen.
Der Kläger hätte nicht über die notwendige Sachbefugnis (Aktivlegitimation) verfügt, wenn der Insolvenzeröffnungsbeschluss unwirksam, das heißt nichtig, gewesen wäre, ihm mithin nicht die Rechtsmacht des Insolvenzverwalters verschafft hätte.
Der BGH sieht den Eröffnungsbeschluss vom 09.05.2018 als wirksam an, dem weiteren Beschluss vom 09.03.2020 maß er dagegen nicht die Bedeutung einer Insolvenzeröffnung zu.
Der rechtskräftige Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, so führt der BGH aus, sei vom Prozessgericht, vorliegend den Zivilgerichten, grundsätzlich auch dann als gültig hinzunehmen, wenn er verfahrensfehlerhaft ergangen sei. Als in dem dafür vorgesehenen Verfahren ergangener hoheitlicher Akt beanspruche er Geltung gegenüber jedermann, sofern der Entscheidung nicht ausnahmsweise ein Fehler anhafte, der zur Nichtigkeit führe. Wegen der für das Insolvenzverfahren grundlegenden Bedeutung des die Eröffnung anordnenden Beschlusses sei er schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur außerordentlich selten als nichtig zu behandeln, hauptsächlich dann, wenn dem Akt infolge des festgestellten Fehlers bereits äußerlich ein für eine richterliche Entscheidung wesentliches Merkmal fehlt.
Auf dieser Grundlage habe der BGH den Eröffnungsbeschluss über das Vermögen einer unter Geltung der Konkursordnung nicht konkursfähigen Gesellschaft 1991 als wirksam angesehen, ebenso den Beschluss eines örtlich unzuständigen Amtsgerichts. Als nichtig sei dagegen ein nicht unterschriebener Eröffnungsbeschluss behandelt worden. Vor allem aber habe der II. Zivilsenat des BGH 2008 (II ZR 37/07) einen Insolvenzeröffnungsbeschluss, der gegen einen nicht (mehr) existenten Schuldner ergangen war für unwirksam erachtet. [Der Fall entsprach, soweit es hier darauf ankommt, dem Besprechungsfall.]
Der BGH begründet die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses nunmehr wie folgt.
Das von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfasste Vermögen sei regelmäßig nach § 35 Abs. 1 InsO zu bestimmen. Erfasst werde demnach das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre und dass er während des Verfahrens erwerbe. Dabei sei in der Regel der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Insolvenzgläubiger unbeschränkt.
Das Recht kenne jedoch Insolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften. Sei nur eine solche Vermögensmasse erfasst, sei regelmäßig auch der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Gläubiger beschränkt. Sie müssten dann in einem besonderen Verhältnis zu dieser Vermögensmasse stehen, insbesondere über gegen diese Vermögensmasse gerichtete Forderungen verfügen. Ein Beispiel hierfür sei das [oben bereits angesprochene] Nachlassinsolvenzverfahren.
Im juristischen Schrifttum werde überwiegend angenommen, dass auch das Gesellschaftsvermögen, das infolge des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft auf den letzten Gesellschafter übergegangen sei, Gegenstand eines Partikularinsolvenzverfahrens sein könne. Insolvenzschuldner sei nach dieser Ansicht der letzte Gesellschafter, dem das Gesellschaftsvermögen angewachsen sei.
Hintergrund dieser Ansicht sei die Schutzbedürftigkeit des letzten Gesellschafters wie diejenige der Gesellschaftsgläubiger [wie ebenfalls oben dargestellt]. Komme es, so entscheidet der BGH jetzt, infolge eines Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters und einer dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft zu einem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter, sei ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen möglich. Insolvenzschuldner sei der letzte Gesellschafter. Dieser Fall werde allerdings von § 11 Abs. 3 InsO wegen der eingetretenen Vollbeendigung nicht erfasst.
Die Möglichkeit eines Partikularinsolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters rechtfertige sich jedoch unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des letzten Gesellschafters und der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger. Wenn der Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den ursprünglich nur beschränkt haftenden Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens – zusätzlich zur fortbestehenden ursprünglichen Haftung – nur zu der Pflicht führe, die Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen zu dulden, könne die Lage in der Insolvenz nicht anders sein.
Ein solches Partikularinsolvenzverfahren sei aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der letzte Gesellschafter – wie im Streitfall die Komplementärin – ursprünglich unbeschränkt mit seinem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden einzustehen gehabt habe. Auch in diesem Fall könne der Schutz der Gesellschaftsgläubiger ein auf das Gesellschaftsvermögen beschränktes Insolvenzverfahren und den damit verbundenen Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters erfordern. Dies entspreche der Lage im Nachlassinsolvenzverfahren. Der Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung stehe nämlich der Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nicht entgegen, wie sich aus § 316 Abs. 1 InsO ergebe. Dies diene dem Interesse der Nachlassgläubiger, die von den persönlichen Gläubigern des Erben ungehindert auf den Nachlass zugreifen können sollen.
Vorliegend sei die Interessenlage entsprechend. Auch das Vertrauen der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger auf den Erhalt des zugriffsfähigen Vermögens unter Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters sei schutzwürdig und es gebe auch keinen Grund, den persönlichen Gläubigern des letzten Gesellschafters einen Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen zu ermöglichen.
Auf Anfrage des hier entscheidenden IX. Zivilsenats des BGH habe der II. Zivilsenat erklärt, an seiner abweichenden Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 [siehe oben] nicht festhalten zu wollen.
Der BGH hat nicht entschieden, unter welchen nähern Voraussetzungen die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens in Fällen wie dem vorliegenden möglich ist, weil jedenfalls von der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auszugehen gewesen sei.
Insbesondere stehe der Wirksamkeit nicht entgegen, dass von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Wortlaut des Beschlusses nach die nicht mehr existente Schuldnerin als Trägerin der Insolvenzmasse benannt sei. Dies belegten die Vorschriften über das Nachlassinsolvenzverfahren, wo es anerkannt sei, dass der Tod des Schuldners nach Eröffnung des Verfahrens ohne Weiteres eine Überleitung des bisherigen Verfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren bewirke. Für das Partikularinsolvenzverfahren nach Anwachsung des Gesellschaftsvermögens beim letzten Gesellschafter gelte nichts anderes.
Da das OLG die weiteren Voraussetzungen der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche, aus seiner Sicht konsequent, nicht geprüft hatte, musste der BGH die Sache an das OLG zurückverweisen.
Download: Betreiber einer Waschanlage – Arbeitnehmer oder selbständig Tätiger?
Vorbemerkung
Häufig weisen im Arbeitsleben Vertragsverhältnisse sowohl Aspekte einer abhängigen Beschäftigung wie einer selbständigen Tätigkeit auf. Die Abgrenzung ist für viele Aspekte sozialer und vertragsrechtlicher Art maßgebend, insbesondere steht nur dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Arbeitsentgelt zu. Vor allem im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeitnehmer) bereitet dies oft nicht unerhebliche Schwierigkeiten, was der Gesetzgeber 2016/2017 zum Anlass genommen hat, das Arbeitsverhältnis im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) konkreter zu umschreiben und - inhaltlich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) folgend - Absatz 1 des § 611a BGB, der Abgrenzungsregeln für diesen Fall enthält, zu reformieren.
In der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21.02.2017 hat § 611a Abs. 1 BGB nunmehr folgenden Wortlaut:
„(1)Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. 2Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. 3Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. 4Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. 5Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. 6Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Das BAG hatte vorliegend zu entscheiden, ob der örtliche Betreiber einer Waschanlage, der vertraglich mit der Beklagten verbunden war, die im Bundesgebiet etwa 300 solcher Anlagen unterhielt, deren Arbeitnehmer oder selbständig tätig war.
Der zu entscheidende Fall
Der im Juli 2009 geschlossene „Partnervertrag“ der Parteien, in dem der Kläger als Partner bezeichnet wurde, sah folgende Regelungen vor:
„§ 1
Partner übernimmt als selbstständiger Gewerbetreibender im Namen und für Rechnung von I mit Wirkung ab 1. Juli 2009 den Betrieb der I-Autowaschstraße in H.Zu diesem Zweck überlässt I Partner gegen Entgelt diese I-Autowaschstraße mit allen Baulichkeiten, technischen Einrichtungen und Geräten. …
§ 3
Partner kann nach Maßgabe dieses Vertrages seine Tätigkeit frei gestalten und seine eigene Arbeitszeit selbst bestimmen. Für die durch diesen Vertrag durchzuführenden Aufgaben und Arbeiten kann von Partner Personal eingesetzt werden. Die Suche, die Auswahl, die Regelung der Vertrags- und Arbeitsbedingungen sowie die Überwachung seines Personals obliegen allein dem Partner.
Partner wird alles Mögliche unternehmen, um den Erfolg der I-Autowaschstraße zu gewährleisten. Die Fortentwicklung ist dem Partner ein besonderes Anliegen. Er wird die I-Autowaschstraße nach den Gepflogenheiten eines ordentlichen Kaufmanns führen.
Der Einsatz von Dritten entbindet ihn nicht von seiner Verantwortung.
Partner wird sich selbst und sein Personal über die Anforderungen an einen modernen I-Autowaschbetrieb und den dazu erforderlichen Kundenservice informieren.
Partner hat die Möglichkeit an den von I angebotenen Schulungsmaßnahmen (technische sowie kaufmännische und verwaltungsmäßige Einweisungen) teilzunehmen.
Die notwendigen Kenntnisse und Anforderungen für ein erfolgreiches Autopflegegeschäft inklusive des erforderlichen Kundenservices werden Partner für sich und sein Personal durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erreichen.
§ 4
Die im Namen und für Rechnung von I an der I-Autowaschstraße vereinnahmten Gelder sind ausschließlich Eigentum von I. …
Über die im Namen und für Rechnung von I vereinnahmten Gelder und über die von I unentgeltlich überlassenen Warenbestände, Ersatzteile und andere Materialien ist Buch zu führen und dem Beauftragten der I hierzu jederzeit auf Verlangen Einsicht zu gewähren. …
Die Art und Anzahl der für I durchgeführten Waschvorgänge und die vereinnahmten Gelder sind täglich in einer Abrechnung zu erfassen und die Richtigkeit durch Unterzeichnung zu bestätigen. Diese Abrechnungen sind jeweils donnerstags und montags nach Betriebsschluss an I zu senden.
§ 5
I legt die gültigen Verkaufspreise für alle Leistungen, die in ihrem Namen und für ihre Rechnung erbracht werden, fest und nimmt die Preisauszeichnung vor. …
Partner erklärt zur Provisionsvergütung, dass er zum Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnungen nach § 14 Abs. 1 UStG berechtigt ist und diese Umsatzsteuer an das zuständige Finanzamt abführt. …
§ 6
Die Betriebszeiten an der I-Autowaschstraße wurden zwischen Partner und I unter Berücksichtigung eines kundenorientierten Betriebes, mietvertraglicher oder sonstiger Verpflichtungen der I gegenüber Dritten, der Wettbewerbsverhältnisse sowie vorliegender Marktanalysen in einem Protokoll gemeinsam vereinbart. …
Bei Bedarf können die Betriebszeiten entsprechend dem vorstehend beschriebenen Verfahren jederzeit einvernehmlich geändert werden. …
§ 8
Für die Überlassung der I-Autowaschstraße mit ihren Baulichkeiten, Einrichtungen und Geräten sowie für die Möglichkeit, zusätzlich auf dem Grundstück zustimmungsfreie Eigengeschäfte (vgl. § 7 Abs. 2) durchführen zu können, zahlt der Partner an I ein umsatzabhängiges Nutzungsentgelt.
Dieses beträgt
11% (in Worten: elf Prozent)
der jeweils vereinnahmten monatlichen Nettoprovision aus dem gesamten Waschgeschäft. …
§ 9
Partner wird sein Gewerbe spätestens zum Zeitpunkt der Übernahme bei der zuständigen Behörde anmelden. …
Sicherheitsprüfungen, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten sind vom Partner gemäß Handbuch für die Partnerschulung und Betriebstagebuch vorzunehmen. Das Handbuch für die Partnerschulung und das Betriebstagebuch werden dem Partner von I ausgehändigt und der Empfang bestätigt. …
Partner wird die I-Autowaschstraße in einem sauberen und gepflegten, sowie betriebsbereiten Zustand halten. Die Kosten für Reinigung und Pflege übernimmt Partner, mit Ausnahme der Reinigungsmittel. …
Das Führen eines Betriebstagebuchs ist gesetzlich vorgeschrieben. Daher wird Partner dieses Betriebstagebuch führen und darin alle erforderlichen Eintragungen den Vorschriften entsprechend vornehmen.
I-Beauftragte können während der Geschäftszeiten zu Reparaturzwecken, zu Prüfungen des allgemeinen Zustandes von Maschinen, Einrichtungen und Geräten oder sonst aus wichtigem Grund, das gesamte Gelände der I-Autowaschstraße einschließlich Baulichkeiten der Waschstraße jederzeit betreten.“
Die Parteien verständigten sich auf bestimmte Betriebszeiten und vereinbarten auf Wunsch des Klägers mit Wirkung ab dem 01.06.2020 abweichende Winteröffnungszeiten. Der Kläger, der zum Betrieb der Waschstraße Mitarbeiter einstellte, erwirtschaftete im Jahr 2020 Provisionen in Höhe von 28.626,59 €.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei für die Beklagte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig gewesen. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt eines angestellten Betriebsleiters einer Waschstraße betrage bei Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 160 Stunden mindestens 4.000,00 €. Da er für die Beklagte im Durchschnitt 306 Stunden im Monat tätig gewesen sei, belaufe sich sein monatlicher Entgeltanspruch auf 7.650,00 € brutto, von dem die seitens der Beklagten gezahlten Provisionen in Abzug zu bringen seien.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass zwischen den Parteien seit dem 01.07.2009 ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611a Abs. 1 BGB besteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn seit dem 01.01.2019 monatlich 7.650,00 € brutto abzüglich der gezahlten Provisionen zu zahlen.
Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg.
Die Begründung des BAG
Das BAG sieht die Klage als zulässig an. Ein [vermeintlicher] Arbeitnehmer könne mit der allgemeinen Feststellungsklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geltend machen. Der Kläger habe ein rechtliches Interesse daran, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde, wie § 256 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraussetze.
Die Klage sei jedoch nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht sei ohne revisiblen Rechtsfehler davon ausgegangen, der Kläger betreibe die Waschstraße der Beklagten nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Dienstnehmer.
Ein Arbeitsverhältnis unterscheide sich gemäß § 611a BGB von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten.
Arbeitnehmer sei, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sei. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung seien eng miteinander verbunden und überschnitten sich teilweise. Eine weisungsgebundene Tätigkeit sei in der Regel zugleich fremdbestimmt. Das Merkmal der Fremdbestimmung könne in Bezug auf die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eigenständige Bedeutung erlangen. Beide Kriterien, die Bindung an Weisungen und die Fremdbestimmung, müssten einen Grad an persönlicher Abhängigkeit des Betroffenen erreichen, der für ein Rechtsverhältnis prägend sei. Die Weisungsbindung sei das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB näher ausgestaltet sei.
Das Gesetz bestimme die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten, indem es ihr die Freiheit des Selbstständigen gegenüberstelle. Weisungsgebunden sei danach, wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht bestimmen könne. Dies korrespondiere mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen könne. Im Rahmen der Gesetze und des Vertrags sei der Arbeitgeber befugt, die Umstände, unter denen der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringe, nach billigem Ermessen einseitig näher auszugestalten.
Weisungsrechte könnten aber auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gegeben sein. Die Anweisung gegenüber einem Selbstständigen sei typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert ausgestaltet und damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet. Im Unterschied dazu sei das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen und ablauforientiert geprägt. Werde die Tätigkeit durch den „Auftraggeber“ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten „Arbeitsergebnisses“ faktisch ausschließe, liege ein Arbeitsverhältnis nahe. Das Recht, Dritte in die Leistungserbringung einzubinden, sei dagegen ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit.
Die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild beeinflussten den Vertragstyp. Bei untergeordneten, einfachen Arbeiten bestehe eher eine persönliche Abhängigkeit als bei gehobenen Tätigkeiten.
Erforderlich sei schließlich eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls. Ein Arbeitsverhältnis sei nur gegeben, wenn den Umständen, die für eine persönliche Abhängigkeit sprächen, dabei hinreichendes Gewicht beizumessen sei oder sie dem Rechtsverhältnis ihr Gepräge gäben. Maßgeblich sei die tatsächliche Tätigkeit, nicht der Wortlaut der Vereinbarung. Die Vertragsdurchführung, nicht die Vertragsbezeichnung sei entscheidend, wie § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB unabdingbar bestimme.
Bei der konkreten Prüfung sei der Vertrag zunächst nach § 157 BGB auszulegen. Ergebe sich bereits daraus, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis begründen wollten, liege ein Arbeitsverhältnis vor, ohne dass es auf die Vertragsdurchführung ankomme. Anderenfalls sei in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags in den Blick zu nehmen. Stimme die Vertragspraxis mit den vertraglichen Vorgaben überein, sei Selbstständigkeit gegeben. Bei Abweichungen richte sich die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses allein nach der Vertragsdurchführung. Maßgeblich seien beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis.
Gemessen an diesen Grundsätzen und der zulässigen revisionsrechtlichen Überprüfung sei das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) nicht zu beanstanden. Die für ein freies Dienstverhältnis sprechenden Umstände überwögen die Umstände, die auf ein Arbeitsverhältnis schließen ließen.
Die Parteien hätten den „Partnervertrag“ weder als Arbeitsverhältnis klassifiziert noch darin Regelungen getroffen, die in ihrer Gesamtschau auf einen Arbeitsvertrag schließen ließen.
Eine Vielzahl von Vertragsbestimmungen deuteten darauf hin, dass der Partnervertrag einen dienstvertraglichen Inhalt hat.
Das LAG habe auch berücksichtigt, dass einige Regelungen den Kläger in der freien Gestaltung seiner Tätigkeit einschränkten.
Hinsichtlich der Durchführung des Vertrags gelte:
Die Abwägung dieser Gesichtspunkte ergebe das Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters. Das LAG habe zutreffend den Vertragsbestimmungen, die die Handlungsfreiheit des Klägers beschränkten, eine weniger große Bedeutung zugemessen als seiner Befugnis, die von ihm geschuldete Dienstleistung durch Dritte zu erbringen, die er frei habe auswählen und deren Tätigkeit er eigenverantwortlich habe kontrollieren können.
Mit den Vorgaben des PV seien lediglich die Rahmenbedingungen festgelegt worden, unter denen die Beklagte ihren Partnern bundesweit anbiete, unter einheitlichem Namen den Kunden Waschleistungen mit im Wesentlichen einheitlichem Standard und einheitlichen Preisen zu bestimmten Öffnungszeiten zu erbringen. Die Verpflichtung, die Waschstraße instand zu halten, das Verhalten gegenüber den Kunden und der Umgang mit Reklamationen zielten auf eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit ab, die beiden Parteien gleichermaßen zugutekomme. Die Bestimmungen über die Buchhaltung, die Kassenführung und den Zahlungsverkehr dienten der geordneten Abrechnung, insbesondere der Berechnung der vom Kläger verdienten Provision, nach der sich gemäß § 8 PV das von ihm zu entrichtende Nutzungsentgelt richte.
Zu Unrecht rüge der Kläger, die Beklagte verfüge über eine Marktmacht, die es ihr erlaube, die Bedingungen der Zusammenarbeit nach Belieben zu bestimmen. Dies sei kein Indikator für Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung in persönlicher Abhängigkeit.
Da nach allem der Feststellungantrag schon nicht begründet sei, bedürfe der Zahlungsantrag als uneigentlicher Hilfsantrag keiner Entscheidung mehr.
Download: Wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers bei D&O-Versicherung
Vorbemerkung
Nachdem in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung vor einigen Jahren die Ansicht vertreten worden war, Ansprüche gegen den Geschäftsführer einer GmbH aus § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) wegen unzulässiger Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft fielen nicht unter den Deckungsschutz der D&O Versicherung, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 18.11.2020 (IV ZR 217/19) das Eingreifen des Deckungsschutzes klargestellt. Zwischenzeitlich haben eine Reihe von Versicherern Ansprüche aus § 64 GmbHG (heute § 15b der Insolvenzordnung [InsO]) ausdrücklich in den Versicherungsschutz aufgenommen. Damit ist die Eintrittspflicht der Versicherer allerdings nicht in jedem Fall gewährleistet, denn in Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind vielfach Ausschlüsse vom Versicherungsschutz aufgenommen, so auch bei der D&O Versicherung.
Dort regelt Nr. 6 Abs. 1 der „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten“ (D&O Bedingungen, kurz auch: ULLA):
6. Ausschlüsse
Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch eine versicherte Person.
Danach kommt es entscheidend darauf an, ob der Geschäftsführer als versicherte Person wissentlich eine Pflichtverletzung begangen hat. Die Frage ist von erheblicher Praxisrelevanz, entscheidet sie doch über die Leistungsfreiheit des Versicherers mit oft gravierenden wirtschaftlichen Folgen für den Geschäftsführer.
Entscheidend kommt es daher darauf an, ob der Geschäftsführer (zumindest) wissentlich gegen seine Pflichten verstoßen hat.
Wissentlich handelt nach der Rechtsprechung des BGH nur derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür nicht aus. Im Deckungsprozess muss daher feststehen, dass der Versicherte seine Pflichten zutreffend erkannt hat.
Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer. Er muss folglich im Prozess vortragen, dass die versicherte Person gewusst hat, wie sie sich hätte verhalten müssen.
Aus dieser grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt, dass er zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien für das Wissen des Geschäftsführers ist dabei dann entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (sogenannte Kardinalpflichten).
Kann die Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, nicht festgestellt werden, muss der beweispflichtige Versicherer Anknüpfungstatsachen vortragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.
Die Inanspruchnahme von Geschäftsführern wegen verbotswidriger Zahlungen gemäß § 64 GmbHG a. F. oder jetzt § 15b InsO erfolgt im Allgemeinen durch den Insolvenzverwalter der Gesellschaft. In diesen Fällen treten die betroffenen Geschäftsführer häufig, zum Beispiel im Rahmen eines Vergleichsschlusses, ihre Ansprüche aus der Versicherung an den Verwalter ab, sodass dieser gegen den Versicherer klagt, so auch vorliegend.
Nicht selten wird in diesem Zusammenhang darum gestritten, ob die Verletzung der Insolvenzantragspflicht eine Kardinalpflicht in diesem Sinne darstellt. Um eine solche Fallgestaltung ging es auch vorliegend.
Der zu entscheidende Fall
Der Insolvenzverwalter behauptete, der eingetragene Geschäftsführer der Gesellschaft X habe lediglich als Strohmann für den faktischen Geschäftsführer Y fungiert. Durch Auslegung des Entwurfs der dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügten Klageentwurfs ermittelt das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG), dass der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer X in Anspruch nimmt, weil er den (vermeintlichen) faktischen Geschäftsführer Y nicht ordnungsgemäß überwacht habe. Nach den Feststellungen des OLG wurde der Geschäftsbetrieb trotz „eindeutiger und unverkennbarer Anzeichen für den Verlust der Zahlungsfähigkeit“ noch über ein weiteres Jahr aufrechterhalten.
Das OLG hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Begründung des OLG Frankfurt
Der Geschäftsführer X der Insolvenzschuldnerin habe vorliegend eine Kardinalpflicht verletzt, da er bei Eintritt der Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag stellte und die Geschäfte weiterführte bzw. durch den faktischen Geschäftsführer führen ließ, ohne sich über die geschäftliche Situation ins Bild zu setzen und tätig zu werden.
Die Insolvenzantragspflicht nach § 64 GmbHG a. F. (§ 15a InsO) sei eine Kardinalpflicht im oben beschriebenen Sinne. Eine solche setze voraus, dass die von dem Versicherten verletze Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehöre. Dazu zähle auch die Pflicht eines Geschäftsführers, weder sich noch Dritten aus dem Gesellschaftsvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch bestehe, das Unternehmensvermögen nicht Zweck zu entfremden, und auch die Pflicht, bei Insolvenzreife rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Insolvenzantragspflicht sei eine wesentliche gläubigerschützende Regelung, die nach § 15a Abs. 4 InsO sogar strafbewährt sei. Zum Elementarwissen des Geschäftsführers gehöre die Verpflichtung zur Vergewisserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die Prüfung der Insolvenzreife und das Leisten der hierzu notwendigen Arbeiten. Geschäftsführern, die „blind in die Krise“ segelten, könne daher die Verletzung einer Kardinalpflicht vorgeworfen werden.
Vorliegend habe der Insolvenzverwalter die Indizwirkung der Kardinalpflichtverletzung nicht beseitigen können. Nach seinem Vortrag, so das OLG, habe der X die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, mithin den Eintritt des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit gekannt oder sich den zugrundeliegenden Tatsachen bewusst verschlossen. Sollte er tatsächlich als Strohmann aufgetreten sein, entlaste ihn dies nicht, weil er in diesem Fall die wissentliche Verletzung kardinaler Organisations- und Kontrollpflichten zu verantworten habe.
Die Insolvenzreife habe sich schon deshalb aufgedrängt, weil im maßgeblichen Zeitpunkt einer Steuerforderung von nahezu 100.000 € nur eine Liquidität von 12.000 € gegenübergestanden habe, was dem X nicht verborgen geblieben sein könne. Außerdem hätten eine Reihe von weiteren Aspekten für Insolvenzreife gesprochen.
Sei X lediglich als Strohmann anzusehen, entlaste ihn dies nicht, weil er dann den Y nicht überwacht habe.
Übe der eingetragene Geschäftsführer seine Tätigkeit nicht aus und habe er deswegen keine Kontrollmöglichkeit in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft, müsse er eine Organisationstruktur aufbauen und unterhalten, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermögliche, anderenfalls müsse er zur Haftungsvermeidung sein Amt niederlegen. Daher sei der nur zum Schein, aber wirksam bestellte Strohmann-Geschäftsführer sogar verantwortlich, wenn er jedwede Tätigkeit unterlasse. Auf eine Abstimmung mit den Gesellschaftern komme es insoweit nicht an.
Gegen diese Kardinalpflicht habe der X, wenn er reiner Strohmann gewesen sei, wissentlich verstoßen, da das Wissen darum, dass mit der Eintragung als Geschäftsführer einer GmbH vielfältige Pflichten in Bezug auf die Unternehmensleitung verbunden seien, zum Allgemeinwissen aller Berufstätigen gehören dürfte. X müsse jedenfalls gewusst haben, dass er sich als eingetragener Geschäftsführer nicht jeglicher Kontrolle über die faktische Geschäftsführung habe enthalten dürfen.
Download: Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter
Vorbemerkung
Nach § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Voraussetzung ist ein entsprechender frist- und formgerechter Antrag. Allerdings muss die bedürftige Partei in gewissem Umfang ihr Einkommen und Vermögen zunächst für die Prozesskosten einsetzen. Nur wenn das nach näherer Maßgabe des § 115 ZPO nicht ausreicht, besteht der Anspruch auf PKH. Diese Regeln gelten für natürliche Personen.
Aber auch eine sogenannte Partei kraft Amtes kann PKH erhalten. Dies sind Personen, die zwar als Partei auftreten, aber fremde Interessen vertreten und nicht mit ihrem eigenen Vermögen für die Kosten des Prozesses aufzukommen haben. Ihr Amt wird ihnen durch einen besonderen Bestellungsakt übertragen, meist durch einen gerichtlichen Beschluss. Hierunter fallen vor allem die Insolvenz- und Zwangsverwalter. Sie haben, handelnd für das von ihnen verwaltete Vermögen, nicht für sich persönlich, unter den Voraussetzungen des § 116 ZPO Anspruch auf PKH. Entscheidend für die Gewährung sind in der Konsequenz nicht ihre persönlichen Verhältnisse, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse des von ihnen verwalteten Vermögens. § 116 ZPO lautet:
„Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag
1. eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2. eine juristische Person …
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.“
Der Gesetzestext verdeutlicht, dass nicht nur die unmittelbaren Verhältnisse des jeweils verwalteten Vermögens maßgeblich sind, sondern es auch auf die Frage ankommt, ob diejenigen, auf die sich das Ergebnis des Prozesses mittelbar auswirkt verpflichtet sind, die Prozesskosten ganz oder teilweise aufzubringen. Im Fall des Insolvenzverwalters sind dies in aller erster Linie die Insolvenzgläubiger, denn sie werden begünstigt, wenn der Insolvenzverwalter als Beklagter Ansprüche gegen die Insolvenzmasse abwenden oder als Kläger Ansprüche der Masse realisieren kann, denn dies wirkt sich auf die Insolvenzquote aus.
Prozesskostenhilfe kann immer nur für die jeweilige Instanz bewilligt werden. Möchte die beschwerte Partei gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einlegen und ist sie nicht in der Lage, die die Kosten hierfür aufzubringen, muss sie einen erneuten PKH-Antrag stellen. Wünschenswert ist, dass dieser Antrag nicht nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei – dies ist zwingend –, sondern auch in der Sache begründet wird. Sinnvoll ist dabei, schon in diesem Stadium die Ausführungen zu machen, die später als Begründung der Berufung dienen, insbesondere den Entwurf einer Berufungsbegründung dem PKH-Antrag beizufügen. Allerdings besteht hier das Risiko, dass das Gericht annimmt, wegen des schon gefertigten Entwurfs bedürfe die Partei der PKH gar nicht mehr.
Mit dieser Problematik befasst sich die Besprechungsentscheidung. Darüber hinaus geht es um die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO. Dieser etwas antiquiert wirkende Begriff bedeutet, dass die Versäumung bestimmter Fristen bei rechtzeitigem Wiedereinsetzungsantrag unbeachtlich ist, wenn die Partei ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist einzuhalten. Dies gilt insbesondere für die sogenannten Notfristen, etwa die Berufungsfrist, und für die Fristen zur Begründung von Rechtsmitteln, also zum Beispiel die Berufungsbegründungsfrist. „Ohne ihr Verschulden“ ist eine Partei auch dann säumig, wenn sie wegen wirtschaftlich begründeten Unvermögens den erforderlichen Rechtsanwalt nicht vergüten kann und alles ihr zumutbare unternommen hat, um PKH bewilligt zu erhalten.
Der zu entscheidende Fall
Die klagende Insolvenzverwalterin (Klägerin) nimmt den Beklagten nach Gewährung von PKH für das Verfahren erster Instanz aus Insolvenzanfechtung in Anspruch. Gegen das ihr am 13.10.2022 zugestellte, klageabweisende Urteil des Landgerichts Hamburg (LG) hat sie mit am Montag, den 14.11.2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach Gewährung der beantragten Fristverlängerung zur Begründung der Berufung bis zum 13.01.2023 hat sie mit Schriftsatz vom selben Tag die Gewährung von PKH für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt. Darin teilten ihre Prozessbevollmächtigten mit, das Berufungsverfahren solle nur unter der Bedingung der Gewährung von PKH durchgeführt werden, und kündigten für diesen Fall näher bezeichnete Berufungsanträge an. Zudem begründeten sie unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil die hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung.
Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) hat das PKH-Gesuch mit Beschluss vom 08.02.2023 zurückgewiesen, weil die Mittellosigkeit der Klägerin für die Fristversäumung nicht ursächlich sei, nachdem ihr Prozessbevollmächtigte das Gesuch in gleicher Art und Weise wie eine Berufungsbegründung begründet habe. Zugleich hat das OLG darauf hingewiesen, dass es folglich beabsichtige, die Berufung wegen Fristversäumnisses als unzulässig zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom 23.02.2023 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO beantragt und Anhörungsrüge nach § 321a ZPO gegen die Zurückweisung des Antrags auf Gewährung von PKH erhoben. Es streite, so das OLG, eine Regelvermutung für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer Partei für eine Fristversäumung. Die Prozessvertreter hätten auch anwaltlich versichert, keine Bereitschaft zur Durchführung der Berufung ohne Gewährung von PKH oder eine anderweitige Finanzierung zu haben, dies sei jedoch nicht ausreichend. Vor dem Hintergrund der schon vorliegenden Begründung sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Prozessbevollmächtigten nicht auch ohne die Gewährung von PKH zur Durchführung der Berufung bereit gewesen seien. Am selben Tag begründete die Klägerin ihre Berufung.
Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung zurückgewiesen, die Berufung als unzulässig verworfen und die Anhörungsrüge gegen die Versagung von PKH zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Das Rechtsmittel hat vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist und der Verwerfung der Berufung als unzulässig Erfolg, jedoch nicht im Hinblick auf die Versagung der PKH.
Die Begründung des BGH
Die Rechtsbeschwerde ist nach Ansicht des BGH nur hinsichtlich der Ablehnung der Wiedereinsetzung und der Verwerfung der Berufung zulässig, da die Rechtsbeschwerde insoweit kraft Gesetzes, also auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht zulässig ist. Insoweit sei die Rechtsbeschwerde auch begründet.
Die Klägerin habe die Berufungsbegründungsfrist zwar versäumt, da sie mit dem PKH-Antrag nur einen (nicht unterzeichneten) Entwurf der Berufungsbegründung eingereicht habe, ihr hätte insoweit jedoch auf ihren rechtzeitig eigereichten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen.
Das OLG habe rechtsfehlerhaft angenommen, sie sei nicht schuldlos an der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen.
Die Mittellosigkeit einer Partei stelle einen Entschuldigungsgrund im Sinne von § 233 ZPO dar, wenn sich die Partei infolge der Mittellosigkeit außerstande sehe, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung ihres Rechtsmittels zu beauftragen.
Sei die bedürftige Partei bereits anwaltlich vertreten und lege ihr Rechtsanwalt uneingeschränkt Berufung ein, müsse sie allerdings glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit gewesen sei, die wirksam eingelegte Berufung im Weiteren ohne Bewilligung von PKH ordnungs- und fristgerecht zu begründen.
Dabei werde im Regelfall vermutet, eine Partei sei bis zur Entscheidung über ihr PKH-Gesuch so lange als schuldlos anzusehen, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die PKH ablehnenden Entscheidung rechnen müsse.
Diese Vermutung sei vor allem dann erschüttert, wenn der Prozessbevollmächtigte neben dem PKH-Gesuch innerhalb der noch laufenden Begründungsfrist zugleich den Entwurf einer Rechtsmittelbegründung vorlege. So habe der BGH die Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis verneint, wenn ein Prozessbevollmächtigter nach Berufungseinlegung innerhalb laufender Begründungsfristen einen Antrag auf Bewilligung der PKH und die vollständige, unterschriebene – wenn auch als Entwurf gekennzeichnete – Berufungsbegründung beifügt habe; denn in diesem Fall habe er seine Leistung in vollem Umfang erbracht.
Habe dagegen der Anwalt nach unbedingter Einlegung des Rechtsmittels und Vorlage des Entwurfs einer nicht unterschriebenen Berufungsbegründung innerhalb laufender Rechtsmittelbegründungsfrist glaubhaft gemacht, er sei nicht bereit, ohne Vorschussanforderung oder Bewilligung von Prozesskostenhilfe tätig zu werden, oder habe er mitgeteilt, dass der Entwurf noch der Bearbeitung oder Abstimmung bedürfe, habe der BGH angenommen, die Glaubhaftigkeit der anwaltlichen Erklärung, der anwaltliche Vertreter sei nicht bereit, die Mandanten in der Rechtsmittelinstanz über das Verfahren der Gewährung von Prozesskostenhilfe hinaus weitergehend zu vertreten, sei nicht erschüttert. Zu den Aufgaben eines Anwalts in der Rechtsmittelinstanz zähle nämlich nicht allein die Anfertigung von Schriftsätzen, er müsse für deren Inhalt durch seine Unterschrift die Verantwortung übernehmen; überdies habe er die gesamte Verfahrensführung zu übernehmen. Dafür reiche die Einreichung eines PKH-Antrags mit einem Schriftsatzentwurf zur Erläuterung des Antrags nicht aus.
Die Mittellosigkeit sei auch dann ursächlich für die Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist geworden, wenn der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte ein ordnungsgemäßes PKH-Gesuch für eine beabsichtigte Berufung einreiche und dieses fristgemäß begründe, denn dies sei nicht mit einer vollständig erstellten Berufungsbegründung gleichzusetzen.
Gemessen an diesen Voraussetzungen habe das OLG zu hohe Anforderungen an ein fehlendes Verschulden gestellt. Zu Gunsten der Klägerin greife vielmehr die nicht durch die Fallumstände erschütterte Vermutung, ihre Mittellosigkeit sei für ihr Fristversäumnis kausal. Sie habe glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigen nicht bereit gewesen seien, ohne Vorschusszahlung oder Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsverfahren weitergehend für sie tätig zu werden. Gründe, die deren Glaubhaftigkeit erschüttern, seien nicht ersichtlich.
Es gelte die Vermutungsregel, dass eine Partei grundsätzlich bis zu einer Entscheidung über den PKH-Antrag so lange als schuldlos im Sinne des § 233 ZPO an der Fristwahrung gehindert anzusehen sei, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen müsse, weil sie aus ihrer Sicht alles Erforderliche getan habe, damit aufgrund der von ihr vorgelegten Unterlagen über ihr Gesuch entschieden werden könne.
Vorliegend habe der Rechtsanwalt keinen Entwurf einer Berufungsbegründung vorgelegt und im Wiedereinsetzungsverfahren seine Bereitschaft zur Einreichung einer Berufungsbegründung verneint. An der Richtigkeit dieser Behauptung bestünden keine Zweifel. Insbesondere folgten solche nicht daraus, dass der Rechtsanwalt das PKH-Gesuch (ausführlich) begründet habe. Ein begründeter Prozesskostenhilfeantrag könne dem Entwurf einer Rechtsmittelbegründungsschrift nicht gleichgesetzt werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Ausführungen Umfang und Tiefe einer Berufungsbegründung erreichten. Dies lasse nicht den Schluss zu, der Rechtsanwalt sei auch zur Einreichung der Berufungsbegründung bereit. Daran ändere auch die Berufungseinlegung nichts. Sie erfolge mittels eines standardisierten Schriftsatzes von wenigen Zeilen und lasse keinen Rückschluss auf die Bereitschaft zu, das Berufungsverfahren darüber hinaus zu fördern und hierfür die volle anwaltliche Haftung zu übernehmen.
In dieser Hinsicht hatte die Rechtsbeschwerde auch in der Sache Erfolg.
Unzulässig sei die Rechtsbeschwerde jedoch, soweit die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung zwecks Gewährung von PKH begehre. Gegen die Versagung von PKH in zweiter Instanz sei die Rechtsbeschwerde nicht von Gesetzes wegen zugelassen und setze daher die Zulassung durch das Berufungsgericht voraus, die nicht erfolgt sei.
Die Entscheidungen über die Versagung von Prozesskostenhilfe erwüchsen allerdings nicht in materieller Rechtskraft, so dass die Klägerin nicht gehindert sei, einen neuen PKH-Antrag zu stellen.
Vorbemerkung
Nach § 35 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Die Insolvenzmasse ist nicht statisch, sie kann sich verringern, indem der Insolvenzverwalter Gegenstände der Masse an den Schuldner freigibt, sie kann sich durch Erwerb des Schuldners mehren.
Die Regelung des § 35 Abs. 1 InsO gilt nicht unbeschränkt, vielmehr macht § 36 InsO hiervon gewichtige Ausnahmen. So sind nach dessen Abs. 1 Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht massezugehörig und unterliegen daher nicht der Insolvenzverwaltung.
Welche Gegenstände vom Zwangsvollstreckungszugriff ausgenommen sind, regelt nicht die InsO, sondern die Zivilprozessordnung (ZPO), § 36 InsO verweist hierauf und nimmt für bestimmte Verfahren Modifikationen vor. Danach gehören zum Beispiel die Geschäftsbücher zur Insolvenzmasse. Wie in der Einzelzwangsvollstreckung ist aufgrund des pauschalen Verweises auf die ZPO etwa Arbeitseinkommen in bestimmten, von den persönlichen Verhältnissen des Schuldners abhängigen Grenzen nach §§ 850 ff. ZPO pfändungsfrei.
Unpfändbar sind zum Beispiel gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO „Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, ferner Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, wenn die Versicherungssumme 5 400 Euro nicht übersteigt“.
Die Besprechungsentscheidung erörtert die Frage, ob Ansprüche auf Auszahlung von Geldern, die im Rahmen eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrt werden, direkt nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO oder in einer analogen Anwendung der Vorschrift unpfändbar sind.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Besprechungsentscheidung dazu folgenden Leitsatz vorangestellt: „Ansprüche des Schuldners auf Auszahlung von im Rahmen eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrter Gelder sind grundsätzlich pfändbar und gehören zur Insolvenzmasse. Sie stehen weder nur bedingt pfändbaren Bezügen noch Ansprüchen aus Lebensversicherungen gleich, die nur auf den Todesfall abgeschlossen sind und deren Versicherungssumme 5.400 EUR nicht übersteigt.“
Daneben befasst sich das Urteil mit dem Einziehungsrecht des Insolvenzverwalters bei sicherungszedierten Forderungen.
Der zu entscheidende Fall
Am 13.06.2020 beauftragte O (im Folgenden: Schuldnerin) die Streithelferin der Beklagten (im Folgenden: Streithelferin) mit der „Vornahme aller im Zusammenhang mit der Durchführung der Bestattung anfallenden Dienstleistungen und Lieferungen“ entsprechend einer Kostenzusammenstellung („Bestattungsvorsorgevertrag“). Aus Anlass dieses Bestattungsvorsorgevertrags trafen die Schuldnerin, die Streithelferin und die Beklagte am 09.07.2020 eine als „Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag“ bezeichnete Vereinbarung. Darin verpflichtete sich die Beklagte, die von der Schuldnerin zur Finanzierung ihrer dereinstigen Bestattung bei ihr eingezahlten und noch einzuzahlenden Beträge nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung anzulegen und treuhänderisch zu verwalten.
Die Schuldnerin leistete hierauf eine Einmalzahlung in Höhe von 2.500 EUR. Aufgrund weiterer Ratenzahlungen belief sich der bei der Beklagten verwahrte Betrag am 23.04.2021 auf 2.740 EUR. Die Vereinbarung regelte verschiedene Fälle der Auszahlung des verwahrten Betrags nebst Zinsen. Weiter enthielt die Vereinbarung eine Bestimmung, wonach die Schuldnerin zur Sicherung der dereinstigen Bestattungskosten ihre gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag an die Streithelferin abtrat und diese die Abtretung annahm.
Am 09.04.2021 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt. Er forderte die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung des bei ihr verwahrten Betrags auf und kündigte vorsorglich den Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag mit der Beklagten sowie den Bestattungsvorsorgevertrag mit der Streithelferin. Die auf Auszahlung des verwahrten Betrags gerichtete Klage blieb in den beiden Tatsacheninstanzen erfolglos. Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Sache aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Begründung des BFH
Nach Ansicht des BGH ist das Guthaben aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag nicht in analoger Anwendung von § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO i. V. m. § 36 Abs. 1 InsO pfändungsfrei und fällt daher in die Insolvenzmasse. Auch wenn ein solcher Vertrag grundsätzlich eine einer Sterbegeldversicherung entsprechende Funktion erfüllen könnte, käme insoweit auch keine analoge Anwendung in Betracht. Einer analogen Anwendung stünde der klare und eindeutige Wortlaut der Norm sowie der Umstand, dass die Pfändbarkeit von Renten und rentenähnlichen Bezügen sowie Kleinlebensversicherungen durch sie geregelt werde, entgegen.
Der Pfändungsschutz nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO setze voraus, dass dem Schuldner Bezüge ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt würden, was vorliegend nicht der Fall sei. Ein Vertrag über eine Lebensversicherung liege mit dem hier gegebenen Treuhandvertrag ebenfalls nicht vor.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift sei nur dann zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthalte und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt habe, vergleichbar sei, dass angenommen werden könne, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Eine Analogie setze daher voraus, dass die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen sei. Erst die Planwidrigkeit der Regelungslücke eröffne die Möglichkeit einer Ausdehnung der Gesetzesvorschrift über ihren Wortlaut hinaus im Wege eines Analogieschlusses. Die Lücke müsse sich aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem – dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden – Regelungsplan ergeben, wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ableiten lasse.
Danach lasse sich nicht feststellen, dass die fehlende Erwähnung aufgrund eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrags verwahrter Gelder auf einer planwidrigen Regelungslücke beruhe.
Einer analogen Anwendung des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO stehe allerdings nicht entgegen, dass es sich insoweit um eine Ausnahmevorschrift handele. Zwar sei eine Ausnahmevorschrift einer analogen Anwendung grundsätzlich nicht zugänglich, diese Regel greife aber nicht ein, wenn dem Ausnahmesatz seinerseits ein engeres Prinzip zugrunde liege. Der BGH habe daher bereits entschieden, dass die Vorschrift nicht lediglich auf Renten, Einkünfte oder Bezüge von Arbeitnehmern oder Beamten anwendbar sei. Ein treuhänderisch verwahrter Geldbetrag wie vorliegend stelle aber kein Einkommen oder sonstige andersartige Einkünfte im Sinn der Vorschrift dar.
Der Regelungszweck des § 850b ZPO erfasse keine von einem Unternehmen treuhänderisch verwahrten Gelder. Vielmehr diene der Pfändungsschutz von Geldrenten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten seien, der Sicherung der Existenz des Schuldners. Es solle verhindert werden, dass er seine Existenzgrundlage verliere. Die ebenfalls von der Norm erfassten Haftpflicht- und Berufsunfähigkeitsrenten träten ganz oder zum Teil an die Stelle des bisherigen Einkommens des Schuldners. Auch dies sei vorliegend hinsichtlich des verwahrten Betrags nicht der Fall.
Der Gesetzgeber wolle mit der Pfändungsschutzbestimmung des § 850b ZPO Versicherungen erfassen, die dazu dienten, beim Tode des Versicherungsnehmers anfallende Ausgaben, vor allem Bestattungskosten, abzudecken. Eine solche Todesfallversicherung entlaste jene Personen, von denen die Kosten der Bestattung des Schuldners zu tragen seien. Angesichts dieses – auch auf die Vermeidung von Armenbestattungen gerichteten – Schutzzwecks genüge es für die Anwendbarkeit der Vorschrift, dass der Versicherungsnehmer und der Versicherte identisch seien. Begünstigter könne auch ein Dritter, selbst ein Nichtangehöriger, sein, dem die Bestattung des Versicherungsnehmers obliege. Damit erfasse die Vorschrift insbesondere sogenannte Sterbegeldversicherungen.
Der Gesetzgeber habe aber Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen seien, für bedingt pfändbar erklärt, dabei jedoch nur Leistungen aufgrund von Versicherungsverträgen im Auge gehabt. Eine Erweiterung auf andere Vertragskonstruktionen habe er nicht vorgenommen. Auf eine nur versehentlich unterbliebene Erweiterung ließen weder die Gesetzgebungsmaterialien noch die nachfolgenden gesetzlichen Änderungen schließen.
Trotz der sich aus dem Vorstehenden ergebenden Massezugehörigkeit konnte der BGH nicht abschließend entscheiden, ob der Insolvenzverwalter die Rückzahlung zu Recht forderte. Zwar steht dem Insolvenzverwalter grundsätzlich das Recht zu Forderungen des Schuldners einzuziehen, und dies gilt auch gemäß § 166 Abs. 2 InsO für zur Sicherheit abgetretene Forderungen, vorliegend habe das Berufungsgericht, so der BGH, jedoch nicht ausreichend festgestellt, ob die Ansprüche aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag der Streithelferin nur zur Sicherheit abgetreten worden seien oder erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt wegen deren Leistungen aus dem Bestattungsvorsorgevertrag. In den letzten beiden Fällen stünde dem Insolvenzverwalter nicht das Recht zum Forderungseinzug zu, vielmehr sei dies allein Sache des Zedenten. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, in welcher Weise die Zession erfolgt ist.
Download: Zwangsversteigerung als privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des Einkommensteuerrechts
Vorbemerkung
Der Einkommensteuer unterliegen neben den klassischen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbetrieb, aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung nach § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die sonstigen Einkünfte im Sinne des § 22 EStG. Zu letzteren zählen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG private „Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt … Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden“. Erfasst werden von der Norm also Grundstücke, die der Wertanlage und nicht zu eigenen Wohnzwecken dienen.
Neben dem Ablauf der Zehnjahresfrist kommt es hier auf die Begriffe der „Anschaffung“ und der „Veräußerung“ an. Sie sind beide nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum einen durch die Entgeltlichkeit der Übertragung des Wirtschaftsguts geprägt, zum anderen davon, dass Erwerb und Veräußerung wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sind. Vorliegend ging es um die Frage, ob der Eigentumserwerb und -verlust in einer Zwangsversteigerung des Grundstücks diese Voraussetzungen erfüllen. Für die Anschaffung des Grundstücks hatte der BFH bereits mehrfach entschieden, dass die Abgabe des Meistgebots, das zum Zuschlag des Grundstücks und damit zum Erwerb des Eigentums führt, ausreicht. Jedenfalls für die privaten Veräußerungsgeschäfte hatte der BFH jedoch noch nicht abschließend dazu Stellung genommen, ob der Eigentumsverlust in der Zwangsversteigerung als „Veräußerung“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG qualifiziert werden kann, was der BFH jetzt bejaht. Hierin liegt der erste Schwerpunkt der Besprechungsentscheidung.
Den zweiten Schwerpunkt bildet die Frage, ob der aufgrund der Zwangsversteigerung entstandene Veräußerungsgewinn bei einer Zwangsversteigerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der sich daraus ergebenden Einkommensteuerforderung eine vorrangig vor den Insolvenzforderungen zu befriedigende Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) begründen kann. Vorliegend kam noch die Besonderheit hinzu, dass bereits vor dem Insolvenzverfahren die Zwangsversteigerung des Grundstücks angeordnet worden war.
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO lautet: „Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten: 1. die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören; …“.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren des Insolvenzschuldners (Schuldner). Der Schuldner war seit November 2012 Eigentümer einer Eigentumswohnung. Aufgrund von Steuerrückständen beantragte das Finanzamt (FA) aus einer auf diesem Grundstück eingetragenen Zwangssicherungshypothek, die aufgrund von Steuerverbindlichkeiten des Schuldners im Grundbuch eingetragen worden war, die Zwangsversteigerung beim zuständigen Amtsgericht (AG). Der Antrag auf Zwangsversteigerung wurde im Dezember 2018 vom AG positiv beschieden. Dieser Beschluss führt nach § 20 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) zur Beschlagnahme des Grundstücks zugunsten des Gläubigers, hier des FA.
Über das Vermögen des Schuldners wurde im Mai 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Zuschlagsbeschluss des AG im November 2020 wurde die Eigentumswohnung veräußert. Es ergab sich ein zwischen den Beteiligten unstreitiger Veräußerungsgewinn in Höhe von … €. Das FA ging davon aus, dass dieser Gewinn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfülle.
Das FA vertrat weiter die Auffassung, es handele sich bei der auf diesen Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuer um eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Absatz 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Daher erließ es einen an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Einkommensteuerbescheid für 2020. In diesem erfasste es den Veräußerungsgewinn als sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Der vom Kläger eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Seine Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte Erfolg. Auf die Revision des FA hat der BFH die Klage jedoch abgewiesen.
Die Begründung des BFH
Der BFH geht auch vorliegend davon aus, dass für „Anschaffung“ und „Veräußerung“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG erforderlich ist, dass sie wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen, mithin Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sein müssen. Folgerichtig grenzt er den Begriff für den Fall der Enteignung oder Umlegung von Grundstücken ab. Dort hatte der BFH eine Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG verneint (zuletzt BFH, Urt. v. 14.02.2023 – IX R 11/21). Anders soll es nach der ständigen Rechtsprechung dagegen bei einer Veräußerung unter Zwang sein, da es auf die Motivlage des Steuerpflichtigen nicht ankomme.
Der Schritt von der Zwangslage, die für das rechtsgeschäftliche Handeln immerhin trotz des Zwangs noch eine Willensbetätigung des Veräußerers verlangt, zur Zwangsversteigerung, die ohne oder sogar gegen den Willen des Eigentümers durchgeführt wird, ist jedoch nicht unwesentlich. Dennoch behandelt der BFH den Fall der Zwangsversteigerung jetzt gleich. Der BFH stellt in seiner Argumentation jedoch mehr auf das Meistgebot ab, das in seinen Wirkungen dem Abschluss eines Kaufvertrags über das Grundstück entspreche. Eher nachgeschoben erscheint seine Begründung, die willentliche Betätigung sei durch die Zwangsversteigerung „nicht entfallen“.
Allerdings hätte er die willentliche Betätigung feststellen müssen, bevor über das „Entfallen“ nachgedacht werden konnte. Der BFH sieht die notwendige Betätigung vorgelagerten Unterlassen der Befriedigung des Gläubigers, die die Versteigerung abgewendet hätte, oder auch in der Nichtausübung des Antrags, die Zwangsversteigerung nach § 30a ZVG einstweilen einzustellen. Im Ergebnis rechnet der BFH damit dem Steuerpflichtigen ein – teilweise – rechtsgeschäftliches Unterlassen in der Vergangenheit bei der Beurteilung der Folgen des Meistgebots zu.
Allerdings hatte der BFH schon 1969 (BFH, Urt. v. 10.12.1969 – I R 43/67) entschieden, dass die Veräußerung eines Geschäftsanteils im Sinne des § 17 EStG, die ganz ähnliche Voraussetzungen hat wie die Veräußerung im Sinne des § 23 EStG, auch im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgen könne. Es sei, so die einzige Begründung damals, kein Grund erkennbar, den Versteigerungserlös anders zu behandeln als den Veräußerungspreis. Der BFH beruft sich zwar nicht ausdrücklich auf dieses Urteil, es bahnt aber den Weg zur vorliegenden Entscheidung.
Hinsichtlich der Einordnung der zuvor festgestellten Steuerforderung in die insolvenzrechtliche Befriedigungsreihenfolge kommt der BFH wie das FA zu Masseverbindlichkeiten. In inzwischen ständiger Rechtsprechung lässt der BFH sowohl für die Umsatzsteuer (Lieferung) als auch für die Ertragsteuern (Aufdeckung stiller Reserven) die Zwangsversteigerung des Grundstücks durch einen absonderungsberechtigten Gläubiger, hier das FA als Inhaber der Zwangssicherungshypothek, ohne Zutun des Insolvenzverwalters ausreichen, um das Entstehen der Steuer als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO zu attestieren. Der BFH sieht die Alt. 2 als erfüllt an, wenn die fraglichen Verbindlichkeiten einen irgendwie gearteten Bezug zur Insolvenzmasse aufweisen, was in der juristischen Literatur allerdings kritisch beurteilt wird. Der BFH geht auf diese Kritik vorliegend nicht ein. Ferner richte sich, so der BFH weiter, die Abgrenzung von Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen (allein) nach dem Zeitpunkt ihrer Begründung. Vor der Verfahrenseröffnung begründete Steuerforderungen seien Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO, danach begründete Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO. Diese Auffassung sieht der BFH dadurch bestätigt, dass ein Übererlös aus dem Zwangsversteigerungsverfahren in die Insolvenzmasse falle und den Insolvenzgläubigern zugutekomme.
Der Besprechungsfall wies allerdings wie erwähnt die bislang nicht entschiedene Besonderheit auf, dass das im Insolvenzverfahren versteigerte Grundstück bereits vor Insolvenzeröffnung zwangsvollstreckungsrechtlich zugunsten des absonderungsberechtigten FA durch Beschluss des Versteigerungsgerichts beschlagnahmt worden war. Der BFH hält diesen Aspekt für irrelevant. Er stellt insoweit darauf ab, dass die Beschlagnahme des Grundstücks durch den gerichtlichen Anordnungsbeschluss nach § 20 Abs. 1 ZVG vor Insolvenzeröffnung die Massezugehörigkeit des Grundstücks gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht hindere, sondern (nur) zu einem Absonderungsrecht nach § 49 InsO führe, das ohnehin auch ohne die Beschlagnahme allein wegen der Eintragung der Zwangssicherungshypothek bestanden hätte. Der mit einem Absonderungsrecht belastete Gegenstand gehöre zur Insolvenzmasse und gewähre dem Absonderungs-gläubiger lediglich nach Maßgabe der §§ 165 ff. InsO ein vorrangiges Befriedigungs-recht aus dem Gegenstand.
Im Ergebnis hatte nach der Besprechungsentscheidung das FA den Insolvenzverwalter zu Recht im Rang von Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen.
Vorbemerkung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich im Rahmen der Besprechungsentscheidung mit zwei Themenfeldern zu befassen, zum einen ging es um die Auslegung einer sogenannten Nachrangvereinbarung, zum anderen um die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit in dem Sonderfall, dass eine maßgebliche Verbindlichkeit (nur) vorläufig vollstreckbar tituliert ist.
Durch eine Rangrücktrittsvereinbarung tritt ein Gläubiger – häufig ein Darlehensgeber - mit seinem Anspruch auf Befriedigung einer Forderung hinter einen, mehrere oder alle anderen Gläubiger des Schuldners zurück. Der konkrete Inhalt einer solchen Rangrücktrittsvereinbarung ist vom Gesetz nicht vorgegeben, die Parteien der Vereinbarung haben daher einen weiten Gestaltungsspielraum. Er bezieht sich auf die Rangtiefe und kann sogar so formuliert werden, dass die Gläubigerforderung nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Gesellschafter berücksichtigt werden darf, also so behandelt wird, als handele es sich bei ihr um statutarisches Kapital. Der Rangrücktritt kann zeitlich beschränkt oder auf Dauer vereinbart oder in seinen Wirkungen auf das eröffnete Insolvenzverfahren beschränkt werden oder auch bereits vorinsolvenzliche Wirkungen entfalten.
Die vorinsolvenzlichen Wirkungen können darin bestehen, dass der Gläubiger vor Verfahrenseröffnung keine Befriedigung seiner Forderung von der Gesellschaft verlangen kann, sofern bei dieser als Folge einer Zahlung Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zumindest einzutreten droht. Im Falle des Rangrücktritts gegenüber bestimmten einzelnen Gläubigern können sich die Wirkungen aber auch darauf beschränken, dass der nachrangige Gläubiger seine Leistung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit der Höhe nach bis zu deren Befriedigung nur gemindert erhält. Der Nachrang kann sich auf den Forderungsschuldner beschränken oder auch die Forderungen gegen Mithaftende (etwa Bürgen) erfassen.
Zur Frage der Berücksichtigung vorläufig titulierter Forderungen bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit hat der BGH folgenden Leitsatz formuliert:
Ein vorläufig vollstreckbarer Titel über eine streitige Forderung ist bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit durch den Schuldner in Höhe des Nennwerts der titulierten Forderung zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für eine Vollstreckung aus dem Titel vorliegen und der Titelgläubiger die Vollstreckung eingeleitet hat.
Der zu entscheidende Fall
Die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft beriet die Schuldnerin. Der Kläger ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin.
Die B gewährte einer Tochtergesellschaft (T) der Schuldnerin 2008 ein Darlehen über 2,3 Mio. €, das dazu diente, die für ein Immobilienobjekt geforderte Eigenkapitalquote der T zu erfüllen. Das Darlehen wurde im Vertrag als „nachrangiges Darlehen“ bezeichnet. Unter Nr. 5 des Darlehensvertrags verpflichtete die T sich „bei Veräußerung des Projektes als Ganzes oder in Teilen“ den Verkaufserlös zunächst zur Rückführung des Darlehens eines weiteren Darlehensgebers zu verwenden und erst danach zugunsten der B. Weiter sollte die Rückführung der Darlehensvaluta der B allen Ansprüchen der T vorgehen. Weitere Regelungen zum Nachrang enthielt der Darlehensvertrag nicht. Die Schuldnerin erklärte im Darlehensvertrag ihren Schuldbeitritt. – Die Rückzahlung wurde mehrmals verschoben, zuletzt bis 31.03.2011. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Schuldnerin ihrer aus dem Schuldbeitritt folgenden Zahlungspflicht mangels Liquidität nicht nachkommen. Danach passierte tabellarisch gefasst Folgendes:
09.05.2011
B erstritt ein vorläufig vollstreckbares Urteil gegen die Schuldnerin über 2,3 Mio. €. Diese legte Berufung ein.
05.09.2011
Die Schuldnerin beantragte, die Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
13.10.2011
Das Oberlandesgericht (OLG) wies den Antrag auch mit der Begründung fehlender Erfolgsaussicht der Berufung zurück.
22.11.2011
B gewährte der Schuldnerin monatliche Raten in Höhe von 30 T€ und verzichtete auf die Vollstreckung bis 28.02.2012. Bestehende Vollstreckungsmaßnahmen sollten aufrecht erhalten bleiben. Die Schuldnerin nahm daraufhin die Berufung zurück.
01.06.2011 bis 21.12.2011
Die Schuldnerin leistete in insgesamt sieben Teilbeträgen 91 T€ an die Beklagte.
03.07.2012
Insolvenzantrag
01.10.2012
Insolvenzeröffnung. Der Kläger wird zum Verwalter bestellt.
Der Kläger begehrt die 91 T€ aufgrund der sogenannten Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO) von der Beklagten zurück. Das Landgericht (LG) verurteilt die Beklagte, das OLG weist die Klage ab. Der BGH hebt auf und verweist die Sache an das OLG zurück.
Die Begründung des BGH
Der Anspruch des Klägers könne sich aus der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung ergeben. Für den hierfür notwendige Gläubigerbenachteiligungsvorsatz könne die erkannte Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sprechen. Allerdings reichten die Feststellungen des OLG bislang nicht aus, weshalb die Zurückverweisung erforderlich wurde.
Der BGH geht davon aus, dass die Schuldnerin am 01.04.2011 objektiv zahlungsunfähig war, weil sie die zu diesem Zeitpunkt fällige und durchsetzbare Forderung der B aus dem Schuldbeitritt aus Mangel an liquiden Mitteln nicht befriedigen konnte. Die Rangrücktrittsvereinbarung habe der Durchsetzbarkeit der Forderung nicht entgegengestanden, weil sie nicht gegenüber der Schuldnerin gewirkt habe.
Die Nachrangvereinbarung habe nur die Befriedigungsreihenfolge unter den beiden Darlehensgebern der T (B und der weitere Darlehensgeber) betroffen, und zwar nur die Verteilungsreihenfolge im Fall der Veräußerung des Projekts - eine der Veräußerung des Projekts vorausgehende Durchsetzungssperre zugunsten des weiteren Darlehensgebers habe nicht geregelt werden sollen. Hintergrund sei die Erfüllung der von dem weiteren Darlehensgeber zur Finanzierung des Immobilienprojekts geforderten „Eigenkapitalquote“ gewesen. Die B habe kein Interesse an einer Beschränkung ihrer Gläubigerrechte, die über den Wortlaut der getroffenen Vereinbarung hinausging, gehabt. Der T sei es nur darum gegangen, die von dem weiteren Darlehensgeber geforderte „Eigenkapitalquote“ zu schaffen. Jedenfalls aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergebe sich daher zugunsten der Schuldnerin nichts.
Anderes folge auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 417 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach solle ein Schuldbeitritt ins Leere gehen, wenn die Schuld, die mit übernommen werden soll, nicht bestehe. Dies sei hier aber nicht der Fall. Schlüge die Nachrangabrede auf die Schuldnerin durch, wäre der Schuldbeitritt als Sicherungsinstrument wertlos.
Das Indiz der erkannten Zahlungsunfähigkeit für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz könne darüber hinaus vorliegen. Die Schuldnerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Forderung aus dem Schuldbeitritt nicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO fällig gewesen sei. Ob der Schuldner seine (objektiv gegebene) Zahlungsunfähigkeit erkannt habe, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen gekannt habe, welche die Zahlungsunfähigkeit begründeten, und ob die gesamten Umstände zwingend auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinwiesen. Ein Irrtum hierüber sei belanglos, wenn der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit zwingend naheliege, was der Fall sei, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst sei, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen könne, der Schuldner sei zahlungsunfähig. Angesichts der vorstehenden Ausführungen habe sich die Schuldnerin vorliegend der Erkenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit nicht verschließen dürfen.
Dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit habe schließlich die nur vorläufige Vollstreckbarkeit des Titels nicht entgegengestanden. Die Wirkungen eines solchen Titels seien allerdings in der juristischen Literatur umstritten, wenn die Forderung trotz der Titulierung zwischen Gläubiger und Schuldner streitig geblieben sei. Zum Teil werde die Auffassung vertreten, es komme auch hier lediglich auf den materiellen Bestand der Forderung an. Andere Stimmen wollten die Forderung stets vollständig berücksichtigen, weil der Schuldner es sonst in der Hand habe, den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch Bestreiten zu beeinflussen. Wieder andere wollten nur solche Titel berücksichtigen, die auf einer gerichtlichen Sachprüfung beruhten, was zum Beispiel für einen Vollstreckungsbescheid nicht zutrifft. Schließlich werde vertreten, die Forderung sei nur mit einem Teil des Nennwerts zu berücksichtigen.
Der BGH meint, es komme im Ausgangspunkt auf die objektive Rechtslage an. Die Zahlungsunfähigkeit sei ein objektiver Zustand, sie setze voraus, dass die berücksichtigten Forderungen bestünden und fällig seien. Fehle es hieran, ändere auch ein vorläufig vollstreckbarer Titel nichts. Allerdings könne er auf die Nachweispflicht Auswirkungen haben.
Nach ständiger Rechtsprechung werde eine Zahlungspflicht im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO allein schon dadurch nachgewiesen, dass für eine Geldforderung ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorgelegt werde.
Folglich seien Einwendungen des Schuldners gegen die titulierte Forderung oder gegen deren Vollstreckbarkeit nicht zu berücksichtigen, solange der Titel vollstreckbar sei. Solche seien in dem jeweils vorgesehen Verfahren, also dem Vollstreckungsrecht der jeweiligen Prozessordnung oder in der Berufung, zu prüfen, nicht bei § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO.
Ob Einwendungen gegen den vollstreckbaren Titel ausnahmsweise nicht im dafür vorgesehenen Verfahren verfolgt werden müssten, wenn die Tatsachen, die dem Titel entgegenstünden, unstreitig oder offensichtlich seien, habe der BGH zuletzt offengelassen. In einer früheren Entscheidung sei er davon ausgegangen, dass in offensichtlichen Fällen das Insolvenzgericht die Prüfung selbst nachholen könne.
Zu berücksichtigen sei allerdings, dass auch der Titelgläubiger die titulierte Forderung für zweifelhaft halten und aus diesem Grund von einer Vollstreckung aus dem noch nicht rechtskräftigen Vollstreckungstitel absehen könne. Deshalb sei der Schuldner erst dann gehalten, die Forderung in Höhe ihres Nennwerts bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für eine Vollstre-ckung aus dem Titel vorlägen und der Titelgläubiger die Vollstreckung eingeleitet oder den Titel Im Insolvenzeröffnungsverfahren vorgelegt habe.
Hierfür spreche das Ziel der Insolvenzordnung, durch eine frühzeitige Verfahrenser-öffnung eine geordnete und gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherzustellen und im Interesse des Rechtsverkehrs eine fortgesetzte Teilnahme von Schuldnern mit erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten am Rechts- und Geschäftsverkehr zu ver-hindern. Bleibe der Schuldner untätig oder seien zum Beispiel Vollstreckungsschutz-anträge etwa mangels liquider (Sicherungs-)Mittel erfolglos, sei es nicht gerechtfer-tigt, die vorläufig vollstreckbar titulierte Forderung im Rahmen der Zahlungsunfähig-keitsprüfung unberücksichtigt zu lassen und dem Schuldner auf diesem Weg die Möglichkeit einzuräumen, das Insolvenzverfahren weiter hinauszuschieben.
Dass der Schuldner gehalten sei, die titulierte Forderung bei der Beurteilung der Zah-lungsunfähigkeit zu berücksichtigen, folge aus der Beweiswirkung des Titels. Der vor-läufig vollstreckbare Titel beweise den Bestand der Forderung sowohl für die Zwecke des Eröffnungsverfahrens als auch für die (vorgelagerte) Beurteilung der Zahlungs-unfähigkeit durch den Schuldner. Deshalb sei die Forderung im Liquiditätsstatus in voller Höhe - und nicht nur den durch die Vollstreckung erwartbaren Abfluss liquider Mittel oder sonstiger Anteile - zu passivieren.
Lägen nicht nur die Voraussetzungen für eine Vollstreckung aus dem Titel vor, son-dern leite der Titelgläubiger die Vollstreckung ein, trete zur Beweiswirkung des Titels hinzu, dass der Schuldner zur Abwendung der Vollstreckung liquide Mittel benötige. Daher erscheine eine nur anteilige Berücksichtigung der streitigen Forderung nicht (mehr) gerechtfertigt.
Die Beweiswirkung des vorläufig vollstreckbaren Titels wirke auch im Anfechtungsprozess fort und müsse vom Anfechtungsgegner entkräftet werden. Hierzu müsse der Anfechtungsgegner den Bestand der titulierten Forderung widerlegen.
Vgl. auch die Besprechung zu BGH, Beschluss vom 21.11.2024 – IX ZB 38/24, auf unserer Website. Dort geht es um die Frage, ob ein rechtskräftiger Titel bei der Ermittlung eines Insolvenzgrunds (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) ausnahmslos Berücksichtigung findet.
Vorbemerkung
Erstinstanzliche Entscheidungen können durch denjenigen, der durch sie beschwert ist, im Allgemeinen mindestens einer weiteren Überprüfung in der nächsthöheren Instanz zugeführt werden. Dies erfordert regelmäßig eine nicht unerhebliche Zeitspanne, sodass die sehr häufig mögliche Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung bis zur Entscheidung der zweiten oder gar dritten Instanz schon vollendete Tatsachen schaffen kann. Dies zu verhindern, gibt es in allen Prozessordnungen die Möglichkeit einer einstweiligen Aussetzung der Vollziehung in unterschiedlicher rechtlicher Gestalt durch entsprechende Anordnungen.
Das gilt auch für Beschlüsse des Insolvenzgerichts, soweit sie mit der (sofortigen) Beschwerde angreifbar sind (dazu § 6 der Insolvenzordnung – InsO -). Insbesondere ist hier der Beschluss über die Insolvenzeröffnung in seinen Wirkungen kaum mehr rückgängig zu machen, auch wenn der Eröffnungsbeschluss vom Landgericht (LG) als Beschwerdegericht später aufgehoben werden sollte. Nach § 4 InsO sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) entsprechend anwendbar, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt. Auf diesem Wege gelten für das insolvenzrechtliche Verfahren auch die Vorschriften der ZPO über die (sofortige) Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO entsprechend.
Nach § 570 Abs. 3 ZPO kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung über die Beschwerde eine einstweilige Anordnung erlassen, insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen. Das gilt gemäß § 575 Abs. 5 ZPO i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO auch im Fall der Rechtsbeschwerde, die insbesondere dann zulässig ist, wenn das Beschwerdegericht sie zulässt.
Die Aussetzung der Vollziehung einer erstinstanzlichen Entscheidung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt im Rechtsbeschwerdeverfahren nach der Rechtsprechung dann in Betracht, wenn durch die weitere Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Falle der Aufschiebung der vom Insolvenzgericht beschlossenen Maßnahme, die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist und die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht, das Gesetz begnügt sich hier mit einer Wahrscheinlichkeitsentscheidung.
Vorliegend geht es um einen Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem dieses das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet hatte. Die Beschwerde des Schuldners zum LG blieb ohne Erfolg, das LG hatte aber die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, die der Schuldner auch eingelegt hatte. Parallel dazu beantragte er die Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses.
Der zu entscheidende Fall
Die Darstellung des Sachverhalts beruht auf der Beschwerdeentscheidung des LG Karlsruhe (Beschluss vom 14.10.2024 - 20 T 23/24), da der BGH seiner Entscheidung keinen Sachverhalt vorangestellt hat.
Zwei (Insolvenz)Gläubiger hatten einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt. Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit (§§ 14, 17 InsO) stützten sie sich auf Titel, die sie aufgrund testamentarischer Erbfolge von der Erblasserin erworben hatten, hierunter ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe. Der Schuldner verweigerte die Bedienung der von den Gläubigern vorgelegten Titel mit der Begründung, die Gläubiger seien nicht Erben geworden, da das zu ihren Gunsten errichtete Testament unwirksam sei.
Das Insolvenzgericht eröffnete das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners nach Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hob das LG den Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurück.
Der Schuldner erhob gegen die beiden Gläubiger „Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO“ und „Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO“ zum LG Karlsruhe unter anderem mit den Anträgen festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus den von den Gläubigern aufgeführten Titeln unzulässig sei. Zur Begründung führte er (auch hier) aus, die Erbeinsetzung der beiden Gläubiger sei unwirksam. Das LG Karlsruhe stellte die Zwangsvollstreckung aus den genannten Titeln auf weiteren Antrag des Schuldners einstweilen ein.
Späterhin eröffnete das Insolvenzgericht, dessen erster Eröffnungsbeschluss aufgehoben worden war, (erneut) das Insolvenzverfahren. Die gegen diesen Beschluss vom Schuldner eingelegte sofortige Beschwerde wies das LG Karlsruhe als unbegründet zurück. Der Schuldner verfolgte die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses mit der Rechtsbeschwerde weiter und beantragte im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde. Der vorliegend zur Entscheidung allein anstehende Antrag auf einstweilige Anordnung hatte vor dem BGH Erfolg.
Die Begründung des BGH
Die Begründung des BGH ist recht knapp. Er erachtet den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 4 InsO, §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 2 ZPO als zulässig.
Auch in der Sache selbst sei die Rechtslage hinsichtlich der die Entscheidung des Beschwerdegerichts tragenden Gründe in einem entscheidenden Punkt zumindest zweifelhaft. Das Beschwerdegericht habe angenommen, dass die Gläubiger ihre Forderung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO glaubhaft gemacht und darüber hinaus auch nachgewiesen hätten, weil diese durch das Urteil des OLG Karlsruhe rechtskräftig tituliert worden sei, obwohl der Schuldner unstreitig eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil erreicht habe. Entscheidend sei, so das LG, dass es im Streitfall im Ergebnis weder über § 767 ZPO noch über § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) – Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung - möglich sei, die Rechtskraft der Entscheidung des OLG Karlsruhe zu durchbrechen, weil keine gegenüber dem Ursprungsprozess neuen Einwendungen erhoben worden seien.
Ob diese Argumentation die Beschwerdeentscheidung trage, sei höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Insbesondere sei zweifelhaft, ob der Gläubiger – wie das Beschwerdegericht angenommen habe – auch in einem solchen Fall (einstweilige Einstellung der Vollstreckung aus dem Titel, der zur Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit dienen soll) seiner Darlegungslast durch die Vorlage des rechtskräftigen Titels genüge oder ob vom Gläubiger im Hinblick auf die erfolgte Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Titel nunmehr die Glaubhaftmachung oder gegebenenfalls sogar der Beweis seiner Forderung zu verlangen sei, er also so behandelt werden müsste, als hätte er keinen Titel für seine Forderung vorlegen können. Diese offene Rechtsfrage lässt der BGH ausreichen und trifft zudem folgende Abwägung der den Parteien drohenden Nachteile:
Dem Schuldner drohten durch die Vollziehung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses voraussichtlich größere Nachteile als den Gläubigern durch die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine nähere Begründung für dieses allerdings plausible Ergebnis liefert der BGH nicht.
Vgl. auch die Besprechung zu BGH, Urteil vom 23.01.2025 – IX ZR 229/22, auf unserer Website. Dort geht es um die Frage, ob ein vorläufig vollstreckbarer Titel bei der Ermittlung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit Berücksichtigung findet.
Download: Insolvenz der Fluggesellschaft: Beförderungsanspruch ist nur ausnahmsweise eine Masseverbindlichkeit
Allgemeines
Moderne Gesetze sind im Allgemeinen abstrakt generell gefasst, sie versuchen nicht jeden denkbaren Einzelfall in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen zu beschreiben, weil die Lebenswirklichkeit zu vielgestaltig ist, um sie in ein Gesetz zu fassen. Es ist deshalb Sache des Gesetzesanwenders, zum Beispiel des Richters oder des Rechtsanwalts, den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt unter die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen zu subsumieren. Hierzu haben sich Auslegungsregeln entwickelt, die die Subsumtion erleichtern können.
Vielfach ist ein Fall ausdrücklich geregelt, ein anderer möglicherweise vergleichbarer aber nicht. Der Gesetzesanwender steht dann vor der Frage, ob er das Gesetz auch auf seinen Fall analog anwenden kann oder ob sich dies verbietet.
Eine Analogie setzt zunächst eine Regelungslücke im Gesetz voraus. Erforderlich ist ferner, dass die Interessenlage des gesetzlich geregelten Falls mit der des zu entscheidenden Falls übereinstimmt. Zusätzlich müssen auch die Wertungsgrundlage und die gesetzgeberische Interessenbewertung der Gesetzesnorm auf den zu entscheidenden Fall zutreffen.
Schließlich darf die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen sein. Es muss sich mithin um eine unbewusste Gesetzeslücke handeln. Hat der Gesetzgeber einen Fall dagegen bewusst von der Regelung ausgeschlossen, verbietet sich die Analogie.
Vorliegend geht es um einen Fall der Insolvenzanfechtung, bei dem unter anderem maßgeblich die erbrechtliche Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des für Miterben einschlägigen § 2041 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf einen Alleinerben in Rede stand.
Der Rechtsstreit ist prozessual etwas ungewöhnlich eingebunden. Im Allgemeinen befindet sich in einem Anfechtungsrechtsstreit der Insolvenzverwalter in der Rolle des Klägers, der Anfechtungsgegner ist der Beklagte. Vorliegend hatte der Insolvenzverwalter die Klägerin zwar außergerichtlich in Anspruch genommen, aber nicht verklagt. Diese möchte nun als Klägerin festgestellt wissen, dass der Verwalter nicht zur Anfechtung gegenüber ihren Gläubigern berechtigt ist. Darüber hinaus verlangt sie die Feststellung, nicht zur Herausgabe eines Kaufpreises für ein Grundstück an den Insolvenzverwalter verpflichtet zu sein.
Der zu entscheidende Fall
Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des 2016 verstorbenen Erblassers. Die Klägerin, die Alleinerbin des Erblassers, macht geltend, dass der Erlös aus dem Verkauf einer zum Nachlass gehörenden Immobilie nicht Bestandteil der Insolvenzmasse geworden sei und Verfügungen der Klägerin über diesen Erlös nicht der Insolvenzanfechtung durch den Beklagten unterlägen.
Der Erblasser war verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter, die Klägerin. Alleinerbin ist aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern die Tochter. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sie sich, an ihren Bruder einen Betrag von 90.000 € zur Abgeltung von etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen am dereinstigen Nachlass der Mutter zu bezahlen.
2019 veräußerte die Alleinerbin eine zum Nachlass gehörende Immobilie für 480.000 €. Vom Kaufpreis wurde ein Teilbetrag in Höhe von 90.000 € unmittelbar an den Bruder ausgezahlt. Ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 132.320,99 € wurde zur Ablösung einer auf der Immobilie lastenden Grundschuld verwendet. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 257.679,01 € wurde auf ein Anderkonto der Rechtsanwälte O. ausgezahlt, die zuvor sowohl für den Erblasser als auch für die Alleinerbin in diversen Rechtsstreitigkeiten tätig waren. Ein eigenes Konto besaß die in Vermögensverfall geratene Alleinerbin nicht. Das Geld wurde in der Folgezeit bis 2021 unter anderem zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten und von eigenen Verbindlichkeiten von der Alleinerbin vollständig verbraucht. Außerdem veranlasste die Alleinerbin fünf Zahlungen von dem Anderkonto an verschiedene Gläubiger des Klägers in Höhe von insgesamt 8.700,46 € und weitere sechs Barzahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 € an den Kläger selbst.
Die Alleinerbin einigte sich 2020 mit ihrer Mutter, der Witwe des Erblassers, in einem gerichtlichen Vergleich auf die Zahlung von Zugewinnausgleich und beantragte sodann im November 2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass forderte der Beklagte die Klägerin auf, den auf dem Anderkonto der Rechtsanwälte O. eingegangenen Veräußerungserlös in Höhe von 257.679,01 € auf das von ihm eingerichtete Insolvenzanderkonto zu überweisen. Außerdem forderte er verschiedene Gläubiger der Klägerin auf, von dem Anderkonto auf Veranlassung der Klägerin erhaltene Beträge zum Nachlass zurückzuzahlen. Im Januar 2023 wurden Forderungen zur Insolvenztabelle in Höhe von 219.284,08 € festgestellt, darunter die Zugewinnausgleichsansprüche der Mutter der Alleinerbin über rund 210.000 €.
Die Klägerin meint, der Erlös aus dem noch vor Insolvenzeröffnung vorgenommenen Verkauf der Immobilie sei Teil ihres Eigenvermögens geworden, über das sie frei habe verfügen können. Sie begehrt die Feststellung, dass der Veräußerungserlös nicht Bestandteil des Nachlasses geworden sei und ihre Verfügungen über den Erlös damit auch nicht der Insolvenzanfechtung unterlägen.
Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg, mit ihrer Revision konnte die Klägerin ebenfalls nicht durchdringen.
Die Begründung des BGH
Der BGH erläutert, dass sich der Umfang der Insolvenzmasse auch im Nachlassinsolvenzverfahren nach der allgemeinen Vorschrift des § 35 der Insolvenzordnung (InsO) richtet. [§ 35 InsO lautet: „Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse)“.] Die Vorschrift baue im Nachlassinsolvenzverfahren auf den vorrangig zu berücksichtigenden Regeln des allgemeinen Vermögensrechts sowie des Erbrechts in einem engeren Sinne auf. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung der Nachlassinsolvenzmasse sei der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung und nicht der des Erbfalls. Mit der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens werde das Eigenvermögen des Erben und der Nachlass getrennt.
Der Nachlass sei keine statische, abgeschlossene Vermögensmasse. Zur Nachlassinsolvenzmasse gehörten daher alle Gegenstände, Rechte und Rechtspositionen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass noch unterscheidbar vom Eigenvermögen des vorhanden seien. Da rechtsgeschäftliche Verfügungen des Erben über Gegenstände der Insolvenzmasse, etwa ein Grundstück, auch in der Nachlassinsolvenz wirksam blieben, gehöre nicht zur Insolvenzmasse, was ihr der Erbe zwischenzeitlich durch Verfügung entzogen habe. Das stehe nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, wonach die Wirkungen der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens so weit wie möglich auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückbezogen werden sollten. Damit sei jedoch nicht gemeint, dass im Sinne einer Fiktion das Insolvenzverfahren so abzuwickeln sei, als sei bereits im Zeitpunkt des Erbfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Die Immobilie, die die Klägerin im Zeitraum zwischen dem Erbfall und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert habe, sei daher nicht mehr Gegenstand der Insolvenzmasse. Der Kaufpreis habe folglich ursprünglich nicht zum Nachlass gehört.
Dennoch gehöre der auf das Anderkonto der Rechtsanwälte O. eingezahlte Veräußerungserlös vorliegend im Ergebnis zum Nachlass und sei damit Teil der Insolvenzmasse geworden [vorliegend handelt es sich allerdings eher um einen Ausnahmefall]. Dieses Ergebnis könne entgegen der Berufungsentscheidung allerdings nicht auf eine Analogie zu § 2041 BGB gestützt werden.
Gemäß § 2041 Satz 1 BGB gehöre zum Nachlass, was auf Grund eines zum Nachlass gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Nachlassgegenstands oder durch ein Rechtsgeschäft, das sich auf den Nachlass beziehe, erworben werde. Bei der unter diese Norm fallenden Veräußerung eines Nachlassgegenstands trete der durch die Veräußerung erlangte Ersatzgegenstand, in der Regel der Kaufpreis, ohne weiteres an die Stelle des veräußerten Nachlassgegenstands, ohne dass es auf den subjektiven Willen des Erben ankomme, für den Nachlass zu handeln. Die erbrechtlichen Fälle dieser sogenannten dinglichen Surrogation hätten den Zweck, die realen Werte eines bestimmten Sondervermögens (hier des Nachlasses) zu binden und im Interesse bestimmter begünstigter Personen (bei § 2041 BGB der Erben) und der Nachlassgläubiger über alle Wechsel der zu ihm gehörenden konkreten Bestandteile hinweg zusammen zu halten und für den Zweck des Sondervermögens zu reservieren. Aufgrund seiner Stellung im BGB gelte § 2041 BGB allerdings nur für die Erbengemeinschaft, im Fall des Alleinerben sei eine dingliche Surrogation gesetzlich nicht vorgesehen.
Eine analoge Anwendung auf Verfügungen eines Alleinerben sei nicht zulässig. Bei § 2041 BGB handele es sich um eine Sondervorschrift. Die dingliche Surrogation sei kein allgemeines Prinzip des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Sie stelle den Schutz des von ihr begünstigten Vermögens (Nachlass) über den sachenrechtlichen Publizitätsgrundsatz und sei schon deswegen nur für bestimmte Einzelfälle vorgesehen.
Der Grundsatz der dinglichen Surrogation sei dort anerkannt, wo es einer Sonderung des Nachlasses vom Eigenvermögen des Erben oder des Erbschaftsbesitzers bedürfe. Die in der Rechtsprechung anerkannte analoge Anwendung des § 2041 BGB für den Fall, dass nur ein Erbe vorhanden sei und eine Testamentsvollstreckung bestehe, beruhe darauf, dass der Nachlass aufgrund der Anordnung der Testamentsvollstreckung ein vom Eigenvermögen des Erben getrenntes Sondervermögen bilde.
An einem Sondervermögen fehle es aber im Regelfall beim Alleinerben. Im Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft vermischten sich bei ihm das Eigenvermögen und der Nachlass. Nutzungen aus Nachlassgegenständen oder Erlöse aus Veräußerungen von Nachlassgegenständen flössen in das ungeteilte Vermögen des Erben. Vom Erben geleistete Zahlungen könnten aus dem Eigenvermögen stammen oder aus Nachlassmitteln. Getrennte Vermögensmassen wie im Fall der Erbengemeinschaft oder der Testamentsvollstreckung gebe es beim Alleinerben nicht. Die für die Zwecke des Nachlassinsolvenzverfahrens erforderliche Trennung der Vermögensmassen trete erst später mit der Insolvenzeröffnung ein, soweit dies noch dinglich möglich sei.
Schließlich fehle es in Anbetracht der Möglichkeit zur schuldrechtlichen Inanspruchnahme des Erben nach § 1978 BGB auch an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Danach sei der Erbe den Nachlassgläubigern für die bisherige Verwaltung so verantwortlich, wie wenn er von der Annahme der Erbschaft an die Verwaltung für sie als Beauftragter zu führen gehabt hätte. Zweck dieser Vorschrift sei es, den Nachlass den Nachlassgläubigern möglichst ungeschmälert zur Verfügung stehen zu lassen. Der Erbe habe daher alles, was er durch die Verwaltung des Nachlasses erlangt habe, dem Insolvenzverwalter herauszugeben.
Die Zugehörigkeit des Veräußerungserlöses zum Nachlass ergebe sich beim Alleinerben entgegen vereinzelten Stimmen in der juristischen Literatur auch nicht aus einer möglichst weiten Definition des Begriffs des Nachlasses.
Die weitere Frage, ob der Erbe kraft seines – gegebenenfalls für den Vertragspartner nicht erkennbaren – Willens rechtsgeschäftlich Gegenstände mit dinglicher Wirkung für den Nachlass erwerben könne, hatte der BGH zuletzt in einem Urteil aus dem Jahr 1989 offengelassen. Nunmehr entscheidet er diese Frage dahingehend, dass in einem Fall wie dem vorliegenden der Erlös dem Nachlass zuzurechnen sei, was er wie folgt begründet.
Ob ein vom Erben erworbener Gegenstand zum Nachlass gehören könne, wenn der Erbe beim Erwerbsakt in dem Willen handele, dass der fragliche Gegenstand dem Nachlass zufallen solle, sei in der juristischen Literatur umstritten.
Der BGH lässt auch hier offen, ob die Zugehörigkeit eines durch den Verkauf von Nachlassgegenständen erzielten Veräußerungserlöses zum Nachlass allein vom – gegebenenfalls dem Vertragspartner offengelegten - Willen des Alleinerben abhängen könne. Jedenfalls wenn der Erbe den Erlös aus der Veräußerung eines Nachlassgegenstands so strikt von seinem Eigenvermögen trenne, dass dieser damit einem Sondervermögen gleichstehe, und das Rechtsgeschäft nach den objektiven Umständen erkennbar der Verwaltung des Nachlasses diene, folge daraus eine fortbestehende Zuordnung des Veräußerungserlöses zum Nachlass.
Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Klägerin sei vermögenslos gewesen. Die Veräußerung der Immobilie sei zudem – zumindest auch – zur Verwaltung des Nachlasses erfolgt, da von dem vereinbarten Kaufpreis ein Teil zur Ablösung der Grundschuld und ein weiterer Teil zur Abgeltung von erbrechtlichen Ansprüchen des Bruders der Klägerin verwendet worden sei. Von dem auf dem Anderkonto eingegangenen Restbetrag habe die Klägerin auch noch offene Honorarforderungen der Rechtsanwälte O. gegen den Erblasser beglichen. Anderweitige Einzahlungen auf das Anderkonto seien nicht erfolgt, was insgesamt den Schluss rechtfertige, der Erlös stehe einem Sondervermögen gleich. Im Ergebnis war damit die Klage insoweit unbegründet.
Den Antrag auf Feststellung, dass Verfügungen der Klägerin über den Erlös aus dem Verkauf der Immobilie nicht der Insolvenzanfechtung unterlägen, behandelt der BGH mangels des erforderlichen Feststellungsinteresses bereits als unzulässig. Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters richteten sich gegen den Empfänger einer anfechtbaren Leistung. Entscheidungen über die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung wirkten allein im Verhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und dem jeweiligen Anfechtungsgegner. Der Erbe eines Nachlasses, über den das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet sei, sei an einem solchen Anfechtungsrechtstreit nicht beteiligt.
Vgl. auch das zum selben Insolvenzverfahren wie die vorliegende Entscheidung ergangene Urteil des BGH vom 19.12.2024 – IX ZR 120/23. Auch diese Entscheidung ist auf unserer Website kommentiert.
Download: Insolvenz der Fluggesellschaft: Beförderungsanspruch ist nur Insolvenzforderung
Auf unserer Website ist bereits ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu den Rechten des Fluggastes in der Insolvenz der Fluggesellschaft besprochen worden (BGH, Urteil vom 11.07.2024 – IX ZR 247/22). Während es dort um Ausgleichszahlungen von 250 € pro Person zuzüglich Zinsen und darüber hinaus Erstattung der für eine Ersatzbeförderung aufgewendeten Kosten in Höhe von 602,48 € nebst Zinsen im Rang von Masseverbindlichkeiten ging, die der Kläger dort erfolglos begehrte, verlangt der Kläger vorliegend nach zweifacher Umbuchung seiner Flüge Ersatz für Rückflugkosten nach Annullierung des Rückflugs durch die beklagte Fluggesellschaft im nämlichen insolvenzrechtlichen Rang.
Siehe auch das ebenfalls auf unserer Website besprochene Urteil des BGH vom 16.01.2025 – IX ZR 236/23, bei dem die Kosten der Ersatzbeförderung ausnahmsweise Masseverbindlichkeiten begründeten.
Insolvenzrechtliche Ausgangslage
Welche Befriedigungschancen eine Forderung in der Insolvenz des Schuldners hat, hängt entscheidend von ihrem insolvenzrechtlichen Rang ab. Neben den hier nicht interessierenden Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen sind dies Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO) und sogenannte Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die im eröffneten Insolvenzverfahren nur vom Insolvenzverwalter begründet werden können. Das Privileg der Masseverbindlichkeiten rechtfertigt sich, jedenfalls für vertragliche Ansprüche aus der Überlegung, dass derjenige, der sich auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einlässt, darauf vertrauen können muss, dass er seine Gegenleistung aus der Insolvenzmasse vollständig erhält.
Insolvenzforderungen sind dagegen Forderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren.
Während die Masseverbindlichkeiten abgesehen von Fällen der Masseunzulänglichkeit volle Befriedigung erwarten dürfen, erhalten die Insolvenzgläubiger nur die Insolvenzquote, die häufig sehr niedrig ist, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, in dem lediglich eine Quote von 0,1 % auf die Insolvenzforderungen gezahlt wurde. Nicht selten wird gar keine Quote gezahlt.
Im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung wird kein Insolvenzverwalter bestellt, diese Aufgabe übernimmt der Schuldner oder im Fall einer juristischen Person, etwa einer GmbH, ihr Geschäftsführer. Masseverbindlichkeiten begründet folglich hier der sich selbst verwaltende Schuldner.
Anders als Insolvenzforderungen können Masseverbindlichkeiten nicht durch ein Insolvenzplanverfahren geregelt werden, sie sind vielmehr unabhängig vom Inhalt des Insolvenzplans vollständig zu befriedigen.
Der zu entscheidende Fall
Am 16.08.2018 buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen für sich und seine Ehefrau Flüge von Frankfurt a. M. nach Windhuk in Namibia und von dort zurück nach Frankfurt a. M. im August 2019 zu einem Gesamtpreis von 1.799,96 EUR, den er vollständig bezahlte.
Am 01.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort.
Der Kläger nahm wohl, das geht aus dem Urteil des BGH nicht ganz eindeutig hervor, eine erste Umbuchung der Flugreise vor. Am 04.03.2020 buchte der Kläger unter derselben Buchungsnummer erneut um auf Flüge von Frankfurt a. M. nach Varadero in Kuba am 06.03.2020 und von dort zurück nach Frankfurt a. M. am 24.03.2020 für 2.057,40 EUR inklusive einer Umbuchungsgebühr von 280 EUR und zahlte den Differenzbetrag. Der Hinflug erfolgte plangemäß. Am 20.03.2020 annullierte die Beklagte den Rückflug pandemiebedingt. Sie wies auf die Luftbrücke des Auswärtigen Amts hin und kümmerte sich selbst nicht um eine Ersatzbeförderung. Der Kläger buchte daraufhin am 20.03.2020 Rückflüge mit der Fluggesellschaft Air Canada mit einem Umsteigeaufenthalt in Montreal zu einem Preis von 4.067,72 EUR. Darüber hinaus zahlte er 158,70 EUR für die erforderlichen kanadischen Visa.
Der Kläger meldete seine Forderungen nicht zur Insolvenztabelle an. Das Insolvenzverfahren wurde zum 30.11.2020 aufgehoben. Nach dem Insolvenzplan erhalten Insolvenzgläubiger eine Basisquote in Höhe von 0,1 %.
Der Kläger verlangte Erstattung der für die Ersatzbeförderung aufgewendeten Kosten und erhob weitere Nebenforderungen.
Das Amtsgericht Frankfurt a. M. gab der Klage nur in Höhe der Insolvenzquote statt. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landgericht Frankfurt a. M. die Beklagte antragsgemäß. Die Revision der Beklagten führte zur Abweisung der über die Quote hinausgehenden Klageforderung.
Die Begründung des BGH
Grundlage des klägerischen Begehrens auf Erstattung der Kosten des Rückflugs von Varadero nach Frankfurt a. M. mit der Fluggesellschaft Air Canada sei Art. 5 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (kurz: Fluggastrechte-VO, vgl. hierzu umfassender unsere Besprechung der oben erwähnten Entscheidung des BGH vom 11.07.2024, dort ist auch näher begründet, weshalb der Fall im Übrigen nach deutschem nationalen Insolvenzrecht zu lösen ist).
Der BGH sieht in den geltend gemachten Ansprüchen nur Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO). Sie könnten gemäß §§ 254, § 254b InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur nach Maßgabe des Insolvenzplans, also in Höhe der Insolvenzquote zuerkannt werden.
Zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vermögensansprüche seien nach § 38 InsO Insolvenzforderungen, die nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung, also durch Anmeldung zur Insolvenztabelle, verfolgt werden könnten, wie sich aus § 87 InsO ergebe. Dies gelte auch für Beförderungsansprüche. Daraus abgeleitete Sekundäransprüche, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgten, begründeten keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO.
Die Beförderungsansprüche des Klägers aus seiner Buchung im August 2018 seien folglich zunächst nur Insolvenzforderungen gewesen. Die Fortsetzung des Flugbetriebs habe diese Insolvenzforderungen, wie der BGH schon mehrfach entschieden hatte, nicht zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet. Gleiches gelte für die Durchführung des Hinflugs. Die allein auf eine teilweise Erfüllung gestützte Erwartung, der Insolvenzverwalter werde auch die restliche Insolvenzforderung vollständig befriedigen (hier also den Rückflug durchführen), genüge dafür ebenfalls nicht.
Die Beförderungsansprüche seien auch nicht infolge der Umbuchungen nachträglich zu Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO geworden.
Zwar könne eine Insolvenzforderung durch Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgläubiger zu einer Masseverbindlichkeit werden, sie erfordere indessen angesichts ihrer einschneidenden Wirkungen, dass die Anforderungen an eine Schuldumschaffung (sogenannte Novation) erfüllt seien, was nicht festgestellt werden könne.
Eine Novation setze voraus, dass das alte Schuldverhältnis durch ein neues ersetzt und damit zugleich das alte Schuldverhältnis aufgehoben werden solle, so dass die Beteiligten nicht mehr darauf zurückgreifen könnten. Die nach Insolvenzeröffnung erfolgte Umbuchung genüge vorliegend diesen Voraussetzungen nicht. Es fehle insbesondere an dem Willen, das alte Schuldverhältnis aufzuheben, so dass die Parteien hierauf nicht zurückgreifen könnten.
Umbuchungen seien Änderungen hinsichtlich des Reisetermins, des Reiseziels, des Ortes des Reiseantritts, der Unterkunft oder der Beförderungsart. Sie änderten den bestehenden Vertrag lediglich ab, höben ihn aber weder auf noch ersetzen sie ihn durch einen neuen Vertrag, denn die übrigen Vertragsbestimmungen blieben hier unverändert. So führe eine Umbuchung, wenn der Fluggast das ursprünglich vereinbarte Entgelt bereits bezahlt habe, nicht dazu, dass nunmehr ein erneuter Anspruch auf Bezahlung des Entgelts entstehe.
Daran gemessen stellten selbst weitreichende Änderungen wie der Austausch des Flugziels oder eine erhebliche Verschiebung des Reisezeitraums wegen der unverändert fortbestehenden Anbindung an das ursprüngliche Vertragsverhältnis keine Novation dar. Eine etwa anfallende Umbuchungsgebühr sei nur ein vertraglich vereinbartes Entgelt für das Recht des Fluggasts, eine grundsätzlich verbindlich gebuchte Flugleistung durch eine andere ersetzen zu dürfen. Die Aufwertung einer Insolvenzforderung zu einer voll werthaltigen Masseverbindlichkeit habe der Kläger im Gegenzug für die im Verhältnis zum Flugpreis untergeordnete Umbuchungsgebühr nicht erwarten dürfen. Nichts anderes gelte für die Erteilung einer Buchungsbestätigung für den umgebuchten Flug.
Der Insolvenzplan gelte auch für während des Insolvenzverfahrens abgeänderte Insolvenzforderungen.
Der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der aufgewendeten Kosten für die Rückbeförderung durch eine andere Fluggesellschaft, die Air Canada, könne auch nicht darauf gestützt werden, dass die Beklagte den Kläger anlässlich der Umbuchung darüber hätte aufklären müssen, dass trotz der kostenpflichtigen Umbuchung der Anspruch auf die umgebuchte Beförderungsleistung nur nach Maßgabe der Bestimmungen über die Insolvenzforderungen durchsetzbar sei. Ob es eine solche Aufklärungspflicht überhaupt gebe, könne dahinstehen. Dass der Beförderungsanspruch Insolvenzforderung bleibe und der Kläger eine Umbuchungsgebühr bezahlte, reiche jedenfalls nicht aus, um eine Aufklärungspflicht zu begründen. Das Risiko, ob die Beklagte den Flug durchführe, sei unverändert geblieben.
Allgemeines
Moderne Gesetze sind im Allgemeinen abstrakt generell gefasst, sie versuchen nicht jeden denkbaren Einzelfall in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen zu beschreiben, weil die Lebenswirklichkeit zu vielgestaltig ist, um sie in ein Gesetz zu fassen. Es ist deshalb Sache des Gesetzesanwenders, zum Beispiel des Richters oder des Rechtsanwalts, den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt unter die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen zu subsumieren. Hierzu haben sich Auslegungsregeln entwickelt, die die Subsumtion erleichtern können.
Vielfach ist ein Fall ausdrücklich geregelt, ein anderer möglicherweise vergleichbarer aber nicht. Der Gesetzesanwender steht dann vor der Frage, ob er das Gesetz auch auf seinen Fall analog anwenden kann oder ob sich dies verbietet.
Eine Analogie setzt zunächst eine Regelungslücke im Gesetz voraus. Erforderlich ist ferner, dass die Interessenlage des gesetzlich geregelten Falls mit der des zu entscheidenden Falls übereinstimmt. Zusätzlich müssen auch die Wertungsgrundlage und die gesetzgeberische Interessenbewertung der Gesetzesnorm auf den zu entscheidenden Fall zutreffen.
Schließlich darf die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen sein. Es muss sich mithin um eine unbewusste Gesetzeslücke handeln. Hat der Gesetzgeber einen Fall dagegen bewusst von der Regelung ausgeschlossen, verbietet sich die Analogie.
Vorliegend geht es um einen Fall der Insolvenzanfechtung, bei dem unter anderem maßgeblich die erbrechtliche Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des für Miterben einschlägigen § 2041 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf einen Alleinerben in Rede stand.
Der Rechtsstreit ist prozessual etwas ungewöhnlich eingebunden. Im Allgemeinen befindet sich in einem Anfechtungsrechtsstreit der Insolvenzverwalter in der Rolle des Klägers, der Anfechtungsgegner ist der Beklagte. Vorliegend hatte der Insolvenzverwalter die Klägerin zwar außergerichtlich in Anspruch genommen, aber nicht verklagt. Diese möchte nun als Klägerin festgestellt wissen, dass der Verwalter nicht zur Anfechtung gegenüber ihren Gläubigern berechtigt ist. Darüber hinaus verlangt sie die Feststellung, nicht zur Herausgabe eines Kaufpreises für ein Grundstück an den Insolvenzverwalter verpflichtet zu sein.
Der zu entscheidende Fall
Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des 2016 verstorbenen Erblassers. Die Klägerin, die Alleinerbin des Erblassers, macht geltend, dass der Erlös aus dem Verkauf einer zum Nachlass gehörenden Immobilie nicht Bestandteil der Insolvenzmasse geworden sei und Verfügungen der Klägerin über diesen Erlös nicht der Insolvenzanfechtung durch den Beklagten unterlägen.
Der Erblasser war verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter, die Klägerin. Alleinerbin ist aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern die Tochter. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sie sich, an ihren Bruder einen Betrag von 90.000 € zur Abgeltung von etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen am dereinstigen Nachlass der Mutter zu bezahlen.
2019 veräußerte die Alleinerbin eine zum Nachlass gehörende Immobilie für 480.000 €. Vom Kaufpreis wurde ein Teilbetrag in Höhe von 90.000 € unmittelbar an den Bruder ausgezahlt. Ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 132.320,99 € wurde zur Ablösung einer auf der Immobilie lastenden Grundschuld verwendet. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 257.679,01 € wurde auf ein Anderkonto der Rechtsanwälte O. ausgezahlt, die zuvor sowohl für den Erblasser als auch für die Alleinerbin in diversen Rechtsstreitigkeiten tätig waren. Ein eigenes Konto besaß die in Vermögensverfall geratene Alleinerbin nicht. Das Geld wurde in der Folgezeit bis 2021 unter anderem zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten und von eigenen Verbindlichkeiten von der Alleinerbin vollständig verbraucht. Außerdem veranlasste die Alleinerbin fünf Zahlungen von dem Anderkonto an verschiedene Gläubiger des Klägers in Höhe von insgesamt 8.700,46 € und weitere sechs Barzahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 € an den Kläger selbst.
Die Alleinerbin einigte sich 2020 mit ihrer Mutter, der Witwe des Erblassers, in einem gerichtlichen Vergleich auf die Zahlung von Zugewinnausgleich und beantragte sodann im November 2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass forderte der Beklagte die Klägerin auf, den auf dem Anderkonto der Rechtsanwälte O. eingegangenen Veräußerungserlös in Höhe von 257.679,01 € auf das von ihm eingerichtete Insolvenzanderkonto zu überweisen. Außerdem forderte er verschiedene Gläubiger der Klägerin auf, von dem Anderkonto auf Veranlassung der Klägerin erhaltene Beträge zum Nachlass zurückzuzahlen. Im Januar 2023 wurden Forderungen zur Insolvenztabelle in Höhe von 219.284,08 € festgestellt, darunter die Zugewinnausgleichsansprüche der Mutter der Alleinerbin über rund 210.000 €.
Die Klägerin meint, der Erlös aus dem noch vor Insolvenzeröffnung vorgenommenen Verkauf der Immobilie sei Teil ihres Eigenvermögens geworden, über das sie frei habe verfügen können. Sie begehrt die Feststellung, dass der Veräußerungserlös nicht Bestandteil des Nachlasses geworden sei und ihre Verfügungen über den Erlös damit auch nicht der Insolvenzanfechtung unterlägen.
Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg, mit ihrer Revision konnte die Klägerin ebenfalls nicht durchdringen.
Die Begründung des BGH
Der BGH erläutert, dass sich der Umfang der Insolvenzmasse auch im Nachlassinsolvenzverfahren nach der allgemeinen Vorschrift des § 35 der Insolvenzordnung (InsO) richtet. [§ 35 InsO lautet: „Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse)“.] Die Vorschrift baue im Nachlassinsolvenzverfahren auf den vorrangig zu berücksichtigenden Regeln des allgemeinen Vermögensrechts sowie des Erbrechts in einem engeren Sinne auf. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung der Nachlassinsolvenzmasse sei der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung und nicht der des Erbfalls. Mit der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens werde das Eigenvermögen des Erben und der Nachlass getrennt.
Der Nachlass sei keine statische, abgeschlossene Vermögensmasse. Zur Nachlassinsolvenzmasse gehörten daher alle Gegenstände, Rechte und Rechtspositionen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass noch unterscheidbar vom Eigenvermögen des vorhanden seien. Da rechtsgeschäftliche Verfügungen des Erben über Gegenstände der Insolvenzmasse, etwa ein Grundstück, auch in der Nachlassinsolvenz wirksam blieben, gehöre nicht zur Insolvenzmasse, was ihr der Erbe zwischenzeitlich durch Verfügung entzogen habe. Das stehe nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, wonach die Wirkungen der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens so weit wie möglich auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückbezogen werden sollten. Damit sei jedoch nicht gemeint, dass im Sinne einer Fiktion das Insolvenzverfahren so abzuwickeln sei, als sei bereits im Zeitpunkt des Erbfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Die Immobilie, die die Klägerin im Zeitraum zwischen dem Erbfall und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert habe, sei daher nicht mehr Gegenstand der Insolvenzmasse. Der Kaufpreis habe folglich ursprünglich nicht zum Nachlass gehört.
Dennoch gehöre der auf das Anderkonto der Rechtsanwälte O. eingezahlte Veräußerungserlös vorliegend im Ergebnis zum Nachlass und sei damit Teil der Insolvenzmasse geworden [vorliegend handelt es sich allerdings eher um einen Ausnahmefall]. Dieses Ergebnis könne entgegen der Berufungsentscheidung allerdings nicht auf eine Analogie zu § 2041 BGB gestützt werden.
Gemäß § 2041 Satz 1 BGB gehöre zum Nachlass, was auf Grund eines zum Nachlass gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Nachlassgegenstands oder durch ein Rechtsgeschäft, das sich auf den Nachlass beziehe, erworben werde. Bei der unter diese Norm fallenden Veräußerung eines Nachlassgegenstands trete der durch die Veräußerung erlangte Ersatzgegenstand, in der Regel der Kaufpreis, ohne weiteres an die Stelle des veräußerten Nachlassgegenstands, ohne dass es auf den subjektiven Willen des Erben ankomme, für den Nachlass zu handeln. Die erbrechtlichen Fälle dieser sogenannten dinglichen Surrogation hätten den Zweck, die realen Werte eines bestimmten Sondervermögens (hier des Nachlasses) zu binden und im Interesse bestimmter begünstigter Personen (bei § 2041 BGB der Erben) und der Nachlassgläubiger über alle Wechsel der zu ihm gehörenden konkreten Bestandteile hinweg zusammen zu halten und für den Zweck des Sondervermögens zu reservieren. Aufgrund seiner Stellung im BGB gelte § 2041 BGB allerdings nur für die Erbengemeinschaft, im Fall des Alleinerben sei eine dingliche Surrogation gesetzlich nicht vorgesehen.
Eine analoge Anwendung auf Verfügungen eines Alleinerben sei nicht zulässig. Bei § 2041 BGB handele es sich um eine Sondervorschrift. Die dingliche Surrogation sei kein allgemeines Prinzip des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Sie stelle den Schutz des von ihr begünstigten Vermögens (Nachlass) über den sachenrechtlichen Publizitätsgrundsatz und sei schon deswegen nur für bestimmte Einzelfälle vorgesehen.
Der Grundsatz der dinglichen Surrogation sei dort anerkannt, wo es einer Sonderung des Nachlasses vom Eigenvermögen des Erben oder des Erbschaftsbesitzers bedürfe. Die in der Rechtsprechung anerkannte analoge Anwendung des § 2041 BGB für den Fall, dass nur ein Erbe vorhanden sei und eine Testamentsvollstreckung bestehe, beruhe darauf, dass der Nachlass aufgrund der Anordnung der Testamentsvollstreckung ein vom Eigenvermögen des Erben getrenntes Sondervermögen bilde.
An einem Sondervermögen fehle es aber im Regelfall beim Alleinerben. Im Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft vermischten sich bei ihm das Eigenvermögen und der Nachlass. Nutzungen aus Nachlassgegenständen oder Erlöse aus Veräußerungen von Nachlassgegenständen flössen in das ungeteilte Vermögen des Erben. Vom Erben geleistete Zahlungen könnten aus dem Eigenvermögen stammen oder aus Nachlassmitteln. Getrennte Vermögensmassen wie im Fall der Erbengemeinschaft oder der Testamentsvollstreckung gebe es beim Alleinerben nicht. Die für die Zwecke des Nachlassinsolvenzverfahrens erforderliche Trennung der Vermögensmassen trete erst später mit der Insolvenzeröffnung ein, soweit dies noch dinglich möglich sei.
Schließlich fehle es in Anbetracht der Möglichkeit zur schuldrechtlichen Inanspruchnahme des Erben nach § 1978 BGB auch an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Danach sei der Erbe den Nachlassgläubigern für die bisherige Verwaltung so verantwortlich, wie wenn er von der Annahme der Erbschaft an die Verwaltung für sie als Beauftragter zu führen gehabt hätte. Zweck dieser Vorschrift sei es, den Nachlass den Nachlassgläubigern möglichst ungeschmälert zur Verfügung stehen zu lassen. Der Erbe habe daher alles, was er durch die Verwaltung des Nachlasses erlangt habe, dem Insolvenzverwalter herauszugeben.
Die Zugehörigkeit des Veräußerungserlöses zum Nachlass ergebe sich beim Alleinerben entgegen vereinzelten Stimmen in der juristischen Literatur auch nicht aus einer möglichst weiten Definition des Begriffs des Nachlasses.
Die weitere Frage, ob der Erbe kraft seines – gegebenenfalls für den Vertragspartner nicht erkennbaren – Willens rechtsgeschäftlich Gegenstände mit dinglicher Wirkung für den Nachlass erwerben könne, hatte der BGH zuletzt in einem Urteil aus dem Jahr 1989 offengelassen. Nunmehr entscheidet er diese Frage dahingehend, dass in einem Fall wie dem vorliegenden der Erlös dem Nachlass zuzurechnen sei, was er wie folgt begründet.
Ob ein vom Erben erworbener Gegenstand zum Nachlass gehören könne, wenn der Erbe beim Erwerbsakt in dem Willen handele, dass der fragliche Gegenstand dem Nachlass zufallen solle, sei in der juristischen Literatur umstritten.
Der BGH lässt auch hier offen, ob die Zugehörigkeit eines durch den Verkauf von Nachlassgegenständen erzielten Veräußerungserlöses zum Nachlass allein vom – gegebenenfalls dem Vertragspartner offengelegten - Willen des Alleinerben abhängen könne. Jedenfalls wenn der Erbe den Erlös aus der Veräußerung eines Nachlassgegenstands so strikt von seinem Eigenvermögen trenne, dass dieser damit einem Sondervermögen gleichstehe, und das Rechtsgeschäft nach den objektiven Umständen erkennbar der Verwaltung des Nachlasses diene, folge daraus eine fortbestehende Zuordnung des Veräußerungserlöses zum Nachlass.
Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Klägerin sei vermögenslos gewesen. Die Veräußerung der Immobilie sei zudem – zumindest auch – zur Verwaltung des Nachlasses erfolgt, da von dem vereinbarten Kaufpreis ein Teil zur Ablösung der Grundschuld und ein weiterer Teil zur Abgeltung von erbrechtlichen Ansprüchen des Bruders der Klägerin verwendet worden sei. Von dem auf dem Anderkonto eingegangenen Restbetrag habe die Klägerin auch noch offene Honorarforderungen der Rechtsanwälte O. gegen den Erblasser beglichen. Anderweitige Einzahlungen auf das Anderkonto seien nicht erfolgt, was insgesamt den Schluss rechtfertige, der Erlös stehe einem Sondervermögen gleich. Im Ergebnis war damit die Klage insoweit unbegründet.
Den Antrag auf Feststellung, dass Verfügungen der Klägerin über den Erlös aus dem Verkauf der Immobilie nicht der Insolvenzanfechtung unterlägen, behandelt der BGH mangels des erforderlichen Feststellungsinteresses bereits als unzulässig. Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters richteten sich gegen den Empfänger einer anfechtbaren Leistung. Entscheidungen über die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung wirkten allein im Verhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und dem jeweiligen Anfechtungsgegner. Der Erbe eines Nachlasses, über den das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet sei, sei an einem solchen Anfechtungsrechtstreit nicht beteiligt.
Vgl. auch das zum selben Insolvenzverfahren wie die vorliegende Entscheidung ergangene Urteil des BGH vom 19.12.2024 – IX ZR 120/23. Auch diese Entscheidung ist auf unserer Website kommentiert.
Allgemeines
Die Insolvenzanfechtung ist eines der Mittel – häufig das einzige -, das dem Insolvenzverwalter zur Anreicherung der Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Sie setzt gemäß § 129 der Insolvenzordnung (InsO) stets voraus, dass die anzufechtende Rechtshandlung vor der Insolvenzverfahrenseröffnung vorgenommen wurde und die Gläubigergemeinschaft als solche benachteiligte. In der Regel reicht hierfür eine mittelbare Benachteiligung aus, für deren Feststellung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz abzustellen ist. Ohne Gerichtsverhandlung ist der Zeitpunkt einer außergerichtlichen Einigung maßgebend.
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn durch die angefochtene Handlung entweder die Schuldenmasse (die Insolvenzforderungen) vermehrt oder die Aktivmasse (das zugunsten der Gläubiger zu verwertende Vermögen des Schuldners) verkürzt und dadurch der Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird, mit anderen Worten: wenn die im Ergebnis des Insolvenzverfahrens an die Insolvenzgläubiger auszuschüttende Quote durch die Handlung sinkt. Erforderlich ist mithin, dass die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen wären. Das ist indessen nicht der Fall, wenn die Insolvenzmasse auch ohne die Anfechtung ausreicht, um alle Ansprüche der Insolvenzgläubiger zu erfüllen, was allerdings nur in selten Ausnahmefällen vorkommt.
Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter die Gläubigerbenachteiligung im Rechtsstreit vortragen und beweisen. Nach der Lebenserfahrung spricht allerdings ein sogenannter Anscheinsbeweis dafür, dass in einem einmal eröffneten Insolvenzerfahren die Masse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen. Sind die Voraussetzungen dieses Anscheinsbeweises für eine weiterhin bestehende Gläubigerbenachteiligung erfüllt, kann der Anfechtungsgegner diesen erschüttern oder nach allgemeinen Beweisgrundsätzen entkräften. Gelingt ihm dies nicht, legt das Gericht das Bestehen der Gläubigerbenachteiligung seiner Entscheidung zugrunde. Liegen zusätzlich die Voraussetzungen eines der in den §§ 130 bis 137 InsO geregelten Anfechtungstatbestände vor, unterliegt die Rechtshandlung der Anfechtung, der Anfechtungsgegner hat dann nach § 143 InsO das in die Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die Handlung aus ihr fortgegeben wurde.
Im Allgemeinen befindet sich im Anfechtungsrechtsstreit der Insolvenzverwalter in der Rolle des Klägers, der Anfechtungsgegner ist der Beklagte. Vorliegend hatte der Insolvenzverwalter den Anfechtungsgegner zwar außergerichtlich in Anspruch genommen, aber nicht verklagt. Der Anfechtungsgegner möchte nun als Kläger festgestellt wissen, dass der Verwalter nicht zur Anfechtung berechtigt ist.
Der zu entscheidende Fall
Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des 2016 verstorbenen Erblassers. Der Kläger macht geltend, der Beklagte sei nicht befugt, Anfechtungsansprüche aus dem Nachlassinsolvenzverfahren gegen den Kläger oder seine Gläubiger geltend zu machen, was auf folgendem Sachverhalt beruht.
Der Erblasser war verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter. Alleinerbin ist aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern die Tochter. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sie sich, an ihren Bruder einen Betrag von 90.000 € zur Abgeltung von etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen am dereinstigen Nachlass der Mutter zu bezahlen.
2019 veräußerte die Alleinerbin eine zum Nachlass gehörende Immobilie für 480.000 €. Vom Kaufpreis wurde ein Teilbetrag in Höhe von 90.000 € unmittelbar an den Bruder ausgezahlt. Ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 132.320,99 € wurde zur Ablösung einer auf der Immobilie lastenden Grundschuld verwendet. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 257.679,01 € wurde auf ein Anderkonto der Rechtsanwälte O. ausgezahlt, die zuvor sowohl für den Erblasser als auch für die Alleinerbin in diversen Rechtsstreitigkeiten tätig waren. Ein eigenes Konto besaß die in Vermögensverfall geratene Alleinerbin nicht. Die Alleinerbin verbrauchte das Geld in der Folgezeit bis 2021 unter anderem zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten und von eigenen Verbindlichkeiten. Außerdem veranlasste die Alleinerbin fünf Zahlungen von dem Anderkonto an verschiedene Gläubiger des Klägers in Höhe von insgesamt 8.700,46 € und weitere sechs Barzahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 € an den Kläger selbst.
Die Alleinerbin einigte sich 2020 mit ihrer Mutter, der Witwe des Erblassers, in einem gerichtlichen Vergleich auf die Zahlung von Zugewinnausgleich und beantragte sodann im November 2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass.
Der beklagte Insolvenzverwalter verlangte vom Kläger außergerichtlich im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO (Anfechtung unentgeltlicher Leistungen) die Rückzahlung des Gesamtbetrags in Höhe von 14.700,46 €.
Im Januar 2023 wurden Forderungen zur Insolvenztabelle in Höhe von 219.284,08 € festgestellt, darunter die Zugewinnausgleichsansprüche der Mutter der Alleinerbin über rund 210.000 €.
Der Kläger meint, der Erlös aus dem noch vor Insolvenzeröffnung vorgenommenen Verkauf der Immobilie sei nicht Teil des Nachlasses und damit Teil der Insolvenzmasse, sondern Teil des Eigenvermögens der Alleinerbin geworden, über das sie frei habe verfügen können, eine Anfechtung im vorliegenden Nachlassinsolvenzverfahren sei daher schon deshalb nicht möglich. Zudem fehle es an einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 InsO, weil die Forderungen der Mutter auf Zugewinnausgleich tatsächlich nicht bestünden.
Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, von ihm die Zahlung von 14.700,46 € an sich als Insolvenzverwalter verlangen. Ferner verlangt er Unterlassung der Inanspruchnahme von Gläubigern des Klägers auf Rückzahlung, die diese zur Begleichung ihrer Forderungen gegen den Kläger von dem Anderkonto der Rechtsanwälte O. erhalten haben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, vom Kläger einen Betrag von 471,56 € und die Barzahlungen über 6.000 € zur Insolvenzmasse zu fordern, und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungs- und Unterlassungsantrag weiter, soweit das Berufungsgericht seine Anträge zurückgewiesen hat.
Die Begründung des BGH
Der BGH erachtet sowohl den Feststellungs- wie den Unterlassungsantrag des Klägers für unbegründet.
Der auf dem Rechtsanwaltsanderkonto verwahrte Teilbetrag aus dem Immobilienkaufpreis gehöre zum Nachlass und falle damit entgegen der Annahme des Klägers in die Insolvenzmasse des Nachlassinsolvenzverfahrens. Die Zahlungen an den Kläger und seine Gläubiger erfolgten daher aus der Insolvenzmasse. Diese Auffassung hat der entscheidende Senat mit ebenfalls auf den 19.12.2024 datierenden Urteil (IX ZR 119/23), bei dem es um dasselbe Insolvenzverfahren ging, näher begründet. Auch diese Entscheidung ist auf unserer Website kommentiert, sodass insoweit darauf verwiesen werden kann.
Die gemäß § 129 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung sei ebenfalls gegeben. Der eingangs dieser Besprechung dargestellte Anscheinsbeweis greife auch in einem Nachlassinsolvenzverfahren ein. Es wäre daher Sache des Klägers gewesen, diesen Beweis zumindest zu erschüttern. Dies sei ihm nicht gelungen. Insbesondere habe er keine Tatsachen dargelegt oder bewiesen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vollständigen Ausgleichs aller Gläubigeransprüche ergebe. Auf das Nichtbestehen der zur Tabelle festgestellten Forderung auf Zugewinnausgleich könne er sich nicht berufen.
Es seien Forderungen zur Tabelle in Höhe von über 215.000 € festgestellt worden, ohne dass diese nach § § 178 Abs. 1 InsO vom Insolvenzverwalter oder einem anderen Gläubiger bestritten worden wären. Die für diese festgestellten Forderungen vorgenommene Eintragung in die Tabelle wirke daher gemäß § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Es stehe deshalb für die Zwecke des Insolvenzverfahrens fest, dass die angemeldeten und festgestellten Forderungen bestünden. Darauf, dass sich die Rechtskraftwirkung nach § 178 Abs. 3 InsO nur auf den Insolvenzverwalter und die Insolvenzgläubiger erstrecke und sich grundsätzlich nicht gegenüber anderen Personen wie hier den Kläger entfalte, komme es dabei nicht an. Die Feststellung einer Forderung zur Tabelle habe zur Folge, dass sie vom Insolvenzverwalter bei der Schlussverteilung zu berücksichtigen und in das Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO aufzunehmen sei. Mithin könne der Anfechtungsgegner im Anfechtungsprozess nicht einwenden, die Insolvenzmasse sei ausreichend, weil die Feststellung einer Forderung zur Tabelle zu Unrecht erfolgt sei. Reiche die Insolvenzmasse ohne Rückgewähr der anfechtbar weggegebenen Mittel schon nicht zur Befriedigung der Gläubiger von festgestellten Forderungen aus, stehe fest, dass die Insolvenzmasse unzureichend sei. Ob angemeldete, aber (noch) nicht festgestellte Forderungen zusätzlich zu berücksichtigen seien, bedurfte folglich keiner Entscheidung.
Der Unterlassungsantrag schließlich sei schon deswegen unbegründet, weil es zu den Aufgaben des Beklagten als Insolvenzverwalter gehöre, Insolvenzanfechtungsansprüche zu prüfen und durchzusetzen. Insoweit stehe einem Dritten kein Anspruch gegen einen Insolvenzverwalter zu, dass dieser keine Anfechtungsansprüche gegen die Gläubiger des Dritten geltend mache.
Download: Mitgliedsbeiträge für Fitnessstudio – einkommensteuerrechtlich keine außergewöhnlichen Belastungen
Außergewöhnliche Belastungen
Außergewöhnliche Belastungen können unter den Voraussetzungen der §§ 33 bis 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, reduzieren also die Steuerlast. Der Grundtatbestand des § 33 EStG beschreibt sie wie folgt:
„(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
(2) 1Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen …“
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Zweck dieser Regelung, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich der außergewöhnlichen Belastungen ausgeschlossen sind daher die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sowie private Aufwendungen, die über die Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hinausgehen. Deshalb sind nur atypische Aufwendungen steuerfrei.
Nach dem Gesetzeswortlaut erwachsen Aufwendungen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine solche tatsächliche Zwangslage kann nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch eine maßgeblich vom eigenen menschlichen Willen des Steuerpflichtigen beeinflusste Situation.
Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet sind, entstehen dem Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen.
Für Menschen mit Behinderungen gewährt § 33b EStG Pauschbeträge für den Abzug, die sich im Wesentlichen nach dem Grad der Behinderung richten. Beispielhaft beträgt der Pauschbetrag bei einem Grad der Behinderung von 20 % 384 € und bei einem Grad von 90 % 2.460 €.
Der zu entscheidende Fall
Der körperlich beeinträchtigten Klägerin wurde wegen zunehmend schmerzhaften Bewegungseinschränkungen sowie zur funktionellen Verbesserung und Schmerzreduktion im Streitjahr ein Funktionstraining in Form von Wassergymnastik ärztlich verordnet. Die Krankenkasse der Klägerin übernahm die Kosten hierfür.
Das Funktionstraining führte die Klägerin zunächst bei einem Kneipp Verein durch, konnte dieses dort aufgrund ihrer privaten und beruflichen Situation aber nur samstags wahrnehmen. Deshalb entschied sich die Klägerin, das Funktionstraining in einem näher gelegenen Fitnessstudio mit entsprechend lizensierten Übungsleitern mit zeitgünstigeren Trainingsangeboten durchzuführen.
Dafür musste sie sowohl dem Verein … e.V. als auch dem Fitnessstudio als Mitglied beitreten und dort das Grundmodul „…“ buchen, das zum Beispiel die Nutzung des Schwimmbads für Aqua-Fitnesskurse und des Saunabereichs eröffnete. Die dafür anfallenden Kosten übernahm die Krankenkasse der Klägerin – anders als die Kosten für das Funktionstraining – nicht.
In ihrer Einkommensteuererklärung machte die Klägerin unter anderem die Kosten der Mitgliedschaft in dem Fitnessstudio und des Grundmoduls „…“ sowie die Mitgliedsbeiträge für den Verein … e.V. als außergewöhnliche Belastungen geltend. Neben den wöchentlichen Beiträgen von … € für 38 Wochen begehrte sie den Abzug von Fahrtkosten. Das Finanzamt lehnte dies ab. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht half ihrer Klage nur in Bezug auf die Fahrtkosten und die Vereinsbeiträge ab. Bezüglich der Mitgliedsbeiträge für das Studio und des Entgelts für das Grundmodul hatte die Klage keinen Erfolg.
Ihre hierauf gerichtete Revision wies der BFH zurück, weil die dahingehenden Aufwendungen der Klägerin nicht zwangsläufig entstanden seien.
Die Begründung des BFH
Insbesondere handele es handelt sich hierbei nicht um tatsächlich zwangsläufig entstandene Krankheitskosten, sondern um Kosten für vorbeugende oder der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen, die nicht gezielt der Heilung oder Linderung von Krankheiten dienten. Denn das mit der Mitgliedschaft im Fitnessstudio und dem Grundmodul „…“ einhergehende Leistungsangebot werde nicht nur von kranken, sondern auch von gesunden Menschen in Anspruch genommen, um die Gesundheit zu erhalten, das Wohlbefinden zu steigern oder die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Dieser Aufwand beruhe daher auf einer freien Willensentschließung sei deshalb nicht den abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen ist.
Die Aufwendungen seien der Klägerin auch nicht deshalb zwangsläufig erwachsen, weil sie dem Fitnessstudio als Mitglied beitreten und das Grundmodul „…“ buchen musste, um an dem medizinisch indizierten Funktionstraining teilnehmen zu können. Die Entscheidung, für ein ärztlich verordnetes Funktionstraining einem Fitnessstudio beizutreten, sei in erster Linie Folge eines frei gewählten Konsumverhaltens. Daher könnten weder die „Verknüpfung“ von Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Zusatzmodul und Funktionstraining noch die von der Klägerin vorgebrachten Praktikabilitätserwägungen (Fahrt- und Parkkostenersparnis, Kurse auch unter der Woche, Nachholung ausgefallener Kurse), eine steuererhebliche Zwangsläufigkeit begründen.
Zudem könne die Klägerin das dahingehende Leistungsangebot des Studios, wie beispielsweise die Nutzung der Sauna und des Schwimmbads für (andere nicht verordnete) Aqua-Fitnesskurse, nutzen. Dies gelte auch dann, wenn die Klägerin, wie sie vorgetragen habe, von diesen Nutzungsmöglichkeiten keinen Gebrauch mache.
Download: Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz der Gesellschaft
Überblick
In einem Insolvenzverfahren sind im Ausgangspunkt alle Insolvenzforderungen gleichrangig. Sie werden in § 38 der Insolvenzordnung (InsO) über deren Gläubiger definiert. Danach ist nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger jeder persönliche Gläubiger, der einen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Die wirtschaftlich wichtigsten Steuern aus dem Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens hebt § 55 Abs. 4 InsO allerdings systemwidrig in den Rang von (vorrangig zu befriedigenden) Masseverbindlichkeiten. Eine Herabstufung findet sich dagegen in § 39 InsO. Die Norm macht von der Regel des § 38 InsO einige Ausnahmen, so sind zum Beispiel nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO die nach Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen nachrangig. Die nachrangigen Forderungen werden erst bedient, wenn sämtliche nicht nachrangigen voll befriedigt sind, und haben daher kaum eine Chance auf Quotenzahlung. Nachrangig sind auch Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz der Gesellschaft.
Die Qualifikation eines Darlehens als Gesellschafterdarlehen ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Insolvenzrechtlich gewährt der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens, wie soeben erwähnt, nur eine nachrangige Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO. Die Besicherung eines Gesellschafterdarlehens sowie seine Rückzahlung vor dem Insolvenzereignis führen unter den Voraussetzungen des § 135 InsO zur Anfechtbarkeit dieser Rechtshandlungen.
Diese Regelungen greifen jedoch nicht bei allen Gesellschaftstypen ein, vielmehr bestimmt § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO:
„Absatz 1 Nr. 5 gilt [nur] für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.“
Eine Ausnahme gilt nach Satz 2 der Vorschrift für sogenannte Sanierungskredite bis zur nachhaltigen Sanierung.
Ausgenommen sind nach § 39 Abs. 5 InsO auch nicht geschäftsführende Kleingesellschafter mit einer Beteiligung am Haftkapital von 10 % oder weniger.
Dagegen ist der Nachrang gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO nicht auf Gesellschafterdarlehen im Wortsinne, also Darlehen eines Gesellschafters an „seine“ Gesellschaft, beschränkt, vielmehr erfasst er auch Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. Die wirtschaftliche Entsprechung tritt dabei in zwei Varianten auf. Zum einen fallen hierunter Rechtshandlungen eines Gesellschafters, denen der wirtschaftliche Gehalt einer Darlehensvergabe zukommt, und zum anderen Darlehen von Dritten, die wegen ihrer Nähe zur Gesellschaft als „gesellschaftergleiche Dritte“ angesehen werden. Möglich ist daneben eine Kombination aus beiden Varianten.
Dies gilt insbesondere für Darlehen verbundener Unternehmen, wobei die Verbindung vertikal in der Weise bestehen kann, dass der Dritte an einer Gesellschafterin der Schuldnergesellschaft beteiligt ist. Die Verbindung kann aber auch horizontal ausgebildet sein, wenn ein Gesellschafter an beiden Gesellschaften - der das Darlehen annehmenden und der das Darlehen gewährenden Gesellschaft -beteiligt ist, und zwar an der letztgenannten in maßgeblicher Weise. Eine maßgebliche Beteiligung liegt vor, wenn der Gesellschafter auf die Entscheidungen des darlehensgewährenden Unternehmens einen bestimmenden Einfluss ausüben kann. Bei der darlehensnehmenden Gesellschaft muss die Beteiligung lediglich über dem Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO liegen, was auch bei mittelbaren Beteiligungen gilt. Kombination der horizontalen und vertikalen Verbindungen sind möglich.
Zu entscheiden war vorliegend ein Fall, bei dem es um Einordnung des Darlehensgebers als gesellschaftergleicher Dritter im dargestellten Sinne ging.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer A-GmbH, deren Alleingesellschafter und bis 2016 auch Geschäftsführer HA war. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der A-GmbH & Co. KG (KG), über deren Vermögen auf Antrag vom 10.11.2014 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Alleiniger Kommanditist der KG war BA, ihre Komplementärin war – wie nicht unüblich - ohne Beteiligung am Haftkapital die A-Beteiligungs-GmbH, deren Gesellschafter wiederum zu 10 % HA und zu 90 % BA waren.
Die A-GmbH hatte der KG 2010 ein Darlehen gewährt, das bei deren Insolvenzeröffnung mit rund 90.000 € valutierte. Diese Forderung hatte die A-GmbH zur Insolvenztabelle der KG als nicht nachrangige Insolvenzforderung angemeldet, der Beklagte hatte sie unter anderem deshalb bestritten, weil sie nachrangig im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sei.
Mit seiner Klage auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle im Rang des § 38 InsO hatte der Kläger weder vor dem Landgericht noch dem Oberlandesgericht Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision zwar wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen, die Revision aber im Ergebnis als unbegründet zurückgewiesen. Die Forderung des Klägers sei nachrangig im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO.
Die Begründung des BGH
Mangels einer natürlichen Person als haftender Gesellschafter fiel die KG unter die von § 39 Abs. 4 InsO definierten Gesellschaften.
Zudem war HA alleiniger Gesellschafter der das Darlehen gebenden A-GmbH. Er konnte damit bestimmenden Einfluss auf die Gewährung oder auf den Abzug des streitgegenständlichen Darlehens durch die A-GmbH ausüben.
Seine Beteiligung an der KG habe ebenfalls für eine horizontale Verbindung ausgereicht, so der BGH. HA sei zwar nicht unmittelbarer Gesellschafter der KG gewesen, aber mit einem Anteil von 10% an deren Komplementär-GmbH beteiligt gewesen und dadurch deren mittelbarer Gesellschafter. Zudem sei er bis zum 12.08.2014 auch Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Schuldnerin gewesen. Dies genüge für die Annahme einer Verbindung des HA, welche die Gleichstellung mit einem Gesellschafterdarlehen rechtfertige.
Diese Frage sei allerdings in der juristischen Literatur umstritten.
Eine Ansicht nehme an, dass der Gesellschafter der Komplementär-GmbH als mittelbarer Gesellschafter der GmbH & Co. KG auch dann in das Gesellschafterdarlehensrecht einbezogen sein kann, wenn er, wie vorliegend HA, nicht zugleich – als Kommanditist – an der KG beteiligt sei, aber über die Komplementär-GmbH mittelbar an der KG eine die Kleinbeteiligungsschwelle überschreitende Beteiligung an der schuldnerischen Gesellschaft halte. Daran fehle es, wenn die Komplementär-GmbH wie vorliegend nicht am Haftkapital der GmbH & Co. KG beteiligt sei. In diesem Fall reiche auch die Geschäftsführerstellung in der Komplementär-GmbH nicht für eine Einbeziehung in das Gesellschafterdarlehensrecht aus. Nach dieser Auffassung könnte die Forderung der A-GmbH im Rang des § 38 InsO zur Tabelle angemeldet werden.
Nach anderer Ansicht sei nicht erheblich, ob die Komplementär-GmbH am Haftkapital der GmbH & Co. KG beteiligt ist. Nach dieser Auffassung wäre die Darlehensrückforderung der A-GmbH nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO folglich nachrangig.
Der BGH selbst hatte bislang nur den umgekehrten Fall entschieden und eine maßgebliche Beteiligung an der darlehensgebenden Gesellschaft angenommen. Er hatte dort die Stellung als (Allein-)Gesellschafterin der Komplementär-GmbH der als GmbH & Co. KG verfassten Darlehensgeberin unabhängig von einer Kapitalbeteiligung der GmbH an der KG für ausreichend gehalten.
Gehe es jedoch um eine mittelbare Beteiligung an der darlehensnehmenden Gesellschaft, so der BGH jetzt, bedürfe es keines bestimmenden Einflusses. § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO erfasse Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprächen. Wer Gesellschafter im Sinn des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nummer 5 Variante 1 InsO sei, richte sich in erster Linie nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben. Gesellschafter seien daher alle an der Schuldnerin unmittelbar beteiligten formalen Gesellschafter. Ein Kapitalanteil an der Gesellschaft sei nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vorausgesetzt. Nach § 39 Abs. 5 InsO unterliege zudem ein geschäftsführender Gesellschafter auch bei gänzlich fehlender Beteiligung am Haftkapital dem Gesellschafterdarlehensrecht.
Zwar liege der tragende Grund der Nachrangigkeit darin, dass der Gesellschafter eine Geschäftstätigkeit (fremd-)finanziere, die ihm mittelbar über seine Stellung als Gesellschafter zugutekomme. Dazu bedürfe es aber nicht zwingend eines Kapitalanteils. Das für die Anwendung des Gesellschafterdarlehensrechts erforderliche Eigeninteresse könne auch in einer Lenkung der Geschäftstätigkeit zum Ausdruck kommen.
Für die vorliegend zu beurteilende mittelbare Beteiligung über die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG gelte nichts anderes.
Im Streitfall habe danach eine hinreichende Verbindung zur darlehensnehmenden KG bestanden. Unerheblich sei ferner, dass HA im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG nicht mehr Geschäftsführer deren Komplementär-GmbH gewesen sei. Der damit verbundene Rückfall auf das Kleinbeteiligtenprivileg wäre nach der Rechtsprechung des BGH nur dann bedeutsam, wenn er, wie hier gerade nicht, vor Beginn des letzten Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG eingetreten wäre.
Download: Anfechtungsrechtliche Rechtsfolgen einer wegen Vorfristigkeit inkongruenten Leistung des Schuldners
Allgemeines
Die Insolvenzanfechtung dient der Masseanreicherung zum Zweck der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Für den betroffenen Anfechtungsgegner bedeutet sie dagegen einen harten Einschnitt in sein Vermögen, denn bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen hat er das an die Masse zurückzugewähren, was anfechtbar weggegeben wurde.
Jede Insolvenzanfechtung verlangt eine Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die die Gläubiger im Allgemeinen benachteiligt („objektive Gläubigerbenachteiligung“). Hinzukommen muss zu diesen in § 129 der Insolvenzordnung (InsO) niedergelegten Prämissen die Erfüllung eines der in §§ 130 bis 137 InsO Anfechtungstatbestände. Die in der Praxis wesentlichen Anfechtungstatbestände sind die Anfechtung kongruenter Deckungen nach § 130 InsO und inkongruenter Deckungen gemäß § 131 InsO, die Vorsatzanfechtung im Sinne des § 133 InsO, die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nach § 134 InsO und die Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen im Sinne des § 135 InsO.
Die Anfechtungsfrist der §§ 130 und 131 InsO ist recht kurz, angefochten werden können hiernach Rechtshandlungen aus den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag. Nach § 133 InsO unterliegen kongruente Rechtshandlungen aus den letzten vier Jahren, inkongruente Rechtshandlungen sogar aus den letzten zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag der Anfechtung.
Die Voraussetzungen der §§ 130 und 131 InsO unterscheiden sich ganz wesentlich danach, ob eine kongruente oder inkongruente Deckung angefochten werden soll. Aber auch im Zusammenhang mit § 133 InsO ist die Abgrenzung von Bedeutung, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Inkongruenz ein erhebliches Beweisanzeichen für den erforderlichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners abgibt, wenn die Liquiditätslage des Schuldners zurzeit Rechtshandlung beengt war.
Der Grund für diese Sicht auf inkongruente Rechtshandlungen liegt in ihrer besonderen Verdächtigkeit. Ein Gläubiger, so die Gesetzesbegründung, der eine ihm nicht (oder nicht so oder nicht zu der Zeit, Ergänzung des Verfassers) zustehende Leistung erhält, erscheint weniger schutzwürdig als ein Gläubiger, dem eine kongruente Deckung gewährt wird.
Die Kongruenzanfechtung nach § 130 InsO verlangt, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner dies positiv wusste oder dass – bei Rechtshandlungen nach dem Insolvenzantrag, aber vor Eröffnung des Verfahrens – der Anfechtungsgegner positive Kenntnis vom Insolvenzantrag hatte. Diese subjektiven Voraussetzungen sind häufig für den beweispflichtigen Insolvenzverwalter schwer nachzuweisen.
Die Anfechtung inkongruenter Deckungen nach § 131 InsO ist deutlich niederschwelliger. Bei Rechtshandlungen aus dem letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag reicht bereits die Inkongruenz aus, ohne dass weitere subjektive oder objektive Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Liegt die Handlung im zweiten oder dritten Monat vor dem Antrag, muss zur Inkongruenz nur die objektive Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hinzukommen. Weitere subjektive Voraussetzungen sind auch hier nicht gefordert. Daran wird deutlich, dass die Anfechtung nach § 131 InsO für den Insolvenzverwalter deutlich einfacher ist als diejenige nach § 130 InsO.
Wann eine Rechtshandlung inkongruent ist, definiert § 131 Abs. 1 InsO wie folgt:
„Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte,
1. wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist,
2. wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder
3. wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, daß sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte.“
Ein Beispiel für „nicht zu beanspruchen“ ist die Besicherung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs, wenn eine solche bei der Darlehensvergabe nicht vereinbart worden war. Der Gläubiger einer Kaufpreisforderung kann ausschließlich deren Bezahlung verlangen, erlangt er Befriedigung durch Zwangsvollstreckung, ist diese inkongruent, weil er die Befriedigung „in dieser Art“ nicht verlangen konnte.
Eine Deckung ist „nicht zu der Zeit zu beanspruchen“, wenn der Gläubiger sie früher erhält als geschuldet, wenn also der Anspruch darauf im Zeitpunkt der Erfüllung entweder noch nicht fällig oder befristet war. Soll durch Banküberweisung der Eingang der Zahlung beim Gläubiger am Fälligkeitstag sichergestellt werden, ist dies nach bisher herrschender Meinung im Hinblick auf die Unwägbarkeit der Überweisungsdauer nur inkongruent, wenn die Überweisung mehr als fünf Tage vor der Fälligkeit erfolgt.
Welche Rechtsfolgen mit der Anfechtung einer vorfristigen Deckung verbunden sind, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht abschließend entschieden. Höchstrichterlich geklärt war nur, dass eine wegen verfrühter Leistung inkongruente Zahlung die Gläubiger in voller Höhe benachteiligt und daher vollständig zurückzugewähren ist, wenn noch vor Eintritt der Fälligkeit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt worden ist, der Schuldner also ohne dessen Zustimmung bei Fälligkeit nicht mehr hätte leisten können. Ob in Fällen, bei denen der Schuldner bei Fälligkeit noch uneingeschränkt verfügungsbefugt war, lediglich der Zwischenzins bis zum Fälligkeitszeitpunkt, der in aller Regel keinen nennenswerten Betrag ausmacht, verlangt werden kann oder Rückgewähr der gesamten Leistung, hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Insolvenzordnung bislang ausdrücklich offengelassen. In der juristischen Literatur ist die Frage umstritten.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 15.08.2017 am 01.11.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Co. KG (Schuldnerin). Das LuftfahrtBundesamt leitete eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen die Fluggastrechte-VO gegen die Schuldnerin ein. In Bezug auf weitere Anzeigen von Fluggästen vereinbarte die Schuldnerin mit dem Luftfahrt-Bundesamt am 19.06.2017, dass insgesamt 295 Bußgeldbescheide im Gesamtumfang von 2.308.000 € zuzüglich Gebühren und Auslagen ergehen würden, mit denen die Altfälle abgegolten sein sollten. Die Schuldnerin erklärte sich bereit, diese Bußgeldbescheide zu akzeptieren und keine Einsprüche einzulegen. In der Folge ergingen die angekündigten Bußgeldbescheide, auf welche die Schuldnerin zuzüglich Gebühren und Auslagen Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.424.432,50 € leistete. Zahlungen in Höhe von 429.000 € erbrachte die Schuldnerin im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag vorfristig.
Der Kläger hat diese Zahlungen, soweit im Revisionsverfahren noch streitgegenständlich, unter dem Gesichtspunkt der inkongruenten Deckung gemäß § 131 InsO angefochten. Das Landgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich der Zahlungen aus dem letzten Monat vor dem Insolvenzantrag nebst Zinsen. Der BGH gibt ihm Recht.
Die Begründung des BGH
Der BGH entscheidet jetzt, dass entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts die Masse aufgrund der verfrühten Zahlungen nicht nur um entgangene Nutzungsvorteile (entgangener Zwischenzins) geschmälert worden sei, weshalb die geleisteten Zahlungen als solche, mithin in voller Höhe, zurückgewährt werden müssten.
Allerdings habe der BGH es als Frage der Zurechenbarkeit angesehen, ob die wenige Tage nach Zahlung eingetretene Fälligkeit einer Anfechtung in voller Höhe des Zahlungsbetrags entgegenstehe. Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum unterliege die verfrühte Leistung grundsätzlich im Ganzen, auch als Geldzahlung, nicht etwa nur hinsichtlich des Zwischenzinses, der Anfechtung. Nach der Gegenauffassung solle nur Nutzungsersatz („Zwischenzins“) für die Zeitspanne zu zahlen sein, in der der Anfechtungsgegner keinen Anspruch auf die Leistung gehabt habe.
Der BGH schließt sich der überwiegenden Auffassung im Schrifttum an. Hierfür sprächen Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Sinn und Zweck der Anfechtungsvorschriften. Rechtsfolge des § 131 Abs. 1 InsO sei die Anfechtbarkeit der Rechtshandlung. Eine Unterscheidung nach der Art der Inkongruenz sehe das Gesetz nicht vor. Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben sei, müsse gemäß § 143 Abs. 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Inkongruenzanfechtung einer verfrühten, nicht zu der Zeit zu beanspruchenden Leistung ziele darauf ab, einem so bevorzugten Gläubiger den ihm gewährten Vorteil vor den anderen Gläubigern wieder zu nehmen und dadurch die Gläubigergleichbehandlung herbeizuführen. Der Vorteil für den Gläubiger aber bestehe in der ganzen Leistung. Der Abzug des Zwischenzinses behebe für sich allein die Inkongruenz der verfrühten Zahlung nicht. Auch könne der Umstand, dass die vorzeitig getilgte Schuld doch noch vor Eröffnung durch Vereinbarung fällig geworden sein möge, die Anfechtbarkeit nicht rückwirkend zu beseitigen.
Download: Autowaschanlage reißt Heckspoiler ab – Haftung des Betreibers
Allgemeines
Aus einem schuldrechtlichen Vertrag, zum Beispiel einem Kauf- oder Werkvertrag, obliegt den Parteien in erster Linie die Erfüllung der Hauptpflichten. Diese sind etwa beim Kaufvertrag gemäß § 433 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Pflicht des Verkäufers, die Kaufsache zu übergeben und dem Käufer das Eigentum daran zu verschaffen, wohingegen der Käufer die Pflicht zur Kaufpreiszahlung und zur Abnahme der Kaufsache hat. Die Parteien können aber auch sogenannte Nebenpflichten treffen, insbesondere Schutz- und Obhutspflichten treffen, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen kann.
Derjenige, der eine Gefahrenlage - etwa durch den Betrieb einer Waschanlage - schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer, etwa der Nutzer der Waschanlage - möglichst zu verhindern. Daher hat der Betreiber einer Waschanlage dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge seiner Kunden nicht beschädigt werden. Die danach erforderliche Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere, insbesondere seine Kunden vor Schäden zu bewahren. Offensichtlich ist allerdings auch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend entgegengewirkt werden kann.
Im Allgemeinen kommt eine Haftung jedoch nur in Betracht, wenn schuldhaft gehandelt wird, das heißt fahrlässig oder vorsätzlich. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Grundsätzlich trägt der Geschädigte, der Gläubiger des Schadensersatzanspruchs, die Beweislast dafür, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung kausal für den Schadenseintritt war. Steht dies fest, bestimmt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass der Schädiger sich hinsichtlich des Verschuldens entlasten muss, das Gesetz vermutet hier also widerleglich das Verschulden.
Abweichend von dieser regelmäßigen Beweislastverteilung bei der Pflichtverletzung und der Schadenskausalität ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich der Schädiger - über den Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus - nicht nur hinsichtlich seines Verschuldens zu entlasten hat, sondern er auch darlegen und gegebenenfalls beweisen muss, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Obhuts- und Gefahrenbereich liegen. In einem solchen Fall braucht der Geschädigte daher nur den Schaden und seine Entstehung im Bereich des Schädigers nachzuweisen.
Diese Beweislastverteilung ermöglicht eine deutlich erleichterte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei der Verletzung von Obhuts- und Sorgfaltspflichten durch den Vertragspartner.
Der zu entscheidende Fall
Die Beklagte betreibt eine sogenannte Portalwaschanlage. In der Waschanlage befindet sich ein Hinweisschild, das, soweit hier von Interesse, wie folgt lautet
"Allgemeine Geschäftsbedingungen Autowaschanlagen/Portalwaschanlagen
Die Haftung des Anlagenbetreibers entfällt insbesondere dann, wenn ein Schaden durch nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder durch nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler, Antenne, Zierleisten o.ä.) sowie dadurch verursachte Lackkratzer verursacht worden ist, außer den Waschanlagenbetreiber oder sein Personal trifft grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz."
Unter diesem Hinweisschild befindet sich ein Zettel mit der Aufschrift: "Achtung Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler!".
Der Kläger fuhr im Juli 2021 mit seinem PKW – Land Rover, Modell Range Rover Sport HSE – in die Waschanlage der Beklagten. Das Fahrzeug war serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattet, einem am hinteren Ende des Fahrzeugdachs, horizontal über der nach unten abfallenden Heckscheibe, bündig in der Karosserie sitzenden Bauteil. Der Kläger verließ sein Fahrzeug und startete den Waschvorgang ordnungsgemäß. Während des Waschvorgangs wurde der Spoiler abgerissen, was einen Schaden am Fahrzeug verursachte.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz der ihm entstandenen Schäden, nämlich
Das wegen des unter 5.000,00 € liegenden Streitwerts zuständige Amtsgericht (AG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landgericht (LG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat auf die Revision des Klägers das Urteil des AG wiederhergestellt.
Die Begründung des BGH
Der BGH sieht die Ursache für die Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs allein im Obhuts- und Gefahrenbereich der Beklagten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die auf dem außer Streit stehenden Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen beruhen, sei es zu der Schädigung gekommen, weil die Waschanlage konstruktionsbedingt nicht für das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattete Fahrzeug des Klägers geeignet war. Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug wie dasjenige des Klägers mit einer serienmäßigen Ausstattung wie dem betroffenen Heckspoiler konstruktionsbedingt nicht geeignet sei, falle in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Waschanlagenbetreibers, also der Beklagten.
Aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Klägers stammende Ursachen für diesen Schaden seien nicht ersichtlich. Das Fahrzeug des Klägers sei vor dem Einfahren in die Waschanlage unbeschädigt und der serienmäßige Heckspoiler ordnungsgemäß angebracht sowie fest mit dem Fahrzeug verbunden gewesen. Der Kläger habe daher berechtigt darauf vertrauen dürfen, dass sein Fahrzeug so, wie es ist, unbeschädigt aus dem Waschvorgang hervorgehen werde.
Dieses Vertrauen sei insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung gerechtfertigt, weil nur der Anlagenbetreiber Schadensprävention betreiben könne, der Kunde habe hierauf keinen Einfluss. Ihm sei es regelmäßig nicht möglich, solche Waschanlagen zu identifizieren, die konstruktionsbedingt nicht geeignet seien, sein Fahrzeug ohne ein erhöhtes Schadensrisiko zu reinigen.
Dem Kläger stehe gemäß §§ 631, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs zu.
Die Beklagte habe die gegen sie streitende Vermutung der Pflichtverletzung (siehe oben) nicht widerlegt und den ihr gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB obliegenden Nachweis fehlenden Verschuldens nicht geführt. Sie hätte darlegen und beweisen müssen, dass sie die konstruktionsbedingte Inkompatibilität weder kannte noch kennen musste oder sie alles Erforderliche und Zumutbare unternommen habe, um das Einfahren eines Fahrzeugs in ihre Waschanlage zu verhindern, für das diese Anlage konstruktionsbedingt nicht geeignet sei. Dies habe sie nicht getan.
Die Beklagte - die sich ausweislich der in der Waschanlage angebrachten Schilder der Gefahr einer Beschädigung insbesondere von Heckspoilern grundsätzlich bewusst gewesen sei - habe schon nicht dargelegt, sich darüber informiert zu haben, für welche Fahrzeuge ihre Anlage konstruktionsbedingt ungeeignet sei. Ebenso wenig habe sie dargetan, dass sie keine Informationen bekommen hätte, auf deren Grundlage die Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs vermieden worden wäre. Dass es bislang keinen entsprechenden Schadensfall gegeben habe, entlaste sie nicht.
Die Beklagte habe sich auch nicht durch einen ausreichenden Hinweis auf die mit dem Waschvorgang verbundenen Gefahren entlastet.
Das in der Anlage angebrachte, mit "Allgemeine Geschäftsbedingungen Autowaschanlagen/Portalwaschanlagen" überschriebene Schild reiche als Hinweis schon deshalb nicht aus, weil es ausdrücklich nur "nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder (...) nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler, Antenne, Zierleisten o.ä.)" erwähne. Am Fahrzeug des Klägers habe der Heckspoiler jedoch zur Serienausstattung gehört. Der Hinweis sei folglich sogar geeignet, das Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Funktion der Anlage zu stärken.
Der Zettel mit der Aufschrift "Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler!" sei angesichts des darüber befindlichen Schildes unklar und stelle keinen ausreichenden Hinweis dar.
Download: Unlauterkeit des Schuldners beim Bargeschäft
Allgemeines
Die Insolvenzanfechtung dient der Anreicherung der Masse mit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weggegebenen Vermögensgegenständen des Schuldners. Anfechtbar sind Rechtshandlungen, die die Gläubigergesamtheit benachteiligen, wenn zusätzlich die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands erfüllt sind. Die Anfechtungstatbestände finden sich in den §§ 130 bis 137 der Insolvenzordnung (InsO). Anfechtbar sind danach zum Beispiel Deckungshandlungen aus den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag, inkongruente Deckungen nach § 131 InsO unter erleichterten Bedingungen, kongruente Deckungen nach § 130 InsO unter strengeren Voraussetzungen. Hat der Schuldner mit dem Vorsatz gehandelt, seine Gläubiger zu benachteiligen, und wusste der Anfechtungsgegner um diesen Vorsatz, können Rechtshandlungen angefochten werden, die bis zu vier Jahren, bei Inkongruenz sogar bis zu zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag vorgenommen worden sind.
Die drohende Insolvenzanfechtung kann allerdings auch dazu führen, dass ein finanziell schlecht gestellter Marktteilnehmer Schwierigkeiten bei der Suche nach Geschäftspartnern hat, da diese um den dauerhaften Erhalt der für ihre Leistung durch den Schuldner bewirkten Gegenleistung fürchten müssen. Dem sucht die Norm des § 142 InsO entgegenzuwirken, die sogenannte Bargeschäfte, die allerdings bei inkongruenten Deckungen im Sinne des § 131 InsO nie gegeben sind, von der Anfechtung ausnimmt:
§ 142 Bargeschäft
(1) Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, ist nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Absatz 1 bis 3 gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte.
(2) 1Der Austausch von Leistung und Gegenleistung ist unmittelbar, wenn er nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt. 2Gewährt der Schuldner seinem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt, ist ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. 1Der Gewährung des Arbeitsentgelts durch den Schuldner steht die Gewährung dieses Arbeitsentgelts durch einen Dritten nach § 267 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gleich, wenn für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat.
Der Grund für dieses Bargeschäftsprivileg liegt nach der Gesetzesbegründung darin, „dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der Anfechtung unterlägen.“ Geschützt werden sollen dadurch die Geschäftspartner des Schuldners bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 142 InsO in ihrem Vertrauen darauf, die Gegenleistung des Schuldners behalten zu dürfen. Der Gesetzgeber hat mit dieser Norm eine wirtschaftliche Gesamtbewertung vorgenommen, die der Sicherheit des Geschäftsverkehrs den Vorrang vor der Masseanreicherung einräumt, wenn nicht die strengen Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO vorliegen und zusätzlich der Schuldner „unlauter“ gehandelt hat und der Anfechtungsgegner dies erkannt hat.
Daraus folgt zwangsläufig, dass die Unlauterkeit mehr voraussetzt als den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 133 InsO. Was genau hierfür zu verlangen ist, regelt § 142 InsO nicht. Der Bundesgerichtshof (BGH) konkretisiert nun mit der Besprechungsentscheidung die Anforderungen an diesen Begriff. Er hat seinem Urteil die folgenden Leitsätze vorangestellt:
1. Ein Schuldner handelt bei einem Bargeschäft unlauter, wenn es sich weniger um die Abwicklung eines Bargeschäfts handelt als vielmehr um ein die übrigen Gläubiger gezielt schädigendes Verhalten. Dies kommt in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO das Bargeschäft zu einer gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger führt oder dazu genutzt wird, den Empfänger gegenüber anderen Gläubigern gezielt zu bevorzugen.
2. Ein unlauteres Handeln liegt nicht schon dann vor, wenn der Schuldner fortlaufend Verluste erwirtschaftet.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin). Der Beklagte ist einer von drei Kommanditisten der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war als Dienstleisterin im Baugewerbe tätigt. Sie arbeitete von Anfang an nicht rentabel. Die fälligen Verbindlichkeiten überstiegen jeweils die liquiden Mittel.
Seit Beginn des Jahres 2017 erbrachte der Beklagte aufgrund vertraglicher Vereinbarung Dienstleistungen (Bauleitung und -überwachung) für die Schuldnerin. Seine Leistungen wurden jeweils im auf die Leistungserbringung folgenden Monat abgerechnet, so mit Rechnungen vom 03.05.2019 und 04.06.2019. Im Übrigen ergab sich folgender zeitlicher Ablauf:
31.01.2019
Die H, eine Gläubigerin der Schuldnerin, stellte dieser zwei Rechnungen über insgesamt 43.903,90 €. Die Schuldnerin bezahlte nicht. Daraufhin mahnte die H sie wiederholt.
17.05.2019
Die H drohte mit Klageerhebung.
29.05.2019
Der Geschäftsführer der Schuldnerin teilte deren Gesellschaftern, darunter dem Beklagten, mit, dass ein Liquiditätsbedarf von 600.000 € bestehe, und forderte die Kommanditisten auf, bis zum 11.07.2019 jeweils 200.000 € einzuzahlen. Andernfalls könnten weder Gläubiger bedient noch neue Verbindlichkeiten begründet werden. Der Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
31.05.2019
Die Schuldnerin zahlte trotz der Ankündigung, keine Zahlungen zu leisten, an diesem Tag und am 21.06.2019 insgesamt 188.640,53 €, darunter 63.599,54 € an den Beklagten für Rechnungen vom 03.05.2019 und 04.06.2019.
12.06.2019
Die Schuldnerin zahlte weiterhin teilweise auf die Forderungen der H, sodass zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags eine Restforderung dieser Gläubigerin von 24.817,54 € offenstand.
25.08.2019
Die Schuldnerin stellte einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen.
01.11.2019
Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.
Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Erstattung der Zahlungen an den Beklagten.
Das Landgericht gab der Klage weitgehend statt, das Berufungsgericht wies die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg.
Die Begründung des BGH
Die Zahlungen an den Beklagten lagen zwar im Anfechtungszeitraum des § 130 InsO, seien aber dennoch nicht § 130 InsO als kongruente Deckungshandlungen anfechtbar, weil es sich jeweils um Bargeschäfte nach § 142 InsO gehandelt habe.
Die allgemeinen Voraussetzungen des § 142 InsO seien gegeben. Es habe ein unmittelbarer Austausch von Leistung und Gegenleistung vorgelegen, der nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt sei. Die Schuldnerin habe die erbrachten Dienstleistungen des Beklagten aufgrund der monatlich unmittelbar nach der Leistungserbringung erfolgten Rechnungsstellung jeweils innerhalb von 30 Tagen bezahlt. Die so bezahlten Leistungen des Beklagten seien gleichwertig gewesen.
Auch auf die Grundsätze der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO könne der Kläger sich nicht mit Erfolg berufen, da ein unlauteres Handeln der Schuldnerin nicht festgestellt werden könne.
Die Schuldnerin habe zwar die Zahlungen mit dem Beklagten bekannten Vorsatz, ihre Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen, die erforderliche Unlauterkeit des schuldnerischen Handelns sei jedoch nicht gegeben.
In der juristischen Literatur sei allerdings umstritten, unter welchen Voraussetzungen ein unlauteres Handeln des Schuldners im Sinne des § 142 InsO anzunehmen sei. Einigkeit bestehe nur insoweit, dass Handlungen, die einer gezielten Benachteiligung von Gläubigern dienten, unlauter seien. In Anlehnung an die Gesetzesbegründung würden als Beispiele insbesondere die Vermögensverschleuderung für flüchtige Luxusgüter ohne Nutzen für die Gläubiger oder die Abstoßung von für die Unternehmensfortführung notwendigem Betriebsvermögen in der Absicht, den Gegenwert den Gläubigern zu entziehen, genannt. Umstritten sei dagegen, ob unterhalb dieser Schwelle Unlauterkeit zu bejahen sei.
Der BGH entscheidet, dass der Schuldner bei einem Bargeschäft dann unlauter handele, wenn es weniger um die Abwicklung von Bargeschäften gehe als vielmehr um ein die übrigen Gläubiger gezielt schädigendes Verhalten. Dies komme in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO das Bargeschäft zu einer gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger führe oder dazu genutzt werde, den Empfänger gegenüber anderen Gläubigern gezielt zu bevorzugen.
Der Gesetzgeber der Aktuellen Fassung des § 142 InsO habe an die Rechtsprechung zur Absichtsanfechtung nach § 31 der früheren Konkursordnung angeknüpft, wonach Benachteiligungsabsicht in Fällen, in denen der Anfechtungsgegner nur erhielt, was ihm rechtlich gebührte, insbesondere dann anzunehmen gewesen sei, wenn sich ergab, dass es dem Schuldner weniger auf die Erfüllung seiner Pflichten oder auf Erlangung weiterer Kredite ankam, sondern mehr auf die Schädigung der übrigen Gläubiger. Eine Handlung, durch die einer Rechtspflicht genügt werde, könne durch den Zweck, auf den sie gerichtet sei, unlauteren Charakter bekommen. In solchen Fällen sei das die Handlung des Schuldners bestimmende Motiv maßgebend für ihre Charakterisierung.
Deshalb erfordere das Merkmal des „unlauteren Handelns“ mehr als das Bewusstsein, nicht mehr in der Lage zu sein, alle Gläubiger befriedigen zu können.
Danach komme unlauteres Verhalten in verschiedenen Fallgestaltungen in Betracht:
Das fortlaufende Erwirtschaften von Verlusten reiche dagegen ebenso wenig wie das Verletzen der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO oder der Massesicherungspflicht nach § 15b InsO. Ersteres ergebe sich bereits aus der Gesetzesbegründung, Letzteres aus der Rechtsprechung des BGH, die die Verletzung der Antragspflicht für sich genommen schon nicht ausreichen lasse, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zu begründen. Um so weniger könne sie deshalb Grundlage der Unlauterkeit sein.
Da der Kläger sich vorliegend allein darauf berufen habe, dass die Schuldnerin einen verlustträchtigen Betrieb fortsetzte, könne dies keine Unlauterkeit der Zahlungen an den Beklagten begründen.
Bei der bezahlten Bauleitung und -überwachung der Bauprojekte der Schuldnerin handele es sich nicht um ein neu in der Krise mit einem Gesellschafter abgeschlossenes Geschäft, sondern um die unveränderte Fortsetzung einer laufenden Geschäftsbeziehung, die für die Unternehmensfortführung notwendig gewesen sei.
Die Geschäftsführung habe die Schuldnerin bei Mitwirkung der Gesellschafter und der Gläubiger für grundsätzlich sanierungsfähig gehalten. Erkennbar gescheitert sei die Sanierung zum Zeitpunkt der geleisteten Zahlungen (noch) nicht gewesen.
Dass sich die Schuldnerin an den im Schreiben vom 29.05.2019 angekündigten Zahlungsstopp nicht gehalten habe, begründe für sich genommen keine Unlauterkeit. Ein darin möglicherweise liegender Verstoß gegen das gesetzliche Zahlungsverbot aus § 15b InsO genüge hierfür allein, wie dargelegt, nicht.
Entscheidend gegen Unlauterkeit spreche, dass die Zahlungen für Leistungen erfolgten, die für den Fortgang der Bauprojekte der Projektgesellschaften essentiell gewesen seien und damit unmittelbar dazu gedient hätten, den einstweiligen Fortbestand des Geschäftsbetriebs während laufender Sanierungsbemühungen zu sichern.
Es sei schließlich nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin den Beklagten als Gesellschafter gegenüber anderen, der Schuldnerin nicht nahestehenden Gläubigern bevorzugt behandelt habe. Sie habe vielmehr im Zeitraum vom 31.05. bis zum 21.06.2019 nicht nur die Rechnungen des Beklagten, sondern zugleich Rechnungen verschiedener anderer Gläubiger beglichen. Es sei nicht festgestellt, dass der Beklagte auf die Entscheidung der Geschäftsleitung, entgegen dem angekündigten Zahlungsstopp Zahlungen fortzusetzen, eingewirkt hätte.
Allgemeines
Nach § 106 der Gewerbeordnung (GewO) steht dem Arbeitgeber grundsätzlich ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer zu:
„1Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. 2Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. 3Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.“
Der Arbeitgeber kann das Weisungsrecht allerdings nicht schrankenlos ausüben, vielmehr hat er bei der Erteilung von Weisungen billiges Ermessen zu wahren. Dessen Beurteilung kann insbesondere dann Schwierigkeiten bereiten, wenn der Arbeitgeber sachliche, betriebliche Gründe für die Weisung benennen kann, der Arbeitnehmer aber starke und berechtigte Interessen an ihrem Unterbleiben hat, beispielhaft, wenn die angewiesene Tätigkeit seinen Gesundheitszustand gefährdet.
Ein Beispiel für eine derartige Weisung ist die Erlaubnis, ganz oder teilweise im Homeoffice zu arbeiten, und deren Widerruf. Hierum geht es im Besprechungsfall.
Der zu entscheidende Fall
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung des Klägers auf einen 500 km entfernten Dienstort und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung. Die Beklagte ist Zulieferer und Dienstleister im industriellen, insbesondere im Automotive-Bereich. Der 1969 geborene Kläger ist ledig und hat keine Unterhaltspflichten. Seit Anfang 2017 ist er zunächst als „Leiter Planung und Projektmanagement, seit April 2018 als „Fachbereichsleiter UTW, Planung und Projektmanagement“ am Standort der Beklagten in O. beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung beträgt 7.299 €. Zu 80 % arbeitet er im Homeoffice.
Nach dem Arbeitsvertrag bezieht sich sein Einsatzbereich auf den gesamten Bereich der Unternehmensgruppe der Beklagten. Nach Schließung ihres Standorts in O. versetzte die Beklagte den Kläger schriftlich an ihren – 500 km entfernten – Standort in M. Im selben Schreiben wies sie darauf hin, dass die übrigen vertraglichen Bedingungen bestehen bleiben, aber die Tätigkeit nunmehr im Betrieb in M. zu erbringen ist. Mit einem weiteren Schreiben vom selben Tag übersandte die Beklagte für den Fall der Unwirksamkeit der Versetzung eine ordentliche Kündigung, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis mit veränderten Bedingungen am Standort M. fortzusetzen (sogenannte Änderungskündigung). Dieses Angebot lehnte der Kläger ab.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass seine Versetzung an den Standort M. unwirksam ist, und hilfsweise – für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag –, festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß der Änderungskündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht beendet wird.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln gab der Kündigungsschutzklage statt. Dagegen wendet die Beklagte sich mit ihrer Berufung, die jedoch vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln keinen Erfolg hatte.
Die Begründung des LAG Köln
Das LAG hält beide Klageanträge für begründet, weil die Beklagte bei der Ausübung ihres Weisungsrechts die nach § 106 GewO zu beachtende Grenze des billigen Ermessens bezüglich der Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice zu erbringen, nicht eingehalten habe.
Der Arbeitgeber könne nach § 106 GewO grundsätzlich einseitig, also ohne Zustimmung des Arbeitnehmers und notfalls gegen dessen Willen die Einzelheiten der Dienste in fachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht konkretisieren und gegebenenfalls auch ändern. Die Grenzen dieses Rechts ergäben sich unter anderem aus § 106 Satz 3 GewO. Bezüglich der Versetzung nach M. sei eine Verletzung dieser Grenzen nicht zu erkennen.
Im Hinblick auf den mit der Versetzung nach M. verbundenen Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis habe die Beklagte sich dagegen nicht an die Grenzen des billigen Ermessens gehalten. Diese Grenzen seien nur gewahrt, wenn der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und dabei die beiderseitigen Interessen gewahrt habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Kläger habe ein erhebliches Bestands- und Ortinteresse. Er sei familiär, logistisch, im Freundeskreis und in der Kultur verortet (genauere Angaben finden sich in der Entscheidung nicht). Diese Interessen würden nicht durch diejenigen der Beklagten überwogen. Der Kläger habe zu seinem Arbeitsablauf unbestritten vorgetragen, der Kontakt zu den Kunden geschehe projektbezogen vor Ort, bis dahin per Telefon und Computer. Er, der Kläger, betreue in erheblichem Umfang auch Kunden mit weit entferntem Sitz, sogar im Ausland. Für die Kunden sei unerheblich, ob er vom Standort in O. oder M. agiere.
Die Beklagte habe dagegen nachvollziehbar nur zu ihrer Entscheidung vorgetragen, den Standort in O. zu schließen. Ihre Argumentation, es sei Teil des Unternehmenskonzepts und der Arbeitskultur der Firma, dass grundsätzlich mit den Kollegen vor Ort gearbeitet werde, habe sie selbst nicht durchgehend befolgt. Zudem habe sie dieses Konzept nicht an der konkreten Aufgabe des Klägers gemessen. Sie habe nicht dargelegt, welche Tätigkeiten der Kläger nur vor Ort ausüben könne.
Zusammengefasst sei die Betriebsschließung und die Zuweisung des Klägers nach M. nicht nur sachgerecht, sondern folge einem dringenden betrieblichen Bedürfnis. Das gelte aber nicht für den Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis. Damit hatte die Klage mit dem ersten Antrag Erfolg.
Auch der zweite Antrag sei begründet. Aus den dargestellten Gründen fehle es hinsichtlich der Homeoffice-Regelung an einer nachvollziehbaren Organisationsentscheidung der Beklagten. Vor diesem Hintergrund hätte es ausgereicht, den unverhältnismäßigen Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis zu unterlassen und den Kläger bei ansonsten unveränderten Bedingungen statt dem Betrieb in O. demjenigen in M. zuzuordnen. Im Hinblick darauf und mangels geeigneter Organisationsentscheidung fehle der (Änderungs)Kündigung das notwendige dringende betriebliche Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Die Kündigung konnte daher keinen Bestand haben, sondern war unwirksam.
Nach einer Pressemitteilung ist das Urteil des LAG Köln rechtskräftig.
Download: Anscheinsbeweis für private Fahrzeugnutzung betrieblicher Fahrzeuge
Überblick
Die steuerrechtlichen Folgen vermeintlicher oder tatsächlicher privater Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge bieten sehr häufig Anlass für streitige Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung.
Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist die private Nutzung eines Fahrzeugs, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Die Vorschrift ist auch für Leasingfahrzeuge anzuwenden.
Fehlt es mangels privater Nutzung an einer Entnahme, ist die Bewertungsregel in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht anzuwenden. Im Streitfall muss das Gericht sich deshalb grundsätzlich die volle Überzeugung davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat. Für eine private Nutzung spricht allerdings nach der Rechtsprechung der sogenannte Beweis des ersten Anscheins. Der Beweis des ersten Anscheins (auch prima-facie-Beweis) ist nicht gesetzlich geregelt, aber gewohnheitsrechtlich anerkannt. Er erlaubt bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis zum Beispiel eines ursächlichen Zusammenhangs ohne exakte Tatsachengrundlage allein auf Grund von Erfahrungssätzen, mithin auf Basis der allgemeinen Lebenserfahrung. Der Beweis des ersten Anscheins kann erschüttert werden.
Bezogen auf die private Fahrzeugnutzung bedeutet dies: Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, ist deshalb regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat.
Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige muss nicht beweisen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehens, also etwa eine rein betriebliche Nutzung, ergibt.
Der Beweis des ersten Anscheins für eine private Nutzung betrieblicher Fahrzeuge wird im Regelfall jedoch noch nicht erschüttert, wenn für privat veranlasste Fahrten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden haben. Er kann aber erschüttert sein, wenn für private Fahrten ein anderes Fahrzeug zur Verfügung steht, das dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar ist. Entsprechendes gilt, wenn im Privatvermögen und im betrieblichen Bereich jeweils mehrere Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Dabei ist der für eine Privatnutzung sprechende Anscheinsbeweis umso eher erschüttert, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen. Denn bei einer Gleichwertigkeit der Fahrzeuge ist nach der Rechtsprechung keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für Privatfahrten das Dienstfahrzeug zu nutzen.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Prüfungssachverständiger (eine nähere Qualifikation seiner beruflichen Tätigkeit findet sich im Urteil nicht) und erzielte in den Streitjahren (2011 bis 2013) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
2010 schloss er einen Leasingvertrag über einen BMW 740d X Drive (BMW) ab. Dem Vertrag lag bei der Berechnung der Leasingraten ein Fahrzeuggrundpreis von 89.563,01 € netto zugrunde. Der Kläger machte die Leasingkosten in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend.
2012 leaste der Kläger zusätzlich einen Lamborghini Aventador (Lamborghini) über 36 Monate bei einer monatlichen Leasingrate in Höhe von 5.474,03 € netto (Fahrzeuggrundpreis 279.831,93 € netto). Der Kläger versah das Fahrzeug mit einer Werbefolie mit dem Text "Prüfsachverständiger …". Die Aufwendungen für den Lamborghini machte der Kläger ebenfalls in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend.
Für beide Fahrzeuge führte der Kläger jeweils handschriftlich Fahrtenbücher. Unstreitig wurden die Fahrzeuge - wie es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG voraussetzt - zu mehr als 50 % betrieblich genutzt.
In den Streitjahren hatte der Kläger außerdem zwei weitere Fahrzeuge im Privatvermögen, einen Ferrari 360 Modena Spider und einen Jeep Commander.
Das Finanzamt (FA) kürzte die streitigen Aufwendungen für den Lamborghini nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG um 2/3 und minderte die Betriebsausgaben für dieses Fahrzeug (2012: um 4.289 € netto; 2013: um 32.835 € netto). Es ging von einer Entnahme für die private Nutzung des Lamborghini aus, die grundsätzlich mit monatlich 1 % von 279.831,93 € netto zu bewerten sei. Da dieser Betrag in beiden Streitjahren höher als 1/3 der tatsächlichen Aufwendungen für das Fahrzeug war, setzte das FA unter Ansatz der Kostendeckelung nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18.11.2009 (IV C 6 – S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 18 ff.) die um 2/3 gekürzten tatsächlichen Kosten als Entnahme an.
Für den BMW setzte es eine Entnahme für die Privatnutzung in Höhe von monatlich 1 % von 89.563,01 € netto (= 10.740 € pro Jahr) an.
Die Fahrtenbücher des Klägers seien nicht lesbar und deshalb nicht anzuerkennen.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg, auf die Revision des Klägers hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Sache aufgehoben und an das Finanzgericht (FG) zurückverwiesen.
Die Begründung des BFH
Im vorliegenden Fall habe das FG bei der Prüfung, ob der Kläger den für eine Privatnutzung des BMW und des Lamborghini sprechenden Beweis des ersten Anscheins erschüttert habe, bereits den gesetzlichen Maßstab für die Überzeugungsbildung verkannt. An seine Feststellungen sei der BFH daher revisionsrechtlich nicht gebunden, weshalb das erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben könne.
Das FG hatte angenommen, der Kläger habe den für eine Privatnutzung des BMW und des Lamborghini sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Dieser wäre nicht durch ordnungsgemäße Fahrtenbücher entkräftet. Die handschriftlichen Aufzeichnungen des Klägers hätten nicht die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erfüllt, da viele der Angaben nicht lesbar seien. Teilweise hätten zudem Angaben gefehlt. Die vom Kläger vorgelegten Transkripte der handschriftlich geführten Fahrtenbücher in Form maschinenschriftlicher Tabellen seien nicht zu berücksichtigen, weil die Transkripte nachgeschrieben seien und die Anforderungen an ein zeitnah geführtes ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nicht erfüllten. Der Anscheinsbeweis sei auch nicht durch andere Tatsachen entkräftet. Dass dem Kläger andere Luxusfahrzeuge im Privatvermögen zur Verfügung gestanden hätten, widerlege den Anscheinsbeweis nicht. Es handele sich um andere Fahrzeugtypen mit unterschiedlichem Prestige und unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten.
Der BFH hält dies für rechtsfehlerhaft.
Es sei unzutreffend, dass der für eine Privatnutzung sprechende Anschein nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erschüttert werden könne. Werde substantiiert vorgetragen, die Fahrzeuge seien ausschließlich betrieblich genutzt worden, müsse das FG den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen aufklären und bei seiner Würdigung sämtliche Umstände berücksichtigen. Dem sei das FG nicht nachgekommen.
Es sei vorliegend nicht von vornherein auszuschließen, dass die Fahrtenbücher und die daraus angefertigten Transkripte geeignet seien, den Vortrag, wonach die Fahrzeuge nicht privat genutzt worden seien, so ausreichend zu substantiieren, dass sich ein Sachverhalt ergebe, der geeignet sei, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Das FG hätte deshalb dem Vortrag des Klägers, dass sich das Fahrtenbuch und das Transkript inhaltlich decken und sich aus den Eintragungen ergebe, dass es keine Privatfahrten gegeben habe, nachgehen müssen. Dem stehe die Transkription der teilweise nicht lesbaren Fahrtenbücher nicht entgegen. Ob ein handschriftlich geführtes Fahrtenbuch im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG zu verwerfen sei, wenn dessen Aufzeichnungen (teilweise) nicht lesbar seien, sei nicht streiterheblich, solange es um die vorrangig zu klärende Frage gehe, ob eine Privatnutzung überhaupt stattgefunden habe.
Auch die übrigen Feststellungen des FG seien nicht geeignet, seine Würdigung zu tragen, dass die Fahrzeuge im Privatvermögen des Klägers nicht ausreichten, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Die Annahme des FG, es handele sich (im Vergleich zu den betrieblichen Fahrzeugen) um Fahrzeuge mit anderem Prestige und anderen Nutzungsmöglichkeiten, sei nicht durch Tatsachen unterlegt. Maßgeblich seien die in der Rechtsprechung für eine solche Prüfung herausgearbeiteten Vergleichskriterien wie Motorleistung, Hubraum, Höchstgeschwindigkeit, Ausstattung, Fahrleistung, Prestige, womit hat sich das FG nicht auseinandergesetzt habe.
Eigene Feststellung könne der BFH revisionsrechtlich nicht treffen. Für das weitere Verfahren im zweiten Rechtszug weist der BFH aber darauf hin, dass das FG die Unangemessenheit der Aufwendungen durch die beiden Fahrzeuge zu prüfen habe, auch wenn die bisherigen Feststellungen deren Annahme nicht rechtfertige.
Zu berücksichtigen seien dabei die Größe des Unternehmens, die Höhe des längerfristigen Umsatzes und des Gewinns, die Bedeutung des Repräsentationsaufwands für den Geschäftserfolg nach der Art der ausgeübten Tätigkeit und seine Üblichkeit in vergleichbaren Betrieben. Es könne auch entscheidungserheblich sein, ob es einen objektiven Grund für den (angeblichen) Mehraufwand gebe und wie weit die private Lebenssphäre des Klägers berührt werde. Das FG werde hinsichtlich der von ihm verneinten objektiven Eignung des Fahrzeugs für den Betriebserfolg in die Betrachtung auch einzubeziehen haben, dass der Kläger den mit einer Werbefolie versehenen Lamborghini nach seinem Vortrag (den der Kläger gegebenenfalls nachzuweisen hätte) gezielt für den Besuch bestimmter Kundenkreise eingesetzt habe.
Überblick
Vergleiche zunächst den Überblick in der nachfolgenden Kommentierung zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31.07.2024 (II R 20/22).
Im Besprechungsfall ging es anders als in der Entscheidung vom 31.07.2024 jedoch nicht um die schenkungsteuerrechtliche Einordnung der Gewährung eines Darlehens mit einem unter dem Marktzins vereinbarten Zinssatz, sondern um den Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung in einer GmbH. Auch diesen Sachverhalt subsumiert der BFH im Ergebnis unter § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG).
Zu beurteilen war in dem im Tatsächlichen recht komplexen Besprechungsfall die Frage, ob eine gesellschaftsrechtliche Abrede in Gestalt einer von den Beteiligungsquoten abweichenden Zuordnung der Kapitalrücklage an einen Gesellschafter im Fall ihrer zivilrechtlichen Zulässigkeit schenkungsteuerrechtliche Auswirkungen haben kann.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger, sein Vater (V) und sein Bruder (B) schlossen am 27.06.2006 einen notariell beurkundeten Vertrag über die Errichtung einer GmbH mit einem Stammkapital von 27.000 €. Gegenstand des Unternehmens war der Erwerb, die Verwaltung, Nutzung und Verwertung eigenen Vermögens sowie die Beteiligung an anderen Unternehmen. Jeder Gesellschafter war zu einem Drittel am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Die Einlagen erbrachten sie bar.
Nach § 9 Nr. 2 der Satzung stand der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung zu, sofern nicht eine andere Gewinnverteilung unter Zustimmung jedes benachteiligten Gesellschafters beschlossen werden würde. Entsprechendes galt für die Zuweisung und Auflösung der Kapitalrücklagen. Beschlüsse waren grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen. Änderungen der Satzung sowie Nebenabreden bedurften der notariellen Beurkundung.
Nach § 9 Nr. 2 der Satzung stand der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung zu, sofern nicht eine andere Gewinnverteilung unter Zustimmung jedes benachteiligten Gesellschafters beschlossen werden würde. Entsprechendes galt für die Zuweisung und Auflösung der Kapitalrücklagen„Die Gesellschaft soll bislang im Privatvermögen der Gesellschafter gehaltenes Kapitalvermögen zusammenfassen und einheitlich anlegen. Die Gesellschafter werden zu diesem Zwecke aus ihrem Privatvermögen Geld- und Wertpapiervermögen einbringen, ggfs. auch andere Vermögenswerte. Die zur Nutzung eingebrachten Vermögenswerte werden vereinbarungsgemäß den Kapitalrücklagen zugeführt, daneben werden für jeden Gesellschafter Verrechnungskonten geführt, auf die die Gewinnanteile der Gesellschafter, Entnahmen aus den Kapitalrücklagen und Einlagen zunächst verbucht werden. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass jeder Gesellschafter über seinen Teil der Rücklagen frei verfügen kann und insbes. bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden.“. Beschlüsse waren grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen. Änderungen der Satzung sowie Nebenabreden bedurften der notariellen Beurkundung.
Am 01.07.2006 fassten die Gesellschafter folgenden Beschluss:
„Die Gesellschaft soll bislang im Privatvermögen der Gesellschafter gehaltenes Kapitalvermögen zusammenfassen und einheitlich anlegen. Die Gesellschafter werden zu diesem Zwecke aus ihrem Privatvermögen Geld- und Wertpapiervermögen einbringen, ggfs. auch andere Vermögenswerte. Die zur Nutzung eingebrachten Vermögenswerte werden vereinbarungsgemäß den Kapitalrücklagen zugeführt, daneben werden für jeden Gesellschafter Verrechnungskonten geführt, auf die die Gewinnanteile der Gesellschafter, Entnahmen aus den Kapitalrücklagen und Einlagen zunächst verbucht werden. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass jeder Gesellschafter über seinen Teil der Rücklagen frei verfügen kann und insbes. bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden.“
Zwischen Juli 2006 und Januar 2010 erbrachte V mehrere Bar- und Sachleistungen an die GmbH, die zuletzt als „Kapitalrücklage V“ gebucht wurden. Auf diese Weise wurde der Kapitalrücklage der GmbH insgesamt ein Betrag von 4,95 Mio. € zugeführt.
2012 beschlossen die Gesellschafter in einem notariellen Vertrag, das Stammkapital von 27.000 € auf 554.500 € zu erhöhen. Zur Übernahme der neuen Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 263.750 € wurden nur der Kläger und B zugelassen. Die Kapitalerhöhung erfolgte in der Weise, dass der Kläger und B im Wege der Sacheinlage Beteiligungen an anderen Gesellschaften in die GmbH einbrachten, deren Buchwert jeweils ca. 2,4 Mio. € betrug. Die Differenz zu den übernommenen Kapitalerhöhungsgeschäftsanteilen von jeweils ca. 2,1 Mio. EUR wurde in die Kapitalrücklage der GmbH eingestellt.
Hierdurch verringerte sich die Beteiligung des V von 33,33 % auf rund 1,6 % und erhöhten sich die Beteiligungen des Klägers und die des B von jeweils 33,33 % auf ca. 49,2 %. Für den Verzicht des V auf die Teilnahme an der Kapitalerhöhung trafen die Beteiligten in dem notariellen Vertrag eine Ausgleichsvereinbarung, wonach die Veränderung der Kapitalbeteiligungen auch zu einer Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an und auf die Kapitalrücklage, führt. Hierdurch ergab sich für V eine Wertminderung in Bezug auf seine Beteiligung an der GmbH in Höhe von 1,0 Mio. €. Zum Ausgleich dieses Verlusts verpflichteten sich der Kläger und B zu lebenslänglichen Zahlungen an V von monatlich 14.500 €. Bei Tod des V sollten 75 % hiervon an seine Ehefrau, die Mutter des Klägers und des B, gezahlt werden.
Das Finanzamt (FA) sah den Wertverlust des V mit dieser Vereinbarung nicht als ausgeglichen an. Es handele sich wegen der Teilunentgeltlichkeit um eine sogenannte gemischte Schenkung von V an den Kläger und B.
Es nahm (bei genauer Darstellung der zugrundeliegenden Einsatzbeträge) an, die Kapitalrücklage sei für Zwecke der Berechnung des Wertverlusts nicht jedem der Gesellschafter zu einem Drittel, sondern allein dem V zuzurechnen, und stellte daher dem Wert der Rücklage vor Kapitalerhöhung in Höhe von rund 3,6 Mio. € den Wert der Rücklage nach Kapitalerhöhung in Höhe von 125.685 € und den vereinbarten Wertausgleich von rund 1,06 Mio. EUR gegenüber. In Höhe des Differenzbetrags ging es von einer hälftigen Bereicherung des Klägers und des B aus und setzte Schenkungsteuer in Höhe von rund 157.000 € fest.
Nach erfolglosem Einspruch des Klägers gab das Finanzgericht seiner Klage statt. Die hiergegen gerichtete Revision des FA hatte Erfolg, der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab.
Die Begründung des BFH
Der BFH stellt seiner Entscheidung folgenden Leitsatz voraus:
Haben Gesellschafter einer GmbH wirksam vereinbart, dass Leistungen in die Kapitalrücklage gesellschafterbezogen zugeordnet werden, wird jedoch die Kapitalrücklage im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abweichend hiervon allen Gesellschaftern entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugerechnet, kann der Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich durch den Gesellschafter, der die Leistungen erbracht hat, eine freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter darstellen.
Er hält den Beschluss der GmbH-Gesellschafter darüber, dass disquotale Einlagen nur dem einlegenden Gesellschafter zustehen und nicht im Verhältnis der Gesellschaftsbeteiligungen verteilt würden, für zulässig und daher für zivilrechtlich wirksam, er sei auch steuerrechtlich anzuerkennen.
Mit dem Gesellschafter-Beschluss vom 01.07.2006 sei im Einklang mit der in § 9 Nr. 2 der Satzung bestimmt worden, dass „insbesondere bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden“. Der Beschluss habe daher auf einer satzungsmäßigen Grundlage beruht, sodass er ohne Beachtung der für eine Satzungsänderung nach § 53 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) an sich erforderlichen notariellen Beurkundung wirksam gewesen sei.
Der Wirksamkeit stehe auch § 19 der Satzung nicht entgegen, der vorgesehen habe, dass nicht nur Satzungsänderungen, sondern auch Nebenabreden der notariellen Beurkundung bedurften. Denn im Unterschied zu den gesetzlichen Beurkundungspflichten führe die Verletzung einer nur durch Satzung aufgestellten Beurkundungsvorschrift nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses. Der vorliegende Beschluss sei allerdings als einstimmiger der Anfechtung nicht unterworfen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gelte, wie der BFH im Urteil vom 31.07.2024 näher darstellt, als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert werde. Eine freigebige Zuwendung setze nach der bisherigen Rechtsprechung drei Aspekte voraus
Vorliegend habe V durch den Verzicht auf einen vollen Ausgleich des von ihm aufgebrachten Betrags der Kapitalrücklage eine freigebige Zuwendung in diesem Sinne an den Kläger bewirkt.
Die objektive Bereicherung des Klägers liege darin, dass er aufgrund des Forderungsverzichts des V die bei diesem aufgrund der Kapitalerhöhung entstandene Wertminderung seines Anteils nicht vollständig habe ausgleichen müssen. Obwohl die Kapitalrücklage nach dem Gesellschafterbeschluss vom 01.07.2006 allein dem V zugestanden habe, sei sie in der Wertverlustberechnung vom 15.11.2012 allen Gesellschaftern in Höhe ihrer jeweiligen Beteiligungsquote zugerechnet worden, ohne dass der Kläger und B hierfür einen vollwertigen Ausgleich zu leisten gehabt hätten. Hierin liege ein vermögenswerter Vorteil, um den der Kläger und B bereichert worden seien.
Diese Bereicherung sei ersichtlich auf Kosten des V erfolgt, der auf diesen Teil der Rücklage verzichtet habe.
V habe auch den erforderlichen Willen zur Freigebigkeit gehabt. Hierfür genüge es, wenn sich der Zuwendende, hier V, der (Teil-)Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst sei. Bei Unausgewogenheit gegenseitiger Verträge reiche regelmäßig das Bewusstsein des einseitig benachteiligten Vertragspartners über den Mehrwert seiner Leistung aus, ohne dass es auf die Kenntnis des genauen Ausmaßes ankomme. Ein auf die Bereicherung des Empfängers gerichteter Wille sei dagegen nicht erforderlich.
Diese Voraussetzungen seien erfüllt. V sei (zumindest) auf Grund der Unterzeichnung der Wertverlustberechnung bekannt gewesen, dass bei der Bestimmung der Ausgleichsleistung die Kapitalrücklage der GmbH den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer quotalen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen zugerechnet worden war, obwohl mit dem Beschluss vom 01.07.2006 bindend festgelegt worden sei, dass jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklage bleibe, die Kapitalrücklage also gerade nicht im Verhältnis der Beteiligungen sämtlichen Gesellschaftern zugerechnet werden sollte.
Damit sei V bewusst gewesen, dass die vom Kläger und B an ihn zu leistende Ausgleichszahlung den entstandenen Wertverlust auf seine Kosten nur teilweise ausgleichen würde. Das reiche unabhängig von seinen Motiven für die Zuwendung für die Annahme des Bewusstseins der (Teil-)Unentgeltlichkeit aus.
Schließlich sei die Festsetzung der Steuer durch das FA auch der Höhe nach zutreffend.
Download: Schenkungsteuer bei unter dem Marktzins verzinsten Darlehen
Überblick
Schenkungsteuer fällt nach § 7 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) nicht nur in Fällen der klassischen Zuwendung eines Kapitalbetrags oder sonstigen Wertgegenstands im Sinne der §§ 516 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) an, sondern in einer Vielzahl weiterer Fälle. Grundtatbestand ist § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG: Als Schenkungen unter Lebenden gilt jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird.
Schuldner der Schenkungsteuer ist nach § 20 Abs. 1 ErbStG – etwas überraschend – nicht nur der Erwerber, sondern auch der Schenker. Beide sind Gesamtschuldner im Sinne des § 44 der Abgabenordnung (AO). Die Auswahl des in Anspruch zu nehmenden Steuerschuldners steht im Ermessen der Finanzverwaltung, wobei es ermessensgerecht ist, dass die Steuerfestsetzung zunächst gegen den Beschenkten erfolgt. Der Schenker kann in der Regel dann als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden, wenn die Durchsetzung des Schenkungsteueranspruches beim Beschenkten auf Probleme stößt (zum Beispiel bei dessen Vermögenslosigkeit oder gar Insolvenz). Dieser drohenden Inanspruchnahme sollte der Schenker im eigenen Interesse während des Laufs der steuerlichen Verjährungsfisten angemessen Rechnung tragen. Zu beachten ist darüber hinaus, dass nach § 10 Abs. 2 ErbStG die Übernahme der Steuer durch den Schenker als zusätzliche freigebige Zuwendung besteuert wird.
Im Besprechungsfall ging es um die schenkungsteuerrechtliche Einordnung der Gewährung eines Darlehens mit einem unter dem Marktzins vereinbarten Zinssatz, die der Bundesfinanzhof (BFH) unter § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG subsumiert.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger erhielt mit Vertrag vom 03.11.2016 von seiner Schwester ein Darlehen in Höhe von 1.875.768,05 EUR. Das Darlehen galt als zum 01.01.2016 ausgezahlt. Die Darlehenssumme wurde rückwirkend zum 01.01.2016 mit 1 % verzinst. Das Darlehen wurde auf unbestimmte Zeit gewährt und konnte mit einer Frist von zwölf Monaten erstmals zum 31.12.2019 gekündigt werden. Die Darlehensaufnahme durch den Kläger erfolgte mit der Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs seines Vaters, mithin als wirtschaftlich tätige Person. Für derartige Darlehen hatte zum 01.01.2016 nach den Angaben der Deutschen Bundesbank der Marktzins bei 2,81 % gelegen.
Die Schwester war zum Zeitpunkt der Darlehensvergabe noch minderjährig und wurde durch einen sogenannten Ergänzungspfleger vertreten. Weshalb die Ergänzungspflegschaft, die einen Teilentzug der elterlichen Sorge beinhaltet, angeordnet worden war, lässt sich weder dem Urteil des BFH noch demjenigen der Vorinstanz (Finanzgericht [FG] Mecklenburg-Vorpommern) entnehmen.
Das Finanzamt (FA) setzte Schenkungsteuer in Höhe von 229.500 EUR fest. Dabei ging es von einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 785.008 EUR mit Wirkung zum 01.01.2016 aus. In der verbilligten Überlassung der Darlehenssumme zur Nutzung sah es eine freigebige Zuwendung in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz von 1 % und dem Zinssatz für den einjährigen Betrag der Nutzung einer Geldsumme gemäß § 15 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Höhe von 5,5 %. Da es sich um Nutzungen und Leistungen von ungewisser Dauer handelte, bewertete es den Nutzungsvorteil gemäß § 13 Abs. 2 Halbs. 2 BewG mit dem 9,3-Fachen des Jahreswerts in Höhe von 84.409,56 (1.875.768,05 EUR × 4,5 %), mithin 785.008,91 EUR.
Der Einspruch des Klägers und seine Klage hatten keinen Erfolg.
Er macht mit seiner Revision geltend, es liege schon keine freigebige Zuwendung vor. Weder seiner Schwester noch dem als Ergänzungspfleger agierenden Rechtsanwalt sei die teilweise Unentgeltlichkeit bewusst gewesen. Zudem habe er einen niedrigeren Zinssatz als 5,5 % für die zur Nutzung überlassene Geldsumme durch die vorgelegten Darlehensangebote nachgewiesen.
Der BFH hebt das Urteil des FG und den Schenkungsteuerbescheid auf und setzt die Steuer unter Abweisung der Klage im Übrigen auf 59.140 € fest.
Die Begründung des BFH
Zwar sei das FG zutreffend von einer freigebigen Zuwendung § 7 Abs. 1 Nr. ErbStG aufgrund der zinsverbilligten Darlehensgewährung ausgegangen. Die Höhe der Bemessungsgrundlage bestimmt sich jedoch nicht nach der Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz und dem sich aus § 15 Abs. 1 BewG ergebenden gesetzlichen Zinssatz in Höhe von 5,5 %, da ein niedrigerer Wert festgestellt werden könne.
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gelte als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert werde. Eine freigebige Zuwendung setze nach der bisherigen Rechtsprechung drei Aspekte voraus
Diese Voraussetzungen erfülle allgemein die Zuwendung eines niedrig verzinslichen Darlehens. Deren Gegenstand sei die teilweise unentgeltliche Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital zu nutzen. Der Empfänger eines niedrig verzinsten Darlehens erfahre durch die Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital zu einem niedrigeren Zinssatz als dem marktüblichen zu nutzen, eine Vermögensmehrung bei gleichzeitigem Verzicht des Darlehensgebers auf den Marktzins, die der Schenkungsteuer unterliege. Gegenstand der Zuwendung sei somit der kapitalisierte Nutzungsvorteil.
Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands einer freigebigen Zuwendung bedürfe es des Bewusstseins des Zuwendenden, die Leistung ohne Verpflichtung und ohne rechtlichen Zusammenhang mit einer Gegenleistung oder einem Gemeinschaftszweck zu erbringen. Hierfür genüge es, wenn er dessen rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt laienhaft zutreffend erfasse.
Vorliegend seien diese Voraussetzungen insgesamt erfüllt. Die unentgeltliche Vermögensverschiebung liege in dem Nutzungsvorteil aus dem unter dem marktüblichen Zinssatz vereinbarten vertraglichen Zins, also in der Differenz von 1,81 %.
Auch der subjektive Tatbestand sei erfüllt. Sowohl der Schwester des Klägers als auch dem Rechtsanwalt als Ergänzungspfleger habe bei einem Zinssatz von 1 % und einer grundsätzlich unbestimmten Laufzeit bewusst gewesen sein müssen, dass das Darlehen teilweise unentgeltlich gewährt worden wäre. Bei der Schwester habe eine zutreffende laienhafte Erfassung des rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalts genügt. Nicht ausschlaggebend sei, ob die Beteiligten davon ausgingen, dass eine alternative und zugleich sichere Anlage des Geldes zu keinem höheren Zinssatz möglich gewesen wäre.
Fehlerhaft sei dagegen die Annahme des FG, bei der Bewertung sei der Zinssatz von 5,5 % nach § 15 Abs. 1 BewG anzuwenden, da kein niedriger Zinssatz feststehe.
Der gesetzliche Zinssatz komme nach der gesetzlichen Anordnung nur zur Anwendung, „wenn kein anderer Wert feststeht“, ein anderer Wert sei daher heranzuziehen, wenn dieser feststehe.
Die diesbezüglichen Feststellungen des FG seien widersprüchlich. Es hatte festgestellt, dass die Darlehenszinsen für wirtschaftlich selbständige Personen bei einer Zinsbindung von ein bis fünf Jahren im Durchschnitt des Jahres 2016 bei 2,81 % effektiv gelegen hätten und dass das Darlehen im Streitfall nach vierjähriger Laufzeit hätte gekündigt werden können. Trotz dieser Feststellung sei das FG zu dem Ergebnis gekommen, dass ein niedrigerer als der in § 15 Abs. 1 BewG festgelegte Zinssatz nicht feststehe. Dies sei offensichtlich widersprüchlich. In einem solchen Fall könne der BFH revisionsrechtlich selbst die notwendigen Feststellungen treffen, einer Zurückverweisung an das FG bedürfe es nicht.
Nach den Feststellungen des FG stehe ein anderer Wert im Sinne des § 15 Abs. 1 BewG fest.
Es könne unentschieden bleiben, ob der festgestellte Zinssatz darauf zurückzuführen sei, dass der Steuerpflichtige diesen Zinssatz durch einschlägige Vergleichsangebote selbst nachgewiesen habe. Dem Gesetzeswortlaut sei nicht zu entnehmen, dass der Steuerpflichtige einen anderen Wert nachweisen müsse. Anders als andere Vorschriften ordne § 15 Abs. 1 BewG weder an, dass der Steuerpflichtige tätig werden müsse, noch, dass ein Nachweis zu erfolgen habe. Vielmehr sei § 15 Abs. 1 BewG im Passiv formuliert und fordere daher lediglich das Feststehen eines anderen Werts.
Der als Schenkung anzusehende Nutzungsvorteil des Klägers bestehe danach in dem Zinsvorteil, der mit der Differenz zwischen dem marktüblichen Darlehenszinssatz von 2,81 % und dem vereinbarten Zinssatz von 1 % anzusetzen sei, also 1,81 %. Deshalb brauche auch nicht entschieden zu werden, ob der gesetzliche Zinssatz von 5.5 %, wie der Kläger wohl meinte, verfassungswidrig sei.
Nach allem sei die Schenkungsteuer auf 59.140 EUR festzusetzen.
Für die Ermittlung der schenkungsteuerrechtlichen Bereicherung sei nach § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 1 BewG von einem Jahreswert des Nutzungsvorteils von 1,81 % der Darlehenssumme in Höhe von 1.875.768,05 € auszugehen, also einem Jahreswert von 33.951,40 €. Dieser sei gemäß § 13 Abs. 2 BewG mit dem Faktor 9,3 zu multiplizieren, so dass sich ein Wert der Bereicherung für die freigebige Zuwendung von 315.748,02 € ergebe. Nach Abzug des Freibetrags von 20.000 € verbleibe nach der gesetzlich erforderlichen Abrundung ein steuerpflichtiger Erwerb von 295.700 €. Der anzuwendende Steuersatz in der auf Geschwister anzuwendenden Steuerklasse II belaufe sich gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG bei einem Erwerb bis einschließlich 300.000 € auf 20 %. Die festzusetzende Steuer betrage daher 59.140 EUR.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach der Besprechungsentscheidung der Steuerpflichtige zwar günstigere Zinssätze nicht nachweisen muss, er aber zum „Feststehen eines anderen Werts“ beitragen kann (und sollte), indem er die Parameter der Vergleichbarkeit seines Darlehens mit den aus den Statistiken – etwa der Deutschen Bundesbank - berücksichtigungsfähigen Darlehen aufzeigt.
Download: Glaubhaftmachung des Insolvenzeröffnungsgrunds der Zahlungsunfähigkeit durch das Finanzamt
Überblick
Ein Insolvenzverfahren wird gemäß § 13 der Insolvenzordnung (InsO) nie von Amts wegen, sondern nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. Antragsberechtigt ist neben dem Insolvenzschuldner (Schuldner) jeder Insolvenzgläubiger (Gläubiger). Die Antragsvoraussetzungen unterscheiden sich. Bei dem hier behandelten Gläubigerantrag sind die Erfordernisse des § 14 InsO zu beachten. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht.
Ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt in der Regel vor, wenn der Antrag die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Insbesondere das Erfordernis der Glaubhaftmachung der Forderung und des Eröffnungsgrunds zeigt bereits, dass niemand ohne hinreichenden Anlass einen Eröffnungsantrag stellen dürfen soll. Das im Gesetz angesprochene rechtliche Interesse wird daher im Allgemeinen nur bedeutsam, wenn Umstände bekannt werden, die trotz Glaubhaftmachung der Gläubigerforderung und des Eröffnungsgrunds ernstliche Zweifel an dem schutzwürdigen Anliegen des antragstellenden Gläubigers aufkommen lassen.
Eröffnungsgründe sind bei einem Gläubigerantrag ausschließlich die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und die insolvenzrechtliche Überschuldung nach § 19 InsO, die nicht mit der bilanziellen Überschuldung identisch ist. Bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO ist allein ein Schuldnerantrag zulässig.
Glaubhaftmachung ist nach dem im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwendenden § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) weniger als der Vollbeweis nach § 286 ZPO, da für die Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung alle Beweismittel zulässig sind, auch die bei § 286 ZPO nicht gestattete Versicherung an Eides statt.
Erst wenn der Gläubiger seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht hat, ist sein Antrag zulässig und das Gericht leitet das weitere Verfahren ein, wozu es zunächst gemäß § 14 Abs. 2 InsO den Schuldner zu hören hat.
Vorliegend ging es um die Frage, in welcher Weise das Finanzamt (FA) für seien Insolvenzantrag den Insolvenzeröffnungsgrund glaubhaft machen kann.
Der zu entscheidende Fall
Das FA beantragte mit Schreiben vom 23.02.2022, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen. Mit dem Antrag reichte das Finanzamt eine im Einzelnen nach Steuerart, Zeitraum der Steuer, Fälligkeit und Höhe gegliederte Aufstellung der offenstehenden Forderungen für die Jahre von 2017 bis 2021 wegen Einkommen- und Umsatzsteuer nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen sowie Verzögerungsgeld und Vollstreckungskosten über insgesamt 44.762,48 € ein. Weiter erklärte es, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen gegeben seien, und legte die gegen den Schuldner ergangenen Steuerbescheide vor. Lediglich für die Einkommensteuer des II. und IV. Quartals 2020 sowie für 2021 waren Bescheide nicht beigefügt.
Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluss vom 07.04.2022 zurückgewiesen. Es hat den Antrag für unzulässig gehalten, weil das FA die bestehenden Forderungen mittels einer Übersicht zwar ausreichend dargelegt, aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe. Mit dem Antrag sei entweder ein vollstreckbarer Titel oder eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarerklärung vorzulegen. Insbesondere für die Finanzverwaltung bestehe eine vereinfachte Möglichkeit, eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung zu übersenden. Auch der Eröffnungsgrund sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die Darlegung, der Schuldner habe die Forderungen nicht beglichen, rechtfertigte nicht die Annahme, dass dieser nicht nur zahlungsunwillig, sondern auch zahlungsunfähig sei.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will das Finanzamt weiterhin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erreichen. Seine Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.
Die Begründung des BGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) führt aus, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Insolvenzantrag eines FA, der auf Steuerforderungen gestützt wird, als Mindesterfordernis die Vorlage der ergangenen Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaiger Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners voraussetzt. Insoweit bestehe für das FA keine Sonderregelung. Es gebe keinen Rechtssatz, dass reine Kontoauszüge öffentlich-rechtlicher Rechtsträger zuverlässiger seien als diejenigen anderer Gläubiger.
Dagegen sei auf den zum Beleg eingereichten Unterlagen keine Unterschrift oder gar Siegelung zu verlangen. Dies hat der BGH in einem Parallelverfahren mit Beschluss ebenfalls vom 19.09.2024 (IX ZB 13/22) näher damit begründet, dass an die Glaubhaftmachung der Forderungen der Finanzbehörden als öffentlich-rechtliche Hoheitsträger keine nach dem Zweck des (Steuer)Gesetzes nicht veranlassten formalen Anforderungen zu stellen seien. Vielmehr genüge die Vorlage eines Steuerbescheids zur Glaubhaftmachung einer Steuerforderung auch dann, wenn dieser weder unterschrieben noch mit einem Dienstsiegel versehen sei. Ein formularmäßig oder mithilfe automatischer Einrichtungen erlassener Verwaltungsakt bedürfe nach § 119 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) keiner Unterschrift. Da die nach § 157 AO erforderliche Schriftform auch bei Übersendung einer Bescheidkopie gewahrt werde, sei zum Zwecke der Insolvenzantragstellung keine (nachträgliche) Unterschrift oder gar Siegelung zu verlangen.
Das Beschwerdegericht hätte deshalb Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Forderung durch Vorlage der erwähnten Bescheide glaubhaft gemacht ist. Die Glaubhaftmachung eines Teilbetrags einer Forderung oder einer von mehreren behaupteten Forderungen könne genügen.
Es bedürfe zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrunds im Streitfall nicht der Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers oder Vollstreckungsbeamten oder des Protokolls der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Schuldners.
Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds erfordere nicht unbedingt die Vorlage einer Bescheinigung über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch oder der Erklärung des Finanzamts, erfolglos gegen den Steuerschuldner vollstreckt zu haben. Der antragstellende Gläubiger könne den Eröffnungsgrund auch auf andere Weise glaubhaft machen. Die schlichte Nichtbegleichung einer unbestrittenen Forderung könne im Einzelfall eine weitere Glaubhaftmachung entbehrlich machen. Ein Indiz für die fehlende Zahlungsfähigkeit könne es auch sein, wenn der Schuldner auf Zahlungsaufforderungen durch das FA nicht reagiere und einem angekündigten Vollstreckungsversuch weder entgegentrete noch den Zugang zur Wohnung ermögliche.
Das FA habe vorgetragen, ab dem 13.10.2020 sei beim Schuldner Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Am 12.10.2020 sei aufgrund einer Kontenpfändung letztmals eine Zahlung in Höhe von 2.230,70 € eingegangen, welche jedoch in keinem Verhältnis zum Gesamtbetrag der Rückstände in Höhe von 44.762,48 € stehe. Bei einer Anschlusspfändung am 03.12.2020 habe es kein pfändbares Guthaben auf diesem Konto mehr gegeben. Der Schuldner habe erklärt, selbst keine Einnahmen mehr zu haben. Auf eine Ladung des Schuldners sei verzichtet worden, weil bereits drei Einträge aus dem Jahr 2021 im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft vorlägen und der Schuldner dem Vollziehungsbeamten den Kontakt verwehre.
Bei dieser Sachlage habe das Beschwerdegericht nicht annehmen dürfen, der Schuldner sei nicht zahlungsunfähig, sondern zahlungsunwillig.
Die Beschwerdeentscheidung sei deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen, das die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen haben werde.
Ergänzung: Das Rechtsbeschwerdegericht muss die Sache nicht zwingend an die Vorinstanz, hier das Beschwerdegericht zurückverweisen, so dass auch eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht, wie der BGH sie hier vorgenommen hat, möglich ist. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn bereits das Beschwerdegericht die Sache an das Ausgangsgericht, hier das Insolvenzgericht, zur weiteren Aufklärung hätte zurückverweisen müssen.
Wie das vorliegende Insolvenzantragsverfahren seinen Fortgang nehmen wird, nachdem der Insolvenzantrag bereits am 23.02.2022 gestellt worden war, bleibt allerdings abzuwarten.
Download: Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft nach Rechtsprechungsänderung
Überblick
Wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Klagepartei während des laufenden Rechtsstreits eröffnet, wird dieser nach § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen. Dasselbe gilt nach § 240 Satz 2 ZPO, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter). Dies ist der Fall, wenn das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren an den Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot erlässt.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte nunmehr erstmals höchstrichterlich zu klären, ob § 240 Abs. 2 ZPO im Fall der Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 des Unternehmensstabilisierungs- und ‑restrukturierungsgesetzes (StaRUG) analog anzuwenden ist, sodass anhängig Rechtsstreite durch die Anzeige unterbrochen werden.
Nach § 38 StaRUG gelten für Verfahren in Restrukturierungssachen, soweit das StaRUG selbst nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Dennoch verneint der BFH eine analoge Anwendbarkeit des § 240 Satz 2 ZPO hier. Da die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache lediglich die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sei und nur Unterlassungs- und Anzeigepflichten beim Schuldner auslöse, führe sie zu keiner mit § 240 Satz 2 ZPO vergleichbaren Lage, die durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners gekennzeichnet sei. Die Voraussetzungen für eine Analogie lägen daher nicht vor.
Steuerrechtlich knüpft die Besprechungsentscheidung an die durch das Urteil des BFH vom 16.03.2023 (V R 14/21) erfolgte Rechtsprechungsänderung zur Organschaft an.
Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft setzt nach § 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) voraus, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die weitergehenden Voraussetzungen des § 14 KStG, insbesondere ein Gewinnabführungsvertrag, brauchen nicht vorzuliegen. Dem Wortlaut der Vorschrift nach kommt damit als Organgesellschaft nur eine juristische Person in Betracht. Die Handelsgesellschaften, zum Beispiel OHG und KG, erfüllen diese Voraussetzungen nicht, weshalb sie traditionell nicht als organgesellschaftsfähig angesehen wurden. Im Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das auf Vorlage durch den BFH ergangen war, hat der BFH mit der Entscheidung vom 16.03.2023 abweichend hiervon entschieden: „Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Anschluss an das EuGH-Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 - C 868/19, EU:C:2021:285 und insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 02.12.2015 - V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547).“ Die erwähnte kapitalistische Struktur setzt lediglich voraus, dass Komplementär der KG eine Kapitalgesellschaft – in der Regel eine GmbH – ist.
Diese Rechtsprechungsänderung führt bei den Betroffenen zu steuerlichem Änderungsbedarf. Die bisher selbst der Umsatzsteuer unterworfene KG mit „kapitalistischer Struktur“, die unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nunmehr als Organgesellschaft des Organträgers zu behandeln ist, hat wegen der von ihr gezahlten Umsatzsteuer Erstattungsansprüche gegen das Finanzamt (FA) aus § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO), wohingegen derjenige, der nach der geänderten Rechtsprechung als Organträger anzusehen ist, im Grundsatz die Steuer für die Organgesellschaft abzuführen hätte. Soweit dessen Umsatzsteuerveranlagung rechtsbeständig ist, darf sie nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nicht zu seinen Ungunsten geändert werden, auch wenn sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes – etwa des BFH – geändert hat, sofern er nicht einen entsprechenden Antrag (zu seinen Lasten) stellt.
Mit dem Urteil vom 16.03.2023 hat der BFH unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der gemäß § 166 AO im Steuerrecht Drittwirkung entfalten könne, geurteilt, es könne nicht zugleich beansprucht werden, dass einerseits die KG nach der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt werde, während andererseits der Organträger, der erst aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organträger anzusehen sei, Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO in die frühere BFH-Rechtsprechung beanspruche, nach der er nicht Organträger für die KG war. Daher sei unter Berücksichtigung schon bisheriger Rechtsprechung dieser Widerstreit dahingehend aufzulösen, dass der Unternehmensteil der Organschaft, zu dessen Gunsten der Änderungsschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO wirke, diesen durch die Stellung eines Änderungsantrags entfallen lassen müsse, um so ein widersprüchliches Verhalten in Bezug auf die Besteuerung der Umsätze des anderen Unternehmensteils der Organschaft zu vermeiden.
Diese Entscheidung, die eine Art negativer Drittwirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben schafft, bestätigt der BFH mit seinem vorliegenden Urteil.
Der zu entscheidende Fall
Auf die für die Besteuerung maßgeblichen Aspekte zusammengestrichen war folgender Sachverhalt zu entscheiden: Die klagende KG mit „kapitalistischer Struktur“ war nach der neueren Rechtsprechung als umsatzsteuerrechtliche Organgesellschaft einer TL-GmbH als Organträger anzusehen. Im Streitjahr 2016 war die KG noch als selbständige Unternehmerin zur Umsatzsteuer veranlagt worden, woraus sich eine positive Steuer ergab. Im Hinblick auf die oben erwähnte Rechtsprechung des EuGH, aber vor Erlass des BFH-Urteils vom 16.03.2023, beantragte sie die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2016, weil sie sich nunmehr als Organgesellschaft der TL-GmbH begriff.
Nach erfolglosem Einspruch gab das das Finanzgericht (FG) Münster ihrer Klage statt. Die hiergegen gerichtete Revision des FA hatte Erfolg. Der BFH hob die Sache auf und verwies aus mehreren Gründen an das FG zurück.
Die Begründung des BFH
Zunächst hatte das FG nicht hinreichend sicher festgestellt, dass die KG nicht nur finanziell, sondern auch wirtschaftlich in das Unternehmen der TL-GmbH eingegliedert war. Dies wird es nachzuholen haben.
Vor allem aber konnte das FG die neuere Rechtsprechung des BFH zu § 176 AO, also die Notwendigkeit eines Änderungsantrags hinsichtlich der Veranlagung der TL-GmbH für das Streitjahr, noch nicht berücksichtigen, sodass es der Klage ohne die Feststellung eines solchen Antrags stattgegeben hatte.
Der BFH sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Das Steuerrechtsverhältnis bestehe wegen der – insoweit unterstellten – Organschaft allein zwischen der TL-GmbH als Organträger und dem FA, es erstrecke sich lediglich auf die KG als Organgesellschaft, also als Mitglied des Organkreises. Diese auf dasselbe Steuerrechtsverhältnis bezogene Spiegelbildlichkeit erfordere eine sowohl auf Organträger als auch auf Organgesellschaft bezogene Betrachtung von Treu und Glauben.
Bestätigt werde dies Sicht durch die Haftungsnorm des § 73 Satz 1 AO. Danach haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist, vor allem mithin für die durch die Organgesellschaft selbst aufgrund ihrer Umsatztätigkeit verursachten Steuern. Diese Haftung, so der BFH, liefe leer, wenn auf das Antragserfordernis in Person des Organträgers verzichtet werde. Da der Haftungsschuldner, hier die KG, höchstens die Steuer schulde, die gegen den Steuerschuldner festgesetzt worden sei oder werden könne, seien dem in dieser Vorschrift ausdrücklich geregelten Fall, dass eine Steuer wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr festgesetzt werden könne, andersartige Hindernisse gleichzusetzen, die – wie vorliegend eine Berufung auf Vertrauensschutz – einer Festsetzung gegen den Organträger als Steuerschuldner dauerhaft entgegenstünden. Denn könnte der Organträger – ohne Antragserfordernis – bei seiner Besteuerung eine Beurteilung entsprechend der alten, aufgegebenen Rechtsprechung verlangen, würde die auf die Umsätze der Organgesellschaft geschuldete Steuer bei ihm nicht festgesetzt, so dass es nicht zum Erlass eines Haftungsbescheids gegen die Organgesellschaft – in Bezug auf deren Umsätze – kommen könnte.
Dieses Ergebnis sei unabhängig davon richtig, ob ein Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO oder die Anfechtung einer Steuerfestsetzung in Rede stünden.
Schließlich stehe das Unionsrecht der Rechtsprechung des BFH vorliegend nicht entgegen.
Download: Kosten des Insolvenzverfahrens im Allgemeinen sind keine Werbungskosten
Überblick
Ein Insolvenzverfahren führt in der Regel dazu, dass das gesamte Vermögen des Schuldners verwertet wird, um die Gläubiger zu befriedigen. Zudem hat er die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen. Zudem führen nicht selten Veräußerungsgeschäfte durch den Insolvenzverwalter zu steuerlichen Gewinnen des Schuldners. Diese sind der Einkommensteuer zu unterwerfen, falls nicht ausreichend Verlustvorträge zur Verfügung stehen. Grundsätzlich ist die so begründete Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit und daher durch den Insolvenzverwalter zu entrichten, erfüllt der Verwalter diese Pflicht jedoch nicht, kann nach der Rechtsprechung des BFH das Finanzamt den Schuldner nach Einstellung des Insolvenzverfahrens hierfür wieder selbst in Anspruch nehmen. Eine dem Schuldner erteilte Restschuldbefreiung steht dem nicht entgegen, da diese Masseverbindlichkeiten nicht erfasst.
Es erscheint daher verständlich, wenn der Schuldner zumindest die Kosten des Insolvenzverfahrens (vor allem die Gerichtskosten und die Vergütung des Insolvenzverwalters) steuerlich geltend machen möchte.
Zu denken ist hier zunächst an die Berücksichtigung der Aufwendungen als sogenannte außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach dieser Vorschrift wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, scheiden insoweit aus.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte allerdings bereits mit Urteil vom 16.12.2021 (VI R 41/18) entschieden, dass die Aufwendungen für das Insolvenzverfahren mangels Außergewöhnlichkeit nicht hierunter fallen. Die Überschuldung von Privatpersonen sei, so der BFH, kein gesellschaftliches Randphänomen. Insolvenzverfahren seien keineswegs unüblich, wie schon die Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens im Jahre 1999 zeige. Von dieser Möglichkeit hätten bis Ende 2019 rund 2,13 Mio. Privatpersonen Gebrauch gemacht. Außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG lägen daher nicht vor.
Vorliegend hatte die Schuldnerin allerdings auch geltend gemacht, die Kosten seien als Werbungskosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften nach §§ 22 Nr. 2, 23 EStG oder denjenigen aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 EStG zu berücksichtigen.
Der zu entscheidende Fall
2016 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Insolvenzverwalterin verwertete im Streitjahr 2017 zwei in den Jahren 2009 und 2010 von der Schuldnerin erworbene, vermietete Mehrfamilienhäuser. Diesbezüglich erklärte die Schuldnerin in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften. Der entsprechende Bescheid erging unter Vorbehalt der Nachprüfung.
2020 wurde das Insolvenzverfahren beendet. Einer Restschuldbefreiung bedurfte es wegen der vollständigen Befriedigung der Gläubiger der Klägerin aufgrund der Verwertung deren Vermögens im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht.
Die Schuldnerin beantragte nun den Abzug von „Kosten des Insolvenzverfahrens“ als Werbungskosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Die Schuldnerin beantragte nun den Abzug von „Kosten des Insolvenzverfahrens“ als Werbungskosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Dies lehnte das Finanzamt (FA) ab. Einspruch und Klage der Schuldnerin waren erfolglos. Mit ihrer Revision hat die Klägerin insofern Erfolg, als der BFH das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufhebt und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zurückverweist.
Die Begründung des BFH
Der BFH hält es für denkbar, dass die Schuldnerin berechtigt sein könnte, einen Teil der Aufwendungen des Insolvenzverfahrens als Werbungkosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG in Abzug zu bringen. Diese erfassen die Veräußerung von Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
Dieser Tatbestand sei durch die Verwertung der Vermietungsobjekte durch die Insolvenzverwalterin erfüllt worden. Die Veräußerungen lagen innerhalb der Zehn-Jahres-Frist. Der Schuldnerin seien auch die (willentlichen) Veräußerungen der Insolvenzverwalterin für steuerliche Zwecke als eigene zuzurechnen. Denn ein Insolvenzverwalter handele (auch) steuerlich nicht auf eigene Rechnung, sondern als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) mit Wirkung für und gegen den Schuldner.
Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften § 23 Abs. 1 EStG sei der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen.
Zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen müsse ein Veranlassungszusammenhang bestehen. Eine derartige Veranlassung liege vor, wenn (objektiv) ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der auf die Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit bestehe und (subjektiv) die Aufwendungen zur Förderung der Einkünfteerzielung getätigt würden. Maßgeblich sei, ob bei wertender Beurteilung das auslösende Moment für das Entstehen der Aufwendungen der einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre zuzuordnen sei.
Die Würdigung des FG, dass die im Streit stehenden Aufwendungen nicht durch die Veräußerung der beiden Vermietungsobjekte veranlasst gewesen seien, sei jedenfalls insoweit nicht zu beanstanden, als es sich um Kosten handele, die in einem ausschließlichen (allgemeinen) Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin gestanden hätten. Daran ändere nichts, dass die Gläubiger hier eine vollständige Befriedigung erhalten hätten, denn das Verfahren sei wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet worden.
Es bestehe auch kein objektiver Veranlassungszusammenhang zwischen der Erzielung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften durch die Verwertung der Vermietungsobjekte und den unmittelbar durch das Insolvenzverfahren verursachten Aufwendungen. Das Insolvenzverfahren sei zwar ursächlich für die Verwertung der Vermietungsobjekte im Sinne einer einfachen Kausalität geworden sein. Dies genüg jedoch nicht, denn die Aufwendungen des Insolvenzverfahrens seien nicht alleine durch einzelne Tätigkeiten des Insolvenzverwalters, sondern durch die Übernahme der Geschäftsführung für das gesamte Insolvenzverfahren veranlasst.
Der vorliegende Sachverhalt sei auch nicht mit dem einer Zwangsverwaltung vergleichbar, so dass es nicht darauf ankomme, ob die durch eine Zwangsverwaltung verursachten Aufwendungen als Werbungskosten abziehbar seien.
Zutreffend habe das FG auch die ausschließlich durch das Insolvenzverfahren verursachten Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 EStG versagt, weil kein Veranlassungszusammenhang mit den Vermietungseinkünften bestehe. Insbesondere sei die Verneinung eines Veranlassungszusammenhangs zur Nutzungsüberlassung der Vermietungsobjekte insoweit plausibel und nachvollziehbar, als die Tätigkeit des Insolvenzverwalters nach § 1 Satz 1 InsO auf die Verwertung des Vermögens des Schuldners zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger, mithin gerade auf die Beendigung der Nutzungsüberlassung durch den Schuldner, gerichtet sei.
Die Sache sei jedoch nicht spruchreif und deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen könne nicht entschieden werden, ob sämtliche der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen seien. Denn das FG habe nicht festgestellt, inwieweit es sich bei den „Kosten des Insolvenzverfahrens“ um ausschließlich durch jenes Verfahren verursachte Aufwendungen oder aber um solche gehandelt habe, die zwar im Rahmen des Insolvenzverfahrens angefallen seien, jedoch vordergründig durch eine einen Einkünftetatbestand verwirklichende Tätigkeit der Schuldnerin veranlasst worden und daher steuerlich berücksichtigungsfähig seien.
Nach dem objektiven Nettoprinzip unterliege der Einkommensteuer nur das Nettoeinkommen, also der Saldo aus den Erwerbseinnahmen und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen. Dies verpflichte, jedenfalls diejenigen Aufwendungen zum Abzug zuzulassen, die steuerlich berücksichtigungsfähig gewesen wären, wenn die Schuldnerin die Vermietungsobjekte außerhalb eines Insolvenzverfahrens (selbst, nicht die Insolvenzverwalterin) veräußert hätte.
Überblick
Bei drohender Überschuldung im Sinne des § 18 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) ist nur der Schuldner oder die schuldnerische Gesellschaft, nicht dagegen die Insolvenzgläubiger, berechtigt, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens steht seit dem 01.01.2021 daneben auch ein als großenteils außergerichtlich konzipiertes Verfahren nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) zur Verfügung, das nach § 29 StaRUG die nachhaltige Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO zum Ziel hat.
In Rechtsprechung und Literatur zu diesem noch recht neuen Gesetz ist umstritten, ob die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG im Fall einer juristischen Person allein durch die Geschäftsleitung, zum Beispiel bei einer GmbH durch den Geschäftsführer, möglich ist oder ob sie eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses bedarf. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hierzu findet sich nicht.
Eine, unter anderem vom Amtsgericht (AG) Dresden vertretene, Auffassung verneint die Notwendigkeit eines Gesellschafterbeschlusses. Diese Auffassung argumentiert unter anderem, dass die mit der Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses verbundene Zeitverzögerung die gesetzgeberische Intention schneller Restrukturierung bei drohender Zahlungsunfähigkeit konterkariere.
Eine modifizierte, auch vom AG Nürnberg präferierte, Ansicht folgt der Auffassung des AG Dresden zumindest dann, wenn ein Restrukturierungsplan bzw. ein Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist. Vor allem wird dies angenommen, wenn im Falle einer Überschuldung die positive Fortbestehensprognose nur noch auf die mehrheitliche Unterstützung des Restrukturierungskonzepts durch die Gläubiger gestützt werden kann. Teilweise wird als zusätzliche Voraussetzung für die Einschränkung des Gesellschaftereinflusses gefordert, dass die Beteiligung der Gesellschafter bereits wertlos ist.
Dagegen verlangen andere juristische Stimmen bei Unterschieden in Detailfragen, etwa das Landgericht (LG) Berlin, jedenfalls bei drohender Zahlungsunfähigkeit und dann, wenn im Zuge des Restrukturierungsverfahrens in Gesellschafterrechte eingegriffen werden soll, einen vorherigen Gesellschafterbeschluss, weil es sich um ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft oder zumindest um eine besonders bedeutsame und außergewöhnliche Maßnahme handle. Zudem wird angeführt, dass ein auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit gestützter Insolvenzantrag ebenfalls eines Gesellschafterbeschlusses bedürfe, was allerdings seinerseits streitig und in der InsO nicht, zumindest nicht ausdrücklich, geregelt ist.
Die Anteilsinhaber seien wegen möglicher Eingriffe in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte durch den Restrukturierungsplan außerdem schutzbedürftig.
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart schließt sich der Auffassung an, die keinen Gesellschafterbeschluss für die Einleitung des Verfahrens nach dem StaRUG verlangt, wenn ein Restrukturierungsplan bzw. ein Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist.
Auf die in seinem Beschluss auch (und sehr ausführlich) behandelten Probleme aus dem Zwangsvollstreckungs- und dem Gesellschaftsrecht wird hier nicht eingegangen.
Der Beschluss ist zwar inzwischen (wohl) rechtskräftig, es ist jedoch zu beachten, dass es sich einerseits um ein Verfahren über die Aussetzung der Zwangsvollstreckung vor der eigentlichen Sachentscheidung handelte, nicht um ein Urteil, und andererseits nach wie vor eine höchstrichterliche Klärung der streitigen Frage durch den Bundesgerichtshof nicht erfolgt ist. Der Beschluss des OLG Stuttgart bietet daher noch keine abschließende Gewähr, dass andere Gerichte, auch Amtsgerichte als Restrukturierungsgerichte, nicht auch in Zukunft einen Gesellschafterbeschluss verlangen werden. Unbeachtet kann der Beschluss allerdings kaum bleiben.
Die Begründung des OLG Stuttgart
Für seine Auffassung, so das OLG Stuttgart, spreche, dass in § 7 Abs. 4 StaRUG ausdrücklich die Kapitalherabsetzung, der Ausschluss von Bezugsrechten und die Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten als planmäßige Gestaltungsmöglichkeiten genannt seien. In diesen einschneidenden Fällen werde die Gesellschafterversammlung häufig nicht mit der erforderlichen Mehrheit zustimmen. Dadurch würde der Anwendungsbereich des StaRUG erheblich reduziert, und der Schuldnerin häufig allein der Weg bleiben, Insolvenzantrag zu stellen.
Zudem schaffe § 28 StaRUG die Möglichkeit, auch größere Gruppen von Planbetroffenen durch gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen zu überstimmen und damit Restrukturierungsmaßnahmen gerade gegen den Widerstand der Gesellschafter durchzuführen. Sei ihre Zustimmung zur Einleitung des Verfahrens erforderlich, könne das Verfahren durch die Gesellschafter entgegen der gesetzgeberischen Intention blockiert werden.
Diese Überlegungen hätten nicht nur für die Berechtigung der Einleitung eines StaRUG-Verfahrens im Außenverhältnis zu gelten, sondern auch für das Innenverhältnis zu den Gesellschaftern.
Auch das Schutzbedürfnis der Anteilseigner gebietet keine andere Betrachtungsweise.
Anderes ergebe sich auch nicht aus der Gesetzgebungsgeschichte. Zwar seien §§ 2, 3 des Regierungsentwurfs zum StaRUG im Rechtsausschuss gestrichen worden und stattdessen in § 43 Abs. 1 StaRUG die Verpflichtung des Geschäftsleiters vorgesehen worden, darauf hinzuwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt, dies gebiete aber keine andere Sicht auf die Dinge.
§ 2 des Regierungsentwurfs sah insbesondere vor, dass die Geschäftsleiter im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahren, und dass Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe unbeachtlich seien, soweit sie der gebotenen Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstünden. Diese Entwurfsregelung sei indessen nicht speziell auf die Einleitung eines Verfahrens nach dem StaRUG zugeschnitten gewesen, vielmehr habe sie als Korrektiv für die den Geschäftsleitern im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit zukommende Macht dienen sollen, Entscheidungen zu treffen, die sich zu Lasten der Gläubiger auswirkten.
Die Streichung der §§ 2,3 des Regierungsentwurfs sei lediglich mit Blick auf ihr unklares Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten erfolgt, wobei der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass die Streichung keine Haftungslücken hinterlasse, und dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der davon betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergehe, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen werde. Für die Frage der Notwendigkeit eines Gesellschafterbeschlusses lasse sich aus der Streichung daher wenig ableiten, vielmehr bleibe das Gesetz im Hinblick auf die sich aus der Streichung des § 2 ergebenden Konsequenzen unklar und konturlos.
Da sich aus § 32 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 StaRUG auch Verpflichtungen der Gesellschafter ergäben, hätten selbst dann, wenn man in Anwendung des allgemeinen Gesellschaftsrechts im Ausgangspunkt vom Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses und von der Verbindlichkeit von Weisungen der Gesellschafter ausginge, Einschränkungen zu gelten, wenn ein Restrukturierungsplan bzw. ein Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren sei.
Überblick
Natürliche Personen sind ausnahmslos insolvenz-, nicht aber restrukturierungsfähig, wie sich aus § 30 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) ergibt:
§ 30 Restrukturierungsfähigkeit
(1) Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können vorbehaltlich des Absatzes 2 von jedem insolvenzfähigen Schuldner in Anspruch genommen werden. Für natürliche Personen gilt dies nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind.
(2) Die Bestimmungen dieses Kapitels sind auf Unternehmen der Finanzbranche im Sinne des § 1 Absatz 19 des Kreditwesengesetzes nicht anzuwenden.
Der Gesetzeswortlaut scheint, was die Restrukturierungsfähigkeit natürlicher Personen angeht, eindeutig und keiner abweichenden Auslegung fähig zu sein. Dennoch stellt sich die Frage, was unter „unternehmerisch tätig“ im Sinne der Vorschrift in Grenzfällen zu verstehen ist. § 30 StaRUG selbst definiert dies nicht.
Der Unternehmerbegriff des § 14 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden, da er rechtsgeschäftsorientiert ist. Eine gängige Definition zu § 30 StaRUG lautet dagegen: Eine unternehmerische Tätigkeit liegt vor, wenn die natürliche Person eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt und dabei im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko in organisatorisch verfestigter Form wirtschaftlich tätig ist. Entscheidende Betonung liegt damit auf dem Merkmal der Selbständigkeit der natürlichen Person.
Probleme kann im Einzelfall die Abgrenzung zwischen dem privaten und dem unternehmerischen Teil der Tätigkeit bereiten, da § 30 StaRUG die Restrukturierungsfähigkeit auf den unternehmerischen Teil „soweit“ begrenzt.
Erfüllt der Betreffende diese persönlichen Voraussetzungen nicht, hat das Restrukturierungsverfahren von vornherein keine Aussicht auf Umsetzung. In der Konsequenz hat das Gericht gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG eine Restrukturierungssache aufzuheben, wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Einen solchen Fall hatte das Amtsgericht (AG) Köln vorliegend zu entscheiden.
Es stellte sich hier die Frage, ob das Halten von Gesellschaftsbeteiligungen und eine Geschäftsführertätigkeit als unternehmerische Tätigkeit im Sinne der Vorschrift zu verstehen sind.
Der zu entscheidende Fall
Der Schuldner war ursprünglich als Einzelkaufmann im Bereich Entwicklung und Vertrieb von elektronischen Bauteilen für die HiFi-Industrie tätig. Später entschied er sich, Bauteile selbst zu fertigen und die dafür notwendige Filmkondensatorproduktion aufzubauen, allerdings als Alleingesellschafter und Geschäftsführer der X-UG, welche wiederum alleinige Gesellschafterin der U-GmbH war. Der Schuldner war auch Geschäftsführer der U-GmbH. und übernahm für deren Kredite persönliche Bürgschaftsverpflichtungen.
Am 30.01.2024 wurde über das Vermögen der U-GmbH ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung und Anordnung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270c der Insolvenzordnung (InsO) gestellt und mit Beschluss vom 01.02.2024 ein vorläufiger Sachwalter bestellt.
Am 10.03.2024 hat der Schuldner gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 S. 2 StaRUG ein Restrukturierungsvorhaben angezeigt und angeregt, von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen und den Entwurf eines Restrukturierungsplans vorgelegt.
Die Banken hätten im Eigenverwaltungsverfahren der U-GmbH Kredite fällig gestellt, für die er die Bürgschaftsverpflichtungen übernommen habe, die nunmehr drohten, ebenfalls fällig gestellt zu werden. Anhand der beigefügten Ertragsplanung sei davon auszugehen, dass er, der Schuldner, drohend zahlungsunfähig sei.
Die Begründung des AG Köln
Das AG Köln stellt seinem Beschluss folgende Leitsätze voran:
1. Die Differenzierung des § 304 InsO in Verbraucher- und Regelinsolvenzverfahren kann im Rahmen des StaRUG nur teilweise, aber nicht vollständig herangezogen werden. Das StaRUG erfordert anders als die Abgrenzung im Rahmen des § 304 InsO gerade keine abschließende, generelle Einordnung als Verbraucher oder Unternehmer. Dem StaRUG liegt vielmehr eine gespaltene Betrachtung der natürlichen Person zugrunde („soweit sie unternehmerisch tätig ist“).
2. Das Halten von Gesellschaftsanteilen durch eine natürliche Person (Schuldner) an einer operativ tätigen GmbH genügt für sich genommen nicht, um für den Schuldner den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zu eröffnen.
3. Soweit der Schuldner bewusst das Konstrukt über eine Anteile haltende haftungsbeschränkte Gesellschaft wählt, liegt dem regelmäßig das Ziel zu Grunde, das unternehmerische Risiko gerade von der natürlichen Person weg zu verlagern. Dass er zusätzlich Bürgschaften für die Darlehnsverpflichtungen der Gesellschaft übernommen hat und die Anteile hält, eröffnet keine unternehmerische Tätigkeit i.S.d. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.
Das Gericht hob die Restrukturierungssache des Schuldners auf, da das angezeigte Restrukturierungsvorhaben hat keine Aussicht auf Erfolg habe.
Der Anwendungsbereich der §§ 29, 30 StaRUG sei nicht eröffnet. Der Schuldner sei nicht in diesem Sinne unternehmerisch tätig, zudem sei die unternehmerische Tätigkeit der GmbH (Produktion, Entwicklung und Vertrieb von elektronischen Bauteilen) bereits in einem eigenen Eigenverwaltungsverfahren und werde dort restrukturiert. Eine zusätzliche parallele Restrukturierung derselben unternehmerischen Tätigkeit im StaRUG-Verfahren sei daher nicht möglich.
Unabhängig hiervon erfülle aber auch die Tätigkeit des Schuldners nicht die Anforderungen des § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.
Dass nach der Rechtsprechung für den geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH das Regelinsolvenzverfahren und nicht das Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 InsO Anwendung finde, könne nicht auf den Anwendungsbereich von § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG übertragen werden. Dem StaRUG liege anders als § 304 InsO eine gespaltene Betrachtung der natürlichen Person zugrunde, „soweit sie unternehmerisch tätig ist“.
Der Schuldner habe vorliegend bewusst die Tätigkeit als Einzelkaufmann aufgegeben und das Konstrukt über die Anteile haltende haftungsbeschränkte UG und die GmbH gewählt. Ziel sei gewesen, das unternehmerische Risiko gerade von der natürlichen Person weg zu verlagern. Die Bürgschaftsübernahmen für die Darlehensverpflichtungen der GmbH und das Halten der Anteile eröffne keine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Der Schuldner strebe vielmehr Befreiung von seinen Bürgschaftsforderungen an. Einer solchen „Restschuldbefreiung“ diene das StaRUG nicht.
Der Beschluss des AG Köln ist rechtskräftig, nachdem das Landgericht Köln die Beschwerde des Schuldners durch Beschluss vom 01.10.2024 (13 T 97/24) zurückgewiesen hat.
Download: Mängelgewährleistung beim Werkvertrag - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit
Überblick
Nach § 633 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hat der Unternehmer dem Besteller das zu erstellende Werk, beispielsweise ein Wohnhaus, frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat und, soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, wenn das Werk sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.
Bei Vorliegen eines oder mehrerer Mängel bestimmt § 634 BGB die Gewährleistungsrechte des Bestellers (ganz ähnlich wie § 437 BGB die Rechte des Käufers bei Mängeln der Kaufsache):
„Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,
1. nach § 635 Nacherfüllung verlangen,
2. nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen,
3. nach den §§ 636, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 638 die Vergütung mindern und
4. nach den §§ 636, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.“
Die Handhabung dieser Vorschrift ist nicht nur wegen der vielfachen Verweise auf andere Paragraphen nicht ganz einfach.
Die Ausübung der Rechte nach den Nrn. 2 bis 4 setzt im Allgemeinen voraus, dass der Besteller zunächst Nacherfüllung vom Unternehmer verlangt. Das Verhältnis der Gewährleistungsrechte zueinander hängt davon ab, ob der Besteller ein Recht ausübt, das den Vertrag beendet, oder im Gegenteil die Wahl des Rechts ergibt, dass er die Leistung trotz des Mangels behalten möchte wie etwa bei der Erklärung der Minderung. Soweit der Besteller zum Beispiel nach Nr. 2 den Mangel selbst beseitigten will, gewährt ihm das Gesetz hierfür einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Unternehmer. Nach ständiger Rechtsprechung kann er auch einen Kostenvorschuss verlangen, den er nach Durchführung der Mangelbeseitigung abzurechnen hat.
Der zu entscheidende Fall
Die Parteien streiten über Ansprüche der Beklagten auf Zahlung von Kostenvorschüssen für die Beseitigung von Schallschutzmängeln an dem von der Klägerin als Unternehmer errichteten Wohnhaus der Beklagten. Zuvor hatten sie wegen derselben Mängel eine Minderung der Vergütung erklärt.
Die Klägerin erstellte eine Schlussrechnung, aus der sich zu ihren Gunsten eine Restforderung ergab, die sie im vorliegenden Verfahren eingeklagt hat, was aber vor dem Bundesgerichtshof (BGH) nicht mehr in Streit steht. Die Beklagten haben widerklagend gestützt auf ihre erklärte Minderung Rückzahlung von ihrer Meinung nach bereits überzahlter Vergütung verlangt. Zu den geltend gemachten Mängeln gehören Schallschutzmängel betreffend „Lüfter“, „Abwasseranlage“ und „Trittschall“.
Das Landgericht (LG) hat zur Feststellung der behaupteten Mängel und über die Frage, wie sich die festgestellten Mängel auf den Verkehrswert des bebauten Grundstücks auswirken, Beweis erhoben. Hinsichtlich der Schallschutzmängel hat das LG die Forderung der Beklagten für unbegründet erachtet, da diese Mängel keinen Einfluss auf den Verkehrswert des Grundstücks hätten.
In der Berufungsinstanz haben die Beklagten die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 20.000 € nicht mehr als Minderungsbetrag, sondern als Kostenvorschuss begehrt. Nach einer weiteren Beweisaufnahme zum Vorliegen der behaupteten Schallschutzmängel und der Höhe der Mängelbeseitigungskosten hat das Berufungsgericht die Klägerin verurteilt, an die Beklagten weitere 16.730,36 € als Kostenvorschuss zu zahlen.
Der Revision der Klägerin blieb daher der Erfolg versagt.
Die Begründung des BGH
Der Anspruch auf Kostenvorschuss, so der BGH, folge aus § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 und 3 BGB und sei nicht nach § BGB § 634 Nr. 2, § 637 Absatz 1, § 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
Nach § 637 Abs. 1 BGB sei das Selbstvornahmerecht und der Anspruch auf Kostenvorschuss zwar ausgeschlossen, wenn der Unternehmer zu Recht die Nacherfüllung verweigere. Nach § 635 Abs. 3 BGB könne der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich sei. Diese Voraussetzungen lägen indessen offensichtlich nicht vor. Zum einen bestünden Schallschutzmängel, die für die Qualität des Wohnens von nicht unwesentlicher Bedeutung seien, zum anderen seien die Aufwendungen zur Mangelbeseitigung keinesfalls unangemessen.
Die Kostenvorschussansprüche seien auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Beklagten wegen derselben Mängel zunächst die Minderung der Vergütung erklärt hatten.
Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen sei, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt habe, existiere nicht. Weder § 634 BGB noch §§ 637, 638 BGB regelten, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut sei vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.
Es sei gesetzgeberische Absicht gewesen, dass grundsätzlich die Geltendmachung eines Mängelrechts andere Mängelrechte nicht ausschließe. Nur wenn der Besteller Schadensersatz statt der Leistung begehre, sei ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung erlösche, sobald der Besteller dieses Recht ausübe (§§ 634 Nr. 4, 281 Abs. 4 BGB). Diese Regelung diene dem Schutz des Unternehmers, der sich darauf einstellen können solle, nicht mehr einem Anspruch auf Nacherfüllung ausgesetzt zu sein. Damit werde ihm eine sicherere Einsatzplanung der von ihm vorgehaltenen und auf seinen Baustellen einzusetzenden Produktionsmittel gewährleistet, da er nicht parallel auf Schadensersatz und Nacherfüllung in Anspruch genommen werden könne.
Der BGH hatte bereits abgelehnt, diese Regelung auf die Befugnis zur Selbstvornahme und damit den Anspruch auf Kostenvorschuss zu erstrecken (BGH, Urteil vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17). Diese Rechtsprechung beruhe auf dem Wortlaut von § 281 Abs. 4 BGB, der gesetzgeberischen Absicht und dem Sinn und Zweck des Kostenvorschussanspruchs. Dieser diene dazu, dem Besteller die Nachteile und Risiken abzunehmen, die mit einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung einhergingen. Wähle der Besteller Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, könne er den Mangel selbst beseitigen und die damit verbundenen Aufwendungen als Schaden von dem Unternehmer erstattet verlangen. Durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung anstelle der Selbstvornahme solle der Besteller aber nicht schlechter gestellt werden. Ein umfassender Ausgleich des verletzten Leistungsinteresses sei deshalb nur gewährleistet, wenn der Besteller – auch nach Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes – weiterhin Vorschuss verlangen könne.
Dem Besteller stehe es daher frei, nach seiner Erklärung, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes zu verlangen, den Mangel zunächst nicht zu beseitigen und den Schaden in Anlehnung an die in §§ 634 Nr. 3, 638 BGB geregelte Minderung zu bemessen. Das hindere ihn aber nicht, sich später für eine Beseitigung des Mangels zu entscheiden und deshalb einen Kostenvorschussanspruch hierfür geltend zu machen.
Diese Erwägungen hätten entsprechend für das Verhältnis der Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 BGB zum Kostenvorschussanspruch zu gelten. Wähle der Besteller zunächst das Mängelrecht der Minderung, steht es ihm grundsätzlich frei, zu einem späteren Zeitpunkt den Mangel zu beseitigen und zur Finanzierung der Aufwendungen einen Kostenvorschussanspruch geltend zu machen. Die Rechtsnatur der Minderung stehe dem nicht entgegen.
Mit der Minderung bringe der Besteller zum Ausdruck, keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen, weshalb mit ihr der Nacherfüllungsanspruch erlösche. Zudem bringe der Besteller zum Ausdruck, das Werk trotz des Mangels behalten zu wollen, so dass wegen dieses Mangels der Rücktritt vom Vertrag grundsätzlich ausgeschlossen sei. Das Gleiche gelte für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung in Form des großen Schadensersatzes, mit dem die Rückgängigmachung des Vertrags verlangt werde. Dagegen sei der Besteller nach erklärter Minderung nicht gehindert, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend zu machen.
Hiervon ausgehend könne der Besteller auch nach erklärter Minderung den Mangel beseitigen und die dafür getätigten Aufwendungen als Schadensersatz statt der Leistung von dem Unternehmer erstattet verlangen. Dies sei ihm weder nach der Gesetzessystematik noch aufgrund der Gestaltungswirkung der Minderung verwehrt.
Minderung und Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes seien ihrem Inhalt nach darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behalte, auszugleichen. Diese Mängelrechte schlössen sich daher nicht aus, sondern ergänzten sich. Um einen möglichst umfassenden Ausgleich des Leistungsinteresses zu gewährleisten, sei es gerechtfertigt, dem Besteller ergänzend einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleinen Schadensersatz) zuzubilligen, wenn ein über den Minderungsbetrag hinausgehender Schaden entstehe. Dieser könne auch nach erklärter Minderung in – über den Betrag der durch die Minderung ersparten Vergütung hinausgehenden – aufgewandten Mängelbeseitigungskosten bestehen.
Dem Unternehmer sei hier kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach einer einmal erfolgten Minderung der Vergütung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen zu werden. Es bestehe kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmers einzuschränken. Es sei vielmehr der Unternehmer, der in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt habe, indem er weder ein mangelfreies Werk hergestellt habe noch seiner Nacherfüllungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen sei.
Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränke sich damit auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags. Sie nehme dem Besteller, der das mangelhafte Werk behalte, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung in vollem Umfang durchzusetzen.
Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 09.05.2018 –VIII ZR 26/17) stehe dieser Entscheidung entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen, da der VIII. Zivilsenat zum Mängelgewährleistungsrecht beim Kauf gleichlautend geurteilt habe.
Download: Beweisführung im Schadensfall - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit
Überblick
Rechtsstreite nach Schadensereignissen sind vielleicht nicht die Regel, aber zumindest sehr häufig. Gestritten wird dabei einerseits um die Schadensverursachung, andererseits über die Höhe des Schadens, der sowohl in der Beschädigung von Sachen als auch in der Verletzung der Person liegen kann, Auch psychische Beeinträchtigungen können im Einzelfall in Betracht kommen. Autounfälle sind als Schadensverursachung in erster Linie zu nennen.
Die Beweisführung obliegt im Grundsatz dem Geschädigten. Er muss alle Voraussetzungen einer Schadensersatznorm dartun und, wenn diese vom Gegner bestritten werden, auch beweisen.
Bei Schäden im außervertraglichen Bereich ist eine zentrale Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB):
„Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“
Der Geschädigte muss danach die Verletzungshandlung des Anspruchsgegners, den Schadeneintritt und die Höhe sowie die Kausalität zwischen der Handlung und dem eingetretenen Schaden behaupten und gegebenenfalls beweisen.
Was für den Beweis erforderlich ist, bestimmt das Zivilprozessrecht, konkret § 286 der Zivilprozessordnung (ZPO):
„Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.“
Auf der Grundlage dieser Vorschrift ist der volle Beweis zu erbringen, das heißt, dass das Gericht vom Vorliegen der zu beweisenden Tatsache subjektiv überzeugt sein muss, wenn es sie seiner Urteilsfindung zugrundlegen will. Bloße Wahrscheinlichkeiten reichen dafür ebenso wenig aus wie auf der anderen Seite keine absolute Gewissheit verlangt wird, die ohnehin nicht zu erlangen wäre.
Von der Grundregel des § 286 ZPO gibt es allerdings viele Abweichungen. Teilweise ergeben sich diese aus dem materiellen Recht. So wird etwa im Zusammenhang mit der sogenannten Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung, die den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon verlangt, letztere vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass der Schuldner bei der angefochtenen Rechtshandlung zahlungsunfähig war und die anderen Gläubiger benachteiligt werden.
Neben den gesetzlichen Beweiserleichterungen gibt es eine große Zahl solcher, die in der Rechtsprechung herausgebildet wurden.
Zu den im Schadensersatzprozess häufigsten Beweiserleichterungen gehört § 287 ZPO, der das Beweismaß zugunsten des Geschädigten reduziert:
„Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen...“
Auch vorliegend geht es um Schäden, von denen der Kläger behauptet, sie seien bei einem Unfall mit dem Beklagten zu 1 entstanden. Der ebenfalls beklagte Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1, die Beklagte zu 2, behauptet dagegen, der Unfall habe schon gar nicht stattgefunden, er sei vorgetäuscht worden. Jedenfalls aber seien die vom Kläger behaupteten Schäden nicht auf den Unfall zurückzuführen. Für eine solche Manipulation gab es tatsächlich erhebliche Anhaltspunkte:
Versicherungsbetrug durch manipulierte Unfälle mit Kraftfahrzeugen ist in der Praxis nicht selten und durch die Versicherungsgesellschaften häufig nur schwer nachzuweisen, da in aller Regel beide Unfallbeteiligte dabei kollusiv zusammenwirken.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch
Er fuhr nach seiner Behauptung am 14.12.2017 mit einem Mercedes-Benz E63 AMG, der am 27.11.2017 auf ihn zugelassen worden war, auf einer Bundesstraße. Der Beklagte zu 1 war Halter eines bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Mercedes-Benz Sprinter. Der Kläger behauptet, auf der Höhe einer wegen einer Baustelle verkürzten Auffahrt habe der Beklagte zu 1 beim Wechsel von der Einfädelspur auf die rechte Fahrspur nicht auf sein Fahrzeug geachtet, weshalb es zu einer seitlichen Kollision gekommen sei.
Am 18.12.2017 erstellte die R-GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war, ein Schadensgutachten über Schäden an der rechten Seite des Mercedes-Benz E63 AMG. Die Besichtigung des PKW, der bereits einen Vorschaden hatte, durch die Beklagte zu 2 verweigerte er und veräußerte das Fahrzeug kurzfristig.
Das Landgericht (LG) hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung des Klägers im Beschlusswege, also ohne mündliche Verhandlung, zurückgewiesen. Es hat angenommen, die geltend gemachten Fahrzeugschäden könnten nicht bei dem vom Kläger geschilderten Unfallgeschehen entstanden sein. Die Richtigkeit der Angaben des erstinstanzlich vernommenen Zeugen B. zum Zustand des Klägerfahrzeugs vor Fahrtantritt vorausgesetzt, könnten die nicht kompatiblen Schäden im Nachhinein hinzugekommen sein. Es stehe die ernsthafte Möglichkeit einer Manipulation im Raum. Dieser Verdacht werde gestützt durch die Verweigerung der erbetenen Besichtigung. Wenn der Kläger meine, bestimmte abgrenzbare Schäden (Türaußengriff, Beifahrertür, rechter Außenspiegel, Scheinwerfer, rechte Seitenwand) seien auch nach den Feststellungen des Sachverständigen auf das Unfallereignis zurückzuführen, ändere dies nichts. Der Kläger hätte darzulegen, dass und in welchem Umfang ein Vermögensnachteil entstanden sei. Dies erfordere bei einem Vorschaden die Darlegung eines bestimmten, näher abgrenzbaren Teils des Schadens. Daran fehle es hier. Der Kläger habe nicht dargelegt, welche der Schäden an den von ihm nun benannten Fahrzeugteilen durch die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug entstanden seien und welche nicht. Nach den Feststellungen des Sachverständigen fänden sich etwa an der rechten Seitenwand Spurenzeichnungen, die durch die Streifkollision mit dem Mercedes-Benz Sprinter verursacht worden sein könnten, aber auch ein Spurenbild, welches wegen des Richtungsverlaufs nicht zu dem geschilderten Unfallhergang passe. Abgesehen davon habe der Kläger auch nicht dargelegt, welche der zahlreichen, im Schadensgutachten enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden, deren Kompatibilität vom Sachverständigen festgestellt worden sei, erforderlich seien.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Der BGH hebt den Beschluss des OLG sowie das zugrundeliegende Verfahren auf und verweist die Sache an das OLG zurück.
Die Begründung des BGH
Der BGH meint, dass das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs solle als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergehe, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien hätten. In diesem Sinne gebiete die Norm in Verbindung mit den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Hiergegen werde unter anderem verstoßen, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt habe.
Das OLG habe verfahrensfehlerhaft allein tragend darauf abgestellt, dass der Kläger nicht dargelegt habe, welche der behaupteten Schäden durch die Kollision entstanden seien und welche durch den Vorschaden. Er habe auch nicht dargelegt, welche der in dem von ihm vorgelegten Schadensgutachten enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden, deren Kompatibilität vom Privatsachverständigen festgestellt worden sei, erforderlich seien.
Dagegen meint der BGH, es seien schon keine weiteren Darlegungen des Klägers zur Abgrenzung der Beschädigungen erforderlich gewesen. Denn der Sachverständige habe Ausführungen dazu gemacht, welche Beschädigungen durch die vom Kläger behauptete Kollision verursacht worden sein könnten. Diese reiche als Vortrag aus. Eine andere Frage sei, wie der Kläger dies beweisen könne.
Der Kläger habe zudem konkret vorgetragen, welche der geltend gemachten Beschädigungen durch den Unfall verursacht worden sein sollen. Er habe unter Bezugnahme auf das Gutachten ausgeführt, über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend sei nachgewiesen, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das Unfallereignis verursacht worden seien. Der Sachverständige habe konkrete Schäden zuordnen können. Es sei nicht ersichtlich, was der Kläger zur Abgrenzung der Beschädigungen hätte weiter sachdienlich darlegen oder ausführen können.
Ebenso überspannt seien die Anforderungen, die das OLG an den Vortrag zu den erforderlichen Reparaturarbeiten gestellt habe.
§ 287 ZPO erleichtere über seinen Wortlaut hinaus nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung der zugrunde liegenden Tatsachen. Der Geschädigte müsse zur substantiierten Darlegung des geltend gemachten Schadens weder ein Privatgutachten vorlegen noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Er könne durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen.
Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht habe die Möglichkeit einer Manipulation bislang nur ernsthaft angenommen, sich davon aber nicht überzeugt. Es könne daher nicht sicher ausgeschlossen werden, dass es zu dem Ergebnis gelange, der geltend gemachte Anspruch bestehe zumindest teilweise.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH nicht etwa einen manipulierten Unfall ausgeschlossen, sondern lediglich das Verfahren des OLG für fehlerhaft erachtet. Über den Fortgang des Prozesses ist damit noch keine Aussage getroffen, vielmehr muss zunächst der Sachverhalt durch das OLG weiter aufgeklärt werden.
Überblick
Das Insolvenzanfechtungsrecht ist eine der schwierigsten Rechtsmaterien, obwohl die Insolvenzordnung (InsO) es in lediglich in 19 Vorschriften, ihren §§ 129 bis 147 regelt, und ist von einer starken Kasuistik geprägt.
Grundvoraussetzung jeder Anfechtung ist gemäß § 129 Abs. 1 InsO eine vor der Insolvenzeröffnung vorgenommene Rechtshandlung, die die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger benachteiligt. Die Benachteiligung einzelner Gläubiger reicht dagegen nicht aus. Nach der gängigen Definition des Bundesgerichtshofs (BGH) liegt eine Gläubigerbenachteiligung vor, wenn die angefochtene Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse (die Summe der Insolvenzforderungen) vermehrt oder die Aktivmasse (das in die Insolvenzmasse fallende Vermögen des Schuldners ohne Abzug der Verbindlichkeiten) verkürzt hat, wenn sich mit anderen Worten die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten, also eine höhere Insolvenzquote hätte ausgeschüttet werden können. Der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung ist isoliert mit Bezug auf die konkret angefochtene Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Dabei sind lediglich solche Folgen zu berücksichtigen, die an die anzufechtende Rechtshandlung selbst anknüpfen. Eine Gläubigerbenachteiligung entfällt nicht deshalb, weil die anzufechtende Rechtshandlung in Zusammenhang mit anderen Ereignissen der Insolvenzmasse auch Vorteile gebracht hat. Als Vorteil der Masse sind nur solche Folgen zu berücksichtigen, die unmittelbar mit der angefochtenen Rechtshandlung zusammenhängen.
Nicht gläubigerbenachteiligend ist der bloße Austausch von Sicherheiten, wenn die neue vom Schuldner gewährte Sicherheit keinen höheren Wert hat als die ursprüngliche, denn hierdurch erlangt er die zunächst gewährte Sicherheit zurück.
Zu diesem Erfordernis müssen die Voraussetzungen mindestens eines sogenannten Anfechtungstatbestands hinzukommen, etwa diejenigen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO oder diejenigen der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nach § 134 InsO, die – nicht ganz zutreffend – auch als Schenkungsanfechtung bezeichnet wird. § 134 Abs. 1 InsO lautet:
„Anfechtbar ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden.“
Während der Ablauf der Vier-Jahres-Frist im Allgemeinen relativ einfach festzustellen ist, bereitet die Subsumtion unter den Begriff „unentgeltliche Leistung“ durchaus Schwierigkeiten. Leistung in diesem Sinne ist jede Rechtshandlung, die dazu dient, einen zugriffsfähigen Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners zu entfernen.
Sind an diesem Vorgang lediglich der Insolvenzschuldner und der spätere Anfechtungsgegner beteiligt, wird eine Leistung des Schuldners als unentgeltlich angesehen, wenn ihr nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Leistung des Anfechtungsgegners gegenübersteht, die dem vom Schuldner aufgegebenen Vermögenswert nach dem objektiven Wertverhältnis entspricht. Ob die Erfüllung einer schuldrechtlichen Verpflichtung entgeltlich ist, richtet sich danach, ob diese entgeltlich begründet wurde. So ist die Übereignung einer verkauften Sache entgeltlich, wenn für sie ein angemessener Kaufpreis vereinbart war, denn der Kaufvertrag war hier entgeltlich. Demgegenüber ist die Erfüllung eines Schenkungsversprechens, etwa die Übereignung eines Grundstücks, unentgeltlich, weil der zugrundeliegende rein schuldrechtliche Schenkungsvertrag unentgeltlich war.
Eine Sonderstellung nimmt die Stellung von Sicherheiten durch den Schuldner ein. Hier sagt die Rechtsprechung im Grundsatz, dass die Sicherheitenbestellung für eine eigene Verbindlichkeit des Schuldners entgeltlich ist, wenn die Verbindlichkeit selbst entgeltlich begründet wurde, und unentgeltlich im gegenteiligen Fall. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Sicherheit zusammen mit der Begründung der Verbindlichkeit bestellt wird.
Besichert der Schuldner die Verbindlichkeit eines Dritten, ist dies in aller Regel unentgeltlich, weil durch sie der Masse nichts zufließt.
Erhält der Schuldner nach der vertraglichen Absprache zwar auch einen Vermögenswert, hat seine Leistung aber den höheren Wert, kann diese eventuell wegen Teilunentgeltlichkeit angefochten werden.
Der zu entscheidende Fall
Etwas vereinfacht hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über folgenden Sachverhalt zu entscheiden.
Der Schuldner verpfändete am 30.05.2008 an die Klägerin, ein Kreditinstitut, ein Termingeldkonto über 40.000 € zur Sicherung aller Forderungen der Klägerin gegen eine GmbH (Darlehen), zudem übernahm er zur Sicherung dieser Forderungen eine Bürgschaft zugunsten der Klägerin.
Am 12.10.2014 schloss er eine private Rentenversicherung ab und veranlasste die Überweisung des Versicherungsbeitrags in Höhe von 51.500 € an den Versicherer. Die Ansprüche und Rechte aus diesem Versicherungsvertrag trat der Schuldner am 29.12.2014 in voller Höhe an die Klägerin, zur Sicherung von Ansprüchen gegen ihn selbst und die Gesellschaft (Restforderung aus dem Darlehen) ab. 2016 wurde über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet und auf Antrag vom 09.03.2017 am 17.08.2017 auch über das Vermögen des Schuldners. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Klägerin meldete eine Forderung über 90.000 € aus der vom Schuldner übernommenen Bürgschaft zur Insolvenztabelle an. Sie kündigte gegenüber dem Versicherer den Versicherungsvertrag und bat um Auszahlung des Rückkaufswerts, der sich auf 55.000 € belief. Der Versicherer zahlte die Summe an den Beklagten aus.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Auskehrung dieses Betrags und beruft sich hierzu auf ein Absonderungsrecht. Der Beklagte wendet dagegen die Anfechtbarkeit der Sicherheit ein, die Klägerin meint der Anfechtungsanspruch sei verjährt, außerdem habe es sich um einen nicht gläubigerbenachteiligenden Sicherheitentausch gehandelt, der nicht angefochten werden könne.
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Der BGH hebt das Urteil und das zugrundeliegende Verfahren auf und verweist die Sache an das OLG zurück.
Die Begründung des BGH
Aus den angegebenen Daten folgt ohne Weiteres, dass der Anfechtungszeitraum von vier Jahren vor dem Insolvenzantrag gemäß § 134 InsO nicht abgelaufen ist, die Abtretung erfolgte am 29.12.2014, der Antrag wurde am 09.03.2017 gestellt. Diese Zession war auch unproblematisch eine Rechtshandlung im Sinne der §§ 129, 134 InsO.
Was die Gläubigerbenachteiligung angeht, bezieht sich der BGH auf die eingangs wiedergegebene Definition. Nach seiner ständigen Rechtsprechung kann allerdings, selbst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eine Benachteiligung fehlen, wenn der Gläubiger im Umfang der Zahlung insolvenzbeständig am Schuldnervermögen gesichert war. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine Rechtshandlung dazu führt, dass eine wirksam und unanfechtbar bestellte Sicherheit unmittelbar durch eine gleichwertige andere Sicherheit ersetzt wird, ohne dass damit für das Schuldnervermögen ein zusätzlicher Rechtsverlust verbunden wäre, allerdings nur in dem Umfang des für die ursprüngliche Sicherheit vereinbarten Sicherungszwecks.
Ob die Voraussetzungen eines solchen unmittelbaren Austausches gleichwertiger Sicherheiten gegeben waren, konnte der BGH den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen.
Das Guthaben des zugunsten der Klägerin verpfändeten Termingeldkontos belaufe sich, so der BGH, auf 40.000 €; die Zahlung an den Versicherer habe jedoch 51.500 € betragen. Mangels anderweitiger Feststellungen muss der Schuldner folglich über den Wert des ursprünglich verpfändeten Guthabens hinausgehendes Vermögen eingesetzt haben, um den Versicherungsbeitrag leisten zu können. Ferner habe das Berufungsgericht ausdrücklich offengelassen, ob sich die Sicherungsabrede im Zuge der Neubesicherung geändert habe und deshalb die Sicherungszession gläubigerbenachteiligend sei, weil die vorgenommene Neubesicherung die Verpfändung des Termingeldkontos letztlich ersetzt habe.
Weiter stehe nicht fest, dass die Freigabe des zugunsten der Klägerin verpfändeten Termingeldkontos erst erfolgt sei, nachdem der Schuldner der Klägerin die Ansprüche und Rechte aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherheit abgetreten habe. Sollte er die Ansprüche und Rechte aus dem Versicherungsvertrag erst an die Klägerin abgetreten haben, nachdem er bereits über das Guthaben des Termingeldkontos verfügt habe, fehle es an einem, die Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 InsO ausschließenden, unmittelbaren Sicherheitentausch. Denn in diesem Fall hätte der Klägerin in dem Zeitraum zwischen Verfügung des Schuldners über das Guthaben und Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag keine Sicherheit zugestanden. Nur eine ununterbrochene Sicherheitenkette könne jedoch zu einem Ausschluss der Gläubigerbenachteiligung führen.
Dies wird das OLG im zweiten Rechtszug aufzuklären haben.
Auch die Voraussetzungen der Unentgeltlichkeit im Sinne des § 134 InsO konnte der BGH nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellung des OLG fehlte.
Der BGH geht revisionsrechtlich davon aus, dass die Klägerin aus der zugunsten der GmbH bestellten Sicherung vorgeht.
Ausgehend von der oben dargestellten Frage, wann eine Sicherheit unentgeltlich bestellt wird, führt der BGH aus, die Besicherung einer fremden Schuld sei grundsätzlich unentgeltlich, entgeltlich aber dann, wenn der Sicherungsnehmer dem Sicherungsgeber für seine Leistung die Kreditgewährung an einen Dritten verspreche. Von der Schenkungsanfechtung freigestellt sei der Sicherungsnehmer schließlich auch dann, wenn er für die Zuwendung des Schuldners eine ausgleichende Gegenleistung an diesen oder einen Dritten erbringe. Dagegen reiche das Versprechen, einen sonst durchsetzbaren Rückforderungsanspruch gegen einen Dritten stehen zu lassen, nicht aus, um die nachträgliche Besicherung der fremden Schuld als entgeltlich einordnen zu können.
Wie die Dinge insoweit hier liegen, lasse sich aufgrund der Feststellungen des OLG nicht abschließend entscheiden.
Dass die Zession auch der Besicherung der zugunsten der Klägerin vom Schuldner übernommenen Bürgschaft diene, führe nicht dazu, dass es sich um eine Sicherheit für eigene Verbindlichkeiten des Schuldners handele. Die Grundsätze zur Unentgeltlichkeit der Besicherung fremder Schuld hätten auch zu gelten, wenn der Schuldner eine Personalsicherheit (etwa eine Bürgschaft) für die fremde Schuld übernehme und zusätzlich zur Absicherung der Ansprüche aus der Personalsicherheit eine weitere Sicherheit bestelle. Diese Besicherung der eigenen Verbindlichkeit aus der Personalsicherheit sei ebenfalls nach den Grundsätzen einer Fremdbesicherung zu behandeln. Ob die Klägerin hierfür eine ausreichende Gegenleistung erbracht habe, sei nicht festgestellt.
Für die nachträgliche Bestellung einer neuen Sicherheit ergebe sich nicht bereits eine ausgleichende Gegenleistung daraus ergebe, dass der Schuldner der Klägerin im Jahr 2008 eine andere Sicherheit bestellt habe und diese Sicherheit eine entgeltliche Leistung dargestellt habe. Ob die Leistung des Schuldners entgeltlich sei, richte sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Rechtserwerbs der Klägerin als Anfechtungsgegnerin an der neuen Sicherheit. Die Entgeltlichkeit einer neu bestellten Sicherheit folge nicht allein daraus, dass eine zuvor für die gleichen Verbindlichkeiten bestellte Sicherheit eine entgeltliche Leistung darstellte. Bei der Besicherung einer fremden Verbindlichkeit komme es vielmehr darauf an, ob der Gläubiger eine ausgleichende Gegenleistung erbringe.
Dass der Schuldner ausweislich der Sicherungsvereinbarung die Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag auch zur Absicherung eigener Verbindlichkeiten vorgenommen habe, schließe die Anfechtung nicht in Gänze aus, es komme hier eine Anfechtung wegen Teilunentgeltlichkeit in Betracht. Sei die Leistung des Schuldners teilbar, könne die Anfechtung auf den unentgeltlichen Teil der Leistung beschränkt werden. Diese Voraussetzungen seien regelmäßig erfüllt, wenn der Schuldner die Sicherheit sowohl für eine eigene wie für eine fremde Schuld bestelle. Die Teilbarkeit der Leistung ergebe sich aus den unterschiedlichen Arten der besicherten Verbindlichkeiten. Damit könne in diesen Fällen allein die Besicherung der fremden Schuld als unentgeltliche Leistung angefochten werden.
Schließlich weist der BGH darauf hin, dass für den Fall einer (Teil)Anfechtbarkeit der Zession der Beklagte diese auch einwenden könne, da selbst bei eingetretener Verjährung des Anfechtungsanspruchs er nach § 146 Abs. 2 InsO hierzu berechtigt sei. Die Vorschrift bestimmt, dass der Insolvenzverwalter auch bei eingetretener Verjährung die Erfüllung einer Leistungspflicht verweigern kann. Dies betreffe auch die Erfüllung von Aus- und Absonderungsrechten.
Überblick
Ein zulässiger Antrag eines Insolvenzgläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Schuldners setzt nach § 14 der Insolvenzordnung (InsO) voraus, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Insolvenzeröffnungsgrund glaubhaft macht. Eröffnungsgründe sind zum einen die insolvenzrechtliche Überschuldung nach § 19 InsO und zum anderen die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist nach § 18 InsO nur bei einem Eigenantrag des Schuldners Eröffnungsgrund.
Für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO einer geordneten Gegenüberstellung der zum Stichtag zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und derjenigen, die in den folgenden drei Wochen fällig werden sowie der aktuellen liquiden Mittel des Schuldners und den in den folgenden drei Wochen hinzukommenden Mittel, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz. Von einer Zahlungsunfähigkeit ist danach regelmäßig auszugehen, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
Dass der Gläubiger im Allgemeinen kaum in der Lage sein wird, eine solche Liquiditätsbilanz oder einen vergleichbaren Nachweis zu erstellen, hat den Gesetzgeber veranlasst, eine andere Methode für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu ermöglichen. Danach ist die „Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat“.
Zahlungseinstellung ist wiederum nach der Rechtsprechung des BGH dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist.
Entscheidend, so der BGH, ist die am Beweismaß (sogenannter Vollbeweis) des § 286 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu messende, in umfassender und widerspruchsfreier Würdigung des Prozessstoffs zu gewinnende Überzeugung, der Schuldner könne aus Mangel an liquiden Zahlungsmitteln nicht zahlen. Die Zahlungseinstellung kann aus einem einzigen Indiz gefolgert werden, wenn dieses Indiz eine hinreichende Aussagekraft hat. Nach der Rechtsprechung gilt dies insbesondere für die Erklärung des Schuldners, nicht zahlungsfähig zu sein. Fehlt es an einem hinreichend aussagekräftigen einzelnen Indiz, kommt der Schluss auf eine Zahlungseinstellung nur in Betracht, wenn die Gesamtheit der Indizien die begründete Überzeugung rechtfertigt.
Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen für eine Zahlungseinstellung häufig nicht. Es müssen dann Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafürsprechen, dass die Zahlungsverzögerung auf fehlender Liquidität des Schuldners beruht. Solche Umstände können darin zu sehen sein, dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleicht, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur weiteren Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen ist. Ferner kann der Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers der Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen. Ein schematisches Vorgehen verbietet sich. Maßgebend ist, dass die zusätzlichen Umstände im konkreten Einzelfall ein Gewicht erreichen, das der nach der Rechtsprechung des BGH besonders bedeutsamen Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.
Auch beim Zahlungsverhalten gegenüber Sozialversicherungsträgern kommt es darauf an, ob die gesamten Umstände ein Gewicht erreichen, das einer Erklärung des Schuldners gleichsteht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können. Die mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen bildet nach ständiger Rechtsprechung ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung, das den Schluss allein tragen kann. Eine mehrmonatige – nicht notwendig sechsmonatige – Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist geeignet, eine Zahlungseinstellung nahezulegen. Daher kann ein Rückstand von mehr als vier vollen Monatsbeiträgen bei einem einzigen Sozialversicherungsträger die Zahlungseinstellung begründen. Geringfügigere Zahlungsverzögerungen reichen dagegen nicht aus, die Zahlungseinstellung allein zu rechtfertigen. Dies alles hat der BGH in einem relativ neuen Urteil vom 28.04.2022 - IX ZR 48/21 – zum wiederholten Mal entschieden.
Das Amtsgericht Hamburg – Insolvenzgericht - (AG) hatte im vorliegenden Fall darüber zu entscheiden, ob der den Insolvenzantrag stellende Sozialversicherungsträger den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit ausreichend glaubhaft gemacht hatte. Dieser hatte sich der Möglichkeit bedient, die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft zu machen, indem er sich auf die von ihm behauptete Zahlungseinstellung des Schuldners stützte.
Der zu entscheidende Fall
Der Sozialversicherungsträger (Antragstellerin) hatte seinen Insolvenzantrag darauf gestützt, dass die Schuldnerin fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 01.11.2023 bis 30.06.2024 in Höhe von insgesamt 10.823,76 EUR schulde. Aufgrund des vorliegenden Rückstandszeitraums von mehr als sechs Monaten sei der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit gegeben.
Mit Verfügung vom selben Tag wies das AG darauf hin, dass die Antragstellerin bisher die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe. Insbesondere sei nicht nachzuvollziehen, weshalb in dem Geschäftslokal der Schuldnerin kein Vollstreckungsversuch unternommen worden sei. Die Antragstellerin könne die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin insbesondere durch die Vorlage des Protokolls über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch des Gerichtsvollziehers oder über die Abgabe der Vermögensauskunft der Schuldnerin erbringen. Ferner wurde die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass weder das AG noch das Landgericht Hamburg (LG) der sog. „Sechs-Monats-Rückstands-Indiz-Rechtsprechung“ des BGH folgen.
Die Antragstellerin reichte beim AG mehrere Drittschuldnererklärungen und Empfangsbekenntnisse der ...bank im Zusammenhang mit Pfändungsversuchen gegenüber der Schuldnerin im Juni, September und November 2023 sowie im März 2024 ein. Alle Pfändungsversuche bezogen sich auf dasselbe Bankkonto der Schuldnerin.
Durch Beschluss vom 29.07.2024 wies das Amtsgericht den Eröffnungsantrag als unzulässig ab, weil die Antragstellerin entgegen § 14 InsO den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit trotz des gerichtlichen Hinweises nicht glaubhaft gemacht habe. Die unternommenen Bankkontenpfändungsversuche änderten hieran nichts, da schon nicht vorgetragen oder ersichtlich oder glaubhaft gemacht sei, dass es sich insoweit um das einzige Konto der Schuldnerin gehandelt habe.
Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die Schuldnerin habe über einen Zeitraum von insgesamt acht Monaten Gesamtsozialversicherungsbeträge nicht beglichen. Die letzte Zahlung sei am 16.01.2024, mithin vor sieben Monaten, erfolgt. Dieses Zahlungsverhalten komme nach der Rechtsprechung des BGH einer Zahlungseinstellung gleich. Es sei bei der Schuldnerin bereits zu vorrangigen Kontopfändungen von drei weiteren Gläubigern mit einem Forderungsvolumen von 7.088,87 EUR gekommen sei. Nur vier Monate später sei das Forderungsvolumen dreier vorrangiger Gläubiger auf einen Betrag von 22.538,98 EUR angestiegen.
Das AG half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem LG zur Entscheidung vor. Zur Begründung führte es aus, dass die Antragstellerin durch ihr eigenes Vorbringen bestätige, nicht glaubhaft machen zu können, dass die von ihr dargelegten Kontopfändungsversuche das einzige Bankkonto der Schuldnerin betrafen. Eine erfolglose Pfändung in ein einziges Bankkonto des Schuldners genüge zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes der Zahlungsunfähigkeit jedoch allein nicht. Nichts Anderes gelte für einen mehr als sechsmonatigen Beitragsrückstand gegenüber einem Sozialversicherungsträger.
Die Begründung des Landgerichts Hamburg
Das LG weist die sofortige Beschwerde zurück.
Die Antragstellerin habe den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Sie habe keine weiteren Unterlagen, wie etwa das Protokoll über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch eines Gerichtsvollziehers oder über die Abgabe der Vermögensauskunft der Schuldnerin vorgelegt. Auch eine eidesstattliche Versicherung der Schuldnerin oder entsprechende schriftliche Erklärungen der Schuldnerin lägen nicht vor. Dasselbe gelte für eine eidesstattliche Versicherung einer sachkundigen Person, aus der sich ergebe, dass die Schuldnerin nicht zahlungsfähig sei.
Auch Sozialversicherungsträger hätten das Vorliegen eines Insolvenzgrundes in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie andere Gläubiger auch. Die Strafbarkeit der Nichtabführung von Beiträgen sei einer von mehreren Umständen, der bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen seien. Sie bilde allein jedoch keinen Anlass, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung teilweise außer Kraft zu setzen. Denn in der Praxis dürfte ein Schuldner eher Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen als beispielsweise Forderungen seiner Warenlieferanten, da er andernfalls Gefahr liefe, den Geschäftsbetrieb nicht fortführen zu können.
Der vom BGH in seiner Entscheidung vom 13.06.2006 - IX ZB 238/05 aufgestellten Beweisregel, bei Rückständen von mindestens sechs Monaten sei in der Regel von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen, werde nicht gefolgt.
Hinzukomme, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin nicht geschlossen sei. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb die Antragstellerin keinen Vollstreckungsversuch hinsichtlich des Geschäftslokals der Schuldnerin unternommen habe. Denn es bestehe vor diesem Hintergrund zumindest die Möglichkeit, dass die Schuldnerin zwar Sozialversicherungsbeiträge (bewusst) nicht zahle, im Übrigen aber ihre Gläubiger bediene und auch bedienen könne. Dies nachzuprüfen sei nicht Aufgabe des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Es genüge daher nicht, dass die Antragstellerin auf die Drittschuldnererklärungen der ...bank und auf weitere Vollstreckungsgläubiger verweise. Da es sich bei diesen Gläubigern ebenfalls um Sozialversicherungsträger handele, gelte das soeben Gesagte entsprechend. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Schuldnerin ihre institutionellen Gläubiger nachrangig behandele, um zunächst aus ihrer Sicht für den Geschäftsbetrieb relevantere Gläubigerforderungen zu bedienen.
Die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO, über die der BGH zu entscheiden hätte, hat das LG nicht zugelassen.
Den kritischen Leser der Entscheidung überrascht nicht nur Letzteres, denn das Abweichen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dürfte in einem Fall wie dem vorliegenden dazu führen, den Zulassungsgrund der „Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung“ gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auszufüllen. Die Auffassung des LG mag ohne Weiteres juristisch vertretbar sein, möglicherweise hat sie sogar mehr für sich als die dargestellte Rechtsprechung des BGH, gegen die das LG sich ausdrücklich wendet. Das LG setzt sich jedoch hiermit nur ansatzweise auseinander und bezieht sich lediglich auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2006, anstatt das oben dargestellte wesentlich neuere Urteil aus dem Jahr 2022 in seine Würdigung einzubeziehen.
In den letzten Monaten haben sich vermehrt Mandanten an uns gewandt, um Unterstützung bei der Abwehr von Zahlungsansprüchen der MULPOR Company zu erhalten. Diese Ansprüche betreffen in der Regel Forderungen, die im Zusammenhang mit einem angeblichen Vertrag über die Veröffentlichung von Unternehmensdaten im „International Fairs Directory“ stehen.
Die Vorgehensweise der MULPOR:
Die MULPOR bereitet ein unscheinbares Formular vor, dass auf den ersten Blick lediglich der Bestätigung von Unternehmensdaten zu dienen scheint. Ohne dass dies klar ersichtlich ist, führt die Unterzeichnung dieses Dokuments jedoch – nach Ansicht der MULPOR Company – zu einem verbindlichen Vertragsabschluss. Der Vertragspartner sitzt in Costa Rica, und das Vertragsverhältnis unterliegt vermeintlich dem costa-ricanischen Recht. Als Ergebnis erhalten die Betroffenen kurz darauf eine Rechnung in Höhe von 1.210,00 EUR, die sich jedoch über eine Laufzeit von drei Jahren auf deutlich höhere Beträge summiert.
Unsere Einschätzung zur Abwehr der Forderung:
Nach unserer rechtlichen Auffassung bestehen gute Chancen, sich erfolgreich gegen diese Forderungen zur Wehr zu setzen. Dies stützen wir insbesondere auf die folgenden Argumente:
Wir helfen Ihnen
Sollten auch Sie von einer solchen Forderung betroffen sein, stehen wir Ihnen mit unserer Erfahrung und Expertise zur Seite, um Ihre Ansprüche durchzusetzen und unberechtigte Zahlungen abzuwenden. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir helfen Ihnen gerne weiter.
Insolvenzrechtliche Ausgangslage
Welche Befriedigungschancen eine Forderung in der Insolvenz des Schuldners hat, hängt entscheidend von ihrem insolvenzrechtlichen Rang ab. Neben den hier nicht interessierenden Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen sind dies Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO) und sogenannte Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die im eröffneten Insolvenzverfahren nur vom Insolvenzverwalter begründet werden können. Das Privileg der Masseverbindlichkeiten rechtfertigt sich, jedenfalls für vertragliche Ansprüche aus der Überlegung, dass derjenige, der sich auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einlässt, darauf vertrauen können muss, dass er seine Gegenleistung aus der Insolvenzmasse vollständig erhält.
Insolvenzforderungen sind dagegen Forderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren.
Während die Masseverbindlichkeiten abgesehen von Fällen der Masseunzulänglichkeit volle Befriedigung erwarten dürfen, erhalten die Insolvenzgläubiger nur die Insolvenzquote, die häufig sehr niedrig ist, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, in dem lediglich eine Quote von 0,1 % auf die Insolvenzforderungen gezahlt wurde. Nicht selten wird gar keine Quote gezahlt.
Im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung wird kein Insolvenzverwalter bestellt, diese Aufgabe übernimmt der Schuldner oder im Fall einer juristischen Person, etwa einer GmbH, ihr Geschäftsführer. Masseverbindlichkeiten begründet folglich hier der sich selbst verwaltende Schuldner.
Anders als Insolvenzforderungen können Masseverbindlichkeiten nicht durch ein Insolvenzplanverfahren geregelt werden, sie sind vielmehr unabhängig vom Inhalt des Insolvenzplans vollständig zu befriedigen.
Der zu entscheidende Fall
Im August 2019 buchte der Kläger für sich und die Klägerin bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen Flüge von Düsseldorf nach Westerland/Sylt und von Westerland/Sylt zurück nach Düsseldorf. Sie bezahlten den Flugpreis. Die Flüge sollten im Juni 2020 stattfinden. Am 01.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Am 28.05.2020 annullierte die Beklagte aufgrund von Reisebeschränkungen (COVID-19) die Flüge und bot einen Fluggutschein an, den die Kläger ablehnten. Ersatzflüge bot sie den Klägern nicht an. Noch an demselben Tag buchte der Kläger Ersatzflüge bei einer anderen Fluggesellschaft. Hierfür entstanden Kosten in Höhe von 602,48 €. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, mit Beschluss vom 26.11.2020 aufgehoben.
Der Insolvenzplan sieht für Insolvenzforderungen eine Quote von 0,1% und Zusatzquoten vor.
Die Kläger begehren Zahlung einer Ausgleichszahlung von 250 € pro Person zuzüglich Zinsen, darüber hinaus Erstattung der für die Ersatzbeförderung aufgewendeten Kosten in Höhe von 602,48 € nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat der Klage lediglich in Höhe von 0,1% der geltend gemachten Forderungen stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht als Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, weil es die Forderungen der Kläger als Masseverbindlichkeiten angesehen hatte. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt auf die Revision der Beklagten das amtsgerichtliche Urteil wieder her.
Die Forderung der Kläger beruht auf der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (kurz: Fluggastrechte-VO).
Nach Art. 5 Abs. 1 Fluggastrechte-VO gilt unter anderem:
Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,
b) …
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen…
Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-VO lautet:
Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen…
Art. 8 Fluggastrechte-VO gewährt dem Reisenden bei Flugannullierungen unter anderem Anspruch auf einen Ersatzflug durch das Luftfahrtunternehmen, den die Beklagte, wie ausgeführt, nicht angeboten hat.
Die Begründung des BGH
Zwar geht auch der BGH vom Bestehen der Ansprüche der Kläger in der geltend gemachten Höhe aus, mit dem Amtsgericht behandelt er die Ansprüche der Kläger als bloße Insolvenzforderungen. Die Voraussetzungen für eine Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO lägen nicht vor.
Dazu, ob Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung eine Masseverbindlichkeit oder eine Insolvenzforderung darstellen, wenn der Flug vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fluggesellschaft gebucht und bezahlt, der Flug aber erst nach der Eröffnung annulliert worden ist, gebe es keine spezialgesetzlichen nationalen oder europarechtlichen Regelungen. Vielmehr ergebe sich aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedsstaates gelte, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet werde. Mithin sei vorliegend allein das deutsche Recht maßgeblich ist, wie der BGH bereits mehrfach in Parallelfällen entschieden hat.
Ansprüche, die, wie die Ansprüche der Kläger, im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, seien gemäß § 38 InsO Insolvenzforderungen. Sekundäransprüche, also der Ausgleichs- und der Ersatzanspruch der Kläger, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgten, begründeten keine Masseverbindlichkeiten, was ebenfalls schon mehrfach entschieden wurde.
Im Streitfall handele es sich um solche Sekundäransprüche aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche. Dass und warum Handlungen des Verwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners, die allein die Nichterfüllung vor der Eröffnung geschlossener, nicht aus der Masse zu erfüllender Verträge betreffen und damit nur der Abwicklung dienen, nicht § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO fallen hat der BGH auch bereits in früheren Entscheidungen dargelegt. Die Angriffe der Revision gäben keinen Anlass, hiervon abzuweichen. Motiv und Anlass, aus denen sich der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner für die Nichterfüllung einer Forderung entschieden, seien insoweit ohne Bedeutung. Es sei mit den gesetzlichen Regelungen der Insolvenzordnung nicht vereinbar, einen auf die Nichterfüllung bloßer Insolvenzforderungen gestützten Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch als Masseverbindlichkeit zu behandeln. Anderenfalls wären der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner entgegen § 87 InsO mittelbar gezwungen, Insolvenzforderungen vollständig aus der Masse zu erfüllen. Dies zeigten auch die Regelung und Wertung des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO, wonach ein Insolvenzgläubiger Ansprüche wegen Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrags nur als Insolvenzgläubiger verfolgen könne, wenn der Insolvenzverwalter im Falle noch nicht oder nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge die Erfüllung ablehne.
Die Fortsetzung des Flugbetriebs durch die Beklagte werte die Insolvenzforderung der Kläger nach der Rechtsprechung des Senats weder für sich genommen noch in Verbindung mit etwaigen Erklärungen der Beklagten, der Flugbetrieb werde fortgesetzt, zu Masseforderungen auf. Einen den Klägern zeitgleich mit der Annullierung des Flugs angebotenen Reisegutschein hätten sie nicht angenommen.
Auch das Ziel der Fluggastrechte-VO, ein hohes Schutzniveaus für Fluggäste zu gewähren, und deren gebotene weite Auslegung änderten nichts an der insolvenzrechtlichen Einordnung der geltend gemachten Ansprüche der Kläger. Es gehe hier nicht um Inhalt und Reichweite von Fluggastrechten, sondern um deren Schicksal in der Insolvenz des Luftfahrtunternehmens. Hierzu treffe die Fluggastrechte-VO keine Aussage.
Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bedürfe es nicht.
Überblick
Umsatzsteuerpflichtige Unternehmer müssen zwar die vereinnahmte Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen, sie sind im Grundsatz aber auch berechtigt, gemäß § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Vorsteuer, die ihnen von anderen Unternehmern für ihr Unternehmen in Rechnung gestellt wird, als Vorsteuer abzuziehen.
Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. Unter anderem bestimmt § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, dass der Vorsteuerabzug für Leistungen ausgeschlossen ist, die der Unternehmer seinerseits für steuerfreie Leistungen verwendet.
Zudem setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass der Unternehmer, die „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“. Dazu muss objektiv betrachtet ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen. Das Abzugsrecht ist nur gegeben, wenn die Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören.
Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Unternehmers zudem auch bei Fehlen eines solchen Zusammenhangs angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und als solche Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind (Allgemeinkosten). Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.
Fehlt der so beschriebene Zusammenhang, hängen die Eingangsleistungen vielmehr mit steuerfreien Umsätzen zusammen, ist der Vorsteuerabzug nicht zulässig.
Lieferungen und sonstige Leistungen eines Unternehmers unterliegen – auch hier wiederum: im Grundsatz – der Umsatzsteuerpflicht. Eine gewichtige Ausnahme hiervon macht § 4 UStG, der zahlreiche Steuerbefreiungen normiert. Danach ist neben vielen anderen Lieferungen und sonstigen Leistungen die Vermietung von Wohnraum steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG). Zwar kann der Unternehmer gemäß § 9 UStG auf die Steuerbefreiung verzichten, „zur Steuer optieren“, um die Vorsteuerabzugsmöglichkeit für seine die Vermietungsleistung betreffenden Eingangsumsätze zu erhalten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Mieter auch Unternehmer ist. Bei Vermietung an Endverbraucher ist die Option nicht möglich.
Für den Vermieter von Wohnraum bedeutet dies, dass er die Vorsteuer aus der Anschaffung und Erhaltung des zu vermietenden Wohnraums regelmäßig nicht geltend machen kann.
Erbringt der Vermieter weitere Leistungen an den oder die Mieter, insoweit auch an Endverbraucher, muss im Einzelfall entschieden werden, ob diese Leistungen mit der Vermietung so eng zusammenhängen, dass es bei einer einheitlichen Vermietungsleistung verbleibt, oder ob es sich umsatzsteuerrechtlich um getrennte Leistungen handelt. Nur wenn von der steuerfreien Vermietung gesonderte Lieferungen oder sonstige Leistungen festzustellen sind, kann der Vorsteuerabzug dafür in Betracht kommen.
Mit dieser Abgrenzung beschäftigt sich der Besprechungsfall.
Der zu entscheidende Fall
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Lieferung von Mieterstrom eine (unselbständige) Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung darstellt oder ob es sich dabei um eine selbständige Hauptleistung neben der Vermietungsleistung handelt. Letzteres würde, wie oben dargestellt, den Vorsteuerabzug ermöglichen.
Der Kläger vermietet ein Mehrfamilien- und ein Doppelhaus. Die Vermietung erfolgt umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Er hat auf beiden Objekten im Dezember 2018 jeweils eine Photovoltaikanlage mit Messeinrichtungen installieren lassen. Hierfür ist ihm neben den Nettokosten vom Installateur Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden. Die erste Messeinrichtung erfasst die Gesamtproduktion des Stroms. Der erzeugte Strom, der direkt über den Batteriespeicher an die Mieter fließt, läuft über eine weitere Messeinrichtung. Der überschüssige Strom wird an die N-GmbH geliefert. Der gegebenenfalls von den Mietern zusätzlich benötigte Reststrom wird im Namen und im Auftrag des Klägers über andere Gesellschaften bezogen und mit einem Gewinnaufschlag an die Mieter abgegeben.
Der Kläger rechnet mit den Mietern, die für den Strom einen monatlichen Abschlag zu entrichten haben, jährlich über einen Gemeinschaftszähler und entsprechende Unterzähler nach der jeweiligen Verbrauchsmenge ab. Er hat mit den Mietern – zeitlich und inhaltlich unabhängig von den jeweiligen Mietverträgen – eine „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag über Stromversorgung“ geschlossen. Nach deren § 2 kann der Stromlieferungsvertrag mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Außerdem ist geregelt, dass der Mieter für den Fall, dass er nach der Kündigung des Stromliefervertrags anderweitig den Strom beziehe, die Kosten der Umbaumaßnahmen der Zähleranlage zu tragen habe. In den Wohnungsmietverträgen ist bestimmt, dass bauliche Veränderungen am Mietobjekt der Zustimmung des Vermieters bedürfen. Der Arbeitspreis je Kilowattstunde ist marktüblich.
In seiner Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Dezember 2018 machte der Kläger, die Vorsteuer aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen geltend.
Das beklagte Finanzamt (FA) ließ diese Vorsteuer nicht zum Abzug zu. Es nahm an, bei der Stromlieferung des Klägers an die Mieter handele es sich jeweils um eine unselbständige Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung. Den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück.
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der dagegen Klage statt, ließ also den Vorsteuerabzug zu. Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts, die der Bundesfinanzhof (BFH) als unbegründet zurückweist.
Die Begründung des BFH
Bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, sei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, so der BFH, um zu bestimmen, ob dieser Umsatz für Zwecke der Umsatzsteuer zwei oder mehr getrennte Leistungen oder eine einheitliche Leistung umfasse.
Zwar sei jeder Umsatz in der Regel als eigenständige und selbständige Leistung zu betrachten; ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstelle, dürfe aber im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden.
Eine einheitliche Leistung liege vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen so eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bildeten, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Das sei insbesondere der Fall, wenn ein Teil oder mehrere Teile als Hauptleistung anzusehen, während andere Teile als eine oder mehrere Nebenleistungen einzustufen seien. Vor allem sei das der Fall, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck darstelle, sondern das Mittel, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Zur Abgrenzung seien die charakteristischen Merkmale des betreffenden Umsatzes zu ermitteln. Bei der Vermietung von Immobilien, hier Wohnraum, seien hierfür zwei Fallgruppen zu unterscheiden.
Sei zum einen der Mieter berechtigt, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, könnten diese Leistungen grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden. Dies gelte insbesondere, wenn der Mieter über seinen getrennt abzurechnenden Verbrauch selbst entscheiden könne. Bei Dienstleistungen wie der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines im Miteigentum stehenden Gebäudes seien diese als von der Vermietung getrennt anzusehen, wenn sie von jedem Mieter einzeln oder von den Mietern gemeinsam organisiert werden könnten und die an den Mieter versandten Rechnungen diese Lieferung getrennt von der Miete auswiesen.
Ergebe zum anderen die Vermietung eines Gebäudes in wirtschaftlicher Hinsicht offensichtlich mit den begleitenden Leistungen objektiv eine Gesamtheit, könne demgegenüber eine einheitliche Leistung angenommen werden.
Der BFH habe daher bereits entschieden, dass die den Mietnebenkosten zugrunde liegenden Leistungen wie die Zurverfügungstellung von Wasser, Elektrizität oder Wärme, über deren Verbrauch der Mieter entscheiden könne und die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet würden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen seien.
Gemessen an diesen Grundsätzen sei das Urteil des FG, das in den Lieferungen von Mieterstrom selbständige umsatzsteuerpflichtige Leistungen gesehen hatte, nicht zu beanstanden.
Das FG habe festgestellt, dass ein gewichtiges Indiz für selbständige Leistungen darin liege, dass der Kläger die Verbrauchsmenge des Stroms mit seinen Mietern über individuelle Unterzähler abgerechnet habe. Ferner habe es zu Recht berücksichtigt, dass individuelle (Zusatz-)Vereinbarungen über die Stromlieferungen abgeschlossen worden seien, in denen auch vom Mietvertrag abweichende Kündigungsmöglichkeiten des Stromlieferungsvertrags vorgesehen gewesen wären. Weiter habe es zutreffend einbezogen, dass die Mieter bei einem Wechsel des Stromanbieters erforderliche Umbaukosten zu tragen gehabt hätten und die freie Wahl des Stromanbieters durch die Zusatzvereinbarung nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Die generelle Möglichkeit der Mieter, den Stromlieferungsvertrag mit dem Kläger zu kündigen und zu einem anderen Anbieter zu wechseln, wäre nach der beanstandungsfreien Ansicht des FG durch die in diesem Fall vom wechselnden Mieter zu tragenden Umbaukosten zwar erschwert, jedoch nicht unmöglich.
Zudem ergebe sich die vom FG aus den vertraglichen Vereinbarungen abgeleitete Freiheit des Mieters, seinen Stromlieferanten frei zu wählen, auch aus gesetzlichen Vorschriften. § 42a Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) bestimme ausdrücklich ein Kopplungsverbot von Miet- und Energieversorgungsvertrag. Danach dürfe ein Vertrag über die Belieferung von Letztverbrauchern mit Mieterstrom (Mieterstromvertrag) nicht Bestandteil eines Vertrags über die Miete von Wohnräumen sein. Bei einem Verstoß gegen dieses Verbot sei der Mieterstromvertrag nichtig. Nach § 42a Abs. 3 Satz 3 EnWG sei eine Bestimmung, durch die das Kündigungsrecht während der Dauer des Mietverhältnisses ausgeschlossen oder beschränkt werde, unwirksam. Damit solle jegliche Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Mieters ausgeschlossen werden.
Die Einwendungen des FA gegen die Ausführungen des FG führten zu keiner anderen Beurteilung. Die Finanzverwaltung sei zwar in Abschn. 4.12.1. Abs. 5 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) der Ansicht, dass als Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung in der Regel unter anderem die Lieferung von Strom durch den Vermieter anzusehen sei, daran seien allerdings weder das FG noch der BFH gebunden, da es sich insoweit lediglich um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung handele, die außerhalb der Finanzverwaltung keine Bindungswirkung entfalte.
Da der Kläger mithin steuerpflichtige Lieferungen von Mieterstrom ausgeführt habe, stehe ihm der begehrte Vorsteuerabzug zu. Der schon oben erwähnte notwendige direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Eingangsumsatz (Anschaffung der Photovoltaikanlage) und den umsatzsteuerpflichtigen Stromlieferungen an die einzelnen Mieter, sei gegeben.
Das FG habe zwar nicht ausgeführt, inwieweit die Kosten der Photovoltaikanlage Kostenelemente der besteuerten Ausgangsumsätze des Klägers gewesen seien. Da der Kläger jedoch marktübliche Stromentgelte erhoben habe, die den Kostendeckel des § 42a Abs. 4 EnWG beachteten, und dadurch unter anderem zumindest die Kosten seiner Photovoltaikanlagen decke, liege diese Voraussetzung vor.
Allgemeine Übersicht
Die Frage, ob Geschäftsführer einer GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist nicht immer ganz einfach zu beantworten. Die Folgen einer Fehleinschätzung, die etwa bei einer Betriebsprüfung oder auch auf Grund von Recherchen eines Insolvenzverwalters in der Insolvenz der GmbH aufgedeckt werden kann, sind gleichwohl gravierend. Wird die Sozialversicherungspflicht zu Unrecht angenommen, bestehen zwar hinsichtlich nicht verjährter Beträge Rückforderungsansprüche, dem Geschäftsführer fehlt jedoch der mit der Versicherungspflicht verbundene Schutz. Für anderweitige Absicherung wird er häufig nicht vorgesorgt haben. Wird dagegen die Versicherungspflicht nicht erkannt, können erhebliche Nachzahlungen fällig werden. Auch kann sich eine anderweitige Vorsorge in diesem Fall als zumindest teilweise wirtschaftlich nicht sinnvoll erweisen.
Grundlage der Beurteilung der Versicherungspflicht ist § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs IV (SGB IV), wonach (versicherungspflichtige, abhängige) Beschäftigung „die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, ist. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung in diesem Sinn sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“
Eckpunkte für die Versicherungspflicht von Geschäftsführern sind zum einen der angestellte Geschäftsführer, der nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, zum anderen der Gesellschafter-Geschäftsführer, der mindestens 50 % des Stammkapitals der Gesellschaft hält. Ersterer ist zweifelsfrei versicherungspflichtig, letzterer genau so zweifelsfrei nicht. Dazwischen liegt eine Grauzone.
Der vorliegende Fall betrifft einen Sachverhalt, bei dem zwar eine ausreichende gesellschaftsrechtliche Beteiligung gegeben war, allerdings in den Tatsacheninstanzen unaufgeklärt geblieben war, was für ein Verhältnis zwischen dem betroffenen Gesellschafter, der ursprünglich auch deren Geschäftsführer gewesen war, und der GmbH tatsächlich bestand.
Der zu entscheidende Fall
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1962 geborene Kläger war seit 1986 als Gesellschafter-Geschäftsführer der U- GmbH mit 50 % der Geschäftsanteile tätig. Den weiteren Geschäftsanteil von 50 vH hielt ein anderer Gesellschafter. Nach dem Gesellschaftsvertrag werden Beschlüsse, soweit dieser oder das Gesetz keine andere Mehrheit vorsieht, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Der Kläger war von 2006 bis Ende 2016 privat krankenversichert.
Am 03.01.2017 beschlossen die Gesellschafter die Liquidation der GmbH. Zum alleinvertretungsberechtigten Liquidator wurde der Bruder des Klägers bestellt, was jedoch erst am 27.04.2017 ins Handelsregister eingetragen wurde. Noch am 03.01.2017 schlossen die GmbH i. L. und der Kläger einen bis zum 31.12.2017 befristeten "Arbeitsvertrag" über eine Tätigkeit des Klägers als "Assistent des Liquidators", wobei er hierfür dasselbe Gehalt erhalten sollte wie zuvor als Geschäftsführer. Eine Meldung zur Sozialversicherung wurde insoweit nicht erstattet. Am 08.02.2017 wurde der Kläger 55. Tags zuvor, am 07.02.2017, beantragte er zunächst seine Aufnahme als freiwilliges Mitglied der Beklagten und stellte mit Schreiben vom 10.02.2017 klar, er begehre die Aufnahme in die Pflichtversicherung.
Am 20.03.2017 schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag mit einer Fa. E über eine Tätigkeit als Paketzusteller und am 05.05.2017 mit einer G-GmbH einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Gas-Wasser-Installateur. Für beide Tätigkeiten wurde er vom jeweiligen Arbeitgeber zur Sozialversicherung angemeldet. Insoweit stellte die beklagte gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jeweils die Versicherungsfreiheit des Klägers in der GKV fest. Hinsichtlich der Tätigkeit als Assistent des Liquidators der GmbH stellte sie fest, dass in den Zweigen der Sozialversicherung keine Versicherungspflicht bestehe.
Das Sozialgericht hat die auf Feststellung einer Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten ab 03.01.2017 gerichtete Klage abgewiesen, seine Berufung zum Landessozialgericht (LSG) blieb ohne Erfolg.
Auf seine Revision hebt das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG auf und verweist die Sache schon wegen eines Verfahrensfehlers zurück. Die Vorinstanzen hatten es versäumt, die (möglichen) Arbeitgeber des Klägers zum Verfahren beizuladen, was zwingend erforderlich gewesen wäre.
Das BSG konnte nicht selbst entscheiden, weil das LSG keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hatte, ob es sich bei dem Anstellungsvertrag als „Assistent des Liquidators“ um ein Scheingeschäft gehandelt hat. Hierfür könnte die unveränderte Höhe des Gehalts des Klägers sprechen und die Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis trotz Befristung bis zum 31.12.2017 offensichtlich bereits im März dieses Jahres geendet hat.
Die Begründung des BSG
Das BSG geht von § 7 Abs. 1 SGB IV (siehe oben) aus.
Nach seiner ständigen Rechtsprechung setze eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliege. Diese Weisungsgebundenheit könne ‑ vornehmlich bei Diensten höherer Art ‑ eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand (abhängig) beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der zumindest 50 % der Anteile am Stammkapital halte, werde nach der ständigen Senatsrechtsprechung grundsätzlich als nicht abhängig beschäftigt beurteilt, da ihm die Rechtsmacht zukomme, auf die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend Einfluss zu nehmen und damit das unternehmerische Geschick der GmbH insgesamt wie ein Unternehmensinhaber zu lenken.
Auf dieser Basis sei eine abhängige Beschäftigung des Klägers nicht allein wegen seiner hälftigen Beteiligung an der GmbH ausgeschlossen. Ein mitarbeitender GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft nicht (oder wie der Kläger nicht mehr) zum Geschäftsführer bestellt sei, sei regelmäßig abhängig beschäftigt. Allein aufgrund der gesetzlichen Gesellschafterrechte besitze er noch nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Denn das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliege ‑ sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart sei ‑ nicht der Gesellschafterversammlung, sondern sei Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung.
Allein auf Grund seiner Beteiligung sei der Kläger auch nicht in der Lage gewesen, seinem zum Liquidator bestellten Bruder durch Gesellschafterbeschlüsse Weisungen zu erteilen und gegebenenfalls Weisungen durch diesen an ihn selbst als „Assistent des Liquidators“ zu verhindern.
Allerdings sei der Kläger bis zum Liquidationsbeschluss auch Geschäftsführer gewesen und als solcher in der Liquidation der Gesellschaft deren „geborener“ Liquidator, für den, soweit hier von Interesse, dieselben Regeln gelten, wie für einen Geschäftsführer. Vorliegend sei der Kläger aber durch Beschluss der Gesellschafterversammlung ebenfalls vom 03.01.2017 als Geschäftsführer abberufen worden, sei mithin nicht Liquidator geworden. Dass dies erst am 27.04.2017 ins Handelsregister eingetragen worden sei, ändere daran nichts. Die sogenannte negative Publizität des Handelsregisters nach §15 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sei für die versicherungsrechtliche Statusbeurteilung eines abberufen Gesellschafter-Geschäftsführers nicht entscheidend.
Die Vorschrift sei bei der sozialversicherungsrechtlichen Statusabgrenzung grundsätzlich nicht anzuwenden. Sie normiere einen Einwendungsausschluss hinsichtlich (noch) nicht in das Handelsregister eingetragener Tatsachen und schützte das Vertrauen eines redlichen Dritten im Rechtsverkehr. Ein Dritter könne sich deshalb auf den Schutz dieser Bestimmung nur berufen, soweit er eine Rechtsposition geltend mache, die er aufgrund oder im Zusammenhang mit einer rechtsgeschäftlichen Betätigung im Vertrauen auf die registerliche Verlautbarung erlangt habe. Vorliegend sei der Anwendungsbereich von § 15 Abs 1 HGB schon deshalb nicht eröffnet, weil die Versicherungspflicht in der GKV kraft Gesetzes entstehe, sobald der geregelte Tatbestand verwirklicht ist. Für die Anknüpfung an ein Vertrauen in die Registerpublizität bestehe kein normativer Ansatzpunkt.
Nach allem wäre der Kläger ab dem 03.01.2017 sozialversicherungspflichtig bei der GmbH beschäftigt gewesen, wenn man seinen Vortrag zu der Beschäftigung als „Assistent des Liquidators“ zugrunde legt. Da das LSG die wahren Verhältnisse jedoch nicht festgestellt hatte, musste das BSG die Sache zurückverweisen.
Download: Die ausgesperrte Rechtsanwältin - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit
Die Zivilprozessordnung (ZPO) verlangt für viele Prozesshandlungen die Einhaltung einer näher geregelten Frist. So beträgt die Frist für die Einlegung der Berufung nach § 517 ZPO einen Monat, diejenige für die Begründung der Berufung nach § 520 ZPO zwei Monate. Im Allgemeinen führt die Fristversäumung zu einem Rechtsverlust. Versäumt der Berufungsführer die Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist, wird seine Berufung unzulässig und in der Folge das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig, im Allgemeinen kann es nicht mehr geändert werden.
Für bestimmte Fristen besteht jedoch die Möglichkeit, wegen der Fristversäumung, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand zu stellen. Dies ist möglich bei sogenannten Notfristen – das sind Fristen, die das Gesetz als solche bezeichnet, zum Beispiel die Berufungsfrist – und bei der Frist zur Begründung etwa der Berufung oder der Revision, wie sich aus § 233 ZPO ergibt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann allerdings nur Erfolg haben, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.
Der Partei schadet nicht nur ihr eigenes Verschulden, sie muss sich auch das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, denn nach § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Ganz überwiegend steht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwalt) in Rede, denn faktisch ist er es, der die Prozesshandlungen ausführt. Dementsprechend gibt es zahlreiche Entscheidungen zum Verschulden in der Person des Prozessbevollmächtigten, denn zur Fristwahrung hat er umfangreiche Vorsorge zu treffen, so ist er neben vielem anderen gehalten, einen Fristenkalender zu führen, sein Büropersonal ausreichend über die Bedeutung der Fristwahrung und der dazu erforderlichen Handhabung zu belehren, überhaupt nur geschultes und zuverlässiges Personal mit der Fristenkontrolle zu betrauen. Letzteres gilt insbesondere auch für die Berechnung des Fristlaufs. Nicht in der Rechtsanwaltskanzlei wird dies stets fehlerfrei durchgeführt.
Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt die Frist bis zuletzt ausnutzen, das heißt im Allgemeinen bis 24.00 Uhr des letzten Tags des Fristablaufs. Gleichzeitigt ist er jedoch gehalten, den sicheren Weg zu wählen. Nutzt er daher die Frist vollständig aus, muss er normale Verzögerungen bei seiner Planung einkalkulieren. Ist er an einer Maßnahme gehindert, muss er mögliche und zumutbare andere ergreifen.
Vorliegend war fraglich, ob die Prozessbevollmächtigte sich an diese Vorgaben gehalten hatte.
Der zu entscheidende Sachverhalt
Die Klägerin verlangte von den Beklagten die Rückzahlung von Darlehen. Das Landgericht (LG) Augsburg gab der Klage in vollem Umfang statt und verurteilte die Beklagten zur Darlehensrückzahlung.
Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 02.05.2023 zugestellt. Die einmonatige Berufungsfrist lief daher bis zum 02.06.2023, 24.00 Uhr. Die Rechtsanwältin legte am 05.06.2023 Berufung ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Zur Begründung führte sie aus, sie habe wegen eines unvorhergesehenen Schwindels das Büro am 02.06.2023 – dem Tag des Fristablaufs – vor Fertigstellung der Berufungsschrift verlassen müssen, um sich zuhause auszuruhen. Sie habe hierbei den Schlüssel in den Büroräumen vergessen, so dass sie das Büro nicht wieder habe betreten können, als sie – nachdem sie mehrere Stunden zuhause geschlafen habe – um 19.00 Uhr desselben Tages dorthin zurückgefahren sei, um die Berufungsschrift fertigzustellen. Sie habe sodann versucht, eine Kollegin, die sich jedoch auf einem Auswärtstermin befunden habe und deshalb nicht habe kommen und aufsperren können, telefonisch zu erreichen. Telefonnummern weiterer Kollegen oder auch der Sekretärin habe sie nicht in ihrem Handy gespeichert gehabt.
Das Oberlandesgericht (OLG) München hat als Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung im Beschlusswege als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
Die Begründung des BGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig, sie ist zwar wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 522 Abs. Satz 4 ZPO statthaft, erfüllt aber nicht die Voraussetzungen, die § 574 Abs. 2 ZPO an die Begründung der Rechtsbeschwerde stellt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) meint anders als die Beschwerdeführerin, eine Entscheidung des Revisionsgerichts sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der Beschluss des Berufungsgerichts stehe vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletze nicht die Ansprüche der Beklagten auf die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Die den Wiedereinsetzungsantrag tragenden Tatsachen seien weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Parteien in der gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht sei danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht sei auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruhe. Gegen diese Vorgaben verstoße der Beschluss des OLG nicht.
Das OLG habe ausgeführt, es fehle an einer Darlegung der Anstrengungen der Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters, also eines anderen Rechtsanwalts. Den Beschlussgründen sei zu entnehmen, dass die Beklagtenvertreterin keinen Kanzleimitarbeiter habe erreichen können, der im Stande gewesen wäre, ihr die Bürotür zu öffnen. Damit habe es den Kernbestandteil des Vorbringens der Beklagten bezüglich der Anstrengungen ihrer Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters nicht übergangen, sondern den Versuch der telefonischen Kontaktierung der einzig im Handy eingespeicherten Kollegin für nicht hinreichend erachtet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen, wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten; hierzu kann auch der Versuch der Einschaltung eines Vertreters zählen. Diese Maßstäbe beziehen sich nicht ausschließlich auf krankheitsbedingte Ausfälle eines Prozessbevollmächtigten, sondern allgemein auf Ausfälle am letzten Tag der Frist. Daher sei es, so der BGH nicht von Bedeutung, ob die Prozessbevollmächtigte, wie die Rechtsbeschwerde argumentiere, ab 19.00 Uhr des letzten Tags der Frist tatsächlich wieder arbeitsfähig gewesen sei.
Den angeführten Maßstäben sei die Beklagtenvertreterin nicht gerecht geworden. Die Rechtsbeschwerde begründe nicht, warum die Beklagtenvertreterin nicht zu der im Außentermin befindlichen Kollegin gefahren ist, um den Kanzleischlüssel abzuholen. Ebenso wenig legten die Beklagten dar, dass es ihrer Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen sei, über die bei dem Außentermin befindliche Kollegin die Telefonnummern weiterer Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erfragen. Auch sei nicht vorgetragen, dass es der Beklagtenvertreterin nicht möglich gewesen sei, auf anderem als dem telefonischen Wege weitere Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erreichen. Schließlich zeigten die Beklagten nicht auf, dass weder ein Kontakt zu einem Schlüsseldienst noch – im Falle der Aufschaltung der Alarmanlage der Kanzlei – zu einer Notrufzentrale möglich gewesen sei, um die alarmgesicherte Kanzleitür öffnen zu lassen.
Daher lasse sich ein den Beklagten zuzurechnendes Verschulden der Beklagtenvertreterin nicht ausschließen, es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die Beklagtenvertreterin alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen habe, die unter normalen Umständen zu einer Fristwahrung geführt hätten.
Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes sei nicht verletzt. Er verbiete es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Die Gerichte dürften daher bei Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen.
Hiernach sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen. Denn die Beklagtenvertreterin habe nicht dargelegt, alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen zu haben, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten, obwohl sie die Berufungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft und wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hatte, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.
Die Regelungen zum Sanierungsgewinn
Verzichten Gläubiger gegenüber ihrem Schuldner auf Forderungen, führt dies regelmäßig zu einem Buchgewinn, der der Einkommen- und gegebenenfalls auch der Gewerbesteuer zu unterwerfen ist. Forderungsverzichte werden häufig in krisenhaften Situationen des Schuldners zum Zwecke der Sanierung vereinbart. Praktisch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die in Insolvenzplänen vereinbarten Forderungserlasse.
Der Erfolg von Sanierungsbemühungen steht allerding häufig in Frage, weil die auf den Buchgewinn zu erhebenden Steuern die Finanzkraft des Schuldners erneut überfordern können.
Dem hatte der Gesetzgeber früher mit § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu begegnen gesucht. Nach dieser Vorschrift waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden (Buchgewinne), steuerfrei. Sie wurde jedoch ersatzlos mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 1998 aufgehoben.
Späterhin gab es nur noch eine Verwaltungsanweisung - den sogenannten Sanierungserlass -, wonach entsprechende Erträge weiterhin bei Einhaltung einer Reihe von Voraussetzungen, insbesondere nach vorherigem Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten, steuerfrei sein sollten (BMF-Schreiben v. 27.03.2003). Über mehr als ein Jahrzehnt hat sich diese Verwaltungsanweisung in der Praxis bewährt. Dennoch wurde sie 2016 vom Bundesfinanzhof (BFH) beanstandet, der die Steuerbefreiung allein auf Grundlage einer Verwaltungsanweisung und nicht durch Gesetz für unzulässig erachtete (Großer Senat des BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15).
Auf das dadurch entstandene Vakuum hat sodann der Gesetzgeber reagiert und für Schuldenerlasse, die nach dem 08.02.2017 erfolgen, mit einem neuen, auch heute noch geltenden § 3a EStG eine der vorherigen Verwaltungsanweisung weitgehend entsprechende gesetzliche Regelung geschaffen. Dazu bestimmt § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG, dass § 3a EStG auf Antrag des Steuerpflichtigen auch in früheren Fällen, also vor dem 09.02.2017 erfolgte Erlassen, anzuwenden ist. Ziel des Gesetzgebers war es, die weiterhin für erforderlich gehaltene Steuerbefreiung von Sanierungserträgen zu gewährleisten und – frei von einem Ermessensspielraum der Finanzverwaltung – auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.
§ 3a EStG befasst sich in erster Linie mit der unternehmensbezogenen Sanierung. Nach Absatz 2 liegt sie vor, „wenn der Steuerpflichtige für den Zeitpunkt des Schuldenerlasses die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachweist.“
Der zu entscheidende Fall
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Gewinn aus einem im Streitjahr 2014 ausgesprochenen Forderungsverzicht eines Gläubigers die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns nach § 3a EStG erfüllt.
Der Kläger war seit 2001 sowohl einziger Komplementär als auch alleiniger Treugeber der einzigen Kommanditistin einer KG, die zahlreiche Tankstellen besaß. Weil dem Kläger steuerrechtlich sämtliche Anteile und Einkünfte der KG zuzurechnen waren, wurde eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus der KG nicht vorgenommen; diese wurden vielmehr unmittelbar im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen des Klägers ermittelt und erfasst. Die KG bezog die von ihr vertriebenen Kraftstoffe größtenteils von der A-AG.
Schon 2003 hatte sich die KG in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden. Damals verzichteten die beiden Hauptgläubiger (die A-AG und eine Sparkasse) sowie eine Volksbank gegen Besserungsscheine auf Teile ihrer Forderungen gegen die KG.
2009 und 2010 gab es erneut aufgrund einer krisenhaften Entwicklung bei der KG Gespräche zwischen der KG und einer F-GmbH. Beabsichtigt war, dass sich die F-GmbH im Wege einer Kapitalerhöhung um 1 Mio. € mit anfänglich 49% und einer Option auf den Erwerb weiterer 49% an der KG beteiligen sollte. In diesem Zusammenhang wollte die A-AG gegen Rückzahlung eines Teilbetrags von 1 Mio. € auf den Besserungsschein verzichten. Diese Überlegungen wurden indessen nicht umgesetzt.
Im Februar 2012 verkaufte die KG 16 der zu diesem Zeitpunkt noch 19 ihr gehören-den Tankstellen an die F-GmbH; bei den übrigen drei Tankstellen handelte es sich um reine Automatenbetriebe ohne Verkaufspersonal.
Die Verkaufserlöse führten zum Eintritt der auflösenden Bedingungen der 2003 vereinbarten Besserungsscheine und mussten daher im Wesentlichen zur Schuldentilgung verwendet werden. Im Mai 2012 verzichtete die Sparkasse endgültig auf eine Restforderung von 150.000 €. Im Dezember 2012 betrieb die A-AG wegen ihrer Forderungen (seinerzeit 4.440.000 €) fruchtlos die Zwangsvollstreckung gegen die KG.
Am 25.03.2014 schloss die KG mit der A-AG einen Abfindungsvergleich. Danach hatte die KG einen Abgeltungsbetrag von 50.000 € zu zahlen. Im Gegenzug stellte die A-AG ihre Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ein, verzichtete auf alle Sicher-heiten für ihre Ansprüche und verpflichtete sich, die KG und den Kläger von allen eventuellen Ansprüchen des Warenkreditversicherers freizustellen. Mit der Erfüllung des Vergleichs sollten alle wechselseitigen Ansprüche zwischen den Beteiligten (einschließlich des Klägers persönlich) erledigt sein. Aus dem Forderungsverzicht der A-AG resultierte bei der KG im Jahr 2014 ein Buchgewinn von 3.693.000 €.
Die A-AG teilte dem Finanzamt (FA) mit, die A-Gruppe sei eine Gemeinschaft, deren Mitglieder in den Grenzen des Zumutbaren zur gegenseitigen Solidarität verpflichtet seien. Die Zustimmung zum Abfindungsvergleich sei einerseits erfolgt, um einen Teil der Forderungen zu sichern, andererseits, um die bestehende Geschäftsbeziehung – soweit es möglich sei – zu retten. Der im Jahr 2014 geschlossene Abfindungsvergleich habe sich nicht mehr auf das im Jahr 2010 diskutierte, aber letztlich nicht durchführbare Sanierungskonzept bezogen. Ein weitergehendes Sanierungskonzept sei nicht aufgestellt worden. Die A-AG als größte Gläubigerin habe unter Beachtung der Solidarität das Ziel gehabt, ihre Forderungen zu reduzieren. Ihr Warenkreditversicherer habe auf Risikobegrenzung gedrängt und Ende 2012 eine Vertragsverlängerung abgelehnt, so dass der Versicherungsschutz für das Forderungsengagement gefährdet gewesen wäre. Die A-AG habe deshalb den Forderungsstand reduzieren müssen. Vor diesem Hintergrund sei im Dezember 2012 die Zwangsvollstreckung eingeleitet worden. Damit sei der Versicherungsfall beim Warenkreditversicherer eingetreten.
2020 meldete die KG ihr Gewerbe ab.
Das FA behandelte den Buchgewinn aus dem Forderungsverzicht im Einkommen-steuer- und Gewerbesteuermessbescheid 2014 als steuerpflichtig. Der Kläger be-gehrte hingegen die Anwendung des § 3a EStG und des § 7b des Gewerbesteuer-gesetzes und beantragte die rückwirkende Anwendung dieser Regelungen gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG. Dem folgte das FA nicht.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies der BFH als – jedenfalls – unbegründet zurück.
Die Begründung des BFH
Über große Strecken befasst sich die Entscheidung mit den formalen Erfordernissen einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen wird.
In der Sache ging es um die Frage, ob die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns im Sinne des § 3a EStG vorlagen. Die Vorschrift war aufgrund des Antrags des Klägers nach § 52 Abs. 4 Satz 3 EStG grundsätzlich anwendbar, obwohl ein Buchgewinn aus dem Jahr 2014 in Rede stand.
Der BFH führt aus, dass die Merkmale des Sanierungsgewinns im Sinne des § 3a EStG nach der Vorstellung des Gesetzgebers vollständig denjenigen des Sanierungserlasses vom 27.3.2003 enthaltenen Voraussetzungen eines hiernach begünstigten Sanierungsgewinns entsprechen sollten. Jene Voraussetzungen leiteten sich wiederum aus den vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätzen zur Auslegung der im Jahr 1997 aufgehobenen Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a. F. ab. Aus diesem Grund entspreche es allgemeiner Ansicht, dass für die Auslegung von § 3a EStG auf die zu § 3 Nr. 66 EStG ergangenen Rechtsprechungsleitlinien zurückzugreifen sei.
Der Kläger hatte weiterhin als vom Revisionsgericht klärungsbedürftig die Rechtsfragen gehalten, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen die Existenz eines schriftlichen Sanierungskonzepts zum Zeitpunkt des Schuldenerlasses sowie den Abschluss des Sanierungsprozesses innerhalb einer bestimmten maximalen Zeitdauer voraussetze, ob Änderungen eines Sanierungsprogramms nur zwischen den jeweiligen Teilnehmern des Sanierungsprozesses abgestimmt werden müssten und ob solche Abstimmungen mündlich geschehen könnten.
Auch insoweit fehle es aber, so der BFH, an einer Auseinandersetzung mit den hierzu in Rechtsprechung – auch der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 3a EStG – und Literatur vertretenen Auffassungen. § 3a Abs. 2 EStG sei zwar im Vergleich zu dem – auf der höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhenden – früheren Sanierungserlass der Finanzverwaltung insoweit etwas anders formuliert, als die Norm verlange, dass der Steuerpflichtige die materiell-rechtlichen Voraussetzungen „nachweist“, ohne noch das Sanierungskonzept zu erwähnen. Gleichwohl wäre auch eine Auseinandersetzung mit der vor Einfügung des § 3a EStG zum Nachweis der Erlassvoraussetzungen, namentlich der Sanierungseignung, ergangenen umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich gewesen einschließlich der Frage, ob diese auf das – gleichlautende – nunmehrige gesetzliche Tatbestandsmerkmal übertragen werden könne. Letztlich greife der Kläger in diesem Teil der Beschwerdebegründung im Wesentlichen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung und Würdigung des FG einzelfallbezogen an, lege aber keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar.
Lediglich ergänzend weist der BFH darauf hin, dass ein schriftliches Sanierungskonzept schon deshalb keine notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 3a EStG sein könne, weil diese Norm eine solche feste Beweisregel nicht kenne. Auch das erstinstanzliche Urteil lasse sich nicht dahingehend verstehen, dass es die Steuerfreiheit vom Vorliegen eines schriftlichen Sanierungskonzepts abhängig machen wolle. Vielmehr habe das Finanzgericht im Rahmen seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung zum gesetzlichen Tatbestandsmerkmal der Sanierungseignung in einem ersten Schritt geprüft, ob dem im Jahr 2014 ausgesprochenen Forderungsverzicht der A-AG ein – nicht notwendig schriftliches, aber nachvollziehbares und prüfbares – Sanierungskonzept zugrunde gelegen habe. Dabei wäre die Existenz eines solchen Konzepts zugunsten des Klägers als wesentliches Indiz für das Vorliegen einer Sanierungseignung zu werten gewesen. Nachdem das Finanzgericht sich indessen nicht von der Existenz eines Sanierungskonzepts habe überzeugen können – was für sich alleine noch nicht zur Verneinung der Sanierungseignung ausreiche –, habe es im Anschluss in einem zweiten Schritt geprüft, ob eventuell rückblickend aus einer erfolgreichen Sanierung darauf geschlossen werden könne, dass die Sanierungseignung bereits zum Zeitpunkt des Forderungsverzichts gegeben gewesen sei. Auch ein solcher tatsächlicher Sanierungserfolg wäre zugunsten des Klägers als wesentliches Indiz für das Vorliegen einer Sanierungseignung zu werten gewesen; umgekehrt sei das rückblickend festgestellte Fehlen eines Sanierungserfolgs aber kein zwingendes Indiz gegen die Annahme, dass im Zeitpunkt des Forderungsverzichts eine Sanierungseignung gegeben gewesen sei. Da aus beiden vom Finanzgericht herangezogenen Hauptindizien keine Sanierungseignung abzuleiten war und auch keine sonstigen Indizien für eine Sanierungseignung erkennbar waren, habe es zu Recht – entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung der Feststellungslast an den Steuerpflichtigen durch § 3a Abs. 2 EStG, die aber auch aus den allgemeinen Regeln über die Feststellungslast folgen würde – die Sanierungseignung als nicht nachgewiesen angesehen.
Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, zum Beispiel ein Grundstückskaufvertrag, bedarf nach § 311b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) der notariellen Beurkundung. Ein ohne die Beachtung dieser Form geschlossener Grundstückskaufvertrag ist gemäß § 125 BGB nichtig, er kann nicht Grundlage der Auflassung und der Eintragung des Käufers als Eigentümer im Grundbuch sein.
Auch eine Falschbeurkundung, die die Parteien des Kaufvertrags durch Schwarzgeldabreden zum Zweck der Steuerhinterziehung und einer Notargebührenreduzierung bewirken, kann im Einzelfall zur Nichtigkeit des Gesamtkaufvertrags führen. Einen solchen Fall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bei seinem Urteil vom 15.03.2024 – V ZR 115/22 zu entscheiden. Eine Besprechung dieses Urteils finden Sie auch auf unserer Website. Nicht immer ist Hintergrund einer unzureichenden Beurkundung jedoch kriminelle Absicht.
Auch eine nicht beurkundete Vorauszahlungsabrede, die vielerlei Gründe haben kann, kann zur Formunwirksamkeit des Kaufvertrags führen. Zu einem solchen Fall erging das vorliegende Urteil.
Der zu entscheidende Sachverhalt
Der verstorbene Vater der Beklagten (im Folgenden: Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. des Notars 975) vom 23.03.2017 einen hälftigen Miteigentumsanteil an seinem Grundstück an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war, zu einem Kaufpreis von 40.000 €.
Der Kläger persönlich, nicht die GmbH, zahlte am 06.04.2017 an den Erblasser 70.000 € per Überweisung unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie am 15.05.2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „RESTZAHLUNG 975/23.3.2017“, insgesamt mithin 80.000 €. Der Kaufvertrag wurde vollzogen.
Am 08.11.2018 schlossen der Erblasser und der Kläger – nicht die GmbH – einen notariellen Kaufvertrag über die zweite Miteigentumshälfte des Erblassers an dem Grundstück zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Die Übereignung (Auflassung) der zweiten Miteigentumshälfte ist nicht erfolgt.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten als Erbin des Erblassers die Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils an sich. Das Landgericht Bielefeld hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sie auf die Berufung der Klägerin abgewiesen. Vor der mündlichen Verhandlung hatte es in der hierzu ergangenen Ladungsverfügung den Kläger darauf hingewiesen, dass es von der landgerichtlichen Entscheidung abzuweichen gedenke. Der Kläger hatte daraufhin mit entsprechendem Vortrag ein „Immobilien-Übergabeprotokoll“ vom 15.05.2017 eingereicht, aus dem sich nach seiner Ansicht die Vorauszahlung auf die noch nicht bestehende zweite Kaufpreisschuld ergeben sollte. Diesen Vortrag wies das OLG als verspätet zurück, legte ihn also seiner Entscheidung nicht zugrunde.
Der BGH hat nunmehr das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen.
Die Begründung des BGH
Die Zurückverweisung wurde notwendig, weil das OLG Hamm keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe. Der BGH folgt dem OLG Hamm darin, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 125 Satz 1 BGB nichtig sein könnte, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung sei beurkundungsbedürftig, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung habe. Im Zeitpunkt der Vorauszahlung bestehe die Kaufpreisforderung gerade noch nicht, sodass die Zahlung nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Sie wäre daher im Ausgangspunkt beurkundungspflichtig.
Damit stehe aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 08.11.2018, aus dem sich der Übereignungsanspruch ergibt, gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig sei. Diese Vorschrift enthält eine Auslegungsregel, wonach ein nichtiger Teil eines Rechtsgeschäfts zur Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts führt, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Es handelt sich um eine widerlegliche gesetzliche Vermutung. Diese Vermutung könne gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung sei die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis beweisen könne, mithin die Zahlung auf die erst späterhin begründete Kaufpreisforderung. Nicht erforderlich sei dagegen, dass die Parteien eine ausdrückliche Vorauszahlungsabrede getroffen hätten.
Weise nämlich der Käufer seine Zahlung auf die zukünftige Kaufpreisforderung nach, sei die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das könne insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt habe. Ansonsten sei entscheidend, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen könne, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Eines Hinweises im beurkundeten Kaufvertrag bedürfe es dafür nicht.
Vorliegend ergebe sich ein Beleg der Kaufpreiszahlung nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen. Hier fehle es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise vom 06.04.2017 mit dem Verwendungszweck „…975/23.03.2017“ und vom 15.05.2017 mit dem Verwendungszweck „RESTZAHLUNG 975/23.03.2017“ bezögen sich ausdrücklich auf den ersten Kaufvertrag vom 23.03.2017, nicht auf den Erwerb des zweiten Miteigentumsanteils.
Wie erwähnt, hatte das OLG das vom Kläger nach dem Hinweis in der Berufungsinstanz eingereichte „Immobilien-Übergabeprotokoll“ nicht gewürdigt, weil es dies als verspätet zurückgewiesen hatte. Hierin liege, so der BGH, ein Verfahrensfehler. Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 der Zivilproessordnung (ZPO) zu erhalten, wenn dieses – wie hier – in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen wolle und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich halte. Der auf einen solchen Hinweis gehaltene Vortrag sei dann gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch zu berücksichtigen. Anderenfalls liefe die Hinweispflicht des Berufungsgerichts leer.
Das „Immobilien-Übergabeprotokoll“ könne aus Sicht des Klägers den erforderlichen Nachweis über die Zahlung auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehende Kaufpreisforderung aus dem Kaufvertrag vom 08.11.2018 darstellen. Darin hatten die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 € einen „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“. Die Echtheit der Urkunde sei mangels gegenteiliger Feststellungen im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen.
Darüber hinaus sei die Vorauszahlungsabrede mangels Beurkundung ohnehin unwirksam. Infolgedessen könne der Kläger die geleistete Vorauszahlung mangels Rechtsgrundes wegen ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB von dem Verkäufer zurückfordern und mit dem Bereicherungsanspruch gegenüber der offenen Kaufpreisforderung die Aufrechnung erklären. Dies habe der Kläger nach den Ausführungen der Revision in der Berufungsinstanz hilfsweise getan.
Im zweiten Rechtszug wird das OLG Hamm diese Aspekte zu berücksichtigen haben.
Download: Schwarzgeldabreden beim Grundstückskauf - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten der zivil- und arbeitsrechtlichen Folgen von Schwarzgeldabreden. Eingebunden ist es in den Streit zwischen Käufer und Verkäufer über die Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags.
Der zu entscheidende Fall
Der Beklagte verkaufte der Klägerin mit notariellem Vertrag eine Wohnungs- und Teileigentumseinheit; im Vertrag erklärten die Parteien zugleich die Auflassung. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 120.000 € beurkundet. Tatsächlich vereinbart war ein Preis von 150.000 €. Den Differenzbetrag von 30.000 € hatte die Klägerin bereits vor dem Beurkundungstermin in bar gezahlt. Nach Zahlung des restlichen Kaufpreises wurde die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Nachdem der Beklagte eine Selbstanzeige im Hinblick auf seine Mitwirkung bei der Verkürzung der Grunderwerbsteuer erstattet und das Finanzamt die Grunderwerbsteuer für den gesamten Kaufpreis festgesetzt hatte, führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags und dessen Rückabwicklung. Im Zug dessen beantragte und bewilligte die Klägerin auf Drängen des Beklagten zugunsten des Beklagten die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch. Der Beklagte überwies daraufhin 120.000 € auf das Treuhandkonto eines Notars, der den Betrag an die Klägerin auszahlte, obwohl der Beklagte noch nicht wieder als Eigentümer eingetragen worden war.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das Landgericht Braunschweig hat den Kaufvertrag als nichtig angesehen und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht Braunschweig den Beklagten verurteilt, der Löschung des Widerspruchs zuzustimmen. Die vom BGH selbst zugelassene Revision ist erfolglos geblieben, weil die Klägerin Eigentümerin Wohnungs- und Teileigentumseinheit geworden ist. Folge davon ist, dass der Widerspruch gegen ihre Eintragung im Grundbuch unberechtigt ist und sie in analoger Anwendung des § 894 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs verlangen kann. Dass sie dessen Eintragung auf Veranlassung des Beklagten zugestimmt hatte, bleibt für die Frage der Berechtigung des Widerspruchs unerheblich.
Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Formunwirksamkeit
Der BGH prüft zunächst, ob der Kaufvertrag formunwirksam war und die Unwirksamkeit das dingliche Geschäft der Übereignung erfasste. Schon die erste Frage verneint der BGH.
Der Kaufvertrag sei nicht formunwirksam. Zwar war der beurkundete Vertrag mit dem zu niedrigen Kaufpreis als Scheingeschäft nichtig gemäß § 117 BGB und der gewollte Vertrag über 150.000 € zunächst formnichtig, weil er insoweit nicht, wie erforderlich nach § 311b BGB notariell beurkundet worden war. Nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB wurde der Formmangel jedoch durch die Auflassung und Eintragung im Grundbuch geheilt, der Kaufvertrag wurde damit formwirksam.
Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot
Sollte der Kaufvertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, griffe der Heilungstatbestand des § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein, weil dieser nur die Formnichtigkeit erfasst.
Gemäß § 134 BGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
Die Schwarzgeldabrede, so führt der BGH aus, habe aber nicht wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Kaufvertrags geführt.
Die Unterverbriefung hätte den Zweck gehabt, den Finanzbehörden einen geringeren Kaufpreis vorzuspiegeln, um hierdurch Steuern zu hinterziehen. Dass der nicht beurkundete Kaufpreisanteil in bar gezahlt wurde, habe für sich genommen keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Bei einer solchen Motivation der Parteien sei der Kaufvertrag in der Regel nicht nichtig.
Anders liege es nach ständiger, von den anderen Senaten des BGH geteilter Rechtsprechung des erkennenden Senats nur, wenn die Steuerhinterziehungsabsicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Kaufvertrags sei, was jedoch regelmäßig nicht der Fall sei, wenn der Leistungsaustausch – Übertragung des Grundstücks und Zahlung des Kaufpreises – ernstlich gewollt sei.
Der BGH konstatiert allerdings, dass die Vereinbarung der Falschangabe des Kaufpreises zum Zweck einer nachfolgenden Steuerhinterziehung rechtlich etwas Anstößiges habe. Dies lasse den Vertrag selbst aber nur dann als rechtlich anstößig erscheinen, wenn die verbotene Steuerhinterziehung den von den Parteien beabsichtigten Hauptzweck des Vertrags bilde. Nur dann widerspreche das gesamte Rechtsgeschäft den der Rechtsordnung selbst innewohnenden rechtsethischen Werten und Prinzipien und sei folglich wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Sei der Leistungsaustausch dagegen ernstlich gewollt und die Steuerhinterziehung nur Nebenzweck, bestehe nach der Zielrichtung des § 370 AO über die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung und die Beitreibung der hinterzogenen Steuern hinaus kein Grund, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.
Vorliegend sei der Hauptzweck des Kaufvertrags nicht in der Hinterziehung von Steuern begründet gewesen, vielmehr der Leistungsaustausch von den Parteien durch die Begründung rechtsverbindlicher Verpflichtungen ernstlich gewollt und sodann auch vollzogen worden. Die „Ersparnis“ an Grunderwerbsteuer in Höhe von rund 1.500 € trete deutlich hinter das Erwerbsinteresse zurück.
Der Kaufvertrag sei auch nicht deswegen nichtig, weil die Schwarzgeldabrede für sich genommen nichtig gewesen sei und diese sich nach § 139 BGB auf den gesamten Kaufvertrag erstreckte.
Nach § 139 BGB führt die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäftes zur Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts, sofern nicht anzunehmen ist, dass die Parteien das Rechtsgeschäft in seinem wirksamen Teil auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen hätten. Zweck der Regelung sei es zu verhindern, so der BGH, dass den Parteien anstelle eines als Ganzes gewollten Rechtsgeschäfts ein Teil ihres Geschäfts aufgedrängt wird.
Hier habe die Schwarzgeldabrede der Vorbereitung einer Straftat nach § 370 AO gedient. Selbst wenn sie deswegen für sich genommen nach §§ 134, 138 BGB nichtig gewesen sein sollte, führe dies nicht nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags, weil davon auszugehen sei, dass die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede abgeschlossen hätten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede, also bei Beurkundung des gesamten Kaufpreises, zu den gleichen Konditionen abgeschlossen.
Der BGH konnte daher unentschieden lassen, ob im vorliegenden Fall eine Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Kaufvertrags auch das dingliche Geschäft der Übereignung erfasst hätte.
Unwirksamkeit des Kaufvertrags aufgrund von § 16a GwG
Der BGH brauchte ferner nicht zu entscheiden, ob der mit Wirkung zum 28.12.2022 in das Gesetz eingefügte § 16a des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) die Nichtigkeit des Kaufvertrags bedingt hätte, wenn dieser nach dem 31.03.2023 abgeschlossen worden wäre. Diese Vorschrift lautet:
„Bei Rechtsgeschäften, die auf den Kauf oder Tausch von inländischen Immobilien gerichtet sind, kann eine geschuldete Gegenleistung nur mittels anderer Mittel als Bargeld, Kryptowerten, Gold, Platin oder Edelsteinen bewirkt werden. Dasselbe gilt für den Erwerb von Anteilen an Gesellschaften, zu deren Vermögen unmittelbar oder mittelbar eine inländische Immobilie gehört. Übergibt der Schuldner Bargeld, Gold, Platin oder Edelsteine oder überträgt er Kryptowerte als Gegenleistung, kann er diese nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herausverlangen; die §§ BGB § 815 und BGB § 817 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind nicht anzuwenden.“
Da diese neue Norm nach § 59 Abs. 11 GwG nur auf Verträge Anwendung findet, die nach dem 31.03.2023 abgeschlossen wurden, konnte er sich auf den vorliegenden, weit früher geschlossenen Vertrag nicht auswirken.
Folgen der Schwarzgeldabrede für die Wirksamkeit des Vertrags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum SchwarzArbG
Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist ein unter den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) fallender Vertrag ohne Weiteres in seiner Gesamtheit nichtig, wenn darin Regelungen enthalten sind, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. In subjektiver Hinsicht reicht es dafür aus, dass der Unternehmer vorsätzlich gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt. Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit des Vertrags tritt dabei unabhängig vom verfolgten Hauptzweck des Vertrags ein.
Der V. Zivilsenat des BGH sieht sich aufgrund dieser Rechtsprechung des VII. Senats nicht veranlasst, von seiner bisherigen, zuvor dargestellten Rechtsprechung zu Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufverträgen abzuweichen.
Die Erwägungen, die im Fall eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Dienst- oder Werkvertrags führen, seien auf Schwarzgeldabreden im Rahmen von Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar. Das Verbotsgesetz, gegen das durch eine solche Abrede verstoßen werde, § 370 AO, habe eine andere Zielrichtung.
§ 1 SchwarzArbG verbiete unmittelbar den Abschluss von Verträgen, die auf die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gerichtet seien, weil das Ziel die Bekämpfung von Schwarzarbeit sei. Zur Erreichung dieses Zwecks wolle das Gesetz nicht nur den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit eindämmen, sondern im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung und des redlichen Wettbewerbs den zugrunde liegenden Rechtsgeschäften ihre rechtliche Wirkung nehmen. Nur so könne der Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern schlechthin unterbunden werden.
Eine entsprechende Zielsetzung existiere für Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufvertragen nicht. Eine solche Abrede könne zwar gegen § 370 AO verstoßen. Nach dieser Vorschrift mache sich strafbar, wer Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben mache und dadurch Steuern verkürze. Der Schutzzweck dieser Norm liege aber nicht zumindest auch im Schutz des redlichen Wettbewerbs, etwa dem Schutz anderer Kaufinteressenten, sondern allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens. Dieser Zweck erfordere es nicht, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.
Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung der 120.000 €
Ob dem Beklagten, der über das Treuhandkonto des Notars den beurkundeten und ursprünglich von der Klägerin entrichteten Kaufpreis in Höhe von 120.000 € an diese zurückgezahlt hatte, wiederum ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin in selbiger Höhe zusteht, war nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Der Sonderinsolvenzverwalter
Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters (Sonderverwalter) ist immer dann geboten, wenn der Insolvenzverwalter tatsächlich oder rechtlich verhindert ist, sein Amt auszuüben. Die Verhinderungsgründe treten im Allgemeinen erst nach der Bestellung des Insolvenzverwalters auf. Durch die Bestellung des Sonderinsolvenzverwalters wird die Verwaltungstätigkeit des Insolvenzverwalters nicht eingeschränkt Sie bedeutet nicht seine Teilentlassung, daher ist zur gebotenen Abgrenzung der Aufgabenbereiche im Beschluss, mit dem das Insolvenzgericht den Sonderinsolvenzverwalters bestellt, zum Schutz der Verfahrensbeteiligten und aus Gründen der Rechtsklarheit der Aufgabenbereich des Sonderverwalters genau zu bezeichnen.
Eine tatsächliche Verhinderung liegt zum Beispiel in zeitweisen Erkrankungen. Eine rechtliche Hinderung ist etwa gegeben, wenn der Insolvenzverwalter eine von ihm zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung gleichzeitig selbst prüfen müsste. Allgemeiner gesprochen ist er rechtlich verhindert, wenn Interessenkollisionen in seiner Person, eventuell auch beschränkt auf einen Teilbereich, vorliegen. Das ist vor allem der Fall, wenn Schadensersatzansprüche für die Insolvenzmasse gegen den ihn in Betracht kommen, die auf einer Pflichtverletzung beruhen, die nicht so gravierend ist, dass sie seine Entlassung aus dem Verwalteramt nach sich zieht. Anderenfalls ist der neu zu bestellende Insolvenzverwalter zur Verfolgung der Schadensersatzansprüche aufgerufen.
Vorliegend geht es um einen etwas skurrilen Fall, in dem zunächst ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wurde, der Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter prüfen und gegebenenfalls durchsetzen sollte und dem – das stand im Besprechungsfall zur Entscheidung an – im Anschluss hieran der Insolvenzverwalter seinerseits vorwarf, bei seiner Inanspruchnahme Pflichtverletzungen zulasten der Masse begangen zu haben. Der Fall ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass er noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) unter Geltung der in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 in Kraft befindlichen Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) begonnen hat und nach deren Regeln fortgeführt werden muss. Die hier interessierenden Fragen gelten aber gleichermaßen für das Insolvenzverfahren.
Der zu entscheidende Fall
Der besseren Übersicht halber wird der Sachverhalt weitestgehend in Tabellenform dargestellt.
01.11.1994
Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Der Kläger (des vorliegenden Rechtsstreits) wird Gesamtvollstreckungsverwalter.
03.11.1994
Der Kläger schließt einen Sozialplan für 398 Arbeitnehmer mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Mio. DM.
25.11.1999
Der Kläger zahlt auf den Sozialplan rund 1,4 Mio. DM (rund 758.000 €).
14.03.2006
Der Kläger weist auf einer Gläubigerversammlung, nachdem die Verwertung von Immobilien der Schuldnerin erfolglos geblieben war, darauf hin, dass die Sozialplangläubiger überzahlt seien. Von einer Rückforderung sehe er jedoch mangels hinreichender Erfolgsaussichten ab.
07.01.2011
Der Beklagte (des vorliegenden Rechtsstreits) wird zum Sonderverwalter bestellt mit folgendem Aufgabenkreis: Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter wegen der erfolgten Verteilung an die Sozialplangläubiger.
01.02.2011
Der Beklagte teilt dem Kläger seine vorläufige Rechtsauffassung mit, wonach sich der Kläger wegen Überschreitung der sogenannten Drittelgrenze des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO schadensersatzpflichtig gemacht habe, und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.02.2011.
[Die Vorschrift lautete: „Die Erfüllung (der Gesamtvollstreckungsforderungen) hat nach folgender Rangordnung und innerhalb eines Ranges im gleichen Verhältnis zu erfolgen:
1. mit gleichem Rang
a) Lohn- oder Gehaltsforderungen für die Zeit bis zu zwölf Monaten vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung,
b) die Forderungen der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit wegen der Rückstände für die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung auf Beiträge einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen,
c) Forderungen aus einem vom Verwalter vereinbarten Sozialplan, soweit die Summe der Sozialplanforderungen nicht größer ist als der Gesamtbetrag von drei Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und ein Drittel des zu verteilenden Erlöses nicht übersteigt; entsprechendes gilt für außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen, …“]
25.02.2011
Der Kläger lehnt seine Haftung ab
12.12.2014
Der Beklagte erwirkt einen Mahnbescheid über 758.000 €.
22.06.2015
Nach Widerspruch des Klägers reicht der Beklagte eine Anspruchsbegründung beim zuständigen Landgericht (LG) Baden-Baden ein und begehrt darin zusätzlich Zinsen ab 01.12.1999.
12.05.2017
Das LG Baden-Baden spricht die Hauptforderung nebst Zinsen ab 13.12.2014 zu. Für den Zeitraum vorher fehle es an einer bezifferten Zahlungsaufforderung oder an einer Mitteilung, die als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung anzusehen sei, sodass Verzugszinsen nicht zugesprochen werden könnten.
06.06.2018
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe weist Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten mit der dieser Zinsen ab 14.03.2006 (43.000 €) begehrt, zurück.
19.03.2020
Der Kläger nimmt nunmehr als Gesamtvollstreckungsverwalter den Beklagten wegen Pflichtverletzungen im Vorprozess in seinem Amt als Sonderverwalter auf Zahlung von 43.000 € in Anspruch. Er macht geltend, der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, ihn, den Kläger, in Verzug zu setzen, und verlangt vom Beklagten, die der Gesamtvollstreckungsmasse entgangenen Verzugszinsen für den Zeitraum vom 01.02.2011 bis zum 12.12.2014, insgesamt 142.000 €, zu ersetzen. Hinsichtlich weiterer 99.000 € hat er sich eine Klageerweiterung vorbehalten.
Das LG Leipzig gibt der Klage in Höhe von 41.000 € statt. Auf die Berufung des Beklagten weist das OLG Dresden im Berufungsverfahren die Klage ab; die Anschlussberufung des Klägers, mit der dieser weitere 99.000 € begehrt, weist es zurück.
Mit seiner vom Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter. Der BGH weist die Revision zurück. Allerdings hält er die Klage bereits für unzulässig, wohingegen das OLG sie für zulässig gehalten, aber als unbegründet angesehen hatte, weil die Schadenersatzforderung der Gesamtvollstreckungsmasse gegen den Beklagten zwar berechtigt gewesen, im Zeitpunkt der Klageeinreichung durch den Kläger aber bereits verjährt gewesen sei.
Die Begründung des BGH
Dem Kläger fehle die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche. Der Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren sei in dem Bereich, für den ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Verwalters an einer Amtsführung bestellt ist, nicht befugt, Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter wegen Pflichtverletzungen aus dessen Amtsführung zu verfolgen. Ansprüche, die sich gegen einen Sonderverwalter richteten, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt worden sei, könnten nur von einem nach Entlassung des bisherigen Gesamtvollstreckungsverwalters neu bestellten Verwalter oder einem weiteren Sonderverwalter geltend gemacht werden. (Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen.)
Werde in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Gesamtvollstreckungsverwalters aufgrund einer Interessenkollision bestellt, habe der Gesamtvollstreckungsverwalter in dem Bereich, für welchen der Sonderverwalter bestellt sei, keinerlei Kompetenzen.
Grundsätzlich gehe mit Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gemäß § 8 Abs. 2 GesO (heute § 80 InsO) die Befugnis, das zur Masse gehörige Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, umfassend auf den Verwalter über.
Zu den Aufgaben eines Verwalters gehöre es auch, Ansprüche der Gesamtvollstreckungsgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Masse gehörenden Vermögens erlitten hätten, geltend zu machen. Dies sei in der GesO zwar – anders als heute in § 92 InsO – nicht ausdrücklich geregelt, gelte aber auch dort.
Richteten sich solche Ansprüche gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter selbst, sei dieser jedoch aufgrund der bestehenden Interessenkollision rechtlich gehindert, sein Amt auszuüben. Die Haftung eines Verwalters wegen Pflichtverstößen könne nur von einem neuen Verwalter oder von einem Sonderverwalter geltend gemacht werden.
Der Sonderverwalter werde in einem Bereich tätig, der aufgrund der Verhinderung des Verwalters nicht zu dessen Aufgaben gehört. Dieser sei insoweit nicht „Verwalter“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der GesO. Auch von einer Prozessführung als Partei kraft Amtes, als die er sonst für die Masse zu handeln habe, sei er ausgeschlossen.
Dieser Ausschluss der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Gesamtvollstreckungsverwalters erstrecke sich auch auf die Frage, ob der Sonderverwalter im Rahmen seiner Amtsführung Pflichtverletzungen begangen habe. Es sei gerade das Ziel der Bestellung eines Sonderverwalters, die Aufgabenbereiche voneinander abzugrenzen und mögliche Interessenkonflikte des Verwalters zu vermeiden. Mit diesem Ziel wäre nicht zu vereinbaren, wenn es dem Verwalter gestattet wäre, die gegen ihn gerichtete Amtsführung des Sonderverwalters einer Überprüfung zu unterziehen.
Der rechtskräftige Abschluss des Schadensersatzprozesses gegen den Verwalter vor dem LG Baden-Baden lasse den Interessenkonflikt, dessentwegen der Sonderverwalter eingesetzt wurde, ebenso wenig entfallen wie die erfolgte Begleichung der ausgeurteilten Schadensersatzforderung.
Ein Interessenwiderstreit ergebe sich daraus, dass bei einer Inanspruchnahme des Sonderverwalters das Verhalten des Gesamtvollstreckungsverwalters, das ursprünglich zur Bestellung des Sonderverwalters geführt habe, erneut und ohne Bindungswirkung durch ein im Schadensersatzprozess gegen den Verwalter ergangenes Urteil zu beurteilen sei. Die Interessenkollision, die das Erfordernis zur Befassung eines Sonderverwalters begründet habe, wirke deshalb fort. Schon deshalb führe der Verwalter einen Prozess gegen den Sonderverwalter nicht unbefangen.
Das ergebe sich schon daraus, dass die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht für die jetzt handelnden Personen gelte. Damals habe der jetzige Beklagte als Sonderverwalter als Partei kraft Amtes gehandelt, nunmehr sei er persönlich Partei, umgekehrt handele der Kläger jetzt als Partei kraft Amtes und sei zuvor persönlich in Anspruch genommen worden. Es fehle folglich an der notwendigen Identität der Parteien. Inzident hätte also auch der Bestand der ursprünglichen Schadensersatzforderung gegen den Kläger jetzt erneut geprüft werden müssen.
Im Streitfall werde der fortbestehende Interessenkonflikt auch darin offenbar, dass der Kläger zur Begründung des Schadensersatzverlangens gegen den Beklagten geltend machen müsse, er selbst sei vom Beklagten im Ursprungsprozess nicht im gebotenen Umfang in Haftung genommen worden. Eine solche Behauptung sei dem Kläger ohne eigenen Nachteil nur möglich und zumutbar, wenn gegen ihn in Betracht kommende Ansprüche entweder rechtskräftig abgewiesen oder zweifelsfrei verjährt seien. Selbst wenn eine weitergehende Inanspruchnahme im konkreten Einzelfall sicher ausschiede, hätte er gegenüber den Gläubigern der Gesamtvollstreckungsschuldnerin potentiell rechtfertigen müssen, warum er von ihm selbst als berechtigt erkannte Ansprüche nicht erfüllt habe, sondern versucht habe, diese auf den Sonderverwalter weiter zu wälzen.
Das Erfordernis, einen weiteren Sonderverwalter (oder einen neuen Verwalter) zu bestellen, stelle sicher, dass das Bestehen etwaiger Ansprüche gegen den Sonderverwalter ohne Einfluss des Interessenkonflikts geprüft und damit einhergehende Prozess- und Kostenrisiken unbefangen bewertet würden. Erst dies ermögliche eine sachgerechte Entscheidung über das weitere Vorgehen. Dass mit der Einsetzung eines Sonderverwalters Kosten verbunden seien, sei hinzunehmen. Sie könnten zudem Teil des gegenüber dem Sonderverwalter zu liquidierenden Schadens sein.
Zugleich schaffe der Ausschluss der Prozessführungsbefugnis des Verwalters Klarheit hinsichtlich des Verjährungsbeginns für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter. Verjährungsfristen begännen grundsätzlich erst dann zu laufen, wenn der betroffene Gläubiger die Möglichkeit habe, verjährungshemmende Maßnahmen einzuleiten. Maßgeblich sei grundsätzlich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs zuständigen Verwalters; zuvor bestehe eine Durchsetzungssperre. Danach bestehe für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter eine Durchsetzungssperre bis zur Einsetzung eines weiteren Sonderverwalters oder der Ernennung eines neuen Verwalters.
Das Amtsgericht als Gesamtvollstreckungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob es einen neuen Sonderverwalter bestellt, der Ansprüche gegen den Beklagten, gegebenenfalls auch gegen den Kläger zu untersuchen haben wird.
Sozialpläne sind nicht an feste Gestaltungen gebunden. Vielmehr obliegt es Arbeitgeber und Betriebsrat unter Ausnutzung ihrer Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die Typisierungen und Pauschalierungen einschließen, für den konkreten Betrieb geeignete Vereinbarungen zu treffen.
Gebunden sind sie hierbei allerdings an den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Dieser auf das allgemeine Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zurückzuführende Grundsatz zielt darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Da maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung regelmäßig der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck ist, müssen sich Gruppenbildungen in Sozialplänen an deren zukunftsbezogener Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion orientieren. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.
Diesem Grundsatz trägt auch § 4 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG) unter der Überschrift „Verbot der Diskriminierung“ Rechnung:
(1) Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.
(2) Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.
Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem Besprechungsurteil eine Sozialplanregelung zu prüfen, die eine gezielte Ungleichbehandlung befristet und unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer aufwies.
Der zu entscheidende Fall
Der klagende Arbeitnehmer (Kläger) verlangt von seiner (ehemaligen) beklagten Arbeitgeberin (Beklagte) eine Sozialplanabfindung.
Die Beklagte erbrachte – zunächst auf der Grundlage eines Nutzungsvertrags aus 2006 mit der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG) – am Flughafen Tegel Dienstleistungen in Form der Betankung von Flugzeugen. Unter dem 22.02.2012 teilte die BFG der Beklagten mit, dass die Betriebsgenehmigung für den Flughafen aufgehoben worden sei. Da Tegel mit Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) zum 03.06.2012 seinen Flugbetrieb als Verkehrsflughafen einstelle, ende der Nutzungsvertrag mit der Beklagten spätestens zu diesem Zeitpunkt. Die Bekl. beschloss daraufhin, ihren Betrieb zum 02.06.2012 stillzulegen.
Nachdem sich im Mai 2012 abzeichnete, dass sich die Eröffnung des BER verzögern würde, schloss die BFG mit der Beklagten unter dem 31.5./1.6.2012 eine „bis zur Schließung des Flughafens Tegel, längstens jedoch bis zum 31.3.2013“ geltende Zusatzvereinbarung zu den Nutzungsverträgen. Nachdem der BER auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet worden war, vereinbarte die Beklagte mit der BFG im März 2013 und – erneut – Anfang September 2015 entsprechende Ergänzungen. Nach Abschluss der (ersten) Zusatzvereinbarung stellte sie Arbeitnehmer nur noch befristet ein.
Der Kläger war bei der Bekl. vom 08.07.2013 bis zum 30.11.2020 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge als Flugzeugtankwart beschäftigt. Der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 18.06.2014 sah vor, dass das Arbeitsverhältnis „bis zum Ende des Betriebszweckes des Betriebs der Beklagten im Flughafen Tegel … (andauere)“.
Am 12.03.2014 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Sozialplan, der nach seinem § 1 I „für sämtliche Mitarbeiter der Betriebe (galt), die am 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der SJS standen“. Ausgenommen waren nach § 1 II des Sozialplans „Mitarbeiter, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, gleich wann dieses begründet wurde“.
Nachdem bekannt geworden war, dass der BER Ende des Jahres 2020 eröffnen würde, teilte die Beklagte dem Kläger am 17.04.2020 mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristungsabrede am 30.11.2020 enden werde. Vorsorglich kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zu diesem Termin. Der Kläger nahm die von ihm daraufhin erhobene Kündigungsschutzklage später zurück.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss befristet beschäftigter Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplans benachteilige ihn ohne sachlichen Grund im Sinne von § 4 Abs. 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam. Sein Anspruch sei nicht verfallen. Hilfsweise stehe ihm ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu.
Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassenen Revision begehrt die Beklagte erfolgreich die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Begründung des BAG
Das BAG hält die in den Sozialplan aufgenommene Stichtagsregelung für undenklich.
Mit der Gruppenbildung, die zum Stichtag 30.06.2012 befristet Beschäftigte von der Geltung des Sozialplans ausnehme, hätten die Betriebsparteien eine sachlich gerechtfertigte, personenbezogene, am Zweck des Sozialplans orientierte Differenzierung vorgenommen, die das Verbot der Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer des § 4 Abs. 2 TzBfG (siehe oben) nicht verletze.
Dieses Verbot, das – unter dem Vorbehalt der sachlichen Rechtfertigung – grundsätzlich jede unterschiedliche Behandlung untersage, umfasse auch eine mittelbare Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer, greife aber nur ein, wenn sich die befristet Beschäftigten in einer vergleichbaren Situation wie Dauerbeschäftigte befänden.
Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen sei zulässig, wenn dafür ein sachlicher Grund bestehe. Der Rechtfertigungsgrund dürfe dabei weder unmittelbar noch mittelbar auf der Befristung selbst beruhen Es sind vielmehr Umstände erforderlich, die sich etwa aus der besonderen Art der Aufgabe oder mit Blick auf ein sozialpolitisches Ziel ergäben. Die Ungleichbehandlung muss überdies geeignet und erforderlich sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Dies sei vorliegend beachtet worden.
Der Sozialplan diene dem Ausgleich oder der Milderung solcher wirtschaftlichen Nachteile, die in Folge der geplanten Betriebsänderung – hier der Betriebseinstellung – entstünden. Er dürfe danach unterscheiden, welche wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitnehmern drohten, die ihren Arbeitsplatz verlören. Damit könne erreicht werden, die nur begrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gerecht zu verteilen.
Die Betriebsparteien durften danach vorliegend typisierend annehmen, dass die Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nach dem Datum der – ursprünglich – beabsichtigten Betriebsstilllegung begründen würden, keine durch den Sozialplan auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteile haben würden.
Diese Gruppe sei zu einem Zeitpunkt eingestellt worden, zu dem bereits festgestanden habe, dass mit der geplanten Eröffnung des BER der Flughafen Tegel schließen und damit auch die Beklagte ihren Betrieb dort stilllegen würde. Diese Arbeitnehmer hätten deshalb bereits von Beginn ihres Arbeitsverhältnisses an nicht die Erwartung haben können, ihr Arbeitsverhältnis würde nicht nur vorübergehend bestehen und sie würden möglicherweise in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Das ändere auch die vorübergehende Fortführung des Betriebs bis zur endgültigen Eröffnung von BER nicht. Die von der Beklagten bei Einstellung der befristet beschäftigten Arbeitnehmer bereits geplante Betriebsstilllegung habe zu keinem Zeitpunkt infrage gestanden. Lediglich die von der BER-Eröffnung abhängige Dauer der Betriebsfortführung sei unklar gewesen.
Der Stichtag 30.06.2012 sei nicht allein wegen der nachfolgenden, teilweise erheblichen Dauer der befristet vereinbarten Arbeitsverhältnisse unwirksam. Zum einen hätten die Betriebsparteien nicht damit rechnen können und müssen, dass sich die Eröffnung des BER in diesem Ausmaß verzögern würde. Zum anderen habe ein Sozialplan lediglich eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihm vorgesehenen Leistungen seien kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste.
Der Umstand, dass die Betriebsparteien nicht den 02.06.2012 – den exakten Tag der geplanten Betriebsstilllegung –, sondern den 30.06.2012 als Stichtag gewählt hätten, gebiete keine andere rechtliche Beurteilung. Die Festlegung des Stichtags auf das Ende des laufenden Monats statt auf den 02.06.2012 sei vom Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien umfasst, der auch solche Pauschalierungen zulasse. Im Übrigen sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Beklagte zwischen dem 02.06. und dem 30.06.2012 überhaupt Arbeitnehmer eingestellt hätte.
Über einen eventuellen Schadensersatzanspruch des Klägers brauchte das BAG aus prozessrechtlichen Gründen nicht zu entscheiden.
Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei schließlich nicht erforderlich gewesen.
Haftung der Vertreter für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
Nach § 69 der Abgabenordnung (AO) haften die in den §§ 34 und 35 AO näher bezeichneten Personen (nach der Gesetzesüberschrift: „die Vertreter“) persönlich, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
Haftungsvoraussetzung ist deshalb zunächst, dass der vom Finanzamt (FA) in Anspruch genommene unter die in §§ 34 AO beschriebenen Vertreter oder die Verfügungsbefugten im Sinne des § 35 AO fällt. Dies sind nach § 34 Abs. 1 AO unter anderem die gesetzlichen Vertreter natürlicher oder juristischer Personen, nach dessen Abs. 3 aber auch die sogenannten Vermögensverwalter:
„Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.“
Hierunter fallen Insolvenzverwalter, vorläufige Insolvenzverwalter bei allgemeinem Verfügungsverbot des Schuldners (§§ 21 f., 25 der Insolvenzordnung – InsO –, „starker vorläufiger Insolvenzverwalter), Zwangsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder Kanzleiabwickler gemäß § 55 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter und die Sequester alten Rechts (Konkursordnung – KO) werden im Allgemeinen weder als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigte im Sinne des § 35 AO angesehen. § 35 AO lautet:
„Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.“
Im Besprechnungsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) ging es zum einen um die Frage, ob ein vorläufiger Sachwalter im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 InsO in der zur Zeit der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (2014) geltenden Fassung (heute § 270b Abs. 1 InsO), der die Kassenführung des Schuldners gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen und zu diesem Zweck ein Anderkonto eröffnet hat, als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO zu qualifizieren ist. Zum anderen hatte der BFH zu prüfen, ob der Kläger als vorläufiger Sachverwalter für im Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht abgeführte Lohnsteuer gemäß § 69 AO persönlich haftete.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom 01.12.2014 zum vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren in Eigenverwaltung (§ 270b InsO) über das Vermögen der A-GmbH (GmbH) bestellt. Geschäftsführer der GmbH war H. Einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des vorläufigen Sachwalters ordnete das AG nicht an. Im Jahr 2015 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und ernannte den Kläger zum Sachwalter.
Die GmbH beschäftigte 2014 mehrere Arbeitnehmer. Im Monat November 2014, also noch vor Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter, veranlasste H die Zahlung der Löhne in voller Höhe für November 2014 und meldete Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag beim beklagten Finanzamt (FA) an.
Der Kläger zog als vorläufiger Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich. Sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen wurden über ein von ihm hierfür eingerichtetes Anderkonto bei einer Bank realisiert. H überwies hierzu das gesamte Bankguthaben der GmbH auf dieses Anderkonto.
Da in der Folgezeit für den November 2014 weder Lohnsteuer noch Solidaritätszuschlag entrichtet wurden, meldete das FA beide Beträge zur Insolvenztabelle an. Die Beträge wurden zur Tabelle festgestellt und später auf der Grundlage des Insolvenzplans mit einer Insolvenzquote von gerundet 2,4% an das FA ausgezahlt. 2016 hob das AG das Insolvenzverfahren auf.
Das FA nahm den Kläger – und zudem mit gesondertem Bescheid auch den früheren Geschäftsführer H – wegen Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für November 2014 nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO in Haftung. Die zuvor aufgrund der Insolvenzquote vereinnahmten Beträge berücksichtigte das FA bei der Berechnung der Haftungssumme nicht mindernd. Es erläuterte, der Kläger sei als vorläufiger Sachwalter, der die Kassenführung übernommen habe, Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Indem er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für den November 2014 nicht beglichen habe, habe er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Finanzgericht Düsseldorf (FG) Erfolg. Auf die Revision des FA weist der BFH die Klage ganz überwiegend ab. Lediglich in Höhe der ausgezahlten Quote von 2,4 %, die das FA im Haftungsbescheid nicht abgezogen hatte, weist der BFH die Revision zurück.
Die Begründung des BFH
1. Zur Frage der Verfügungsberechtigung des Klägers Im Sinne des § 35 AO
Verfügungsberechtigter sei jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und nach außen hin als Verfügungsberechtigter auftrete. Die Verfügungsmacht könne auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen. Die Person müsse in der Lage ist, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich zu erfüllen, eine rein tatsächliche Verfügungsmöglichkeit reiche dagegen nicht. Es bedürfe vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln.
Der BFH führt sodann an, wie er in der Vergangenheit die Rechtsstellung vorläufiger Verwalter im früheren Konkurs-, Vergleichsverfahren nach der Vergleichsordnung (VglO) und in der heutigen Insolvenz beurteilt hatte.
Danach ist der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter selbst dann nicht Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO, wenn er seine Befugnisse überschreitet.
Dasselbe gilt grundsätzlich für den (vorläufigen) Sachwalter, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten, weil dieser die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen habe, ohne dass ihm eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zukomme.
Dagegen hatte der BFH 1988 den Sachwalter der Vergleichsgläubiger nach § 91 Abs. 1 VglO, den der Schuldner mit notariellem Vertrag ermächtigt hatte, über sein Anlage- und Umlaufvermögen zu verfügen, als verfügungsberechtigt im Sinne das § 35 AO angesehen.
Bemerkenswerterweise bezieht sich der BFH nicht auf ein anderes Urteil desselben Senats vom 29.04.1986 (VII R 184/83), mit dem er den dortigen Sequester (vorläufiger Verwalter nach der KO) weder als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO qualifiziert hatte, obwohl das Konkursgericht ein allgemeines Veräußerungs- und Verfügungsverbot gegen die Schuldnerin erlassen und den Sequester beauftragt hatte, „den Geschäftsbetrieb zu übernehmen“.
Im juristischen Schrifttum ist umstritten, ob der vorläufige Sachwalter durch die Übernahme der Kassenführung zum Verfügungsberechtigten nach § 35 AO wird. Teilweise wird die Frage verneint, teilweise bejaht, einzelne Autoren plädieren für die Anwendung des § 35 AO, wenn der (vorläufige) Sachwalter die Kassenführung übernimmt und weitere Berechtigungen hinzukommen.
Der BFH folgt der letztgenannten Auffassung mit der Maßgabe, dass ein vorläufiger Sachwalter zumindest dann als Verfügungsberechtigter anzusehen ist, wenn er nach Übernahme der Kassenführung auf seinen Namen ein Anderkonto bei einer Bank eröffnet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen des Schuldners über dieses Konto abwickelt.
Er erlange hierdurch die für eine Verfügungsberechtigung im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht. Im Streitfall folgten diese treuhänderischen Befugnisse aus der Verwendung des Anderkontos, durch das der Kläger zudem als Verfügungsberechtigter nach außen aufgetreten sei. Bei dem eingerichteten Rechtsanwaltsanderkonto handele es sich nicht um ein Konto der Insolvenzmasse, sondern um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, dessen Inhaber, hier der Kläger, die Verfügungsmacht über das Konto selbst und die darauf befindlichen Mittel erlange.
Dass der Kläger, wie dieser meint, nur Aufweisung des Schuldners habe handeln dürfe, sei als Absprache im Innenverhältnis belanglos.
Der Kläger habe die Verfügungsmacht auch nach außen genutzt, indem er das Konto eingerichtet und darüber verfügt habe.
2. Zu den Voraussetzungen der Haftung nach 69 AO
§ 69 AO lautet:
„Die in den § 34 und § 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. …“
Obwohl § 69 AO eine relativ einfach formulierte Vorschrift zu beinhalten scheint, setzt er für die Haftungsinanspruchnahme neben der Eigenschaft des Haftenden als Vertreter oder Verfügungsberechtigter mehreres voraus:
a) Haftungsschaden
Ein Haftungsschaden im Sinne von § 69 AO sei eingetreten, legt der BFH dar, weil die Forderung des FA auf Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, mithin Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO, nicht erfüllt worden seien.
b) Pflichtverletzung durch den Kläger
Nach dem insoweit maßgeblichen Haftungsbescheid hatte das FA eine Pflichtverletzung des Klägers darin gesehen, dass er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für November 2014 nicht beglichen hatte.
Dem schließt sich der BFH an. Als Verfügungsberechtigter habe der Kläger gemäß § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters gehabt, die er auch rechtlich und tatsächlich habe erfüllen können. Er habe dafür zu sorgen gehabt, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete. Die in Rede stehenden Steuern habe er jedoch nicht abgeführt.
Die Pflichtverletzung sei trotz des Insolvenzantrags nicht wegen einer Pflichtenkollision ausgeschlossen gewesen. Zwar habe ein Geschäftsführer bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (GmbHG) eine Massesicherungspflicht, nach der Rechtsprechung des BFH hafte er jedoch nicht nach dieser Vorschrift gegenüber der Gesellschaft, weil die Erfüllung steuerlicher Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. vereinbar gewesen sei. Das habe auch für den vorläufigen Sachwalter zu gelten.
Nach dem jetzt geltenden §15b Abs. 8 InsO, der unter anderem § 64 GmbHG abgelöst hat, liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen. Diese Vorschrift gilt jedoch erst ab dem 01.01.2021. Der BFH wendet sie vorliegend deshalb ausdrücklich nicht (rückwirkend) an.
Ungeprüft lässt der BFH bei allem, ob § 64 GmbHG a. F. bzw. § 15b InsO auf den vorläufigen Sachwalter überhaupt anwendbar sind, was erheblichen Zweifeln unterliegt.
c) Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden
Der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden bestehe. Dass der Kläger, wie dieser vorgetragen habe, als späterer Sachwalter im Falle einer Abführung der Lohnsteuer im Zeitpunkt der Fälligkeit diese Zahlung nach § 130 Abs. Abs. 1 Nr. 2 InsO zweifelsfrei angefochten hätte und das FA die Beträge hätte zurückzahlen müssen, vermöge den Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nicht zu beseitigen. Denn hypothetische (nur gedachte) Geschehensläufe seien bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats unbeachtlich. Hieran ändere nichts, dass der Kläger späterhin auch selbst in Person zum Sachwalter im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren bestellt worden sei.
d) Verschulden
Den Kläger treffe ferner ein Verschulden daran, dass die Lohnsteuer für November 2014 bei Fälligkeit nicht an das FA abgeführt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats stelle die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung dar. Zudem indiziere nach ebenso ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens generell das Verschulden im Sinne von § 69 Satz 1 AO.
Gegenteilige Anhaltspunkte ergäben sich insbesondere nicht daraus, dass dem Kläger im Haftungszeitraum die Rechtslage noch nicht hinreichend bekannt gewesen wäre. Zwar habe sich in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung erst in jüngerer Zeit – nach dem Haftungszeitraum – die Erkenntnis verfestigt, dass es für einen Insolvenzverwalter nicht zulässig sei, ein Anderkonto einzurichten. Vielmehr müsse der Insolvenzverwalter ein Konto unterhalten, aus dem die Insolvenzmasse selbst materiell berechtigt sei. Dies dürfe aufgrund der erforderlichen Trennung zwischen künftiger Insolvenzmasse und dem Vermögen des Sachwalters ebenso für einen vorläufigen Sachwalter gelten. Die Haftung des Klägers beruhe jedoch nicht hierauf, sondern vielmehr darauf, dass er mit dem Anderkonto ein offenes Vollrechtstreuhandkonto eingerichtet habe, woraus die für die Stellung als Verfügungsberechtigter im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht aufgrund der Treuhand abzuleiten sei. Diese Umstände seien dem Kläger bekannt gewesen.
e) Nichteingreifen des Grundsatzes der anteiligen Tilgung
Eine Haftung sei auch nicht deshalb zu verneinen oder in ihrem Umfang zu reduzieren, weil zur Begleichung der Steuerschulden nicht ausreichende Mittel vorhanden gewesen wären.
Stünden zur Begleichung der Schulden insgesamt keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so bewirke nach der Rechtsprechung die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt habe. Diesem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung komme im Zusammenhang mit der Lohnsteuer allerdings die eingeschränkte Bedeutung zu, dass lediglich das FA und die Arbeitnehmer gleichmäßig zu berücksichtigen seien. Daher seien die für die Lohnsteuerabführung erforderlichen Beträge bei der Lohnzahlung zurückzubehalten, die Löhne also entsprechend zu kürzen.
Ob im Streitfall der Grundsatz der anteiligen Tilgung aber möglicherweise trotz Vorliegens eines Lohnsteuerfalls in uneingeschränktem Umfang anzuwenden sein könnte, weil die Löhne bereits vor der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter durch den Geschäftsführer H ausgezahlt worden waren und der Kläger daher keine Möglichkeit gehabt habe, für eine Kürzung der Löhne zu sorgen, könne dahinstehen. Denn von dem Bestand auf dem Anderkonto des Klägers hätte er weniger als ein Zehntel für die offenen Steuerforderungen verwenden müssen. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt das Vermögen der GmbH unter Berücksichtigung anderer Gläubiger nicht ausgereicht haben sollte, worauf die Insolvenzquote von 2,4% schließen lasse, gelte dies zumindest nicht für den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden am 10.12.2014.
Nach allem sah sich der BFH veranlasst, das Urteil des FG, das gegenteilig entschieden hatte, weitestgehend aufzuheben.
Gesetzlicher Hintergrund
Nach § 48 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) werden die Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst, wobei Versammlungen auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden können. Allerdings ist dann erforderlich, dass sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären. Abs. 2 erklärt die Abhaltung einer Versammlung dann für überflüssig, wenn sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen sich einverstanden erklären.
Um den Abstandsgeboten in der Covid-19-Pandemie Rechnung zu tragen, regelte das am 27.03.2020 in Kraft getretene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) für die einzelnen Gesellschaftstypen und sonstige Zusammenschlüsse jeweils gesondert die Möglichkeiten, Versammlungen kontaktfrei durchzuführen. Für die GmbH bestimmte § 2 COVMG: „Abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“ Voraussetzung war daher nur, dass die schriftliche Stimmabgabe durch die Geschäftsführung oder einen anderen hierzu Berechtigten angeordnet wurde und eine (einfache) Mehrheit der Gesellschafter eine solche Vorgehensweise befürwortete. Außerdem mussten alle Gesellschafter an dem Beschlussverfahren beteiligt und hierzu rechtzeitig vorab über die Durchführung des besonderen Verfahrens in Kenntnis gesetzt werden.
Diese Sonderregel endete mit Ablauf des 31.08.2022. Für die GmbH-Gesellschafter stellt sich daher heute grundsätzlich die Frage, ob sie durch Satzungsermächtigung virtuelle oder teilvirtuelle Gesellschafterversammlungen zulassen wollen, was aufgrund der Satzungsautonomie in der GmbH im Grundsatz durchaus möglich ist, Ein schriftliches Verfahren kann die Satzung sowohl durch schlichte Anordnung der Geschäftsführung oder auch nach Mehrheitsentscheidung vorsehen, da § 48 Abs. 2 GmbHG insoweit dispositiven Charakter hat. Ob die Gesellschafter eine solche Regelung in die Satzung aufnehmen sollten, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Sie sind sehr sorgfältig zu bedenken, da sie das mitgliedschaftliche Teilnahmerecht beseitigen oder zumindest teilweise entwerten. Je nach Ausgestaltung sind sie zudem bei bestehenden Gesellschaften nur im Einvernehmen aller Gesellschafter in die Satzung integrierbar.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Minderheitsgesellschafter der beklagten GmbH. Deren Satzung regelt in § 10, dass ein Umlaufverfahren möglich ist, wenn kein Gesellschafter dem Verfahren widerspricht. Ende 2020 führte die Geschäftsführung der Beklagten unter Hinweis auf § 2 COVMG ein Umlaufverfahren durch, bei dem über die Feststellung des Jahresabschlusses 2019 und die Verwendung des Bilanzergebnisses 2019 abgestimmt werden sollte. Der Kläger hatte der Durchführung des Umlaufverfahrens über seinen Rechtsanwalt widersprochen. Gleichwohl stellte die Geschäftsführung nach Ablauf der Abstimmungsfrist das Zustandekommen der Beschlüsse mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters zu Protokoll fest.
Dagegen hat der Kläger fristgerecht Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben. Neben inhaltlichen Mängeln rügt er einen Verstoß gegen § 10 Nr. 5 der Satzung. Er meint, dass die Satzungsregelung der Bestimmung des § 2 COVMG vorgehe.
Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts (LG) wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint zum einen, das Abstimmungsverfahren sei wegen Verstoßes gegen § 10 der Satzung fehlerhaft durchgeführt worden, zum anderen litte der Gesellschafterbeschluss an materiellen – inhaltlichen – Mängeln.
Das Oberlandesgericht (OLG) München hält die Berufung des Klägers zwar für zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Die Urteilsbegründung des LG sei zutreffend. Die dagegen gerichteten Rügen des Klägers in seiner Berufungsbegründung hält es nicht für durchgreifend.
Die Vorgehensweise des OLG gestattet § 522 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Grundsätzlich ist auch im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das Berufungsgericht soll die Berufung nämlich durch Beschluss – also in einem Verfahren ohne mündlich Verhandlung – unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4. eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist.
Die Parteien müssen zuvor auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hingewiesen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Macht der Berufungsführer von der Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch, muss das Berufungsgericht sich im abschließenden Beschluss mit seinen Argumenten auseinandersetzen.
Die Begründung des OLG München
Das OLG München hält die angegriffenen Beschlüsse nicht deshalb für formell rechtswidrig und damit nichtig, weil sie im Umlaufverfahren gefasst wurden. Grundsätzlich sei ein Gesellschafterbeschluss einer GmbH entsprechend § 241 Nr. 1 des Aktiengesetzes nichtig, wenn er in einem gesetzlich oder statutarisch (satzungsmäßig) nicht zugelassenen Abstimmungsverfahren gefasst worden sei.
Dies sei hier nicht der Fall. Zwar sei § 2 COVMG in gleicher Weise gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG dispositiv wie § 48 Abs. 2 GmbHG, an dessen Stelle die Norm trete. Obwohl § 10 der Satzung bestimme, dass das Umlaufverfahren nur möglich sei, wenn kein Gesellschafter widerspreche, und das Verfahren folglich grundsätzlich gerade nicht von dem Einverständnis der Gesellschafter unabhängig sei, führe die Auslegung der Satzungsregelung dazu, dass § 10 der Satzung nicht für die Sondersituation der Corona-Pandemie gelte. Vielmehr greife die gesetzliche Spezialregelung des § 2 COVMG ein.
Die Satzung einer GmbH sei aus sich selbst heraus, anhand objektiver Umstände auszulegen. In erster Linie komme es auf Wortlaut und Sinnzusammenhang im Gesellschaftsvertrag an. Eine daneben mögliche teleologische (zielorientierte) Auslegung habe sich an objektiv bekannten Umständen zu orientieren.
Da die Satzung lange vor der Pandemie beschlossen worden sei, enthalte sie hinsichtlich dieser Situation eine Regelungslücke. Zur Zeit der Beschlussfassung sei allgemein – und also wiederum objektiv ersichtlich – nicht absehbar gewesen, dass eine Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen physische Zusammenkünfte auf längere Zeit verhindern oder zumindest massiv erschweren und (lebens) gefährlicher machen werden würden. § 10 der Satzung sei daher entsprechend teleologisch zu reduzieren. Es erscheine fernliegend, dass die Gesellschafter diese extreme Ausnahmesituation, hätten sie sie bei Erstellung der Satzung bedacht, nicht mit einer gesonderten Regelung bedacht hätten.
Die Regelungslücke sei durch die Heranziehung des dispositiven Rechts zu schließen, soweit dies sachdienlich sei, weshalb hier der dispositive § 2 COVMG, der genau für die aufgetretene Satzungslücke eine interessengerechte Lösung anbiete. Die sich hieran orientierende Durchführung der Beschlussfassung sei daher nicht zu beanstanden.
Das OLG München setzt sich sodann noch mit der von ihm als herrschend qualifizierten Meinung auseinander, wonach sich jedenfalls bei einer den Wortlaut des § 48 Abs. 2 GmbHG (siehe oben) lediglich wiederholenden Satzungsbestimmung die Geltung des § 2 COVMG regelmäßig aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben soll. Auch dieser Ansatz führe hier zum gleichen Ergebnis. § 10 der Satzung gebe zwar nicht rein wiederholend den Gesetzeswortlaut wieder, sondern ersetzt das positive Zustimmungserfordernis des § 48 Abs. 2 GmbHG durch das Erfordernis des Fehlens eines Widerspruchs. Die darin liegende Abmilderung des gesetzlichen Zustimmungserfordernisses spreche jedoch nicht gegen, sondern gerade für eine Geltung der Sonderregelung des § 2 COVMG. Die Satzungsregelung, die das materielle Einstimmigkeitserfordernis für die Gesellschaft leichter handhabbar mache, würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ihretwegen eine diesbezügliche gesetzliche Erleichterung ausgeschlossen werden würde. Mit der Satzungsregelung hätten die Gesellschafter gezeigt, dass sie eher geringere als strengere Anforderungen an ein Umlaufverfahren hätten stellen wollen als das Gesetz.
Da auch die vom Kläger gerügten materiellen Mängel der Beschlussfassung nicht vorgelegen hätten, weist das OLG München mit dem vorliegenden Beschluss auf seine Absicht hin, die Berufung zurückzuweisen. Ob der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht und wie das Gericht hierauf entschieden hat, ist öffentlich (bislang) nicht bekannt gemacht worden.
Die Bestandskraft eines Steuerbescheids kann durchbrochen werden
Nach § 172 der Abgabenordnung (AO) darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben oder abgeändert werden. Neben anderen Gründen ist dies nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich, wenn Tatsachen oder Beweismittel (der Steuerbehörde) nachträglich, also nach der Bestandskraft des Bescheids, bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Rechtfertigen solche Aspekte dagegen eine niedrigere Steuer, können Bescheide nach Nr. 2 auch zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, allerdings darf diesem dann kein grobes Verschulden daran anzulasten sein, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Ist ein Bescheid bereits aufgrund einer Außenprüfung erlassen worden, darf er nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung (strafbar nach § 370 AO bzw. ordnungswidrige nach § 378 AO) vorliegt.
Im vorliegenden Fall ging es um Änderungsbescheide nach einer Außenprüfung, die ursprünglichen Bescheide waren erklärungsgemäß ergangen, sodass eine Änderung nicht vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Verkürzung abhing.
Der zu entscheidende Fall
Die Kläger wurden in den Streitjahren als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Der Kläger war als Einzelunternehmer tätig und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmenüberschussrechnung. Er betrieb einen Einkaufsladen, und vermittelte verschiedene Dienstleistungen. Dabei verwendete er eine elektronische Kasse, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons fünf Warengruppen auswies (neben anderen Verkauf 19 %, Verkauf 7 %). Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach einzelnen Waren und Dienstleistungen nahm der Kläger nicht vor. Die Z-Bons korrigierte der Kläger gelegentlich handschriftlich.
Außerdem führte er täglich Kassenberichte. Der Kassenbestand am Tagesende wurde nahezu ausschließlich mit 0 EUR angegeben, die Wechselgeldeinlage in der Kategorie „+ zuzüglich Einzahlungen“. Für einige Tage der Streitjahre lautete diese Eintragung auf 0 EUR. Überwiegend entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z-Bons. Soweit der Kläger handschriftliche Korrekturen auf den Z-Bons vorgenommen hatte, entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht teils den korrigierten Zahlen auf den Z-Bons, teils wurden die Korrekturen nicht in den Kassenbericht übernommen. Für einen bestimmten Tag war ein Kassenendbestand von x EUR vermerkt. Dieser wurde für den Folgetag nicht als Einzahlung notiert, die Erlöse und die Auszahlung laut Kassenbericht entsprachen den auf dem Z-Bon ausgewiesenen Beträgen.
Nachdem das Finanzamt (FA) die Kläger zunächst erklärungsgemäß und ohne Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer veranlagt hatte, fand eine Außenprüfung beim Kläger statt. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass
Eine Geldverkehrsrechnung ergab keine ungeklärten Einnahmefehlbeträge.
Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass wegen erheblicher Kassenführungsmängel eine Hinzuschätzung durch Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der Barerlöse zu erfolgen habe.
Das FA änderte dementsprechend die Bescheide unter anderem über Einkommen-. Es stützte die Änderung § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Nach erfolglosem Einspruch hiergegen hatte die anschließende Klage teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte die Änderungsbescheide dahingehend, dass es die Erhöhung der Betriebseinnahmen für die Einkommensteuer vollständig rückgängig machte und im Übrigen nur noch einen Sicherheitszuschlag von 5 % der Betriebseinnahmen zum Regelsteuersatz (netto) in Ansatz brachte.
Auf die Revision der Kläger hebt der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil und das Verfahren auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurück.
Die Begründung des BFH
Der BFH kann nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlagen.
Der rechtfertigende Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach dieser Vorschrift sei, so führt er aus, nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt (einer nicht vollständigen Tatsachenbasis) ausgegangen sei.
Auch Schätzungsgrundlagen könnten Tatsachen sein, denn Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein könne, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne seien Schlussfolgerungen aller Art, zum Beispiel juristische Subsumtionen.
Im Gegensatz zu einer Schätzung, die selbst eine Schlussfolgerung sei, könnten die Schätzungsgrundlagen neue Tatsachen sein. Zu den Tatsachen gehörten auch objektive Hilfstatsachen, die den sicheren Schluss auf eine subjektive (innere) Haupttatsache (wie etwa eine Kenntnis oder eine Absicht) zuließen. Folglich sei die Art und Weise, in welcher der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt habe, eine solche Tatsache. Dies gelte zum Beispiel für Aufzeichnung über den Wareneingang und die Belegsammlung.
Hieraus folge für den Streitfall, dass namentlich die Art, in der der Kläger seine Bareinnahmen festgehalten habe, der Inhalt der Aufzeichnungen sowie das Vorhandensein der Z-Bons und deren Inhalt als Tatsachen anzusehen seien.
Die Tatsache muss nachträglich bekannt geworden sein, um zur Änderung zu berechtigen. Sie müsse, so der BFH, schon bei Erlass des ursprünglichen Bescheids vorhanden gewesen sein, so dass sie vom FA bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätte berücksichtigt werden können. Vorliegend habe das FA erst durch die nach der Bestandskraft der Bescheide durchgeführte Außenprüfung von den Kassenaufzeichnungen des Klägers sowie von den bei ihm dazu vorhandenen Belegen (Z-Bons) und ihrem Inhalt Kenntnis erlangt.
Voraussetzung für eine Änderung sei ferner die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache und die Ursächlichkeit der Unkenntnis des FA von dieser Tatsache bei der ursprüngliche Veranlagung. Dies sei im Einzelfall nach der im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheids geltenden Rechtslage zu beurteilen.
Vorliegend läge danach Rechtserheblichkeit vor, wenn das FA bei Kenntnis des Zustands der Aufzeichnungen bereits ursprünglich hätte schätzen und eine höhere Steuer festsetzen dürfen.
Unter anderem bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das FA dem Grunde nach zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO berechtigt. Die Norm regelt, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen hat, soweit es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Das gilt insbesondere, wenn der Steuerpflichtige keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden, weil sie Anlass bieten, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Der BFH führt aus, dass eine Einnahmenüberschussrechnung nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege Vertrauen verdiene und die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen könne. Dennoch müsse sie nicht ungeprüft übernommen werden, der Steuerpflichtige trage vielmehr das Risiko, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen könne und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 AO erfüllt seien.
Zur (Hinzu-)Schätzung berechtigten auch formelle Mängel der Aufzeichnungen über Bareinnahmen, die zwar keinen sicheren Schluss auf eine Einnahmenverkürzung zuließen, aber dazu führten, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen bestehe, ohne dass eine nachträgliche Heilung des Mangels möglich wäre.
Da das FG hierzu keine ausreichenden Tatsachen festgestellt habe, könne der BFH nicht selbst in der Sache entscheiden. Er hat daher die Angelegenheit an das FG zurückverwiesen.
Die Stiftung
Stiftungen werden zu unterschiedlichen Zwecken errichtet und erfreuen sich seit einiger Zeit nicht unerheblicher Beliebtheit. Eine Form ist die sogenannte Familienstiftung, die jedoch durch die Satzung und das Stiftungsgeschäft sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann.
Mit der Gründung einer Familienstiftung verbinden die Stifter unterschiedliche Ziele, die jedoch – etwa in Folge unzureichender Beratung bei der Gründung – wie auch der Besprechungsfall zeigt, nicht immer vollständig erreicht werden. Motive für die Gründung der Familienstiftung sind zum Beispiel der langfristige Zusammenhalt des Vermögens, die Verhinderung von Vermögensverschiebungen und der Versilberung, der Schutz vor Gläubigern, der allerdings wegen der Möglichkeit der Insolvenz- und der Gläubigeranfechtung nur eingeschränkt gewährleistet ist, und sehr häufig die Idee, mit der Stiftung „Steuern sparen zu können“. Diese Motivation lag im vorliegenden Fall zumindest auch zugrunde.
Nach § 80 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist die Stiftung eine mit einem Vermögen zur dauernden und nachhaltigen Erfüllung eines vom Stifter vorgegebenen Zwecks ausgestattete, mitgliederlose juristische Person. Die Stiftung wird in der Regel auf unbestimmte Zeit errichtet, sie kann aber auch auf bestimmte Zeit errichtet werden, innerhalb derer ihr gesamtes Vermögen zur Erfüllung ihres Zwecks zu verbrauchen ist (Verbrauchsstiftung). - Zur Entstehung der Stiftung sind das Stiftungsgeschäft und in vielen Bundesländern die Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters anerkannt, so gilt sie für Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.
Die Stiftungsaufsicht ist Ländersache und in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. In Bayern etwa unterliegen ausschließlich privatnützige Stiftungen keiner Rechtsaufsicht.
Der zu entscheidende Fall
Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann die U-Familienstiftung. Die Stiftung wurde mit Vermögen ausgestattet, dessen Steuerwert - unter den Beteiligten unstreitig – 443.000 € beträgt
Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde angegeben, die Familienstiftung habe zum Zweck die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes (§ 3 Buchst. a der Stiftungssatzung), die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter (§ 3 Buchst. b der Stiftungssatzung) sowie die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation (§ 3 Buchst. c der Stiftungssatzung).
Das Finanzamt (FA) sah für Zwecke der Schenkungsteuer hinsichtlich der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als „entferntest Berechtigten“ im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die in § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung angeführten „weiteren Abkömmlinge“ an. Es ordnete den Erwerb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Steuerklasse I („Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder“) zu und brachte gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG einen Freibetrag von 100.000 € in Abzug und setzte die Schenkungsteuer mit rund 60.000 € fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ebenso erfolglos wie die Klage.
§ 15 Abs. 2 ErbStG lautet:
„In den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 8 ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist…“
Mit ihrer Revision machte die Klägerin eine Verletzung von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG geltend. In der Stiftungsurkunde sei geregelt, dass Berechtigte nur die Stifter und ihre Tochter seien. Weitere Abkömmlinge, die noch nicht geboren seien, seien zwar begünstigt, aber erst nach dem Tod der Tochter bezugsberechtigt. Mögliche Nachkommen würden nicht mit ihrer Geburt, sondern erst mit dem Tod der Tochter begünstigt. Im Gesetz stehe „nach der Satzung“ „Berechtigte“ und nicht „mögliche Berechtigte“. Das FA unterscheide nicht zwischen „Berechtigtem“ und „Begünstigtem“. Im Stiftungsrecht seien nur diejenigen Begünstigten berechtigt, denen das jeweilige aktuelle Recht auf Zuwendungen in der laut Satzung bestimmten Reihenfolge zugewiesen sei.
Die Revision der Klägerin hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.
Die Begründung des BfH
Der BFH hält die Argumentation der Klägerin insgesamt für nicht durchgreifend. Der „entferntest Berechtigte“ sei, wie schon das FA richtig gesehen habe, ein möglicher Urenkel der Stifter. Unerheblich sei dabei,
Das Gesetz behandelt den Übergang von Vermögen in eine Stiftung unter Lebenden steuerlich als Schenkung unter Lebenden. In diesem Fall ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist. „Entferntest Berechtigter“ ist derjenige, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll.
Der „Berechtigte“ im Sinne des 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspreche, so der BFH, dem nach der Stiftungssatzung „potentiell Begünstigten“, der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein könne. Sofortige Anspruchsberechtigung sei dagegen nicht erforderlich. „Entferntest Berechtigter“ sei daher derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt. Dass der Berechtigte bereits geboren sei oder jemals geboren werde, verlange der Wortlaut des Gesetzes nicht, ausreichend sei, wenn er erst in der Generationenfolge bezugsberechtigt werde. Dies entspräche schon der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.
Wer bei der einzelnen Familienstiftung als „entferntest Berechtigter“ anzusehen sei, sei der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen. Es obliege dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potentiell Begünstigten festzulegen.
§ 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sei Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen sei wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16 und 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG.
Zur Steuerklasse I gehören u.a. Kinder und Stiefkinder und die Abkömmlinge der in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG genannten Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG). Die in § 16 ErbStG geregelten Freibeträge sind nicht für alle Personen der Steuerklasse I gleich hoch; das Gesetz unterscheidet dort nochmals detaillierter nach dem jeweiligen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser bzw. Schenker. Dessen Kinder erhalten einen Freibetrag von 400.000 €, seine Enkel einen solchen von 200.000 €, spätere Abkömmlinge, wie Urenkel, verfügen nur über einen Freibetrag in Höhe von 100.000 €.
Hierin liege eine Besserstellung, argumentiert der BFH, denn trotz der genannten Abstufung komme es durch die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG in allen diesen Fällen insgesamt zu einer Besserstellung hinsichtlich des Freibetrags bei der Schenkungsbesteuerung für den Übergang von Vermögen auf die Familienstiftung. Ohne die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person abzustellen. Dies hätte zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III anwendbar und nur ein Freibetrag in Höhe von 20.000 EUR zu gewähren wäre. Da das Gesetz auf die Bestimmungen der Stiftungssatzung abstelle, habe es der Stifter in der Hand, das Privileg so zu nutzen, wie er es für am besten für seine Familie halte.
Eine darüberhinausgehende Privilegierung sei dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich auf das Verhältnis des Zuwendenden zu dem entferntest Berechtigten abgestellt.
Bei gegenteiliger Entscheidung entstünde eine Überprivilegierung, wenn später weitere Abkömmlinge geboren würden, die dann auch finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen können. Unabhängig von der Frage, ob für die Rückgängigmachung dieser Überprivilegierung überhaupt eine Änderungsvorschrift einschlägig wäre, würde dies eine Überwachung der Familienstiftung über einen bestimmten Zeitraum voraussetzen. Eine solche sei im Gesetz aber nicht angelegt.
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob im Fall, dass keine Enkel und Urenkel geboren würden, Steuer zu erstatten sei, brauche im Streitfall nicht zu entschieden zu werden.
Es sei schließlich nicht ausschlaggebend, dass die Enkel und Urenkel der Stifter erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation Leistungen aus dem Stiftungsvermögen erhalten sollen. Hierbei handele es sich nur um eine Bedingung, die Urenkel blieben trotz dieser Satzungsregelung potentiell begünstigt.
Auf dieser Basis habe das Finanzgericht zutreffend erkannt, dass nach § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung potentiell Begünstigte des Stiftungsvermögens die Urenkel der Stifter sein könnten. Unerheblich sei, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungssatzung nur die Tochter der Klägerin geboren gewesen sei und die Urenkel erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation begünstigt sein sollten.
Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nach § 133 InsO
Schon das römische Recht kannte mit der actio Pauliana eine Klage, die vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen im Fall der Insolvenz rückgängig machen sollte; im deutschen Recht regelte § 31 der Konkursordnung von 1877 die Absichtsanfechtung, der im Grundsatz die heutige Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO) nachgebildet ist.
Die Vorsatzanfechtung setzt je nach Art der anzufechtenden Rechtshandlung voraus:
Während die erste Voraussetzung meist leicht feststellbar ist, sind der Vorsatz und die Kenntnis hiervon häufig sehr schwer nachzuweisen. Bis zu einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20) ging die Rechtsprechung davon aus, dass der Schuldner jedenfalls dann mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte, wenn er zahlungsunfähig war und dies wusste. Andere Möglichkeiten, den Vorsatz nachzuweisen, wurden dadurch nicht ausgeschlossen.
Mit dem erwähnten Urteil vom 06.05.2021 änderte der BGH seine Rechtsprechung, und nimmt seitdem an, allein die erkannte Zahlungsunfähigkeit rechtfertige bei sogenannten kongruenten Befriedigungen oder Sicherungen (das sind solche, auf die der Gläubiger einen Anspruch hat) für sich allein in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl der Fälle nicht mit hinreichender Gewissheit den Schluss auf den Vorsatz. Dies gelte insbesondere, wenn der Schuldner aus der maßgeblichen Sicht ex ante, also zum Zeitpunkt der Rechtshandlung, trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können. Habe allerdings die die Zahlungsunfähigkeit begründende Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lasse, müsse dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen könne, ohne andere zu benachteiligen. Befriedige er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handele er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.
Im Grundsatz trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Tatbestands des § 133 InsO. Lediglich für den Nachweis der Vorsatzkenntnis beim Anfechtungsgegner hält das Gesetz eine Beweiserleichterung bereit. Wie weit diese reicht, ist unter anderem Gegenstand der Besprechungsentscheidung.
Der zu entscheidende Fall
Der klagende Insolvenzverwalter wurde in dem auf Insolvenzantrag vom 09.01.2015 am 26.02.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H-GmbH (Schuldnerin) bestellt. Er nimmt die beklagte Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von 20 Einzelzahlungen in Höhe von insgesamt 235.000 € in Anspruch, die die Schuldnerin auf Luftsicherheitsgebührenforderungen geleistet hatte. Sie war mit drei Flugzeugen als Charter-Fluggesellschaft für Reiseveranstalter tätig und führte Flüge von verschiedenen Flughäfen durch. Vor jedem Flug durchsuchten Beamte der Bundespolizei die Fluggäste und deren Gepäck. Dafür erhob die für den jeweiligen Flughafen zuständige Bundespolizeidirektion Gebühren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Zahlstelle für sämtliche Gebührenforderungen war die Bundeskasse. Etwaig erforderliche Vollstreckungsmaßnahmen wurden zentral vom Hauptzollamt durchgeführt. Wurde eine Gebührenforderung nicht rechtzeitig beglichen, mahnte die jeweilige Bundespolizeidirektion die Zahlung an. Blieb die Mahnung erfolglos, übernahm die Bundeskasse die weitere Beitreibung. Waren auch die Maßnahmen der Bundeskasse erfolglos, ordnete wiederum die jeweilige Bundespolizeidirektion die Vollstreckung an und leitete den Vorgang an das Hauptzollamt weiter. Mit den 20 Einzelzahlungen beglich die Schuldnerin in der Zeit vom 25.08. bis zum 14.11.2014 Gebührenforderungen von vier verschiedenen Bundespolizeidirektionen. 18 Zahlungen wurden an die Bundeskasse geleistet, zwei Zahlungen (insgesamt 21.000 €) erfolgten in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag an das Hauptzollamt, nachdem dieses der Schuldnerin die Vollstreckung angedroht hatte.
Das Landgericht Potsdam hat alle Zahlungen für anfechtbar gehalten. Die Berufung der Beklagten zum Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) blieb ohne Erfolg. Ihre Revision war teilweise erfolgreich und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, lediglich wegen der Verurteilung zur Zahlung der 21.000 € wies der BGH die Revision zurück.
Die Begründung des BGH
Der Anfechtungszeitraum war hier ersichtlich nicht überschritten, sodass es entscheidend auf die Feststellung des Vorsatzes und der Kenntnis hiervon ankam.
Zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:
Der BGH akzeptiert die Feststellung des OLG, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt aller Zahlungen im gesetzlichen Sinne bereits zahlungsunfähig war und dies wusste. Zweifel hegt er hingegen, ob die Deckungslücke ausreichend groß gewesen sei, um nach seiner neuen Rechtsprechung auf den Vorsatz schließen zu können.
Das OLG habe keine Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen der Schuldnerin und ihren Verbindlichkeiten festgestellt, sondern lediglich auf die Verbindlichkeiten abgestellt. Das reiche nicht.
Vielmehr müssten die Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung so beschaffen sein, dass aus der Sicht ex ante für jeden objektiven Betrachter in der Position des Schuldners selbst bei optimistischer Betrachtung unzweifelhaft klar sein müsse, diese würden nicht mehr vollständig befriedigt werden können. Das komme etwa Betracht, wenn es sich um Verbindlichkeiten handele, welche die erwartbare Schuldendeckungsfähigkeit des Schuldners offensichtlich bei weitem übersteigen. Für die Annahme derartiger Verbindlichkeiten könne es sprechen, dass diese bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden sind. Für sich genommen reiche dies jedoch nicht. Es müsse sich vielmehr um Verbindlichkeiten handeln, welche für sich genommen, das heißt ohne nähere Betrachtung des liquiden Vermögens sowie der künftigen Geschäftsentwicklung, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners zwingend zur Folge haben mussten. Solche hatte das OLG nicht festgestellt. Die Luftsicherheitsgebühren hätten zum laufenden Geschäftsbetrieb gehört, den die Schuldnerin wenn auch mit schleppendender Zahlungsweise über Jahre aufrechterhalten habe, weshalb sich dies im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen geändert haben sollte, sei nicht festgestellt.
In einem solchen Fall bedürfe es näherer Feststellungen zur Höhe der Deckungslücke. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass insbesondere Gläubiger hoher Forderungen nicht selten zu Zugeständnissen bereit seien, um jedenfalls eine teilweise Realisierung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Reiche auch dies nicht, müsse der Insolvenzverwalter weitere Indizien für den Vorsatz vortragen. Dies wird das OLG im zweiten Rechtszug zu prüfen haben. Dabei werde unter anderem der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen sein, die Bundespolizei sei gesetzlich zur Durchführung der die Luftsicherheitsgebühren auslösenden Maßnahmen verpflichtet gewesen und habe sich nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen dürfen. Dies unterstellt stünde es der Annahme entgegen, die Bezahlung der Luftsicherheitsgebühren sei zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin, was für den Vorsatz sprechen könnte, erforderlich gewesen.
Zur Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:
Die oben erwähnte Beweiserleichterung hält § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bereit. Danach vermutet das Gesetz, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz kannte, wenn er im Zeitpunkt der Rechtshandlung wusste, dass der Schuldner mindestens drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligte. Die zweite Voraussetzung wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit indiziert, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit letzterem muss ein Gläubiger rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig ist.
Entscheidend kam es also darauf an, ob die Beklagte, wie das OLG angenommen hatte, von der Zahlungsunfähigkeit der unternehmerisch tätigen Schuldnerin Kenntnis hatte.
Mit dem Urteil vom 06.05.2021 hatte der BGH auch den Maßstab zur Feststellung der die Zahlungsunfähigkeit indizierenden Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 InsO) abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung definiert. Eine besonders aussagekräftige Grundlage der notwendigen gerichtlichen Überzeugung von der Zahlungseinstellung sei die eigene Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht nur ratenweise – begleichen zu können, dies gelte erst recht, wenn der Schuldner ausdrücklich erkläre, zahlungsunfähig zu sein. Ohne eine solche Erklärung des Schuldners müssten die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt aufträten, reichten dafür häufig nicht.
Erforderliche seien dann weitere Umstände, etwa dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleiche, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen sei. Ferner könne der Mahn- und / oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers den Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen.
Vorliegend gab es wegen der Luftsicherheitsgebührenforderungen keine derartigen Erklärungen. Das OLG hätte sich deshalb davon überzeugen müssen, dass entweder die festgestellten Zahlungsverzögerungen für sich genommen ein Gewicht erreichten, das der Erklärung entsprach, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können, oder sich dies jedenfalls in Zusammenschau mit zusätzlichen Umständen ergab. Das wird es ebenfalls im zweiten Rechtszug nachzuholen haben.
Diese Kriterien gelten auch für die Kenntnis der Zahlungseinstellung, die dann die Zahlungsunfähigkeit indiziert. Vorliegend war zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst keine natürliche Person ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland, die durch ihre Behörden handelt. Unterstellt diese hatten die erforderliche Kenntnis oder Kenntnis von einzelnen Aspekten, die zusammen die Zahlungseinstellung begründeten, stellt sich die Frage, ob diese Kenntnisse der Beklagten zugerechnet werden dürfen und müssen.
Eine Wissenszurechnung zwischen Behörden folgt, so der BGH, nicht schon daraus, dass sie demselben Rechtsträger, hier der Beklagten, angehören. Im Grundsatz komme es vielmehr auf das Wissen des jeweils zuständigen Bediensteten der zuständigen Behörde an. Neben dem zuständigen Sachbearbeiter sei auch der Behördenleiter ein für die Wissenszurechnung geeigneter Kenntnisträger. Ob er an der angefochtenen Rechtshandlung beteiligt gewesen sei, spiele keine Rolle. Denn im rechtsgeschäftlichen Verkehr dürfe sich eine organisationsbedingte „Wissensaufspaltung“ nicht zulasten des Geschäftspartners auswirken; dies gelte aber zunächst nur für die nach außen auftretende Organisationseinheit, also das einzelne Amt oder die einzelne Behörde. Eine Wissenszurechnung zwischen verschiedenen Behörden sei von weiteren Voraussetzungen abhängig.
Sie komme in Betracht, wenn die Behörden eine behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheit gebildet haben. Das hatte der BGH früher bereits angenommen für den Fall der Nachforschung einer Behörde bei weiteren Behörden nach Möglichkeiten, eine gegen den Fiskus gerichtete (Werklohn-)Forderung durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen. Für die Beitreibung von Forderungen des Fiskus durch mehrere Behörden gemeinsam könne nichts anderes gelten. Erforderlich sei die tatsächliche Zusammenarbeit im konkreten Fall, die abstrakte Möglichkeit hierzu reiche dagegen nicht.
Der BGH hatte schon entschieden, dass die Beauftragung einer Vollstreckungsbehörde mit der Beitreibung einer Forderung zur Zurechnung des Wissens der Vollstreckungsbehörde über weitere, von anderen Gläubigern betriebene Vollstreckungsverfahren führt. Hierfür reiche indessen nicht jede untergeordnete Hilfstätigkeit der weiteren Behörde. Für die Zurechnung von außerhalb der konkreten Zusammenarbeit erworbenen Wissens müsse die Einbindung des Wissensträgers so geartet sein, dass sie die Weitergabe auch dieses Wissens erwarten lasse. Das sei der Fall, wenn es sich um Wissen handelt, dass für die konkrete Tätigkeit von Bedeutung sei. Die Erfolgsaussichten eines Vollstreckungsverfahrens hingen etwa auch davon ab, ob es weitere Vollstreckungsverfahren gebe oder gegeben habe und wie diese ausgegangen seien. Für die Tätigkeit als reine Zahlstelle, die sich in der Entgegennahme und Verbuchung von Zahlungen erschöpfe, wie hier die Tätigkeit der Bundeskasse, sei es hingegen ohne Bedeutung, wie sich das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern gestalte.
Auf dieser Grundlage könne nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen vorliegend nicht von einer Zusammenrechnung allen Wissens der Bundeskasse, der vier beteiligten Bundespolizeidirektionen und des Hauptzollamts ausgegangen werden.
Die 20 Zahlungen hätten sich auf Luftsicherheitsgebühren, die von vier rechtlich selbstständigen Bundespolizeidirektionen erhoben worden wären, bezogen. Für die erforderlichen Kenntnisse sei es deshalb im Ausgangspunkt auf das Wissen der jeweiligen Bundespolizeidirektion angekommen. Der Umstand, dass Zahlungen auf die Gebührenforderungen an die Bundeskasse zu leisten gewesen und von dieser verbucht worden seien, führe nicht zu einer Zurechnung des Wissens der Bundeskasse über das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber den anderen Bundespolizeidirektionen. Es habe sich um eine untergeordnete Hilfstätigkeit gehandelt, für deren ordnungsgemäße Erfüllung das sonstige Zahlungsverhalten der Schuldnerin ohne Bedeutung gewesen sei.
Ob dagegen mit Übergang der Zuständigkeit für die weitere Beitreibung der Forderungen nach erfolgloser Mahnung durch die jeweilige Bundespolizeidirektion die für die Wissenszurechnung erforderliche Einbindung der Bundeskasse erfolgt sei, habe das OLG nicht ausreichend festgestellt. Auch zu Vollstreckungsaufträgen an das Hauptzollamt, die sich auf die den angefochtenen Zahlungen zugrundeliegenden Forderungen bezogen hätten, fehle es an Feststellungen. Gleiches gelte für das Wissen des Hauptzollamts. Die Bundeskasse habe aufgrund ihrer Tätigkeit als Zahlstelle jedenfalls die (bloßen) Zahlungsverzögerungen gekannt, die, wie ausgeführt, für sich genommen nicht für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit ausgereicht hätten. Auch diese erforderlichen Feststellungen muss das OLG nachholen.
Da schließlich auch § 130 InsO die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit voraussetze, könnten auch die in dessen dreimonatigen Anfechtungszeitraum fallenden Zahlungen nach den bisherigen Feststellungen nicht nach dieser Norm angefochten werden.
Auf der bisherigen Grundlage anfechtbar seien lediglich die zwei Zahlungen über 21.000 € nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, da sie wegen der Leistung in der Zwangsvollstreckung als inkongruent zu behandeln seien und auch die übrigen Voraussetzungen dieser Norm erfüllt seien.
Die Entscheidung bewegt sich in einem stark umstrittenen gesellschaftspolitischen Umfeld, der Präimplantationsdiagnostik (PID).
Hierzu ist unter anderem § 3a des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) ergangen. Nach dessen Abs. 1 wird ist die PID im Grundsatz verboten.
„Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, denn die folgenden Absätze bestimmen:
(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.
(3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur
1. nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen, wobei die Aufklärung vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen hat,
2. nachdem eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präimplantationsdiagnostik die Einhaltung der Voraussetzungen des Absatzes 2 geprüft und eine zustimmende Bewertung abgegeben hat und
3. durch einen hierfür qualifizierten Arzt in für die Präimplantationsdiagnostik zugelassenen Zentren, die über die für die Durchführung der Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten verfügen, vorgenommen werden. Die im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethikkommissionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert.
…
(5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2 durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Nichtmitwirkung darf kein Nachteil für den Betreffenden erwachsen.
…“
Im vorliegenden Steuerrechtstreit bildeten diese hier nur angerissenen gesellschaftspolitischen Fragen allerdings lediglich den Rahmen des finanzgerichtlichen Rechtsstreits, im Zentrum war vielmehr zu klären, ob die Kosten für die PID einkommensteuerrechtlich als sogenannte außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden können. § 33 EStG lautet auszugsweise:
„(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
(2) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen…“
Der zu entscheidende Fall
Bei dem Partner der im Streitjahr ledigen Klägerin bestand eine chromosomale Translokation (Chromosomenmutation, in Form einer sog. balancierten reziproken Translokation), welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.
Die Klägerin und ihr Partner ließen sich im Kinderwunschzentrum A behandeln, nachdem sie humangenetische am Universitätsklinikum B und am Institut C beraten worden waren. Das Institut bestätigte, dass aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und ihres Partners die Durchführung einer PID indiziert sei. Nach einem Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum und einer psychosozialen Beratung entschieden sie sich, eine künstliche Befruchtung mit PID durchführen zu lassen. Die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer erteilte die erforderliche Zustimmung zur Durchführung der PID.
Die Behandlungen zur Durchführung der künstlichen Befruchtung fanden aus medizinischen Gründen bei der chromosomalen Translokation des Partners zu einem Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Klägerin selbst statt.
In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin den Abzug von Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Höhe von 22.965 € als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Kosten, die teilweise von ihr gezahlt, teilweise aber auch von ihrem Partner beglichen wurden. Das Finanzamt (FA) lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten der Klägerin auch im Einspruchsverfahren ab. Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage teilweise statt und erkannte – neben geschätzten Fahrtkosten der Klägerin in Höhe von 658,80 EUR – die Aufwendungen insoweit als außergewöhnliche Belastungen an, als die Kosten von der Klägerin selbst getragen worden waren (9.344,95 EUR). Im Übrigen wies es die Klage ab.
Die Revision des FA hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.
Die Entscheidungsgründe
Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:
1.Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.
2.Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen – aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen – Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden.
3.Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.
Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Allgemein gelte, dass Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet seien, nach ständiger Rechtsprechung ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwüchsen. Allerdings würden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt würden, die Krankheit erträglich zu machen. Unerheblich sei aber, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen der Heilung dienten oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollten.
Deshalb würden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert werde. Dementsprechend erkenne der BFH Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen würden.
Voraussetzung sei weiter, dass die Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine danach verbotene Behandlung könne keinen zwangsläufigen Aufwand im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Insbesondere dürften die Kosten für eine künstliche Befruchtung nur berücksichtigt werden, wenn die aufwandsbegründende Behandlung nicht gegen das ESchG verstoße.
Bei der im Streitfall vorliegenden chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin mit der wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind handele es sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand und mithin um eine Krankheit in diesem Sinne.
Die PID in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Klägerin seien medizinisch indiziert gewesen, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Unerheblich sei, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt gewesen sei, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohne gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden sei, es reiche eine Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen durch die Behandlung aus.
Da vorliegend die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Klägerin auszugleichen, seien ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der gesunden Klägerin vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Eine Behandlung des Partners allein hätte keine Linderung der Krankheit ermöglicht.
Für belanglos hält der BFH, dass die Klägerin und ihr Partner nicht verheiratet waren. Dies gelte auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht erkrankten Partner, hier der Klägerin, vorzunehmen seien, soweit diese aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer Krankheit des Partners erforderlich seien. Ferner stünde die Behandlung im Einklang mit den Richtlinien der zuständigen Landesärztekammer. Deren PID-Kommission habe auch die erforderliche Zustimmung erteilt.
Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 und 3 ESchG seien nach den bindenden Feststellungen des FG insgesamt eingehalten worden. Es habe aufgrund der beim Partner der Klägerin vorliegenden genetischen Veränderung das hohe Risiko einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos bestanden. Die notwendigen Beratungen seien durchgeführt, die erforderlichen Zustimmungen der Partner erteilt worden.
Dem steuerlichen Abzug der von der Klägerin selbst getragenen Aufwendungen für die an ihr vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen stünde schließlich nicht der Grundsatz der Individualbesteuerung entgegen. Danach sei die Einkommensteuer eine Personensteuer, die die im Einkommen zu Tage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person der Besteuerung zugrunde lege und damit die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sicherstelle. Das FG habe deshalb die der Klägerin entstandenen und von ihr getragenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu Recht berücksichtigt und mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung verstoßen, sondern vielmehr der geminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin Rechnung getragen.
Über die vom Partner der Klägerin getragenen Kosten, wegen derer das FG die Klage abgewiesen hatte, brauchte der BFH nicht zu entscheiden. Da die Klägerin gegen die teilweise Klageabweisung nicht ihrerseits Revision oder Anschlussrevision eingelegt hatte, ist das finanzgerichtliche Urteil bereits im Umfang der Klageabweisung in Rechtskraft erwachsen und der Streit insoweit gar nicht in die Revisionsinstanz gelangt.
Nahestehende Personen im Insolvenzanfechtungsrecht
Die Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs gemäß §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) muss grundsätzlich der Insolvenzverwalter vortragen und, wenn sie vom Anfechtungsgegner bestritten werden, auch beweisen. Dies ist, da sehr viele Anfechtungstatbestände die Kenntnis des Anfechtungsgegners von bestimmten Umständen aus dem Bereich des Schuldners, insbesondere dessen Zahlungsunfähigkeit oder dessen Gläubigerbenachteiligungsabsicht, erfordern, nicht immer einfach. Das hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, in einigen Fallkonstellationen Beweiserleichterungen für den Insolvenzverwalter zu schaffen. So ist die Anfechtung gegenüber sogenannten nahestehenden Personen deutlich erleichtert.
§ 130 InsO verlangt neben einer anfechtbaren Handlung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner davon Kenntnis hatte. Hinsichtlich dieser Kenntnis regelt § 130 Abs. 3 InsO:
„Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.“
Ist eine nahestehende Person Anfechtungsgegner, braucht der Insolvenzverwalter deren Kenntnis also nicht nachzuweisen, das Gesetz geht vielmehr davon aus – „vermutet“ –, dass diese Person die Zahlungsunfähigkeit kannte. Es ist dann Sache des Anfechtungsgegners, den sogenannten Gegenbeweis zu führen. Er muss nachweisen, dass er die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte, obwohl er dem Schuldner nahestand. Dieser Beweis ist wiederum für den Anfechtungsgegner nicht leicht zu führen.
Die Vorschrift des § 130 Abs. 3 InsO greift auch bei anderen Tatbeständen ein, die die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit fordern.
Darüber hinaus beinhaltet § 133 Abs. 4 InsO einen Anfechtungstatbestand, der ausschließlich bei nahestehenden Personen in Betracht kommt:
„Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.“
Hier geht das Gesetz davon aus, dass eine nahestehende Person den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen kannte. Um die Anfechtung nach dieser Vorschrift abzuwenden, muss der Anfechtungsgegner beweisen, dass ihm dieser Vorsatz nicht bekannt war.
Wer als nahestehende Person zu behandeln ist, bestimmt § 138 InsO, wobei Absatz 1 diese Frage bei natürlichen Personen als Insolvenzschuldner regelt und Absatz 2 bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften (zum Beispiel eine offene Handelsgesellschaft – oHG).
Bei natürlichen Personen sind nahestehend insbesondere deren Ehegatten und Lebenspartner, nahe Verwandte und Personen, die mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft leben. Aber auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können dem Schuldner nahestehen, wenn er zum Beispiel Mitglied des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans oder persönlich haftender Gesellschafter ist.
Ist dagegen Insolvenzschuldnerin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, stehen ihr unter anderem nahe die Mitglieder ihres Vertretungs- oder Aufsichtsorgans, ein persönlich haftender Gesellschafter und Personen, die zu mehr als einem Viertel an ihrem Kapital beteiligt sind.
Der zu entscheidende Fall
Insolvenzschuldnerin ist eine GmbH, der beklagte Anfechtungsgegner ist ein eingetragener Verein, der zu 100 % an einer anderen Gesellschaft, der M-GmbH (M), beteiligt ist. Die M wiederum hält 100 % der Anteile der schuldnerischen GmbH.
Am 16.07.2013 überwies die Schuldnerin dem beklagten Verein auf eine bestehende, fällige Forderung 146.000 €. Auf einen eigenen Insolvenzantrag der Schuldnerin vom 22.08.2013 wurde am 30.10.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Verwalter hat diese Zahlung angefochten und Rückgewähr zu Masse gemäß § 130 InsO mit der Behauptung verlangt, die Schuldnerin sei bei der Zahlung zahlungsunfähig gewesen. Der Beklagte hat schon die Zahlungsunfähigkeit bestritten und geltend gemacht, jedenfalls nicht von einer Zahlungsunfähigkeit gewusst zu haben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Insolvenzverwalters zurückgewiesen. Es hat dabei das objektive Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit offengelassen, weil der Beklagte, sollte sie vorgelegen haben, sie nicht gekannt hatte. Daher könnten die Voraussetzungen des § 130 InsO nicht vorliegen.
Auf die Revision des Insolvenzverwalters hebt der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verweist die Sache an das Oberlandesgericht zurück, damit dieses im zweiten Rechtszug die notwendigen Feststellungen zur objektiven Zahlungsunfähigkeit nachholen kann. Der BGH ist reine Rechtsinstanz und kann selbst die zugrundeliegenden Tatsachen nicht feststellen.
Die Entscheidungsgründe
Der BGH führt aus, dass die für jede Insolvenzanfechtung nach § 129 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung der 146.000 € eingetreten sei, aber auch die Voraussetzungen des § 130 InsO könnten vorliegen. Die Zahlung sei in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgt. Sollte die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig gewesen sein, was das Oberlandesgericht – wie erwähnt – nicht geprüft hatte, sei § 130 InsO vollständig erfüllt, denn die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit sei gemäß § 130 Abs. 3 InsO zu vermuten, weil der Beklagte eine der Schuldnerin nahestehende Person sei.
Die Eigenschaft des Beklagten als nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO habe das Berufungsgericht zu Unrecht verneint. Bei einer nahestehenden Person werde die Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit vermutet, wie sich aus § 130 Abs. 3 InsO ergebe.
Ist der Schuldner – wie hier die GmbH – eine juristische Person, so sind, wie schon dargestellt, gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO unter anderem solche Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.
Die Bestimmung erfasse auch mittelbare Beteiligungen, meint der BGH, wie sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes ergebe. Maßgeblich sei das Verständnis der Insolvenzordnung zu dieser Frage.
Bei der Auslegung eines Gesetzes sind verschiede Aspekte zu berücksichtigen, einer davon ist die Gesetzgebungsgeschichte. Der 1992 veröffentlichte Entwurf der Bundesregierung zur neu zu schaffenden InsO bestimmte in § 154 Abs. 2 ausdrücklich, dass eine Person auch insoweit am Schuldner beteiligt ist, als ein von der Person abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt ist. Damit sollte bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital auch eine mittelbare Beteiligung zu berücksichtigen sein. Aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses, der nach Bundestag und Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen worden war, erfolgte eine Neugliederung und redaktionelle Straffung, in deren Folge nunmehr § 153 des Regierungsentwurfs die von § 154 geregelten Beziehungen erfassen sollte. § 153 des Entwurfs erwähnte ebenso wie die dann Gesetz gewordene Regelung des § 138 InsO mittelbare Beteiligungen nicht mehr ausdrücklich, eine inhaltliche Änderung habe damit, so der BGH, aber nicht einher gehen sollen. Der Gesetzgeber habe den § 154 des Entwurfs parallel zur Vorschrift des § 16 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) formuliert. Die Vorschrift entspreche daher dem in § 16 Abs. 4 AktG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, für die Berechnung der Kapitalbeteiligung auch mittelbare Beteiligungen am Schuldner einzubeziehen.
Die Regelung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO beruhe darauf, dass zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heiße über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügten, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten. Das Bestehen einer solchen Möglichkeit werde in typisierender Weise bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % unwiderleglich vom Gesetz vermutet. Dies müsse nach dem Grundgedanken der Regelung auch dann gelten, wenn eine Beteiligung von mehr als 25 % durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht werde.
Vorliegend sei der Beklagte (mittelbar) mit mehr als 25 % am Kapital der Schuldnerin beteiligt, weil er alleiniger Gesellschafter der M-GmbH und diese wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin sei. Ob der Gesellschafter einer GmbH als nahestehende Person anzusehen sei, hänge nach dem Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit nicht davon ab, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürften.
Bevor der BGH ein Urteil aufhebt, prüft er stets, ob das Urteil nicht aus anderen als den vom Berufungsgericht angeführten Gründen richtig ist, so auch hier. Das Urteil des Oberlandesgerichts wäre nämlich im Ergebnis auch dann richtig gewesen, wenn, wie der beklagte Verein auch vorgebracht hatte, der Anfechtungsanspruch verjährt gewesen wäre.
Der BGH verneint indessen die Verjährung des Anfechtungsanspruchs.
Der Anfechtungsanspruch verjährt gemäß § 146 Abs. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Gemäß § 195 BGB verjährt der Anfechtungsanspruch daher grundsätzlich nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist läuft mit dem Schluss des Jahres an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. – Der durch die Insolvenzanfechtung geltend gemachte Rückgewähranspruch entsteht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Vorliegend hatte der Lauf der Frist aufgrund der Insolvenzeröffnung am 30.10.2013 frühestens mit Ablauf des 31.12.2013 begonnen und ist folglich nicht vor dem 31.12.2016 beendet gewesen.
Die Zustellung des vom Kläger für den Rückgewähr beantragten Mahnbescheids beim Beklagten sei am 21.12.2016 erfolgt und habe die Verjährung daher gehemmt. Anders als der Beklagte meine, habe der Kläger für den geltend gemachten Anspruch vom Mahnverfahren Gebrauch machen dürfen. Die Voraussetzungen unter denen dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werde, lägen nicht vor. Der Anfechtungsanspruch sei entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht von einer Gegenleistung abhängig, was dem Erlass eines Mahnbescheids allerdings entgegengestanden hätte. Dem Anfechtungsgegner stehe im Anfechtungsprozess auch kein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick darauf zu, dass die Forderung, deren Befriedigung angefochten werde, als Insolvenzforderung gemäß § 144 InsO wieder auflebt, wenn der Anfechtungsgegner den Anfechtungsanspruch erfüllt.
Gerichte bestimmen ihre Termine im Allgemeinen, ohne sie mit den Beteiligten, den Parteien und ihren Rechtsanwälten, zuvor abzusprechen. Die Beteiligten sind deshalb darauf verwiesen, einen Vertagungsantrag zu stellen. Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bedarf es hierfür jedoch eines „erheblichen Grundes“, der auf Verlangen des Gerichts glaubhaft gemacht werden muss. Diese Vorschrift gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren, da § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Vorschriften der ZPO verweist, soweit die FGO keine eigenen Regelungen trifft, und solche sich in der FGO zur Vertagung nicht finden.
Der zu entscheidende Fall
Das Verfahren befindet sich bereits im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang hatte der Bundesfinanzhof (BFH) die Vorentscheidung des Sächsischen Finanzgerichts (FG) aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da das FG trotz eines dargelegten und glaubhaft gemachten wichtigen Grundes für eine Terminsverlegung in der Sache verhandelt und entschieden hatte
Im zweiten Rechtsgang stellte der Kläger zunächst erfolgreich zwei weitere Anträge auf Terminsverlegung. Bei der streitgegenständlichen dritten Ladung wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22.02.2023 (Aschermittwoch) bestimmt. Der ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte, ein selbständiger Einzelanwalt, beantragte mit Schreiben vom 31.01.2023 Terminsverlegung mit der Begründung, dass er sich vom 16.02.2023 bis zum 22.02.2023 im Urlaub befinde.
Das FG lehnte diesen Antrag ab, da der Prozessbevollmächtigte nicht dargetan – und erst recht nicht glaubhaft gemacht – habe, dass er infolge eines bereits vor Anberaumung des Termins geplanten Urlaubs ortsabwesend sei.
Der Rechtsanwalt erwiderte, dass der Urlaub schon vor der Terminierung geplant und festgesetzt gewesen sei. Denn es handele sich um eine an seinem Kanzleiort sehr ausgeprägte Karnevalszeit; nahezu alle Firmen arbeiteten nicht. Er sei seit 25 Jahren verheiratet und habe mit seiner Frau über die Karnevalstage vom 16.02.2023 bis 22.02.2023 „Urlaub genommen“. Der Entschluss sei in der Weihnachtszeit 2022 gefallen. Hierüber könne dem FG auch die Ehefrau berichten. Wohin man fahren werde, stehe noch nicht fest.
Das FG verlegte den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht. Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte erschienen zur mündlichen Verhandlung. Das FG verhandelte, dies ist in einem solchen Fall zulässig, in Abwesenheit der Klägerseite und wies die Klage ab, die Revision ließ es nicht zu. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die er mit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und damit mit einem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 FGO begründete. Der BFH hat den Antrag auf Zulassung der Revision zurückgewiesen.
Die Entscheidungsgründe
Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:
1. Die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen eines in der Privatsphäre liegenden Vorhabens setzt die Darlegung und (gegebenenfalls) die Glaubhaftmachung von Umständen voraus, wonach das Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist.
2. Ein vor Zugang der Ladung gefasster Entschluss zu einem Kurzurlaub "ins Blaue" ist kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten.
Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs könne durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt werden. Habe das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so werde die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet. Die Rüge dieses Verfahrensmangels erfordere daher nicht einmal die Darlegung, was der Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können.
Das Gericht könne aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen sowie eine Verhandlung vertagen. Wenn ein Beteiligter erhebliche Gründe geltend und (gegebenenfalls) glaubhaft mache, verdichte sich das in § 227 ZPO eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, das heißt der Termin müsse in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif halte und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde.
Welche Gründe als erheblich anzusehen seien und deshalb von demjenigen, der eine Verlegung des Termins beantragt, darzulegen seien, richte sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der Prozessbevollmächtigten seien dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz sei und die Beteiligten ein Recht darauf hätten, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung komme eine Terminsverlegung wegen einer durch eine anderweitige Verpflichtung bedingten Ortsabwesenheit eines Beteiligten oder einen Urlaub des Prozessbevollmächtigten allerdings grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die andere Sache vorrangig sei oder der Urlaub oder ein sonstiges in der Privatsphäre liegendes Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet gewesen sei, dass dem Prozessbevollmächtigten unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar sei. Der Vortrag eines Beteiligten, er habe (gegebenenfalls auch zusammen mit einer anderen Person) vor Zugang der Ladung den Entschluss gefasst, am Tag der mündlichen Verhandlung Urlaub zu machen, genüge dafür nicht. Andernfalls hätten es die Beteiligten in der Hand, nahezu nach Gutdünken Terminsänderungen herbeizuführen.
Die vom FG verlangte Glaubhaftmachung nach § 292 ZPO erfordere zwar nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet werde, tatsächlich vorliegen. Das Fehlen dieser Glaubhaftmachung könne nach § 227 Abs. 2 ZPO den Beteiligten nur nach entsprechender erfolgloser Aufforderung durch den Vorsitzenden oder den Einzelrichter entgegengehalten werden, wenn nicht eine derartige Aufforderung insbesondere wegen der Kurzfristigkeit des Verlegungsantrags zeitlich nicht möglich gewesen sei.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe könne das Vorgehen des FG nicht beanstandet werden. Der durch einen Rechtsanwalt und damit rechtskundig vertretene Kläger habe gegenüber dem FG schon keinen erheblichen Grund dargelegt, der eine Terminsverlegung gerechtfertigt hätte, obwohl er hierzu Anlass gehabt habe. Er habe vor der mündlichen Verhandlung weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass die Urlaubsplanung des Prozessbevollmächtigten bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass diesem unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar gewesen sei.
Der Vortrag im Schreiben des Rechtsanwalts vom 08.02.2023, er habe sich vor Zugang der Ladung mit seiner Frau darauf verständigt, am Sitzungstag Urlaub zu machen, sie wüssten aber nicht, wohin die Reise gehen solle, genüge nicht, um eine Terminsverlegung zu erreichen. Bei einer derartigen Urlaubsfahrt „ins Blaue“ liege die Erheblichkeit des Grundes im Sinne des § 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 227 ZPO nicht auf der Hand, sondern könne sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergeben. Weitere zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Umstände habe der Kläger jedoch nicht vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht, obwohl das FG mit Schreiben vom 03.02.2023 deutlich gemacht hätte, dass es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht (ein weiteres Mal) wegen eines nicht näher präzisierten Urlaubs verlegen werde, und sich aus diesem Schreiben in Zusammenschau mit dem vorangegangenen Schriftwechsel ergeben habe, dass das FG auch eine Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe verlangt habe. Dies sei dem Rechtsanwalt auch klar gewesen, denn er habe kritisiert, dass der Richter durchwegs Nachweise hätte haben wollen, ob seine (des Rechtsanwalts) Aussagen wahr seien.
Als Rechtsanwalt habe dem Prozessbevollmächtigten bekannt sein müssen, dass er in einem derartigen Fall zusätzlich zu dem angegebenen Verlegungsgrund – dem beabsichtigten Urlaub – Umstände vortragen und glaubhaft machen müsse, wonach die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins nach den Gesamtumständen des Einzelfalls als nicht zumutbar erscheint.
Schließlich ergäben sich auch aus den Akten keine Umstände, wonach sich dem FG die Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung geradezu aufdrängen musste.
Der BFH sah folglich keinen Grund für die Zulassung der Revision.
Die Gläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG)
Die Anfechtung von Rechtshandlungen durch den Insolvenzverwalter mit dem Ziel vorinsolvenzlich weggebene Vermögensbestandteile des Insolvenzschuldners für die Insolvenzmasse und damit zugunsten der Insolvenzgläubiger zurückzugewinnen, ist allgemein, zum Teil aus eigener Erfahrung, bekannt. Weniger bekannt ist die Anfechtung nach dem AnfG außerhalb des Insolvenzverfahrens. Hier ist jeder Gläubiger, der über einen (auch vorläufig) vollstreckbaren Titel verfügt, anfechtungsberechtigt, wenn er zuvor in der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner keine vollständige Befriedigung erlangt hat oder anzunehmen ist, dass die die Vollstreckung nicht hierzu führen würde. Anders als bei der Insolvenzanfechtung kommen bei der Gläubigeranfechtung nur Rechtshandlungen des Schuldners in Betracht, er muss selbst einen Vermögensgegenstand anfechtbar übertragen haben. Die Anfechtungstatbestände sind im Verhältnis zur Insolvenzordnung reduziert und beschränken sich auf die Vorsatzanfechtung nach § 3 AnfG, die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nach § 4 InsO und die Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen sowie Gesellschaftersicherheiten für Drittdarlehen nach §§ 6 und 6a AnfG.
Die Gläubigeranfechtung ist grundsätzlich innerhalb der jeweiligen Anfechtungsfristen durch Klage geltend zu machen. Der Klageantrag richtet sich dabei – auch hier abweichend von der Insolvenzanfechtung – nicht auf Rückübertragung des Vermögensbestandteils an den Schuldner, sondern auf Duldung der Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand. Der Anfechtungsgegner muss die Vollstreckung so dulden, als gehörte der Gegenstand noch dem Schuldner, denn die Gläubigeranfechtung soll nur die Vollstreckungschancen des anfechtenden Gläubigers so wiederherstellen, wie sie vor der angefochtenen Rechtshandlung, der Weggabe des Gegenstands, bestanden. Diese Besserstellung erlangt nur der anfechtende Gläubiger, nicht weitere Gläubiger des Schuldners. Das AnfG ist damit eine Ausprägung des in der Zwangsvollstreckung geltenden Prioritätsgrundsatzes.
Die Gläubigeranfechtung durch die Finanzverwaltung
Auch das Finanzamt (FA) ist als (Steuer)Gläubiger zur Anfechtung berechtigt, allerdings steht ihr zu diesem Zweck der Zivilrechtsweg nicht offen, sie hat vielmehr nach § 191 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) die Anfechtung durch einen sogenannten Duldungsbescheid geltend zu machen und ist dabei an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht gebunden. Ansonsten gelten die Voraussetzungen des AnfG auch für das Finanzamt.
Der Empfänger eines solchen Duldungsbescheids kann sich mit dem Einspruch und, bei dessen Erfolglosigkeit, mit der Anfechtungsklage an das Finanzgericht, wehren. Er muss zur Wahrung seiner Rechte also selbst aktiv werden, während der zivilrechtliche Anfechtungsgegner abwarten kann, dass der Anfechtende Klage zum Zivilgericht erhebt.
Die Fiskalerbschaft
Durch die Erbschaft geht das Vermögen des Erblassers samt den Verbindlichkeiten als Ganzes auf den oder die Erben über. Liegt keine testamentarische Verfügung, auch kein Erbvertrag vor, sind die gesetzlichen Erben berufen. Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers nach § 1924 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), Erben zweiter Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, Erben dritter Ordnung die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmling, Erben der vierten Ordnung die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge, Erben der fünften Ordnung sind die ferneren Verwandten (§§ 1925 bis 1929 BGB). Daneben besteht nach § 1931 BGB das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten.
Fehlt es an einer letztwilligen Verfügung und ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt nach § 1936 BGB das Bundesland, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund. Dasselbe gilt gemäß § 1953 BGB, wenn alle testamentarisch oder kraft Gesetzes berufenen Erben die Erbschaft ausschlagen, weil dann der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden nicht als erfolgt fingiert wird.
Der zu entscheidende Fall
Die Beteiligten stritten im vorliegenden Fall darüber, ob ein Duldungsbescheid des Finanzamts infolge der auch vom Finanzgericht (FG) angenommenen Fiskalerbschaft, die ein Erlöschen der geltend gemachten Abgabenforderungen zur Folge haben könnte, aufrecht erhalten bleiben kann. Das Finanzamt hatte gegen die Abgabenschuldnerin S eine offene Steuerforderung festgesetzt, die diese nicht, auch später nicht entrichtete.
Das FA nahm daher die Klägerin gemäß § 191 AO i. V. m. §§ 1 und 3 AnfG mit Bescheid auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück in Anspruch. Die Klägerin, eine Schwägerin der S, hatte dieses Grundstück zuvor von dieser erworben. Als Gegenleistung übernahm die Klägerin eine Briefgrundschuld samt des hierdurch gesicherten Kredits sowie die Verpflichtung zur Zahlung eines weiteren Kaufpreises. Zudem räumte sie der S und deren Ehemann ein lebenslanges dingliches Wohnungsrecht ein und verpflichtete sich, dem Sohn der S ein unwiderrufliches Verkaufsangebot zu unterbreiten.
Das FA erklärte in dem Duldungsbescheid die Anfechtung des Erwerbsvorgangs. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid erfolglos Einspruch ein. 2015 verstarb S. Ihr Ehemann und ihr einziger Sohn als gesetzliche Erben schlugen das Erbe aus. Ob ein weitere Person, der B, gesetzlicher Erbe geworden ist, der die Erbschaft nicht ausgeschlagen hatte, hat das FG, das die Klage für unbegründet hielt und daher abwies, nicht prozessordnungsgemäß geklärt.
Die Klägerin begründete die Revision damit, dass für einen Duldungsbescheid der Grundsatz der Akzessorietät gelte. Dieser werde im Falle der hier vorliegenden Fiskalerbschaft nicht durchbrochen. Der Grundsatz der Akzessorietät besagt, dass das Anfechtungsrecht ohne Weiters mit der titulierten Forderung erlischt, etwa weil der Schuldner sie doch noch beglichen hat. Der BFH hat die Revision zurückgewiesen.
Die Entscheidungsgründe
Der BFH hat keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 3 AnfG hier vorliegen, soweit ersichtlich war das in der Revisionsinstanz auch nicht mehr zwischen den Parteien streitig. Entscheidend kann es entsprechend dem Grundsatz der Akzessorietät darauf an, ob die Steuerforderung noch bestand. Die Frage, ob B oder der Fiskus Erbe geworden waren, lässt der BFH bei seiner Lösung offen. In beiden Fällen hält die Revision unbegründet.
Wäre B Erbe geworden, hätte dies auf die Steuerforderung keine Auswirkungen gehabt, die Forderung bestand trotz des Erbfalls fort. Unter dieser Prämisse wäre der Duldungsbescheid daher nach wie vor rechtmäßig.
Wäre hingegen der Fiskus Erbe geworden, wäre die Steuerforderung in Folge der Konfusion – der Fiskus ist Gläubiger der Steuerforderung und gleichzeitig durch den Erbanfall auch Schuldner dieser Verbindlichkeit geworden – erloschen. Unter Anwendung des Grundsatzes der Akzessorietät fehlte es folglich für den Duldungsanspruch an einem vollstreckbaren Schuldtitel, hier in Form des Steuerbescheids, denn der sich aus der Anfechtung ergebende Duldungsanspruch wird in seinem Umfang durch die im Bescheid angegebene Steuerforderung begrenzt.
Dennoch sei vorliegend das Anfechtungsrecht nicht untergegangen, da, so meint der BFH, im Fall der Fiskalerbschaft der Grundsatz der Akzessorietät solches nicht bewirke.
Der BFH vergleicht den vorliegenden Sachverhalt mit demjenigen der Aufteilung einer Steuerschuld von zusammen veranlagten Ehegatten nach § 268 AO. Diese Vorschrift bestimmt, dass Gesamtschuldner, und zwar jeder einzeln, wie etwa gemeinsam veranlagte Ehegatten, die zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden sind, beantragen können, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach einer Aufteilung der Steuer (§§ 269 bis 278 AO) auf den einzelnen ergibt.
Diese Aufteilung hat gemäß § 278 Abs. 1 AO zur Folge, dass danach die Vollstreckung nur nach Maßgabe der auf die einzelnen Schuldner entfallenden Beträge durchgeführt werden darf. Abs. 2 bestimmt aber, dass, wenn einem Steuerschuldner von einer mit ihm zusammen veranlagten Person in oder nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände bestehen, unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet werden, der Empfänger für einen bestimmten Zeitraum bis zur Höhe des Wertes dieser Zuwendung für die Steuer in Anspruch genommen werden kann. Für diesen Fall hatte der BFH mit Urteil vom 07.03.2006 (VII R 12/05) bereits entschieden, dass die Inanspruchnahme des Empfängers der unentgeltlichen Zuwendung nicht dadurch gehindert wird, dass die Steuerschuld durch Konfusion erlischt. Begründet hatte der BFH diese Entscheidung damit, dass die uneingeschränkte Akzessorietät der Verpflichtung des zusammen veranlagten Zuwendungsempfängers im Falle der Konfusion der Steuerschuld bei einer Fiskalerbschaft dem Zweck des § 278 Abs. 2 Satz 1 AO zuwiderliefe, dem Steuergläubiger im Gegenzug zur Vollstreckungsbegrenzung durch Aufteilungsbescheid den Zugriff auf die Vermögenswerte zu bewahren, die dem Vermögen des Erblassers durch unentgeltliche Übertragung auf den zusammen veranlagten anderen Ehegatten entzogen worden sind. Von derselben Interessenlage sei auch im Falle der Anfechtung nach dem AnfG auszugehen. Der Grundsatz der Akzessorietät müsse daher bei der Fiskalerbschaft zurücktreten.
Diese Auffassung teile auch der Bundesgerichtshof (BGH). Dieser habe nämlich entschieden, dass eine Forderung als fortbestehend fingiert werden müsse, wenn dies nach der Interessenlage etwa mit Rücksicht auf Rechte Dritter an der Forderung geboten erscheine (BGH, Urteil vom 14.06.1995 – IV ZR 212/94).
Der BFH verneint abschließend den Eintritt der Zahlungsverjährung nach § 228 AO, sodass er die Revision insgesamt als unbegründet behandeln konnte.
Forderungskategorien im Insolvenzverfahren
Das Insolvenzverfahren dient nach § 1 der Insolvenzordnung (InsO) dazu, durch Verwertung des Vermögens des Schuldners seine Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen. Die hier angesprochenen Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO solche Gläubiger, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Soweit diese Gläubiger im Insolvenzverfahren nicht befriedigt werden können, können sie nach Aufhebung des Verfahrens ihre Forderungen gegen den Schuldner weiterverfolgen. Das gilt allerdings nur, wenn dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wurde und seine Verbindlichkeiten auch nicht im Rahmen eines Insolvenzplans erlassen wurden, denn das wirtschaftliche Überleben des Schuldners ist der zweite in § 1 InsO niedergelegte Zweck des Insolvenzverfahrens.
Soweit hier von Interesse stehen neben den Insolvenzforderungen die sogenannten Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO, das sind vor allem Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden. Diese Möglichkeit hat der Insolvenzverwalter, weil auf ihn nach § 80 InsO das Recht, das Vermögen des Schuldners, soweit es in die Insolvenzmasse fällt, zu verwalten und darüber zu verfügen, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens übergeht. Er handelt insoweit als sogenannte Partei kraft Amtes. Diese Masseverbindlichkeiten sind ebenso wie die Kosten des Insolvenzverfahrens vorweg aus der Masse zu berichtigen, bevor eine Quote an die Insolvenzgläubiger ausgeschüttet werden darf.
Der Insolvenzverwalter hat sorgfältig zu prüfen, ob er die von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse befriedigen kann. Unterlässt er dies und kann eine Masseverbindlichkeit nicht befriedigt werden, so ist der Insolvenzverwalter mit seinem eigenen Vermögen dem Massegläubiger zum Schadenersatz nach näherer Maßgabe des § 61 InsO verpflichtet.
Schließlich kann es auch im laufenden Insolvenzverfahren Verbindlichkeiten geben, die die Insolvenzmasse nicht betreffen, sondern das sogenannte massefreie Vermögen des Schuldners. Hierbei handelt es sich um solche die der Schuldner, hier kommen vor allem natürliche Personen in Betracht, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, nicht nur, aber allem, wenn der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO „freigegeben“ hatte.
Ist der Insolvenzverwalter auch gehalten, die von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten zu befriedigen, kommt es doch immer wieder vor, dass solche offen bleiben und bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht befriedigt werden, sei es, weil die Masse nicht ausreicht, sei es, weil der Verwalter sie aus sonstigen Gründen, etwa aus Nachlässigkeit nicht befriedigt, bevor er die Masse an die Insolvenzgläubiger verteilt.
Ob der frühere Insolvenzschuldner, eventuell gar nach einer ihm erteilten Restschuldbefreiung, für diese unbefriedigt gebliebenen Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen werden kann, ist juristisch umstritten. Die ganz herrschende Meinung lässt die Inanspruchnahme des Schuldners zwar zu, beschränkt sie aber auf eine ihm eventuell nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgehändigte Restmasse. Ihre Begründung findet diese Auffassung in der Verpflichtungsmacht des Insolvenzverwalters aus § 80 InsO, denn dieser ist nicht schlechthin gesetzlicher Vertreter des Schuldners, sondern kann nur für die Insolvenzmasse handeln, den Schuldner also nur insoweit verpflichten, als es die Insolvenzmasse betrifft.
Anderer Meinung ist seit einigen Jahren der Bundesfinanzhof (BFH), der die Beschränkung der Nachhaftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten bei Steuerschulden nicht gelten lassen will. Die Restschuldbefreiung steht nach seiner insoweit zutreffenden Meinung der Inanspruchnahme nicht entgegen, da von ihr lediglich Insolvenzforderung und keine Masseverbindlichkeiten erfasst werden.
Der zu entscheidende Fall
Über das Vermögen des Klägers, eines Einzelunternehmers, war am 29.06.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Insolvenzverfahren wurde nach dem Vollzug der Schlussverteilung am 19.01.2016 aufgehoben. Gleichzeitig wurde bekannt gemacht, dass die Wohlverhaltensphase des Kl. im Restschuldbefreiungsverfahren am 290.6.2018 enden werde. Ob die Restschuldbefreiung auch erteilt wurde, lässt sich dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Halle nicht entnehmen.
Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen des Klägers zunächst fort und beschäftigte fünf Arbeitnehmer des Klägers für einige Zeit weiter. Hierzu wurde ihm antragsgemäß eine neue Betriebsnummer durch den Sozialversicherungsträger erteilt.
Bei einer nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung durch die beklagte Deutsche Rentenversicherung stellte sich heraus, dass bei den Beitragsnachweisen für die Zeit des laufenden Insolvenzverfahrens von falschen Berechnungsgrundlagen ausgegangen worden war, sodass sich Nachforderungen ergaben. Diese wurden in voller Höhe gegen den Kläger als ehemaligen Insolvenzschuldner und Arbeitgeber festgesetzt.
Diese Geltendmachung könne, so ist in der Nachforderung ausgeführt, in Anbetracht der Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Regel nur gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber (dem Insolvenzschuldner) erfolgen, der im Rahmen des Insolvenzverfahrens seine wirtschaftliche Tätigkeit fortsetze. Eine Inanspruchnahme des ehemaligen Insolvenzverwalters nach § 61 InsO erfolge nicht (Anmerkung: Sie hätte auch keinen Erfolg, da Sozialversicherungsbeiträge ebenso wie Steuern von § 61 InsO nicht erfasst werden. Ob eine Haftung des Verwalters nach § 60 InsO wegen der fehlerhaften Berechnungsgrundlagen in Betracht kommen könnte ist eine andere, hier nicht relevante Frage.)
Mit seiner Klage hat der Kläger die Aufhebung des Nachforderungsbescheids verfolgt und geltend gemacht, der angefochtene Bescheid richte sich an den falschen Beteiligten. Nicht er, sondern der Insolvenzverwalter sei unter der neuen Betriebsnummer als Arbeitgeber geführt. Dieser habe auch die fehlerhaften Meldungen zur Sozialversicherung zu vertreten.
Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klage abgewiesen, hiergegen richtet die Berufung, die das LSG Halle zurückgewiesen hat.
Die Begründung des LSG Halle
Das LSG Halle meint, die Beklagte habe zu Recht vom Kläger die Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert.
Die Beklagte habe den angefochtenen Bescheid richtigerweise an den Kläger als Arbeitgeber der im Insolvenzverfahren weiterbeschäftigten Arbeitnehmer gerichtet. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien diese Arbeitnehmer des Klägers gewesen. Die Arbeitsverhältnisse hätten noch über den Eröffnungstag hinaus bis zum 31.07.2012 fortbestanden.
Die aus den fortbestehenden Arbeitsverhältnissen erwachsenen Verbindlichkeiten auf Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen seien Masseverbindlichkeiten gemäß § § 55 Abs. 1 InsO gewesen, die vom Insolvenzverwalter, der anstelle des Klägers gemäß § 80 InsO in der Funktion des Arbeitgebers das insolvenzbefangene Unternehmen fortgeführt habe, zu erfüllen gewesen seien. Die Beitragsforderung richte sich aber nicht gegen den Insolvenzverwalter persönlich.
Soweit vom Insolvenzverwalter aufgrund fehlerhafter Berechnung die Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig entrichtet worden seien, könnten sie nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger durch Beitragsbescheid festgesetzt werden, denn mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens habe der Kläger die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen zurückgewonnen, die infolge der Eröffnung auf den Insolvenzverwalter übergegangen gewesen sei. An Verpflichtungen und Verfügungen, die der Verwalter eingegangen sei, bleibe der Kläger gebunden.
Mit der Frage, ob diese vom LSG umschriebene Nachhaftung eventuell begrenzt sein könnte, wie es von der ganz herrschenden Meinung vertreten wird, setzt sich das Gericht nicht weiter auseinander, obwohl hierin die eigentliche Problematik des Rechtsstreits lag.
Der Nachhaftung stehe, so das LSG, nicht entgegen, dass der Insolvenzverwalter eine neue Betriebsnummer beantragt hatte. Denn dies habe nur zur Abgrenzung der Verpflichtungen des Insolvenzschuldners vor der Insolvenzeröffnung und den Masseverbindlichkeiten für die Zeit ab Insolvenzeröffnung gedient.
Ob die festgesetzte Beitragsnachforderung durchsetzbar sei, sei nicht Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens. Im Rahmen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Betriebsprüfung sei lediglich zu prüfen, ob die arbeitgeberseitigen melde- und beitragsrechtlichen Pflichten erfüllt worden seien. Der auf dieser Grundlage von der Beklagten erlassene Beitragsbescheid habe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den Charakter eines Grundlagenbescheides, der den Rechtsgrund für das Tätigwerden der Einzugsstellen der Sozialversicherung als Gläubiger der Beitragsforderungen darstelle. Einwendungen, insbesondere gegebenenfalls vorliegende Vollstreckungshindernisse, habe der Kläger nach der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides gegebenenfalls gegenüber den Einzugsstellen geltend zu machen. Auch dies Begründung vermag nicht recht zu überzeugen, denn die vom LSG hierzu in Bezug genommen Urteile des BSG befassen sich mit einem anderen Sachverhalt, nämlich er Rechtslage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit.
Schließlich meint das LSG, nicht streitgegenständlich sei der Vorwurf des Klägers, der Insolvenzverwalter habe die fehlerhafte Beitragsentrichtung und damit die ihm gegenüber geltend gemachte Beitragsnachforderung zu verantworten. Dessen Haftung, die sich aus § 60 InsO wegen Pflichtverletzungen durch die unzutreffenden Beitragsnachweise ergeben könne, sei erst nach rechtskräftigem Abschluss des vorliegenden Verfahrens zu prüfen.
Insolvenzanfechtung
Die Insolvenzanfechtung ist für den von ihr Betroffenen, den Anfechtungsgegner, schwer zu akzeptieren, auch allgemein wird sie häufig hinterfragt. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass in der Insolvenz die Insolvenzgläubiger gleichbehandelt werden sollen, also einzelne Gläubiger keine Sondervorteile beanspruchen können. Dieser Grundsatz gilt zwar erst ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, soll aber dann vorverlagert werden, wenn ein Gläubiger oder gar ein Dritter aus dem Schuldnervermögen vor der Verfahrenseröffnung etwas erlangt hat und dabei die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands erfüllt worden sind. Das gesetzgeberische Motiv für die einzelnen Anfechtungstatbestände ist dabei recht unterschiedlich. Während die Anfechtung wegen der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers nach §§ 130, 131 der Insolvenzordnung (InsO) Handlungen für anfechtbar erklärt, die während der wirtschaftlichen Krise des Schuldners, konkret während der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag, vorgenommen worden sind, kommt in der Regelung der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO der Gedanke zum Ausdruck, dass ein Schuldner nicht berechtigt ist, vorsätzlich einzelne Gläubiger gegenüber anderen zu bevorzugen, soweit die ihnen gegenüber bestehenden Verpflichtungen gleichrangig sind. Ein entgegenstehender Erwerb soll keinen Bestand haben. Die Vorschrift schützt also die Interessen der Gläubiger daran, dass der Schuldner ihre prinzipiell gleichen Befriedigungschancen nicht beeinträchtigt. Die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistungen nach § 134 InsO, die nicht nur Schenkungen erfasst, soll verhindern, dass der Schuldner durch Freigebigkeit sein Vermögen zu Lasten der Gläubiger mindert. Schließlich bestimmt § 135 InsO, das im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag zurückgezahlte Gesellschafterdarlehen an die Insolvenzmasse zurückgewährt werden müssen.
Vorsatzanfechtung
Die Insolvenzanfechtung setzt allgemein eine vor der Insolvenzeröffnung vorgenommene Rechtshandlung voraus, die die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger benachteiligt. Wer Urheber der Rechtshandlung ist, ist belanglos. Allerdings verlangen einige Anfechtungstatbestände, dass die Rechtshandlung vom Schuldner ausgegangen ist, zu diesen gehört § 133 InsO.
Diese Vorschrift bestimmt, dass Rechtshandlungen, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen hat, anfechtbar sind, wenn der Schuldner mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, gehandelt hat und der Anfechtungsgegner zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Hat der Schuldner mit der Rechtshandlung einen Gläubiger gesichert oder befriedigt, beträgt diese Frist nur vier Jahre. Die zehnjährige Frist kommt daher nur bei klassischen Vermögensverschiebungen zur Anwendung. Verschärfte Sonderregeln gelten für Anfechtungsgegner, die dem Schuldner nahestehen.
Die einzelnen Tatbestandsmerkmale muss im Ausgangspunkt der Insolvenzverwalter dartun und, wenn der Anfechtungsgegner die zugrundeliegenden Tatsachen bestreitet, auch beweisen. Im Einzelnen verlangt § 133 Abs. 1 InsO
Sowohl der Vorsatz wie die Kenntnis hiervon sind innere Tatsachen, die im Allgemeinen schwer zu beweisen sind. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden, die wiederum der Insolvenzverwalter zu beweisen hat.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 06.02.2018 ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Am 11.07.2018 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger verlangt vom beklagten Bundesland (Land) gezahlte Umsatz-, Lohn- und Körperschaftsteuer zurück.
Schon im Jahr 2013 vollstreckte das Land offene Steuerforderungen gegen die GmbH. Am 21.03.2013 erhielt es die Mitteilung des Regierungspräsidiums, wonach ein Gewerbeuntersagungsverfahrens auf Anregung des Finanzamts eingeleitet worden sei. Grund: „Zahlungs- und Mitwirkungspflichten nicht erfüllt“, „Zahlungsrückstände 13.691,62 €“, „Betreibungsversuche ganz oder überwiegend erfolglos gewesen.“ In de Folgejahren kam es zu vielfachen weiteren Vollstreckungen durch das Land, ab Februar 2015 stiegen die Umsatzsteuerrückstände kontinuierlich an und erreichten schließlich 16.000 €. Eine Sozialkasse stellte im Mai 2015 einen Insolvenzantrag, der jedoch nach Entrichtung der offenen Beiträge zurückgenommen wurde.
Der Insolvenzverwalter verlangt vom Land sämtliche Steuerzahlungen nach dem 24.02.2014 im Wege der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO zurück. Bei den angefochtenen Zahlungen handelte es sich zum Teil um Überweisungen, zum Teil aber auch um Barzahlungen an den Vollstreckungsbeamten. Letzteres waren stets „glatte Beträge“, 7.800 €, 12.000 € und 8.000 €.
Die GmbH sei, so behauptete der Insolvenzverwalter, schon bei der ersten angefochtenen Zahlung zahlungsunfähig gewesen und habe die Zahlungsfähigkeit bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr wiedererlangt. Bereits bei der ersten Zahlung hätten offene Sozialversicherungsbeiträge bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ausgeglichen worden und zur Insolvenztabelle festgestellt worden seien. Die trotz der Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen habe die GmbH mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geleistet, was dem Land aufgrund der zahlreichen Vollstreckungsmaßnahmen bekannt gewesen sei. Dies erfülle den Tatbestand der vorsätzlichen Benachteiligung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, auf die Berufung des Klägers verurteilt das OLG Frankfurt das Land in vollem Umfang.
Die Begründung des OLG Frankfurt
Das Oberlandesgericht differenziert zwischen den Überweisungen und den Barzahlungen. Beide Zahlungsarten führten als Minderungen der sogenannten Aktivmasse zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung, denn die geleisteten Beträge standen nicht mehr für die Zahlung der Insolvenzquoten zur Verfügung. Die vom Insolvenzverwalter bestrittene Mutmaßung des Landes, die Gelder könnten auch von dritter Seite stammen, hält das Gericht nicht für durchgreifend.
Anfechtbarkeit der Überweisungen
Die Überweisungen stellten, wie von § 133 InsO vorausgesetzt, zweifelsfrei Rechtshandlungen der GmbH dar, die diese durch ihren Geschäftsführer vorgenommen hatte, sie waren von dessen Willen getragen und lösten rechtliche Wirkungen aus. Dass das OLG Frankfurt hierfür lediglich auf § 129 InsO statt auf § 133 InsO rekurriert, ist lediglich ein Schönheitsfehler, es gelangt jedenfalls zum zutreffenden Ergebnis.
Das Oberlandesgericht bestätigt auch den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung. Es folgt dabei der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, noch nicht zwingend mit dem notwendigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, obwohl er weiß, dass er aufgrund der Zahlungsunfähigkeit aktuell seine (anderen) Gläubiger nicht vollständig befriedigen kann. Es müsse vielmehr hinzukommen, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Dies soll sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen richten. – Das OLG Frankfurt stellt sowohl die Zahlungsunfähigkeit der GmbH als auch die zukünftige Unfähigkeit der Gläubigerbefriedigung fest.
Schon bei der ersten Zahlung sei die GmbH zahlungsunfähig gewesen. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO tritt Zahlungsunfähigkeit ein, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Hierzu ist ein Liquiditätsstatus aufzustellen, in dem die aktuelle und die innerhalb der folgenden drei Wochen zu realisierende Liquidität den aktuellen, fälligen sowie den in den folgenden drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen ist. Erreicht die Deckungsquote nicht mindestens 90 % ist der Schuldner zahlungsunfähig. Die Ermittlung setzt im Allgemeinen eine aussagekräftige Buchführung voraus, die bei insolventen Unternehmen nicht stets vorhanden ist. Dies gilt auch für andere zulässige Ermittlungsmethoden.
Das Gesetz hilft dem Insolvenzverwalter hier jedoch mit einer Vermutung, denn nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Der Nachweis erfolgt durch hierfür in der Rechtsprechung entwickelte Indizien.
Vorliegend hatte die GmbH aufgehört, ihre Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit (vollständig) zu befriedigen. Es bestanden erhebliche Umsatzsteuerrückstände, vielfache Vollstreckungen mussten durchgeführt werden, sodass das OLG Frankfurt aufgrund dieser Indizien annehmen konnte, die GmbH habe die Zahlungen eingestellt. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen haben könnte, hatte das Land nicht vorgetragen, sodass zu vermuten war, dass die Zahlungseinstellung und damit die Zahlungsunfähigkeit bis zur Verfahrenseröffnung nicht behoben werden konnte. Die GmbH war folglich bei allen Zahlungen objektiv zahlungsunfähig.
Das OLG Frankfurt meint darüber hinaus, dass die GmbH keinerlei Anlass gehabt habe anzunehmen, ihre Gläubiger in Zukunft befriedigen zu können. Die GmbH habe keinerlei Sanierungsbemühungen unternommen, für die Beseitigung der Deckungslücke ließen ihr die Gläubiger auch keinen zeitlichen Spielraum, vielmehr sei sie kontinuierlichen Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen und habe nur geringe Einnahmen generiert. In der erforderlichen Gesamtschau hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die GmbH aufgrund der dargestellten Tatsachen mit dem notwendigen Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat.
Desgleichen bejaht es die Kenntnis des Landes von diesem Vorsatz. Die Kenntnis hat grundsätzlich der Insolvenzverwalter zu beweisen, ihm hilft jedoch § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach die Kenntnis vermutet wird, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
Das Land hatte nach den Feststellungen des OLG Frankfurt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH. Es musste ab 2013 vielfach seine Steuerforderungen vollstrecken, zudem hatte es Kenntnis davon, dass nicht nur das Finanzamt, sondern auch das Regierungspräsidium bei Vollstreckungen teilweise erfolglos blieb und die Umsatzsteuerrückstände kontinuierlich anwuchsen. Dies reiche aus, die Kenntnis zu bejahen.
Keine Feststellungen hat das Gericht dazu getroffen, dass das Land wusste, dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt. Allerdings wäre dies zu bejahen gewesen, da nach der Rechtsprechung des BGH der Anfechtungsgegner, der weiß, dass der Schuldner gewerblich tätig ist, annehmen muss, dass weitere Gläubiger vorhanden sind, die aufgrund der Leistung des Schuldners trotz Zahlungsunfähigkeit benachteiligt werden. Im Ergebnis hat das OLG Frankfurt deshalb zu Recht die Voraussetzungen der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO als erfüllt angesehen. Da das Land nichts Substantiiertes vorgetragen und bewiesen hatte, was die Vermutung hätte widerlegen können, hat es dessen Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz der GmbH annehmen dürfen. Das Land muss folglich die durch Überweisung erlangten Zahlungen der GmbH an die Masse zurückgewähren.
Anfechtbarkeit der Barzahlungen
Das Oberlandesgericht Frankfurt behandelt die Barzahlungen im Ausgangspunkt ebenso wie die Überweisungen. Allerdings hatte hier das Land bestritten, dass die Barzahlungen Rechtshandlungen der GmbH durch ihren Geschäftsführer waren, weil sie nicht freiwillig erfolgten, sondern in der Zwangsvollstreckung. Dies hat folgenden, vom Gericht zutreffend wiedergegebenen Hintergrund:
„Eine Vollstreckungsmaßnahme des Vollstreckungsorgans stellt keine Rechtshandlung i.S.v. § 129 Absatz 1 InsO dar (Anmerkung: Dies ist so nicht zutreffend, auch Vollstreckungsmaßnahmen sind zweifelsfrei Rechtshandlungen im Sinne des § 129 InsO, problematisch ist allein, ob sie auf den Schuldner zurückgehen oder ausschließlich auf das Vollstreckungsorgan, zum Beispiel den Gerichtsvollzieher). Einer Rechtshandlung steht es aber nicht entgegen, wenn der Schuldner unter dem Druck der Zwangsvollstreckung zahlt. Rückausnahme ist allerdings, wenn der Schuldner nur noch die Wahl hatte, sofort zu zahlen oder die Vollstreckung durch den anwesenden Vollziehungsbeamten zu dulden. Übergibt der Schuldner also dem Vollziehungsbeamten Bargeld, dessen Pfändung er andernfalls hätte hinnehmen müssen, ist diese Zahlung nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Umgekehrt ist aber bei einer Barzahlung von einer Rechtshandlung auszugehen, wenn der Vollziehungsbeamte auf das Bargeld nicht ohne tatsächliche oder rechtliche Hindernisse hätte zugreifen können. Die Beweislast für die Rechtshandlung trägt der Insolvenzverwalter.“
Der Kläger habe, so das Oberlandesgericht, ausreichende Indizien vorgetragen, die für eine ‚willensgeleitete Entscheidung des Schuldners‘ sprächen: Nach den vorgelegten Urkunden handele es sich um „Quittung“[en] für den „Einzahler“. Dieser Wortlaut spreche für willensgeleitete Entscheidungen des Geschäftsführers der GmbH, denn eine Quittung erhalte gemeinhin diejenige Person, die etwas geleistet habe. In allen drei Fällen habe der Vollziehungsbeamte offensichtlich eine Einzahlung entgegengenommen, die jeweils – ausgehend von einem „glatten“ Einzahlungsbetrag den offenen Steuerforderungen zugeordnet worden sei. Diese drei „glatten“ Beträge sprächen für willensgeleitete Entscheidungen der GmbH und gegen Pfändungen durch den Vollziehungsbeamten des Landes. Die Urkunden sprächen ferner dafür, dass der Geschäftsführer der GmbH willensgeleitet überlegt habe, welchen Betrag er übergebe. Das Land habe schließlich nicht behauptet, dass die GmbH nur noch die Wahl gehabt habe, sofort zu zahlen oder die Vollstreckung durch den anwesenden Vollziehungsbeamten zu dulden.
Im Ergebnis waren die Barzahlungen daher nicht anders zu beurteilen als die Überweisungen, sodass der Insolvenzverwalter auch diese zugunsten der Insolvenzmasse zurückverlangen kann.
Der gesetzliche Richter – ein hohes Gut
Art. 101 des Grundgesetzes (GG) bestimmt: Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Dies gilt nicht nur im Strafverfahren, sondern in jeglichem gerichtlichen Verfahren.
Die Regelung garantiert den gesetzlichen Richter (besser: gesetzlich bestimmten Richter), der durch abstrakte Form und daher ohne Rücksicht auf die Person der Beteiligten bestimmt ist, wie der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee es definierte. Damit sollen Eingriffe Unbefugter in die Rechtspflege verhindert werden. Ferner soll das Vertrauen der Rechtssuchenden und auch der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte geschützt werden. Die Vorschrift soll aus der geschichtlichen Erfahrung heraus die Eingriffe in die Justiz verhindern. Die grundrechtsgleiche Gewährleistung des gesetzlichen Richters wendet sich zum einen an die Legislative und die Exekutive, denen sie Einflussnahmen zur Erwirkung einer Entscheidung durch einen bestimmten, „genehmen“ Richter untersagt, und zum anderen an die Justiz selbst, die sie zur Einhaltung der abstrakten gesetzlichen Zuständigkeitsordnung verpflichtet.
Die Vorschrift beruht auf der leidvollen geschichtlichen Erfahrung, die insbesondere auf die Zeit des Nationalsozialismus (1933 – 1945) zurückgeht. Damals wurde das Recht auf den gesetzlichen Richter mit Schnell- und Sondergerichten wie dem Volksgerichtshof außer Kraft gesetzt. Allerdings konnte schon im Absolutismus der Monarch als oberster Gerichtsherr für ein bestimmtes Verfahren spontan einen zuständigen Richter bestimmen oder ablösen oder auch die Sache an sich ziehen und selbst entscheiden und auf diese Weise Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen.
Art. 101 GG schließt allerdings Spezialgerichtsbarkeiten nicht aus, können allerdings nur durch Gesetz errichtet werden. Der Gesetzgeber hat hiervon Gebrauch gemacht und neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafverfahren) besondere Gerichte für Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsrecht sowie für Steuersachen errichtet.
Wie wichtig das Recht auf den gesetzlichen Richter ist, zeigt in der jüngsten Geschichte die Einflussnahme, die in Polen die bis vor kurzem regierende PiS auf die Justiz praktiziert hat, um eine Rechtsprechung in ihrem Sinne zu gewährleisten.
Bestimmung des gesetzlichen Richters
Um das Recht auf den gesetzlichen Richter zu gewährleisten, müssen die Gerichte vor Beginn eines Geschäftsjahrs einen Geschäftsverteilungsplan aufstellen. Soweit es sich um ein Gericht mit Spruchkörpern handelt, die mit mehr als einem Richter besetzt sind (zum Beispiel die Kammern der Landgerichte), gilt dasselbe zusätzlich für jeden einzelnen Spruchkörper.
Den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan beschließt das Gerichtspräsidium – ein richterliches Selbstverwaltungsorgan – gemäß § 21e des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für jedes Geschäftsjahr neu. Die Anordnungen des Geschäftsverteilungsplans dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.
Innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers werden die Geschäfte nach § 21g GVG durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter auf die Mitglieder verteilt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Präsidium. Auch dieser Beschluss bestimmt abstrakt vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; auch er kann nur geändert werden, wenn es wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird.
Wie die Geschäftsverteilung erfolgt, ist im Grundsatz Sache des Präsidiums oder der Richter des Spruchkörpers. Eine einfache Methode ist die Verteilung nach Eingang der Sache bei dem Gericht oder Spruchkörper: Die erste Sache wird der 1. Kammer zugeteilt, die zweite der 2. Kammer und so fort. Wenn alle Kammern bedacht sind, beginnt ein neuer Durchlauf. In der Praxis sind allerdings wesentlich komplexere Verteilungsschlüssel die Regel, die eine möglichst weitgehende Gleichbelastung der einzelnen Richter gewährleisten sollen. Zulässig und zum Teil in den einzelnen Prozessordnungen zwingend vorgeschrieben ist darüber hinaus die Verteilung nach Sachgebieten. Diese sogenannten Sonderzuständigkeiten sind wiederum abstrakt zu beschreiben und bestimmten Spruchkörpern zuzuweisen, um auch hier Manipulationen auszuschließen.
Verstöße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter
Wird gegen den Geschäftsverteilungsplan verstoßen, sodass ein danach nicht zuständiger Richter an einem Verfahren beteiligt wir, so liegt darin ein Verfahrensfehler, der in der nächsthöheren Instanz gerügt werden kann.
Der zu entscheidende Fall
Dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt ein etwas ungewöhnlicher Fall zugrunde.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind verheiratet, hatten im Jahr 2016 ihren Wohnsitz im Inland, wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und erzielten jeweils Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Sie wenden sich gegen die Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr 2016. Soweit sich die Kläger hiergegen mit ihrem Einspruch wehrten, blieb dieser ebenso erfolglos wie die danach erhobene Klage. Das Finanzgericht hatte den Klägern durch Beschluss die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung gestattet.
Die Zulässigkeit einer solchen Gestattung regelt § 91a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO):
„Das Gericht kann den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.“
Die Revision hatte das Finanzgericht nicht zugelassen. In einem solchen Fall kann die von dem Urteil beschwerte Partei, hier die Kläger, die sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH erheben, um eine nachträgliche Zulassung der Revision zu erreichen. Der BFH darf in einem solchen Fall die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO nur zulassen, muss dies dann aber auch, wenn erstens die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, zweitens die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder drittens ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Mit dem in dieser Kommentierung allein behandelten Aspekt der Verfahrensrüge machen die Kläger geltend, das Finanzgericht habe § 119 Nr. 1 FGO verletzt, indem die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts nicht hinreichend feststellbar gewesen sei, weil während der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz nur eine Kamera zur Verfügung gestanden habe, die die Richter nur aus der Ferne gezeigt habe; es sei weder eine Eigensteuerung der einzigen Kamera durch den Bevollmächtigten der Kläger möglich gewesen noch habe ein Zoomverfahren angewendet werden können.
Der Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH nicht abgeholfen.
Die Begründung des BFH
Die Ausführungen der Kläger, so der BFH, entsprächen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Kläger hätten nach dieser Vorschrift in der Begründung ihrer Beschwerde die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO darlegen müssen, woran es fehle. Sie hätten einen Verfahrensfehler nicht hinreichend dargetan.
Werde als Mangel des Verfahrens gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, gehöre zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge die Darstellung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergebe, weshalb der erkennende Senat des Finanzgerichts fehlerhaft besetzt gewesen sein soll. Soweit der Besetzungsrüge nicht zu entnehmen sei, welcher Besetzungsfehler gerügt werde, genüge das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger genüge den vorgenannten Anforderungen nicht. Sie machten die vermeintlich fehlerhafte Besetzung des Gerichts an keinerlei konkreten Anhaltspunkten fest, sondern äußerten lediglich den Verdacht, dass ein Verstoß vorgelegen haben könnte. Sie trügen aber selbst vor, dass sie den gesamten Senat hätten sehen können. Dass die Kamera im Sitzungssaal den Senat nur aus der Ferne gezeigt habe und nicht durch den Bevollmächtigten der Kläger zu steuern gewesen sei und keine Zoomfunktion gehabt habe, ändere daran nichts. Ein „Blick ins Gesicht“ sei „an dem anderen Ort“ – wenn auch der Qualität nach gesteuert durch die technische Ausstattung, die aber nicht in der Verantwortungssphäre des Gerichts liege – möglich gewesen und es sei nicht erkennbar, woraus sich ein Besetzungsfehler ergeben solle.
Überraschenderweise meinten die Kläger zudem ein Verfahrensfehler ergebe sich aus dem Beschluss des Finanzgerichts, der ihnen die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung gestattete. Der BFH weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Kläger diese Gestattung selbst beantragt hatten, ein Ermessensfehler folglich nicht erkennbar sei, und zudem der entsprechende Beschluss nach § 91a Abs. 3 Satz 2 FGO unanfechtbar, also auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbar sei.
Die weiteren Rügen der Kläger betrafen anderweitige Aspekte und blieben im Ergebnis auch ohne Erfolg.
Biersteuer
Die Biersteuer ist eine seit 1993 in der Europäischen Union harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie ist eine der ältesten Abgaben auf Verbrauchsgüter und wurde schon in den mittelalterlichen deutschen Städten unter verschiedenen Bezeichnungen wie Bierungeld, Bierpfennig oder Malzaufschlag erhoben. Heute wird die Biersteuer von der Zollverwaltung erhoben, das Steueraufkommen steht jedoch den Ländern zu. Im deutschen Steuergebiet unterliegen ihr Bier aus Malz und Mischungen von Bier mit nicht alkoholischen Getränken. Die Höhe der Biersteuer richtet sich nach dem Stammwürzegehalt. Dieser wird in Grad Plato gemessen. Der Regelsteuersatz beträgt pro Hektoliter 0,787 Euro je Grad Plato. Ein Hektoliter Bier mit einem Stammwürzegehalt von 12 Grad Plato – das entspricht einem durchschnittlich starken Bier – ist mit 9,44 Euro (= 12 x 0,787 Euro) Biersteuer belastet. Auf einen Kasten Bier mit 20 Flaschen à 0,5 Liter wird also 0,94 Euro Biersteuer erhoben. – Quelle: BMF –
Steuerlager sind nach § 4 Biersteuergesetz (BierStG) Orte, an oder von denen Bier unter Steueraussetzung im Brauverfahren oder auf andere Weise hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt werden darf, etwas vereinfacht also Brauereien. Die Steuer entsteht gemäß § 14 BierStG zum Zeitpunkt der Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr, zum Beispiel also mit dem freien Verkauf oder auch mit dem Ausschank in einer Brauereigaststätte.
Grundlagen der steuerrechtlichen Haftung
Geschäftsführer und Liquidatoren von Gesellschaften mit beschränkter Haftung haben bei Fehlverhalten das Risiko einer persönlichen Haftungsinanspruchnahme zu befürchten. So haften sie gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), wenn sie ihre gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzen. Stellen sie bei Eintritt der materiellen Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit und/oder insolvenzrechtliche Überschuldung) nicht oder nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft droht ihnen die vom Insolvenzverwalter zu realisierende Haftung nach § 15b der Insolvenzordnung (InsO). Aber auch bei steuerrechtlichem Fehlverhalten kann es zur Haftung kommen. Darum geht es hier, konkret um die Haftung für Biersteuer. Der Fall scheint sehr speziell zu sein – mit der Biersteuer kommt man in der Regel nur mittelbar als Käufer von mit ihr belastetem Bier in Berührung –, der Bundesfinanzhof (BFH) erörtert aber eine Reihe von Haftungsfragen rund um § 69 der Abgabenordnung (AO) losgelöst vom Thema Bier.
Nach § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie rechtsfähiger Personenvereinigungen und die Geschäftsführer von Vermögensmassen deren – also der Vertretenen – steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Die Abs. 2 und 3 übertragen diese Pflichten auch auf die Mitglieder, Gesellschafter oder Gemeinschafter nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensverwalter, zum Beispiel Insolvenz- oder Zwangsverwalter.
Die genannten Personen haften nach § 69 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Bemerkenswert ist zunächst, dass für einfache Fahrlässigkeit (die Abgrenzung zur groben Fahrlässigkeit kann im Einzelfall sehr schwer sein) nicht gehaftet werden muss. Die Finanzverwaltung ist zur Durchsetzung der Haftung nicht auf eine Klage vor den Zivilgerichten angewiesen, sondern kann nach § 191 AO selbst Haftungsbescheide erlassen, die von dem Betroffenen nur mit dem Einspruch und bei dessen Erfolglosigkeit mit der Klage zum Finanzgericht bekämpft werden können.
Der zu entscheidende Fall
Das Hauptzollamt (HZA – eine Steuerbehörde mit bestimmten Sonderzuständigkeiten) hat den Kläger nach §§ 34, 69, 191 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AO auf Haftung für Biersteuer der „Produktions-GmbH“ (GmbH) in Anspruch genommen, deren Liquidator er war. Die GmbH verfügte über eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaberin für Bier. Sie braute selbst und veräußerte das Bier ausschließlich an konzernangehörige Gesellschaften.
Die GmbH entrichtete am 08.10. und 10.12.2014 Entgelte für Strom, Gas und Wasser an die Stadtwerke. Aufgrund der Steuererklärungen der GmbH setzte der das beklagte HZA am 13.10.2014 die Biersteuer gegen die GmbH für 09/2014 (fällig am 20.10.2014), am 11.11.2014 für 10/2014 (fällig am 20.11.2014), am 09.12.2014 für 11/ 2014 (fällig am 20.12.2014) und am 13.01.2015 für 12/2014 (fällig am 20.1.2015) fest.
Mit Schreiben vom 04.12.2014 beantragte die GmbH Stundung der Biersteuer für 10/2014 bis zum 15.12.2014. Das HZA teilte ihr mit, dass der Zahlungseingang bis zum 20.12.2014 erwartet werde. Die Zahlung erfolgte am 15.12.2014.
Mit Schreiben vom 10.12.2014 teilte die GmbH der Vollstreckungsstelle mit, dass die Verhandlungen über einen Kreditrahmen noch nicht abgeschlossen seien. Sie bat um Stundung der Biersteuer für 10/2014 bis 22.12.2014. HZA erklärte sich damit einverstanden. Die Zahlung ging am 23.12.2014 beim HZA ein. Für die Begleichung der am 20.12.2014 fälligen Biersteuer für 11/2014 und der sonstigen fälligen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden. Auch die Biersteuer für 12/2014 blieb unbezahlt.
Am 30.12.2014 beantragte die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom 02.01.2015 ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte, dass Verfügungen der GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Das Insolvenzverfahren wurde später eröffnet.
Das HZA verrechnete teilweise die offene Biersteuer mit Erstattungsforderungen der GmbH und nahm den Kläger für die Steuer 11/2014 in Haftung. Nach erfolglosem Einspruch des Klägers hob das Finanzgericht den Haftungsbescheid auf. Die Revision des HZA blieb vor dem BFH ohne Erfolg.
Die Begründung des BFH
Der BFH prüft die Haftung zum einen wegen eines Verstoßes gegen die „Mittelvorsorgepflicht“, zum anderen wegen eines Verstoßes gegen die „Mittelverwendungspflicht“ des Klägers.
Keine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht
Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen, wenn er nicht vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten, auch erst später fällig werdenden Steuern bereithält. Er verletzt seine Pflichten deshalb auch dann, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt oder zumindest absehbar ist, zu tilgen. Die Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
In diesem Zusammenhang hatte der BFH bisher im Wesentlichen zu zwei Fallgruppen judiziert.
Zum einen hat danach der Inhaber eines offenen Zolllagers (nicht eines Steuerlagers für Bier) die Pflicht dafür zu sorgen, dass am Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der Steuer vorhanden sind. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht ergibt sich vor allem daraus, dass in Folge der Überführung der Waren in den freien Verkehr die Sachhaftung gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AO erlischt. Die Sachhaftung erfasst verbrauchsteuerpflichtige Waren und einfuhr- und ausfuhrabgabenpflichtige Waren, sie dienen ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern. Die Sachhaftung erlischt unter anderem dadurch, dass die Waren mit Zustimmung der Finanzbehörde in einen steuerlich nicht beschränkten Verkehr übergehen. Der Wegfall dieser Sicherheit der Finanzverwaltung bedingt, dass der Lagerinhaber zwar nicht generell von Entnahmen aus dem Zolllager absehen muss, aber bei Eintritt der Fälligkeit ohne Rücksicht auf Forderungen anderer Gläubiger vorrangig die Abgaben an den Steuergläubiger abzuführen hat.
Zum anderen hat der BFH zur Umsatzsteuer weniger streng judiziert, dass der gesetzliche Vertreter auch in Zeiten der Krise, unbeschadet gesellschafts- und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine steuerliche Haftung nicht begründen kann, nicht verpflichtet ist, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann. Der gesetzliche Vertreter bleibt auch in Krisenzeiten in seinen unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei, ohne die Haftung nach § 69 AO fürchten zu müssen.
Im Vergleich mit diesen beiden Fallgruppen sieht der BFH bei der Beisteuer eine größere Nähe zur Umsatzsteuer und findet eine der Praxis gerecht werdende Lösung.
Er meint, wenn man die Auslagerung von Bier aus dem Steuerlager, die die Steuer begründet, in einer finanziell angespannten Situation als objektive Pflichtverletzung ansähe und in Folge dessen den Geschäftsführer des Inhabers des Biersteuerlagers in Haftung nähme, käme dies im Ergebnis einer Betriebseinstellung gleich. - Bei der Biersteuer handele es sich darüber hinaus um eine Verbrauchsteuer, die typischerweise auf Überwälzung an den Endverbraucher angelegt sei. Da die Person des Steuerschuldners und des wirtschaftlich Belasteten, des Verbrauchers, auseinanderfielen und nur wenige Personen – zum Vorteil des Staates – als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden müssten, erscheine es sachgerecht, für die Frage der Pflichtverletzung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit und nicht bereits auf denjenigen der Entstehung der Steuer abzustellen. Es müssten dem Steuerschuldner auch die Möglichkeit und die Zeit bleiben, die der Verbrauchsteuer unterliegenden und zu besteuernden Waren zu verkaufen und dabei die Verbrauchsteuern über den Kaufpreis an den Endverbraucher weiterzugeben. Verlange man vom Unternehmer, gleich im Zeitpunkt der Steuerentstehung die Mittel für die Entrichtung der Steuer – aus anderweitigen Quellen – vorzuhalten, liefe dies dem Sinn und Zweck der Überwälzbarkeit der Verbrauchsteuern auf den Abnehmer zuwider.
Daher könne die Entnahme von Bier aus einem Biersteuerlager nur dann eine Pflichtverletzung begründen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Entnahme feststehe, dass bei Fälligkeit der Steuer keine Mittel zur Verfügung stehen werden. Solange dies jedoch noch ungewiss sei, etwa weil noch Verkäufe durchgeführt würden oder Verhandlungen mit einer kreditgebenden Bank liefen, könne eine Pflichtverletzung bereits bei Entnahme von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus dem Steuerlager noch nicht angenommen werden.
Basierend auf diesen grundsätzlichen Überlegungen hatte der Kläger seine Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt. Es sei ihm gestattet gewesen, die Liquidität für die Entrichtung der Biersteuer aus dem Verkauf des entnommenen Biers zu generieren. Zusätzlich sprächen die Umstände des Einzelfalls gegen eine Pflichtverletzung des Klägers. Der BFH hielt für bedeutsam, dass das HZA die Biersteuer für September und Oktober 2014 gestundet hatte, was annehmen ließe, dass es davon ausgegangen sei, der Kläger werde entsprechende Erlöse erwirtschaften und die Steuern entrichten können. Es liege daher kein Sachverhalt vor, in dem bereits bei der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager feststand, dass keine zur Steuerentrichtung ausreichenden Zahlungseingänge mehr erfolgen würden. Schließlich seien mit der Bank noch Verhandlungen über einen Kreditrahmen geführt worden, weshalb auch aus diesem Grund keinesfalls sicher gewesen sei, dass die Biersteuer bei Fälligkeit am 20.12.2014 nicht würde entrichtet werden können. Eine Pflicht, einen Betrag in Höhe der Steuer von anderen Einnahmen abzuzweigen, bestehe ebenfalls nicht.
Der Kläger habe das HZA schließlich nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt. Vielmehr habe er die im Dezember noch vorhandenen Mittel zu einem großen Teil zur Tilgung der – wenn auch gestundeten – Biersteuer verwendet.
Keine Verletzung der Mittelverwendungspflicht
Kann der Steuerschuldner nicht alle Schulden tilgen, hat er zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen (sogenannter Grundsatz der anteiligen Tilgung). Steuern sind grundsätzlich nicht vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten zu tilgen, aber in dem gleichen Umfang wie diese (es gibt allerdings Ausnahmen, etwa bei der Lohnsteuer). Insbesondere Verbrauchsteuern sind wie andere Forderungen zu behandeln, weil Kriterien, die eine bevorzugte Behandlung verlangen könnten, nicht ersichtlich sind.
Da nach den Feststellungen des Finanzgerichts keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ab dem Fälligkeitszeitpunkt der Biersteuer am 20.12.2014 überhaupt noch Zahlungen erfolgt seien, könne dem Kläger, so der BFH, auch kein Verstoß gegen die Mittelverwendungspflicht vorgeworfen werden.
Kein ausreichendes Verschulden
Grundsätzlich ist allerdings die Nichtentrichtung einer Steuer bei Fälligkeit schon für sich gesehen eine Pflichtverletzung. Soweit vorliegend in der Nichtentrichtung der Biersteuer eine objektive Pflichtverletzung liege, meint der BFH jedoch, habe der Kläger diese Pflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt, wie von § 69 AO verlangt wird.
Zwar indiziere die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens das Verschulden im Sinne des § 69 AO, mithin die zumindest grobfahrlässige Begehung. Es hätte aber bei Fälligkeit der Biersteuer an der notwendigen Liquidität gefehlt, eine Entrichtung mithin unmöglich gewesen. Es seien zuvor die Löhne und früher fällig gewordene Biersteuer gezahlt worden.
Praxishinweis
Stellt sich nach der Besprechungsentscheidung die Auslösung von Verbrauchsteuern bei fehlender Liquidität im Ausgangspunkt nicht als haftungsbegründend dar, gilt für die Lohnsteuer grundlegend anderes. Verfügt der Arbeitgeber nicht über ausreichend Liquidität, um die Löhne in voller Hohe zu zahlen und zusätzlich die darauf anfallende Lohnsteuer zu entrichten, muss er die Lohnzahlungen soweit kürzen, dass er die auf die gekürzten Löhne anfallende Lohnsteuer entrichten kann. Bei schuldhaftem Verstoß gegen diese Plicht greift die Haftung nach § 69 AO.
Download: Der insolvente Rechtsanwalt - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit
Der Rechtsanwalt ist gemäß § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, er ist nicht Gewerbetreibender, sondern Angehöriger eines freien Berufs. Er bedarf der nur auf seinen Antrag hin zu erteilenden Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer, die in jedem Oberlandesgerichtsbezirk gebildet ist. Erforderlich hierfür ist die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz, was nichts anderes bedeutet als die erfolgreiche Ablegung des Zweiten Juristischen Staatsexamens. Eine Eingangsprüfung findet nicht statt.
Trotz der Befähigung zum Richteramt kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 BRAO jedoch zu versagen sein. Dies gilt insbesondere,
- wenn die antragstellende Person nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat;
- wenn die antragstellende Person sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das sie unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben;
- wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft;
- wenn die antragstellende Person sich im Vermögensverfall befindet. Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der antragstellenden Person eröffnet oder die antragstellende Person in das Schuldnerverzeichnis (§ 882b der Zivilprozessordnung – (ZPO)) eingetragen ist.
Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, bei deren Kenntnis die Zulassung hätte versagt werden müssen. Lagen derartige Tatsachen bei der Zulassung nicht vor, treten aber nach der Zulassung des Rechtsanwalts derartige Umstände ein, muss die hierfür zuständige Rechtsanwaltskammer prüfen, ob die Zulassung widerrufen werden muss. Dies folgt aus § 14 Abs. 2 BRAO, nach dem die Zulassung zum Beispiel zu widerrufen ist, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird, wie im Zulassungsverfahren auch, nach der Zulassung vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist.
Hintergrund für diese Regelung ist der Schutz der Rechtssuchenden, also der aktuellen und potenziellen künftigen Mandanten, denn der Rechtsanwalt geht vielfach mit Fremdgeld um, und bei einem insolventen Rechtsanwalt vermutet der Gesetzgeber die latente Gefahr der Veruntreuung dieser Gelder. Die Vorschrift enthält mithin eine zweifache gesetzliche Vermutung. Zum einen wird vermutet, dass der Rechtsanwalt, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder der ins Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, in Vermögensfall geraten ist, zum anderen wird vermutet, dass durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet werden. Diese Vermutungen sind grundsätzlich widerlegbar, sie sind nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen, die Gefährdung folgt also nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls. Die Gefährdung kann jedoch im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft, er also nachweisen muss, dass ausnahmsweise trotz seines Vermögensverfalls die Rechtssuchenden nicht gefährdet sind.
Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt der Prüfung des Widerrufs durch die Rechtsanwaltskammer eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Die Annahme einer derartigen Sondersituation kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gerechtfertigt sein, wenn der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Erforderlich ist dafür, dass die Einhaltung der Beschränkungen durch die Sozietätsmitglieder überprüft wird und effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen, wobei es immer einer wirksamen Kontrolle und einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung bedarf, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt nicht beziehungsweise nicht unkontrolliert mit Mandantengeldern in Berührung kommt (vgl näher BGH, Beschluss vom 10.10.2022 – AnwZ (Brfg) 19/22). Beschränkungen, die sich der Rechtsanwalt selbst auferlegt, sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtssuchenden auszuschließen.
Eine andere Möglichkeit, den Widerruf zu verhindern, besteht in dem vom Rechtsanwalt zu führenden Nachweis, dass er alle Verbindlichkeiten, die den Vermögensverfall begründeten, erfüllt hat, der Vermögensverfall also nicht mehr besteht.
Allerdings kann der Vermögensverfall nicht nur über die hierfür bei Insolvenz oder Eintragung in das Schuldnerverzeichnis für ihn streitende Vermutung nachgewiesen, sondern auch durch sonstige Umstände belegt werden. Hierfür können Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen zumindest nicht unerheblicher Forderungen ausreichen. Mit einem solchen Fall befasst sich die kommentierte Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs.
Hat die Rechtsanwaltskammer die Zulassung entzogen, kann der Rechtsanwalt hiergegen vor dem für ihn zuständigen Anwaltsgerichtshof Klage erheben. Auch in diesem Verfahren ist es allerdings Sache des Rechtsanwalts selbst die dargestellten Vermutungen zu widerlegen. Der Anwaltsgerichtshof ist ein bei jedem Oberlandesgericht gebildetes Berufsgericht für Rechtsanwälte. Vergleichbare Berufsgerichtsbarkeiten gibt es etwa für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Notare.
Der zu entscheidende Fall
Der gegen einen Widerrufsbescheid der Rechtsanwaltskammer klagende Rechtsanwalt war seit 2001 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. 2019 wurden der Rechtsanwaltskammer zwei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn bekannt, wobei sich die Forderungen auf insgesamt rund 3.500 € beliefen. Eine weitere Vollstreckung wegen rund 5.000 € erfolgte im Jahr 2020. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen konnte der Rechtsanwalt durch Zahlungen seiner Angehörigen verhindern. Dennoch liefen vollstreckbare Steuerschulden von über 14.000 € auf. Nachdem die Rechtsanwaltskammer ihn hierzu mehrfach angehört hatte, widerrief sie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls.
Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit seiner Klage zum Anwaltsgerichtshof, mit der geltend machte, die betreffenden Forderungen habe er bei Erlass des Bescheids bereits ausgeglichen, jedoch „den Kopf in den Sand gesteckt“. Tatsächlich verfüge er über die finanziellen Mittel, sämtliche Forderungen zu begleichen, habe dies aber teilweise einfach zu spät getan. Seine Versäumnisse seien unentschuldbar, er sei aber seit mehr als zwei Jahren in der Lage, sich endlich professionelle und psychologische Hilfe und Unterstützung zu holen.
Die beklagte Rechtsanwaltskammer wies darauf hin, dass der Rechtsanwalt zwischenzeitlich wegen Steuerhinterziehung in Höhe von mehr als 180.000 € angeklagt worden sei.
Kurz nach der mündlichen Verhandlung wies der Rechtsanwalt der Kammer gegenüber den Ausgleich aller offenen Forderungen nach, sodass diese den Widerruf der Zulassung wiederrief. Der Rechtsanwalt nahm daraufhin seine Klage zurück.
Mit einem zweiten Bescheid widerrief die beklagte Kammer nach Anhörung des Rechtsanwalts erneut dessen Zulassung, weil neue Steuerschulden in Höhe von 165.000 € bestanden, die der Rechtsanwalt nur in Höhe von 130.000 € habe begleichen können. Zudem waren zwei Vollstreckungsbescheide gegen den Rechtsanwalt über zusammen rund 5.000 € ergangen.
Der Rechtsanwalt wendet sich mit seiner zweiten Klage gegen den neuen Bescheid und beantragt dessen Aufhebung. Im Ergebnis bleibt die Klage ohne Erfolg.
Die Entscheidungsgründe
Die Rechtsanwaltskammer, so der AGH, habe die Verfahrensvorschriften eingehalten, insbesondere den Rechtsanwalt vor Bescheiderlass angehört.
Die Kammer habe auch zu recht einen Vermögensverfall des Rechtsanwalts festgestellt. Zwar befinde er sich nicht im Insolvenzverfahren und sei nicht im Schuldnerregister eingetragen, ein Vermögensverfall liege aber – in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse gerate, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen könne und außerstande sei, seinen Zahlungsverpflichtungen geregelt nachzukommen. Beweisanzeichen seien insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn; insbesondere die Ladung zur Abnahme der Vermögensauskunft nach § ZPO § 807 ZPO und der Erlass des Haftbefehls in einem solchen Verfahren. Gebe es Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, welche den Schluss auf den Eintritt des Vermögensverfalls zuließen, könne der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlege, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides gegen ihn bestanden und wie er sie – bezogen auf diesen Zeitpunkt – zurückführen oder anderweitig regulieren wolle.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Zulassung sei allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen sei nach der Rechtsprechung einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.
Die vom Rechtsanwalt geltend gemachte angebliche Steuerzahlung nach Bescheiderlass könne daher nicht berücksichtigt werden, zudem sei sie nicht nachgewiesen. Ebenso wenig habe der Rechtsanwalt die Befriedigung der übrigen Forderungen belegt. Er habe darauf verwiesen, über ein Kontoguthaben in Höhe von 50.000 € zu verfügen, dies jedoch auch nicht nachgewiesen. Unabhängig von der nach Bescheiderlass und deshalb nicht zu seinen Lasten zu berücksichtigen Eintragung in das Schuldnerverzeichnis, spräche der Forderungsverlauf der letzten Jahre für den Vermögensverfall. Sein Bedauern bleibe irrelevant.
Schließlich sei die Ansicht des Rechtsanwalts, die Interessen der Rechtssuchenden seien zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, ohne Bedeutung. Die Annahme der –oben dargestellten - Sondersituation, wie sie vom BGH gefordert werde, nämlich die Anstellung in einer Rechtsanwaltssozietät, könne nicht festgestellt werden.
Dem – jetzt ehemaligen – Rechtsanwalt bleibt, weil die Entscheidung des AGH rechtskräftig geworden ist, nur der Versuch, eine Neuzulassung zu beantragen. Diese wird jedoch versagt werden, wenn er seine Vermögensverhältnisse bis dahin nicht geordnet hat.
Der vorliegende Fall ist kein Einzelfall, sondern beschäftigt die anwaltliche Berufsgerichtsbarkeit recht häufig. Zuletzt hatte der BGH mit Beschluss vom 01.09.2023 – AnwZ (Brfg) 21/23 – einen ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden.
Liegt eine steuerrechtliche Organschaft vor, wird die Organgesellschaft steuerrechtlich nicht mehr als Steuersubjekt behandelt, die steuerrechtliche Verantwortung für die Organgesellschaft lastet vielmehr auf dem Organträger, das heißt, die durch die Organgesellschaft verursachten Steuern werden als Steuern des Organträgers behandelt. Es ist daher sehr wichtig, eine Organschaft zu erkennen und entsprechende Steuererklärungen abzugeben. Die Verkennung der Organschaft, aber auch ihre unzutreffende Annahme können weitreichende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen, insbesondere, aber nicht nur, wenn im sog. Organkreis ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sei es über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft.
Kursorische Übersicht über die Voraussetzungen der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft
Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft, die nicht mit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nach§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) verwechselt werden darf, ist in §§ 14 ff. Körperschaftsteuergesetz (KStG) geregelt.
Während die umsatzsteuerrechtliche Organschaft vorliegt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft), knüpft die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nach § 14 KStG in erster Linie an das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) an:
„Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 nichts anderes ergibt, dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind …“
Zu diesen Voraussetzungen gehört die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft, die anders als in § 2 UStG nicht nur genannt, sondern vom Gesetz umschrieben wird: „Der Organträger muss an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung). Mittelbare Beteiligungen sind zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt. Satz 2 gilt nicht, wenn bereits die unmittelbare Beteiligung die Mehrheit der Stimmrechte gewährt.“
Daneben beinhaltet § 14 KStG weitere Anforderungen hinsichtlich der am Organkreis Beteiligten und insbesondere der Mindestdauer des Gewinnabführungsvertrags und seiner Durchführung während dieser Zeit. Nach § 17 KStG können auch bestimmte andere Kapitalgesellschaften als die oben genannten Gesellschaftsformen Organgesellschaft sein, zum Beispiel eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland.
Der vorliegende Fall befasst materiellrechtlich mit der finanziellen Eingliederung und prozessrechtlich mit der sogenannten Klagebefugnis.
Der zu entscheidende Fall
Die Beteiligten streiten darüber, ob zwischen der Klägerin zu 1 als Organträger und der Klägerin zu 2 als Organgesellschaft eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.
Die Klägerin zu 1, eine GmbH, war zu 79,8 % an der Klägerin zu 2, ebenfalls eine GmbH, beteiligt. Die übrigen Anteile hielten zu 10,2 % C und zu 10 % D. Der Gesellschaftsvertrag (GV) der Klägerin zu 2 enthielt unter anderem folgende Regelungen:
§ 8 Gesellschafterversammlung/Gesellschafterbeschlüsse
…
4. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn die erschienenen Gesellschafter 100 % des Stammkapitals vertreten. Kommt eine beschlussfähige Gesellschafterversammlung nicht zustande, so ist eine neue Versammlung einzuberufen, die dann ohne Rücksicht auf die Höhe des vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist; auf diesen Umstand ist bei der 2. Einberufung ausdrücklich hinzuweisen.
…
6. Beschlüsse der Gesellschaft bedürfen einer Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen, soweit nicht das Gesetz oder die Satzung eine höhere Mehrheit vorschreibt. …“
2013 schlossen die Klägerin zu 1 als Organträgerin und die Klägerin zu 2 als Organgesellschaft unter Zustimmung aller Gesellschafter einen „Gewinnabführungsvertrag“ – Ergebnisabführungsvertrag (EAV).
Das Finanzamt (FA) erließ für die Streitjahre zunächst Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des der Organträgerin zuzurechnenden Einkommens gemäß § 14 Abs. 5 KStG, also unter Berücksichtigung der (angeblichen) Organschaft. Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das FA diese Bescheide aber auf und behandelte die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien. Die Einsprüche beider Klägerinnen gegen die neuen Bescheide, ihre Klagen und Revisionen blieben erfolglos.
Die Entscheidungsgründe des BFH
Der Bundesfinanzhof (BFH) untersucht zunächst, ob beiden Klägerinnen die für die vorliegenden Anfechtungsklagen notwendige Klagebefugnis zusteht und bejaht dies, weil sowohl Organträger als auch Organgesellschaft als Feststellungsbeteiligte der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung von deren Bindungswirkung betroffen sind. Die Klagen waren insgesamt zulässig.
In der Sache teilt der BFH jedoch die Auffassung von FA und Finanzgericht, dass zwischen den Klägerinnen trotz des EAV keine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.
Wie einleitend dargestellt, setzt die Organschaft unter anderem voraus, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Daran fehle es.
Für die finanzielle Eingliederung sei auf die „Mehrheit der Stimmrechte“ in der Gesellschafterversammlung abzustellen. Grundsätzlich reiche die einfache Mehrheit der Stimmen aus, die den Gesellschaftern nach der Satzung zustehen. Die erforderliche Stimmenmehrheit werde nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte, etwa Stimmbindungsverträge oder Stimmrechtsvollmachten, beeinflusst. Dies folge insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte „aus den Anteilen“ maßgebend sind.
Anderes habe jedoch zu gelten, wenn die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vorsehe. Dann müsse der Organträger zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen. Auch wenn der Gesetzeswortlaut die Interpretation zulasse, es reiche in jedem Fall die einfache Mehrheit der Stimmen für die finanzielle Eingliederung aus, ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte das Gegenteil.
Dies zugrunde gelegt bezieht sich der entscheidende I. Senat des BFH auf die Rechtsprechung des V. Senats zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Dieser verlangt für die finanzielle Einordnung im Sinne des § 2 Abs. 2 UStG, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann. Entscheidend seien danach die Mehrheitserfordernisse nach der Satzung.
Die Klägerin zu 1 verfüge nach der Satzung zwar über die einfache, nicht aber über die von der Satzung geforderte qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte. Nach § 8 GV war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Hierüber habe die Klägerin zu 1 nicht verfügt.
Den von den Klägerinnen hiergegen erhobenen Einwendungen blieb der Erfolg versagt. Dass das KStG anders als § 2 Abs. 2 UStG für die Organschaft auf die organisatorische und wirtschaftliche Einordnung verzichte, ließe sich nicht dahin interpretieren, dass der daraus resultierende Beherrschungsgedanke in die finanzielle Eingliederung hineinzulesen sei. Auch ergebe sich aus § 17 AktG nichts Abweichendes. Nach dieser Vorschrift werde zwar vermutet, dass bei einer Mehrheitsbeteiligung eine Abhängigkeit bestehe, es handele sich aber gerade nur um eine Vermutung, die durch nach der Satzung erforderliche Mehrheitserfordernisse – wie vorliegend - widerlegt werden könne.
Der BFH lässt offen, ob und in welchen Konstellationen für die finanzielle Eingliederung gemäß § 14 KStG auch dann die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erforderlich ist, wenn diese nur für einen Teil der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung von der Satzung verlangt wird, da vorliegend die qualifizierte Mehrheit für alle Beschlüsse erforderlich war.
Betriebsübergang – Arbeitnehmer was nun?
Bis zur Einfügung des § 613a in das Arbeitsrechts des BGB war nicht abschließend geklärt, welche Folgen der Betriebsinhaberwechsel auf bestehende Arbeitsverhältnisse hatte. Die herrschende Meinung lehnte einen automatischen Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber ab. Dieser konnte daher, wenn er die Belegschaft reduzieren wollte, weitestgehend entscheiden, welche Arbeitnehmer er übernahm und welche nicht. Den damit verbundenen sozialen Problemen soll der mit Wirkung zum 19.01.1972 eingefügte § 613a BGB entgegenwirken: Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen …, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. … Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam.
Durch diese Regelungen wird zum einen erreicht, dass die Arbeitsverhältnisse nicht mehr mit dem bisherigen Betriebsinhaber, der sie im Allgemeinen nicht mehr mit Leben füllen kann, verbleiben, sondern auf den neuen übergehen und zum anderen, dass sie nicht wegen des Betriebsübergangs seitens der Arbeitgeber beendigt werden können. Es soll verhindert werden, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass genommen wird, die erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer abzubauen. In der Insolvenz des alten Betriebsinhabers gilt nichts anderes, allerdings haftet der neue Arbeitgeber, der vom Insolvenzverwalter den Betrieb erwirbt, nicht für bereits entstandene Ansprüche, hier gehen die Verteilungsregeln der Insolvenzordnung vor. Ein bereits vor der Insolvenzeröffnung gekündigter Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Wiedereinstellung.
Im Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ging es allerdings nicht um das Arbeitsverhältnis selbst, sondern um die Frage, ob auch die Organstellung des angestellten Geschäftsführers den Grundsätzen des § 613a BGB unterliegt oder nur sein Anstellungsverhältnis.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger war seit 2000 bei der späteren Insolvenzschuldnerin (Schuldnerin), die weitere elf Arbeitnehmer und zwei Auszubildende beschäftigte, als Angestellter tätig. 2013 wurde er zu deren Geschäftsführer bestellt. Ein Geschäftsführerdienstvertrag wurde weder schriftlich noch mündlich geschlossen. Mit der „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom 20.12.2017 vereinbarte der Kläger mit der alleinigen Gesellschafterin der Schuldnerin neue Arbeitszeitregelungen. Zudem einigten sich beide darauf, dass alle anderen Bestandteile des Vertrags bestehen bleiben.
Mit Beschluss vom 15.01.2020 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Am selben Tag kündigte dieser das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „sowie ein etwaig bestehendes Geschäftsführeranstellungsverhältnis“ zum 30.04.2020. Das Schreiben ging dem Kläger am 16.01.2020 zu. Wenige Stunden später erklärte der Kläger in einer an den Geschäftsführer und den Insolvenzverwalter der ebenfalls in Insolvenz befindlichen Gesellschafterin der Klägerin adressierten und um 14:56 Uhr gesendeten E-Mail, dass er das Amt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung niederlege.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a BGB und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2 geltend gemacht, von der er behauptet, auf sie sei der Betrieb der Schuldnerin übergegangen. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Niederlegung seines Amts als Geschäftsführer am 16.01.2020 sei wirksam erfolgt. Ungeachtet dessen greife die negative Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht ein, weil das Arbeitsverhältnis fortgeführt worden sei.
Die Beklagten meinen dagegen, die Kündigung sei gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht am Maßstab des § 1 KSchG zu messen. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch als Geschäftsführer im Amt gewesen. Dieses habe er auch nicht rechtswirksam niedergelegt. Als Geschäftsführer falle er zudem nicht unter den Anwendungsbereich des § 613a BGB. Dessen Voraussetzungen lägen im Übrigen nicht vor.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass zum einen das Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin nicht aufgelöst sei und zum anderen mit der Beklagten zu 2 als Betriebserwerberin über den Betriebsübergang hinaus fortbestehe.
Der Kläger obsiegt vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht (LAG). Das BAG hebt die Entscheidung des LAG auf und verweist die Sache zurück.
Die Entscheidungsgründe
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bestimmt, dass die Regeln des allgemeinen Kündigungsschutzes der §§ 1 bis 13 KSchG für die Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, zum Beispiel für den Geschäftsführer einer GmbH, nicht greifen. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (noch) besteht.
Bestand der Organstellung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung
Es kam daher zunächst darauf an, ob der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung noch die organschaftliche Stellung eines Geschäftsführers der Schuldnerin innehatte. Dies war der Fall. Das BAG lässt offen, ob die Niederlegung des Geschäftsführeramts formal ordnungsgemäß erfolgte, denn jedenfalls erfolgte sie erst nach dem Zugang der Kündigung. Nach den Feststellungen des LAG ging ihm die Kündigung am Vormittag des 16.01.2020 zu, wohingegen die Niederlegung des Amts erst am Nachmittag dieses Tags erfolgte
Der Kläger habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Schuldnerin allein auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags, nicht etwa eines Dienstvertrags, auf den § 613a BGB nicht anwendbar wäre, erbracht. Ein Dienstvertrag, meint das BAG, sei weder schriftlich noch mündlich geschlossen worden.
Ein solcher sei auch nicht konkludent zustande gekommen. Die Bestellung zum Geschäftsführer begründe für sich genommen keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer. Organ- und Anstellungsverhältnis seien nach dem Grundsatz des § 38 GmbHG in ihrem Bestand unabhängig voneinander. Für die Annahme, die Parteien hätten zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag schließen wollen, bedürfte es weiterer, über die Bestellung hinausgehender konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte, die aber weder festgestellt noch dargelegt worden seien. Die „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom 20.12.2017 habe lediglich dazu gedient, den bereits bestehenden Arbeitsvertrag an die dem Kläger übertragene Geschäftsführertätigkeit anzupassen, und den Vertrag im Übrigen unverändert fortbestehen lassen. Ein Dienstverhältnis sei damit nicht beabsichtigt gewesen.
Dieser Sicht stehe schließlich nicht entgegen, dass ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig werde. Hätten die Parteien – wie vorliegend – ein Arbeitsverhältnis vereinbart, sei es als Folge der Vertragsfreiheit auch regelmäßig als ein solches einzuordnen. Auf die tatsächliche Durchführung komme es dann nicht an.
Bestand des Arbeitsverhältnisses des Geschäftsführers steht der Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen
Dass das der Organstellung zugrunde liegende Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, stehe der Anwendung des§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen. Die Vorschrift komme auch und gerade dann zum Tragen, wenn das der Organstellung zugrunde liegende schuldrechtliche Anstellungsverhältnis – wie vorliegend – materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis sei. Andernfalls wäre die Regelung bedeutungslos. Die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bezeichneten Organvertreter seien ungeachtet eines etwaig zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses allein aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes herausgenommen.
Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB?
Wie schon erwähnt bestimmt § 613a Abs. 4 BGB, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam ist. Diese Vorschrift wollte das LAG jedoch im Wege einer teleologischen Reduktion auf den Kläger als Geschäftsführer nicht anwenden.
Mit der teleologischen Reduktion, so das BAG, die zu den von Verfassungs wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehöre, werde der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut einer Norm auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher ihrem gesetzgeberischen Sinn entspreche. Sie sei jedoch nur dann zulässig, wenn sich eine planwidrige Regelungslücke feststellen lasse. Dies setze voraus, dass sich die betreffende Vorschrift, gemessen an ihrer zugrunde liegenden Regelungsabsicht, in dem Sinn als unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetatbestand, der dem Sinn des Gesetzes zum Durchbruch verhelfe, nicht aufweise. Ihre Anwendung müsste ohne diesen Ausnahmetatbestand zu zweckwidrigen Ergebnissen führen.
Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. § 613a Abs. 4 BGB weise hinsichtlich der aufgrund von Arbeitsverträgen tätigen Organmitglieder juristischer Personen keine planwidrige Lücke auf. Dafür spreche bereits der Wortlaut der Vorschrift, dasselbe lasse sich aber auch aus der Gesetzgebungsgeschichte ableiten. Das BAG habe schon früh § 613a BGB auf angestellte Geschäftsführer angewandt, was den Gesetzgeber aber bei späteren Änderungen und Ergänzungen der Vorschrift nicht zu einer Korrektur dieser Rechtsprechung veranlasst habe.
Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Anwendung des § 613a BGB auf den Kläger zu zweckwidrigen Ergebnissen führe. Bei GmbH-Geschäftsführern sei strikt zwischen der Bestellung zum Organ der Gesellschaft und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Anstellungsverhältnis – vorliegend dem Arbeitsverhältnis – zu unterscheiden.
Durch die Bestellung als solche werde noch keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet. Die Organstellung des GmbH-Geschäftsführers habe ihren Rechtsgrund nicht im Anstellungsverhältnis, sondern gründe auf einem besonderen (körperschaftlichen) Bestellungsakt. Es handele sich um selbstständige, nebeneinanderstehende Rechtsverhältnisse mit einem jeweils eigenen rechtlichen Schicksal.
§ 613a BGB erfasst nur das Arbeitsverhältnis nicht die Organstellung
Da nach § 613a BGB nur Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis übergehen, die Organstellung selbst aber ihren Rechtsgrund gerade nicht im zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis habe, gehe sie im Fall des Betriebsübergangs nicht mit über. Ein Anspruch, beim Erwerber zum Organ bestellt zu werden, könne aus § 613a BGB deshalb nicht folgen. Dem Erwerber werde damit kein Organ gegen seinen Willen aufgezwungen. Der Geschäftsführer habe im Fall des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses nur einen Anspruch auf eine Beschäftigung mit den Tätigkeiten, die er als Geschäftsführer aufgrund seines Arbeitsvertrags ausgeübt habe. Eine andere Tätigkeit könne ihm ohne Änderung – einvernehmlich oder durch Änderungskündigung – des Arbeitsvertrags nur übertragen werden, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass mit dem Ende der Organstellung nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder die ursprüngliche oder eine im Einzelnen festgelegte anderweitige Tätigkeit zum Vertragsinhalt werde. Das sei aber nicht der Fall.
Entgegen der Annahme des LAG gebiete auch das Unionsrecht keine teleologische Reduktion des § BGB § 613a BGB.
Der Kläger erlange durch die Anwendung von des § 613a Abs. 4 BGB auch keine inadäquate kündigungsschutzrechtliche Begünstigung. Die Vorschrift schließe keine Lücke im nationalen Kündigungsschutz. Diese Bestimmung enthalte vielmehr ein eigenständiges, vom Anwendungsbereich des KSchG gerade unabhängiges Kündigungsverbot. An diesem Schutz hat auch der Kläger als Arbeitnehmer teil. Hieraus folge keine zu missbilligende Besserstellung des Klägers, weil ein Kündigungsschutz gewährt werde, der ihm aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer nicht zustünde.
Zurückverweisung
Das BAG konnte dennoch in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil in der Vorinstanz keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen worden waren, ob die Voraussetzung des § 613a BGB – der vom Kläger behauptete und von den Beklagten bestrittene Betriebsübergang – überhaupt vorlag.
Vertragsauslegung in Zweifelsfällen
Verträge sind - abgesehen von einfachsten Geschäften des täglichen Lebens – selten in jeder Hinsicht eindeutig. Häufig bedarf es daher der Auslegung, für die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in den §§ 133 und 157 Hilfestellungen gibt. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Vor diesem Hintergrund hat schon das Reichsgericht in einem Urteil vom 08.06.1920 einen Fall zu entscheiden, der seitdem in der juristischen Ausbildung als Schulfall verwendet wird. Die Entscheidung würde auch heute in gleicher Weise getroffen.
Der dortige Kläger kaufte im November 1916 beim dortigen Beklagten 214 Fass Haakjöringsköd aus Norwegen, das sich auf einem von Norwegen kommenden Dampfer auf dem Weg zum Hamburger Hafen befand. Beide gingen davon aus, dass es sich bei Haakjöringsköd um Walfleisch handele. Tatsächlich bezeichnet „Haakjöringsköd“ im Norwegischen jedoch Haifischfleisch. Ende November 1916 zahlte der Kläger den vollen Kaufpreis an den Beklagten.
Beim Eintreffen des Dampfers stellte sich heraus, dass die Fässer Haifischfleisch enthielten, für das es in Folge des Ersten Weltkriegs Einfuhrbeschränkungen gab, sodass die staatliche Zentral-Einkaufsgesellschaft die Ladung beschlagnahmte und dem Kläger einen Übernahmepreis zahlte, der jedoch um fast 50.000 Mark niedriger war als der von ihm gezahlte Kaufpreis. Diese Differenz verlangte der Kläger vom Beklagten. Die Vorinstanzen verurteilten den Beklagten, seine Revision hatte beim Reichsgericht keinen Erfolg.
Entscheidend für die Lösung war die Auslegung des Vertrags. Beinhalte dieser den Verkauf von Haifisch- oder Walfischfleisch? Das Reichsgericht entschied, dass ein Vertrag über Walfleisch zustande gekommen war, obwohl beim Vertragsschluss beide Parteien den Ausdruck Haakjöringsköd verwendet hatten. Die Parteien hatten hier subjektiv etwas anderes gewollt, als sie objektiv erklärten. Sie haben sich somit beide in gleicher Weise über den Inhalt ihrer Erklärungen geirrt. Es bestand daher kein Anlass, sie am Wortsinn „Haifischfleisch“ festzuhalten.
Maßgeblich war, dass die Vertragsparteien dasselbe wollten. Die übereinstimmende Falschbezeichnung spielte keine Rolle. Es gilt - in der juristischen Sprache – der Grundsatz falsa demonstratio non nocet („falsche Bezeichnung schadet nicht“).
Der zu entscheidende Fall
Bei dem Fall, den der BGH am 23.06.2023 zu entscheiden hatte, ging es vor allem um die Frage, ob der Sachverhalt gebot, den Grundsatz falsa demonstratio non nocet anzuwenden.
Mit notariellem Vertrag vom 09.12.2009 verkauften die Beklagten den Klägern ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zum Preis von 270.000 €. Als Kaufgegenstand war in der Notarurkunde das Flurstück 291/3 genannt. Die Kläger gingen bei Vertragsschluss irrtümlich davon aus, dass hierzu auch das angrenzende, 19 m² große Flurstück 277/22 gehöre. Tatsächlich steht dieses Flurstück jedoch im Eigentum eines Dritten, der es nunmehr von den Klägern als den Besitzern in einem weiteren Streitfall herausverlangt.
Die Kläger begehren die Rückabwicklung des Vertrages sowie die Feststellung, dass die Beklagten sie von sämtlichen sich im Zuge der Rückabwicklung ergebenden materiellen Schäden freizustellen haben. Das Landgericht hat die am 28.12.2020 eingegangene Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem BGH zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.
Eine solche Revisionszulassung durch den BGH bedeutet nicht, dass der Revisionsführer gesteigerte Aussichten auf Erfolg seines Begehrens hätte. Denn der BGH lässt die Revision unabhängig von den Erfolgsaussichten zu, wenn entweder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Vorliegend konnte der BGH mangels geeigneter Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht nicht feststellen, dass Anspruch der Kläger, sein Bestehen unterstellt, verjährt gewesen wäre oder dass es sich bei dem Grundstück 277/22 um eine so untergeordnete Fläche handelte, dass der Rücktritt schon deshalb ausgeschlossen gewesen wäre.
Die Entscheidungsgründe
Diese Fragen konnten indessen offenbleiben, weil schon aus anderen Gründen den Klägern kein Rücktrittsrecht zur Seite stand. Denn, so der BGH, der Kaufgegenstand sei allein das Hausgrundstück 291/3 gewesen, nicht das Flurstück 277/22. Zu diesem Ergebnis gelangt der BGH durch Auslegung des notariellen Vertrags.
Ausgangspunkt der Auslegung ist stets der Wortlaut einer Vereinbarung, daneben hat die Auslegung aber weitere Aspekte, etwa die Entstehungsgeschichte des Vertrags, die Äußerungen der Parteien vor dem Vertragsschluss und die Interessenlage der Parteien, zu berücksichtigen, also Umstände, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und für einen Dritten nicht oder nicht ohne Weiteres zu erkennen sind.
Bei notariell zu beurkundenden Verträgen gelten aber Einschränkungen für diese Regel, da anzunehmen ist, dass die Parteien unter der Leitung des Notars das erklären, was sie tatsächlich auch erklären wollen.
Allerdings können für die Auslegung eines der notariellen Beurkundung bedürftigen Vertrags nach der Rechtsprechung des BGH auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände im Einzelfall herangezogen werden. Dies setzt aber grundsätzlich voraus, dass der rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat. Einen solchen sah der BGH vorliegend nicht. Der Wortlaut des Vertrags bezog sich eindeutig nur auf das Hausgrundstück.
Allerdings greift das Erfordernis des zumindest andeutungsweisen Niederschlags des Vereinbarten in der Urkunde ausnahmsweise nicht bei einer versehentlichen Falschbezeichnung, einer falsa demontrtio. Es muss dann allerdings feststehen, dass die Vertragsparteien in der Erklärung Begriffe anders als nach dem Wortsinn verstanden haben oder mit Flurstück- oder Grundbuchangaben andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbunden haben. Beurkundet ist in diesem Fall das übereinstimmend Gewollte.
Anders ist das jedoch wiederum, wenn es nicht um den Kaufgegenstand selbst geht, sondern um seine Eigenschaften oder Beschaffenheiten. Fehlt es hier an einem Niederschlag im Vertragstext, liegt keine Falschbezeichnung vor, sondern es fehlt an dem notwendigen entsprechenden Rechtsbindungswillen.
Eine Falschbezeichnung des verkauften Grundstücks konnte der BGH vorliegend nicht ermitteln. Eine solche läge zum Beispiel vor, wenn die Parteien die Parzellenbezeichnung verwechseln, eine von mehreren verkauften Parzellen in der Urkunde vergessen, wenn irrtümlich im Vertragstext das gesamte Grundstück aufgeführt ist, aber nur die Veräußerung eines Teilgrundstücks vereinbart war, oder eine Parzelle nicht im Text aufgeführt wurde, die aber nach den Umständen des Einzelfalls mitverkauft sein sollte. Bei allem handelt es sich um engumgrenzte Ausnahmen.
Eine solche Ausnahme liegt im Allgemeinen nicht mehr vor, wenn die vermeintlich mitverkaufte Parzelle nicht im Eigentum des Verkäufers steht, weil dieser regelmäßig nicht fremde Grundstücke veräußern will. Das ändert sich auch dann nicht, wenn die Grundstücke scheinbar eine Einheit bilden, etwa weil sie gemeinsam eingefriedet sind. Ein anderes Ergebnis ist nur gerechtfertigt, wenn besondere und gewichtige Indizien für einen abweichenden Willen der Parteien sprechen.
Hier kam die Anwendung des Grundsatzes falsa demonstratio non nocet vor allem aber deshalb nicht zur Anwendung, weil nur die Kläger einer falschen Vorstellung unterlagen, nur sie nahmen an, die Parzelle 277/22 sei mitverkauft. Das ist selbst dann nicht anders zu beurteilen, wenn die Beklagten bei den Klägern diese Fehlvorstellung geweckt oder zumindest erkannt hätten. Eine Einigung über die nicht im Eigentum der Beklagten stehende Parzelle ist damit gerade nicht verbunden. Der BGH geht sogar noch einen Schritt weiter: „Und selbst wenn auch die Beklagten davon ausgegangen sein sollten, dass das Flurstück des Nachbarn (277/22) Bestandteil ihres eigenen Grundstücks (291/3) war, sind keinerlei Anhaltspunkte festgestellt oder von der Revision vorgebracht, die ausnahmsweise auf den auch von den Klägern so zu verstehenden Willen der Beklagten hindeuten könnten, mehr verkaufen zu wollen als das, was nach dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster in ihrem Eigentum stand. Hierfür genügt, … , insbesondere die gemeinsame Besichtigung nicht.“
In dieser Situation richtet sich der Blick des Gerichts auf eine weitere Facette des Falls.
Hätten die Beklagten einen Irrtum der Kläger über den Umfang des zu verkaufenden Grundstücks hervorgerufen oder einen solchen Irrtum erkannt, aber nicht berichtigt, käme eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) in Betracht. Eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach wäre dann auch nicht davon abhängig, ob sie nur fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt haben.
Ein solcher Anspruch könnte zwar unter Umständen auf Rückabwicklung gerichtet sein, wenn die versprochene Leistung, hier also (nur) das Flurstück 291/3, ohne das Flurstück 277/22 für die Zwecke der Kläger nicht geeignet wäre und hierin der Schaden bestünde. Ein solcher Anspruch, wiederum sein Bestehen unterstellt, wäre aber verjährt gewesen. Es bedurfte deshalb keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der BGH konnte abschließend entscheiden und die Revision der Kläger zurückweisen.
Die Zahlung von Arbeitslohn ist unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung im laufenden und im vorigen Jahr in den Blick der höchstrichterlichen Fachgerichtsbarkeit – Bundesarbeitsgericht (BAG) und Bundesfinanzhof (BFH) – geraten.
Das BAG hatte 2014 eine Diskussion darüber angestoßen, ob bei der Anfechtung von Lohnzahlungen durch den Insolvenzverwalter das Existenzminimum zugunsten des Arbeitnehmers geschützt werden müsse. Diese höchstrichterliche Äußerung ist vielfach fehlinterpretiert worden. Der Insolvenzrechtssenat des BAG stellte dies kürzlich mit Urteil vom 22.05.2022 (6 AZR 497/21) richtig. Danach ist es nicht Aufgabe des Insolvenzanfechtungsrechts, das Existenzminimum des Arbeitnehmers als Anfechtungsgegner zu sichern, dies habe vielmehr durch die Pfändungsschutzvorschriften der Zivilprozessordnung und das Sozialrecht zu erfolgen. Daher sei auch die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn oder des Anteils des Mindestlohns in der Lohnzahlung ohne Rücksicht auf soziale Implikationen anfechtbar
Der BFH hatte sich in den beiden Besprechungsentscheidungen mit der Frage zu befassen, ob die Aufrechnung mit Lohnsteuerforderungen mit anderweitigen Steuererstattungsansprüchen in der Insolvenz des Arbeitgebers Bestand hat, was unter anderem davon abhängt, ob eine nicht durch Aufrechnung, sondern durch Zahlung erfolgte Entrichtung der Lohnsteuer anfechtbar sein kann oder ob dies schon von Rechts wegen ausgeschlossen ist.
Die zu entscheidenden Fälle
Dem Urteil vom 18.04.2023 lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der späteren Insolvenzschuldnerin stand aus 2014 ein Körperschaftsteuerguthaben zu. Im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag zahlte sie zwar noch Löhne, führt die Lohnsteuer aber nicht mehr ab. Das Finanzamt verrechnete daraufhin das Körperschaftsteuerguthaben mit der offenen Lohnsteuer. Der Insolvenzverwalter meinte, die Verrechnung sei unzulässig gewesen, weil das Finanzamt die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe, und verlangte die Auszahlung des Körperschaftsteuerguthaben.
Der Sachverhalt der zweiten Entscheidung ist ganz ähnlich gelagert, allerdings lagen die Verrechnungen hier längere Zeit vor dem Insolvenzantrag. Verrechnet wurden Umsatzsteuererstattungsbeträge mit offener Lohnsteuer. Hier begehrte der Verwalter die Auszahlung des Umsatzsteuerguthabens.
Nachdem die Insolvenzverwalter die Verrechnungen nicht anerkannten, erließen in beiden Fällen die beteiligten Finanzämter Abrechnungsbescheide nach § 218 der Abgabenordnung (AO), mit denen sie feststellten, dass die jeweiligen Forderungen auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens beziehungsweise auf Erstattung von Umsatzsteuer wirksam mit der Lohnsteuerforderung aufgerechnet worden waren.
Nach erfolglosen Einsprüchen gegen die Abrechnungsbescheide erhoben die Insolvenzverwalter Klage vor dem Finanzgericht. In beiden Fällen wurden die Klagen abgewiesen. Vor dem BFH obsiegten die Insolvenzverwalter.
Die Entscheidungsgründe
Wird etwas aus der späteren Insolvenzmasse (dem pfändbaren Vermögen des Schuldners) weggeben, kann der Insolvenzverwalter das Weggegebene zur Insolvenzmasse zurückverlangen, wenn die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) gegeben sind.
Eine vergleichbare Situation tritt ein, wenn ein Insolvenzgläubiger sich seinerseits einer Forderung des späteren Insolvenzschuldners ausgesetzt sieht. Rechnet hier entweder der Schuldner oder der Insolvenzgläubiger auf, wird zwar aus dem Vermögen des Schuldners nichts weggegeben, der Schuldner verliert aber seine Forderung, die der Insolvenzverwalter anderenfalls zur Masse hätte ziehen können, sodass durch die Aufrechnung grundsätzlich eine Gläubigerbenachteiligung eintritt. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmt deshalb, dass die Aufrechnung unwirksam ist, wenn die Aufrechnungslage anfechtbar geschaffen wurde. Dies ist der Fall, wenn die Begründung mindestens einer der beiden wechselseitigen Forderungen die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO erfüllt.
Zentrale Frage in beiden Rechtsstreiten war deshalb, ob die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen worden war. Streitig war schon, ob die Lohnsteuerforderungen „durch Rechtshandlungen“ begründet werden. Das hatte der jetzt entscheidende VII. Senat des BFH früher verneint, weil er die Ansicht vertrat, die Begründung von Steuerforderungen sei der Anfechtung schon deshalb entzogen, weil ihnen keine Rechtshandlungen zugrunde lägen, sondern sie kraft Gesetzes entstünden. Dieser Auffassung ist der Bundesgerichtshof (BGH) entgegengetreten. Er urteilte, es sei zwar zutreffend, dass die Steuer kraft Gesetzes entstünde, jedoch nur aufgrund von Rechtshandlungen des Steuerschuldners. Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne Insolvenzanfechtung ist nach dessen Rechtsprechung weit auszulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, das heißt ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst. So hatte der BGH 2009 entschieden, dass der Realakt des Bierbrauen eine Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO darstellt, weil es unabhängig vom Willen der Beteiligten die Biersteuer begründet und die sogenannte Sachhaftung nach § 76 der Abgabenordnung (AO) am gebrauten Bier.
Dieser Ansicht des BGH hatte sich der BFH späterhin für die Begründung der Umsatzsteuer angeschlossen. Die anfechtbare Rechtshandlung liegt hier in der Ausführung eines Umsatzes, also etwa einer Lieferung des Unternehmers an einen Abnehmer (Leistungsempfänger).
Dies dehnt der BFH jetzt auch auf die Lohnsteuer aus. Zwar entstehe diese kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich nach § 38 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Zahlung des Arbeitslohns, sie beruhe aber gerade auf dieser Handlung.
Zudem meinte der BFH in früheren Entscheidungen, die Begründung der Lohnsteuer sei Teil eines Bargeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, weshalb sie nach § 142 InsO der Anfechtung nicht zugänglich sei. Diese rechtlich nur schwer vertretbare und der Ansicht des BGH ebenfalls entgegenstehende Meinung gibt der BFH jetzt ohne nähere Begründung auf.
Dementsprechend hat der BFH dem Urteil vom 18.04.2023 folgenden Leitsatz vorangestellt:
„Die Zahlung von Arbeitslohn stellt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO dar.“
Das allein reicht jedoch nicht um die Zahlung des Lohns als anfechtbar anzusehen. Zusätzlich muss diese Rechtshandlung zunächst die Insolvenzgläubiger benachteiligt haben. Die Gläubiger werden benachteiligt, wenn die Rechtshandlung zu einer Minderung der Insolvenzquote führt, dies kann entweder durch Weggabe des aktiven Vermögens (Minderung der Aktivmasse) oder durch eine Vermehrung des Schuldenbestands (Mehrung der Passivmasse) geschehen. Auch im letzten Fall sinkt die Quote, weil die Insolvenzmasse dann auf ein größeres Forderungsvolumen zu verteilen ist.
In diesem Sinn führt die Lohnzahlung zu der erforderlichen Gläubigerbenachteiligung, weil sie im Endergebnis den Arbeitgeber mit der Lohnsteuerforderung des Finanzamts belastet. Zwar ist Schuldner der Lohnsteuer nach § 38 EStG nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber haftet jedoch nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er vom Lohn einzubehalten und abzuführen hat.
In beiden zu entscheidenden Fällen war durch die Lohnzahlung damit letztlich auch die Aufrechnungslage zugunsten des Finanzamts geschaffen worden. Beiden Insolvenzschuldnerinnen standen Forderungen gegen das Finanzamt zu, durch die Begründung der Lohnsteuer konnte das Finanzamt aufrechnen.
Die Anfechtbarkeit einer die Insolvenzgläubiger benachteiligenden Rechtshandlung setzt ferner voraus, dass einer der besonderen Anfechtungstatbände der §§ 130 bis 137 InsO erfüllt ist.
In der Entscheidung vom 18.04.2023 war dies § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger (genauer gesagt: jemandem, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung Insolvenzgläubiger wäre) eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Regelung ist ein scharfes Schwert, das der Gesetzgeber dem Insolvenzverwalter an die Hand gibt, weil Leistungen im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag als hochgradig verdächtig gelten. Neben der zeitlichen Komponente ist allein die Inkongruenz der Rechtshandlung erforderlich. Das entscheidet sich im Fall der Schaffung einer Aufrechnungsalge danach, ob der Insolvenzgläubiger, hier das Finanzamt, einen Anspruch auf Befriedigung seiner Forderung gerade durch die geschaffene Möglichkeit der Aufrechnung hatte. Maßgeblich kommt es darauf an, ob sich die Aufrechnungsbefugnis aus dem zuerst entstandenen Rechtsverhältnis ergibt. Dies war hier die Begründung des Körperschaftsteuerguthabens. Daraus ergab sich für das Finanzamt kein Anspruch auf Aufrechnung der Lohnsteuer. Ohne die – eher zufällig entstandene – Möglichkeit der Aufrechnung hätte das FA die Steuererstattung zur Masse auszahlen müssen und die Lohnsteuerforderung nur zur Insolvenztabelle anmelden können. Die Schaffung der Aufrechnungslage war mithin inkongruent und erfüllte damit alle Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Aufrechnung selbst somit war unwirksam, sodass der Insolvenzverwalter zu Recht die Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens verlangte.
Der Fall des Urteils vom 20.06.2023 lag etwas schwieriger. Da hier die Löhne längere Zeit vor dem Insolvenzantrag gezahlt worden waren, kam allein die Anfechtbarkeit nach § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung in Betracht. Da das Finanzgericht die hierfür erforderlichen Feststellungen nicht vollständig getroffen hatte, hob der BFH die Sache auf und verwies den Streit an das Finanzgericht zurück. In diesem Verfahren trat ein zusätzliches Problem (die sogenannte bargeschäftsähnliche Lage) auf, das wegen einer Gesetzänderung nur noch Insolvenzverfahren betrifft, die vor dem 05.04.2017 eröffnet wurden. Von einer näheren Darstellung wird daher hier angesehen.
Nach einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs durch Urteil vom 09.02.2023 (C-453/21 – X-FAB Dresden) hält das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Aufgaben des Betriebsratsvorsitzenden für unvereinbar mit dem Amt des Datenschutzbeauftragten. Die Inkompatibilität der Ämter mache den zunächst zum Betriebsratsvorsitzenden gemäß § 26 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) gewählten und später zum Datenschutzbeauftragten bestellten Kläger für dieses Amt unzuverlässig. Hierin ist indessen keine Unzuverlässigkeit in der Person des Klägers zu sehen, die Unzuverlässigkeit ergibt sich vielmehr aus der Kombination, der Inkompatibilität der Ämter.
Der konkret zu entscheidende Fall
Der Kläger war Betriebsratsvorsitzender der beklagten, dem X. Konzern angehörenden Gesellschaft. Er wurde 2015 zusätzlich von der Beklagten, deren Muttergesellschaft sowie deren weiteren in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften jeweils gesondert zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Mit der parallelen Bestellung des Klägers verfolgten die Unternehmen das Ziel, einen konzerneinheitlichen Datenschutzstandard zu etablieren.
2017 äußerte der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber Muttergesellschaft der Beklagten, er habe Bedenken, dass der Kläger die zur Erfüllung seiner Aufgaben als betrieblicher Datenschutzbeauftragter erforderliche Zuverlässigkeit besitze, und stützte sich hierbei auf § 4f Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes in der bis zum 24.05.2018 gültigen Fassung (BDSG aF).
Mit Schreiben aus November 2017 stellte der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber der Muttergesellschaft abschließend fest, der Kläger verfüge nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit. Aufgrund der Inkompatibilität mit dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden sei der Kläger bereits nicht wirksam zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt worden. Das Unternehmen verfüge deshalb seit 2015 über keinen betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Die Muttergesellschaft erhielt fristgebundene Gelegenheit zur Stellungnahme mit dem Hinweis, dass nach Fristablauf ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter von Amts wegen bestellt werde und die Verletzung der Pflicht, einen Beauftragten für den Datenschutz zu bestellen, mit einer Geldbuße bis zu 50.000 EUR geahndet werden könne.
Die Beklagte und die weiteren in Deutschland ansässigen Konzernunternehmen teilten dem Kläger daraufhin in eigenständigen Schreiben mit, dass eine wirksame Bestellung als betrieblicher Datenschutzbeauftragter nicht erfolgt sei und nunmehr zur Vermeidung eines Bußgeldes ein geeigneter Datenschutzbeauftragter bestellt werde. Hilfsweise widerriefen sie seine Bestellung mit sofortiger Wirkung. Vorsorglich beriefen sie ihn nach Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gemäß Art. 38 Absatz 3 Satz 2 DSGVO als Datenschutzbeauftragten ab.
Der Kläger meinte, er sei wirksam für deren Betrieb zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden. Seine Abberufung sei daher nicht wirksam. Die Beklagte beantragte Klageabweisung, da jedenfalls der durch sie erklärte Widerruf der Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten Wirksamkeit entfaltet hätte.
Seiner Klage hat das Arbeitsgericht Dresden stattgegeben, die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auf ihre Revision hat das BAG nun die Klage abgewiesen.
Die Entscheidungsgründe
Das BAG meint, der Kläger sei zwar wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden, seine Bestellung sei durch die beklagte Arbeitgeberin aber ebenso wirksam widerrufen worden.
- Zur Stellung des Datenschutzbeauftragten
Die Überschneidung der Interessensphären des Betriebsratsvorsitzenden einerseits und des Datenschutzbeauftragten andererseits könne, so das BAG, der vom BDSG geforderten Zuverlässigkeit entgegenstehen. Dafür reiche nicht jede Berührung der verschiedenen Aufgaben aus, da das Gesetz die Berufung eines Arbeitnehmers zum Datenschutzbeauftragten im Grundsatz zulasse, aber der Datenschutzbeauftragte habe das Arbeitsumfeld eines jeden Mitarbeiters zu überwachen, letztlich also auch sich selbst.
Es müsse gewährleistet sein, dass der Datenschutzbeauftragte seine Pflichten in völliger Unabhängigkeit erfüllen könne. Ein Grund für den Widerruf der Funktion des Datenschutzbeauftragten sei danach in der Regel gegeben, wenn der Arbeitnehmer bei der Erfüllung seiner weiteren Aufgaben und Pflichten gestaltenden Einfluss auf die Datenverarbeitung in der verantwortlichen Stelle habe. In einem solchen Fall könne die unabhängige Erfüllung der Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten gefährdet sein. Das Recht des Verantwortlichen, die Bestellung des Datenschutzbeauftragten im Fall eines gestaltenden Einflusses auf die Datenverarbeitung zu widerrufen, wahre dessen funktionelle Unabhängigkeit, genauer: diejenige des Amtes, und gewährleiste damit die Wirksamkeit der datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
Der Datenschutzbeauftragte habe auf die Einhaltung des BDSG alter Fassung und anderer Vorschriften über den Datenschutz hinzuwirken. Dabei habe er insbesondere die ordnungsgemäße Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme, mit deren Hilfe personenbezogene Daten verarbeitet werden sollen, zu überwachen sowie die bei der Verarbeitung personenbezogener Daten tätigen Personen durch geeignete Maßnahmen mit den Vorschriften über den Datenschutz und mit den jeweiligen besonderen Erfordernissen des Datenschutzes vertraut zu machen.
- Die Stellung des Betriebsratsvorsitzenden
Das BAG lässt offen, ob die Stellung als einfaches Betriebsratsmitglied mit derjenigen des Datenschutzbeauftragten vereinbar ist, die des Vorsitzenden sei es jedenfalls nicht.
Der Betriebsrat lege als Gremium Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Er entscheide, unter welchen konkreten Umständen er welche personenbezogenen Daten in Ausübung der ihm zugewiesenen Aufgaben erhebe und auf welche Weise er diese anschließend verarbeite.
In bestimmten sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten stünden dem Betriebsrat Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte zu, die von der bloßen Anhörung bzw. Unterrichtung, über die Beratung bis hin zum Zustimmungsverweigerungsrecht und schließlich zum Mitbestimmungsrecht reichten. In Erfüllung dieser Aufgaben verarbeite der Betriebsrat personenbezogene Daten, die er vom Arbeitgeber erhalte, aber auch von Beschäftigten selbst, etwa im Rahmen der Sprechstunde, einer Beschwerde, des Vorschlagsrechts der Arbeitnehmer, des Meinungsaustauschs im Rahmen von Betriebs- oder Abteilungsversammlungen oder der Anhörung eines von einer personellen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers. Des Weiteren könne der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen schließen, etwa zu technischen Überwachungseinrichtungen, die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand haben könnten. Im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben lege der Betriebsrat die Zwecke der Datenverarbeitung fest und insbesondere, welche mitarbeiterbezogenen Informationen er verlange und wie er damit tatsächlich umgehe.
- Der Abgleich der beiden Positionen
Schon nach dem BDSG alter Fassung habe es dem Datenschutzbeauftragten oblegen, die Datenschutzkonformität der auf Anforderung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber vorgenommenen Übermittlung personenbezogener Mitarbeiterdaten zu überprüfen. Bei der Übermittlung sensitiver Daten habe er dementsprechend in eigener Sache überwachen müssen, ob das Schutzkonzept des Betriebsrats datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprochen habe und der Arbeitgeber die Daten an den Betriebsrat habe übermitteln dürfen.
Demgegenüber bestimme der Betriebsrat auch über die Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten.
Als Beauftragter für den Datenschutz sei der Vorsitzende des Betriebsrats verpflichtet zu prüfen, ob die von ihm nach außen vertretene Beschlusslage des Betriebsrats mit den Bestimmungen des Datenschutzes im Einklang stehe. Zwar sei er in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion in erster Linie Mitglied des Betriebsrats, habe aber dessen Beschlüsse nach außen zu vertreten. Zudem sei er zur Entgegennahme von dem Betriebsrat gegenüber abzugebenden Erklärungen berechtigt. Diese Aufgaben stellten die funktionelle Unabhängigkeit als Datenschutzbeauftragter und damit die Gewährleistung des Datenschutzes infrage.
Bei gleichzeitiger Wahrnehmung der Funktion eines Datenschutzbeauftragten müsse er in identischer Angelegenheit – neutral und allein dem Datenschutz verpflichtet – überprüfen, ob Auskunftsersuchen und beschlossene Schutzvorkehrungen datenschutzrechtlichen Vorgaben genügen, und den Arbeitgeber insoweit unter Umständen datenschutzrechtlich beraten. Dies sei wegen seiner Bindung an Betriebsratsbeschlüsse gegebenenfalls nicht möglich. Dieser Interessenkonflikt beeinträchtige die funktionelle Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten und gefährde die Wirksamkeit datenschutzrechtlicher Regelungen, so dass er den Arbeitgeber zum Widerruf der Bestellung berechtige.
PDF als Download: Ermittlungspflicht des Insolvenzverwalters – Verjährung von Anfechtungsansprüchen
PDF als Download: BGH, Urteil vom 27.07.2023 – IX ZR 138/21 aus beck-online
Ansprüche verjähren. Sie gehen dadurch nicht ersatzlos unter, beruft sich jedoch der Forderungsschuldner berechtigterweise auf die Verjährung, kann der Anspruch nicht mehr durchgesetzt werden, eine nach der Verjährung erhobene Klage ist abzuweisen.
Der Kläger verfolgt mit seinem Klageantrag die Ausschließung des Beklagten aus der GmbH. Die Gründe hierfür werden im Urteil des BGH nicht benannt, was darauf beruht, dass der BGH in diesem Verfahren zwei Rechtsfragen anders beurteilte als das OLG München in der Berufungsinstanz und im Anschluss hieran die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Das OLG München wird im neuerlichen Berufungsverfahren zu klären haben, ob die Voraussetzungen für eine Ausschließung des Beklagten tatsächlich vorliegen.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt nicht direkt mit dem Entstehen des Anspruchs, sondern nach § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Darlegungs- und beweispflichtig hierfür ist der Schuldner, denn ihm kommt die Möglichkeit der Verjährungseinrede zugute.
In der Praxis lässt sich der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs im Nachhinein meist gut feststellen, zum Beispiel entstehen Anfechtungsansprüche mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Schwieriger ist die Feststellung der Kenntnis oder gar der grob fahrlässigen Unkenntnis. Um letzteres ging es in der Entscheidung des BGH vom 27.07.2023. Die vom Insolvenzverwalter etwa acht Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch genommene Anfechtungsgegnerin berief sich im Rechtsstreit auf Verjährung. Dass der Verwalter länger als drei Jahre zuvor Kenntnis von den Umständen erlangt hatte, die den Anfechtungsanspruch begründen, hatte die Beklagte aber nicht dartun können. Entscheidend war daher vor allem, ob der Verwalter schon längere Zeit zuvor Kenntnis hätte haben müssen, ob er also grob fahrlässig die Umstände nicht kannte, die den Anspruch begründeten. Dies wiederum hängt von der Frage ab, welche konkreten Aktivitäten ein Insolvenzverwalter zur Ermittlung von Anfechtungsansprüche ergreifen muss, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit auszuschließen, und wieviel Zeit seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihm hierfür eingeräumt werden kann.
Der PFO-Partner Rechtsanwalt Alexander Kubusch hat die der Prüfung zugrunde zu legenden Kriterien in einem Aufsatz in der Fachpresse umfassend beschrieben (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht, Jahrgang 2018, Seite 634 ff.). Diesen Ausführungen hat sich der Insolvenzsenat des BGH mit dem Urteil vom 27.07.2023 angeschlossen.
PDF als Download:Wenn es nicht mehr anders geht: Die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft – der BGH ändert teilweise seine Rechtsprechung
Der zu entscheidende Sachverhalt
Kläger und Beklagter sind jeweils hälftig an einer GmbH beteiligt. Das Stammkapital ist vollständig eingezahlt. Die Satzung der GmbH enthält keine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters oder zur Einziehung von Geschäftsanteilen. Entscheidend für den folgenden Streit über den Ausschluss des einen Gesellschafters durch den anderen war daher allein die Gesetzeslage.
Der Kläger verfolgt mit seinem Klageantrag die Ausschließung des Beklagten aus der GmbH. Die Gründe hierfür werden im Urteil des BGH nicht benannt, was darauf beruht, dass der BGH in diesem Verfahren zwei Rechtsfragen anders beurteilte als das OLG München in der Berufungsinstanz und im Anschluss hieran die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Das OLG München wird im neuerlichen Berufungsverfahren zu klären haben, ob die Voraussetzungen für eine Ausschließung des Beklagten tatsächlich vorliegen.
Folgende Vorfragen hat der BGH nun unter teilweise Änderung seiner Rechtsprechung entschieden:
Prozessführungsbefugnis für die Ausschließungsklage
Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Ausschließungsklage grundsätzlich von der GmbH zu erheben. Ob abweichend hiervon in einer Zwei-Personen-GmbH den Gesellschaftern selbst ein Klagerecht zur Ausschließung des jeweils anderen zusteht, hat der BGH jedoch bisher noch nicht entschieden.
Die Frage ist in der juristischen Literatur und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Teilweise wird angenommen, dass in einer Zwei-Personen-GmbH jeder Gesellschafter persönlich eine Ausschließungsklage gegen den Mitgesellschafter anstrengen kann. Begründet wird diese Prozessführungsbefugnis zum einen mit Praktikabilitätserwägungen, zum anderen wird auf die Grundsätze der actio pro socio bzw. deren Rechtsgedanken zurückgegriffen.
Nach anderen Stimmen besteht kein Bedürfnis für eine vom allgemeinen Grundsatz – dem alleinigen Klagerecht der Gesellschaft – abweichende unmittelbare Klagebefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters bei einer Zwei-Personen-GmbH. Da über die Erhebung der Ausschließungsklage die Gesellschafterversammlung zu befinden habe und der betroffene Gesellschafter nicht stimmberechtigt sei, bestehe ein praktisches Bedürfnis für eine Prozessführungsbefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters allenfalls dann, wenn der auszuschließende Gesellschafter zugleich der einzige Geschäftsführer der GmbH sei.
Der BGH entscheidet die Streitfrage jetzt im Sinne der zuerst genannten Auffassung. Auch er überträgt die Grundsätze der actio pro socio auf den vorliegenden Fall. Aufgrund dieser Rechtsfigur kann ein Gesellschafter einer GmbH berechtigt sein, einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, was namentlich dann in Betracht kommt, wenn dieser seine zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht verletzt und durch eine damit verbundene Schädigung des Vermögens der Gesellschaft mittelbar auch dasjenige des klagenden Gesellschafters geschädigt hat. Die Übertragung dieser Grundsätze sei gerechtfertigt, weil auch die Ausschließung ihren Anlass in der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten habe. Hier wie dort sollten die anderen Gesellschafter vor Beeinträchtigungen durch eine unrechtmäßige Einflussnahme auf die Geschäftsführung bei der Verfolgung von aus der gesellschafterlichen Treuepflicht erwachsenden Ansprüchen geschützt werden. Der grundsätzlich bestehende Vorrang der Gesellschaftsklage müsse daher zurücktreten.
Der Zeitpunkt des Ausscheidens durch Gestaltungsurteil – Änderung der Rechtsprechung
Kommt es mangels gesellschaftsvertraglicher Regelung – wie vorliegend – nicht zu einer bestandskräftigen Ausschließung eines Gesellschafters durch Gesellschafterbeschluss, müssen der oder die ausschließungswilligen Gesellschafter hierauf klagen. Sofern das Gericht die Klage für begründet erachtet, erklärt es den Gesellschafter durch ein sogenanntes Gestaltungsurteil für ausgeschlossen. Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, wann der Ausschluss wirksam wird. Bisher hatte der BGH die Ausschließung eines Gesellschafters durch Gestaltungsurteil an die Bedingung geknüpft, dass der betroffene Gesellschafter binnen einer im Urteil festzusetzenden angemessenen Frist den ebenfalls im Urteil zu bestimmenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil tatsächlich ausgezahlt erhält (sogenannte Bedingungslösung). In Abkehr hiervon meint der BGH jetzt, dass in einem Fall, in dem ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische (satzungsmäßige) Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen wird, die Ausschließung bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird und nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt ist.
Begründet wird diese Rechtsprechungsänderung mit Blick auf die neuere Rechtsprechung zur Einziehung eines Geschäftsanteils, wonach diese bereits mit der Mitteilung eines entsprechenden Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter wirksam wird, wenn der Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird. Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird, müsse allerdings davor geschützt werden, dass die verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert seines Anteils aneignen und ihn aufgrund der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Die Gesellschafter hafteten daher dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig auf Zahlung der Abfindung, wenn die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen sei. Diese Rechtsprechung sei auf die Ausschließung eines Gesellschafters ohne statutarische Regelung durch Gestaltungsurteil übertragbar.
Die aufgrund der bisherigen Rechtsprechung auch nach der Rechtskraft des Urteils entstehende Schwebelage – bis zur Leistung der Abfindung – sei den übrigen Gesellschaftern in besonderem Maße unzumutbar, weil die Ausschließung, anders als die Einziehung, als äußerstes und letztes Mittel stets nur zulässig sei, wenn in der Person oder dem Verhalten des Gesellschafters ein wichtiger Grund vorliege, mithin ein Verbleib des Gesellschafters in der Gesellschaft die gedeihliche Fortführung des Unternehmens in Frage stellte oder aus sonstigen Gründen die Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses mit ihm für die übrigen Gesellschafter unzumutbar wäre.
Der Abfindungsanspruch des Gesellschafters werde auch bei einem mit Rechtskraft des Ausschließungsurteils wirksamen Ausscheiden ausreichend gesichert.
Einerseits gelte das Gebot der Kapitalerhaltung auch dann, wenn die Gesellschaft einen Gesellschafter ausschließen will. Könne ohne das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG die Abfindung nicht geleistet werden, komme die Ausschließung eines Gesellschafters nicht in Betracht. Andererseits hafteten die verbliebenen Gesellschafter nach Wirksamwerden der Ausschließung persönlich für die Abfindung des ausgeschlossenen Gesellschafters ab dem Zeitpunkt, in dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen sei. Das bestehen bleibende Restrisiko des ausgeschlossenen Gesellschafters sei hinzunehmen.
Zudem werde bei entsprechender Satzungsregelung auch bei der Ausschließung durch Beschluss deren Wirksamkeit von der Rechtsprechung seit jeher nicht an die Bedingung der Abfindungszahlung geknüpft. Die Gesellschafterstellung des Betroffenen lebe auch dort nicht wieder auf, wenn die Gesellschaft nicht in angemessener Frist die Einziehung des Geschäftsanteils beschließe oder seine Abtretung verlange und nichts dazu tue, dass der Ausgeschlossene den Gegenwert seines Geschäftsanteils erlange. Auch die fehlende vorweggenommene Zustimmung zum Ausschluss ohne satzungsmäßige Regelung zwinge nicht zur Kopplung des Abfindungsanspruchs an die Wirksamkeit der Ausschließung.
Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsverbot?
Wie schon erwähnt ist nach der neuen Rechtsprechung die Ausschließung durch Gestaltungsurteil nicht möglich, wenn die Gesellschaft die Abfindung nur unter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG leisten könnte.
Für das im Gläubigerinteresse bestehende Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt nach ständiger Rechtsprechung eine bilanzielle Betrachtungsweise. Auszahlungen an (ausgeschiedene) Gesellschafter dürfen nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen. Deren Vorliegen bestimmt anders als bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 InsO sich nicht nach Verkehrswerten, sondern nach den Buchwerten einer stichtagsbezogenen Handelsbilanz; stille Reserven finden keine Berücksichtigung. Ist ohne Verstoß hiergegen die Zahlung an den Auszuschließenden nicht möglich, ist – wie ebenfalls schon dargestellt – die Ausschließung nicht zulässig. Allerdings steht dem solventen ausschließungswilligen Gesellschafter eine Möglichkeit offen, diese Situation zu verhindern. Hat er nämlich mit der GmbH vereinbart, sie in der Weise auszustatten, dass die Zahlung der Abfindung an einen ausgeschiedenen Gesellschafter nicht zur Entstehung einer Unterbilanz führt, kann nach allgemeinen Grundsätzen die sich daraus ergebende Forderung der GmbH gegen den Gesellschafter in der Handelsbilanz der Gesellschaft aktiviert und so eine Unterbilanz oder gar Überschuldung verhindert werden. Es begegnet keinen Bedenken – so der BGH –, wenn sich ein Gesellschafter, gegebenenfalls auch erst im Rahmen des Ausschließungsprozesses, gegenüber der Gesellschaft dazu verpflichtet, sie so auszustatten, dass sie die Abfindungsforderung eines ausscheidenden Gesellschafters ohne Verstoß gegen das Auszahlungsverbot befriedigen kann.
Auch hierzu hatte das Berufungsgericht vorliegend keine ausreichenden Feststellungen getroffen, es wird dies in der neuerlichen Berufungsverhandlung ebenso nachzuholen haben.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Tennis-Point GmbH (AG Bielefeld; Az.: 43 IN 701/23) wird dazu führen, dass etliche Kunden dieses Online-Shops vermutlich (wieder einmal) einen finanziellen Schaden erleiden. Grund genug, sich daher einmal den rechtlichen Grundlagen und auch den Schutzmöglichkeiten für Kunden zuzuwenden.
Vorab:
Bestellen Sie einen Artikel bei einem Online-Händler, der wegen des Insolvenz(antrags)verfahrens nicht mehr geliefert wird, entsteht Ihnen so lange kein Schaden, wie Sie keine Zahlung geleistet haben. Gut, der bestellte Artikel wird u.U. nicht mehr geliefert, weil das Angebot zurückgezogen wird und Sie werden den Artikel anderweitig womöglich teurer kaufen können/müssen. Das lässt sich noch verkraften.
Vorsicht bei Vorkasse:
Wesentlich ärgerlicher wird es dann schon bei einer Vorkassezahlung,, die im Vorfeld des Insolvenzantragsverfahrens von Ihnen geleistet wurde. Wird dann der bestellte Artikel nicht mehr geliefert, ist einerseits der sowohl der Erfüllungsanspruch (Lieferung des Artikels), andererseits aber auch der Rückabwicklungsanspruch bei Rücktritt (Rückzahlung der Vorkassezahlung) eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Diese kann also (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens) nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden; es wird am Ende des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzquote auf diese Forderung gezahlt. In der Regel verlieren also Vorkassezahler im Zuge eines Insolvenzverfahrens den Großteil ihrer Anzahlung.
Was ist mit Retouren?
Möglich ist auch die Konstellation, dass der Kunde seine Ware per Vorkasse bezahlt und sogar erhalten hat, im Anschluss das Insolvenzantragsverfahren eingeleitet wird und der Kunde dann feststellt, dass die bestellte Ware ihm/ihr nicht passt oder gefällt. Vorsicht ist bei einer kommentarlosen Rücksendung geboten, weil im Falle einer Rückabwicklung die Rückzahlung des Kaufpreises wieder eine Insolvenzforderung ist und ebenso nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden kann. Bedeutet also: Geld weg und Ware wieder zurückgeschickt! Bei der Tennis-Point GmbH führt diese Konstellation gerade dazu, dass Retouren derzeit gar nicht bearbeitet werden, um solche Schadenseintritte für Kunden möglichst zu vermeiden.
Gleiche Folgen bei Zahlung auf Rechnung?
Insolvenzrechtlich besser stehen dann schon die Kunden da, die ihre Warenlieferung erst nach Erhalt per Rechnung bezahlen. Hier wird seitens des Kunden keine Leistung ausgelöst, bevor die Ware beim Kunden angekommen ist. Gefällt die Ware dem Kunden, wird er sie behalten und den Kaufpreis dafür bezahlen. Gefällt oder passt die gelieferte Ware nicht, wird der Kunde diese (ohne Bezahlung) zurücksenden. Der bisweilen fällige Zahlungsaufschlag für eine Zahlung per Rechnung kann sich also in einem solchen Fall schon lohnen. Klar ist aber: das Insolvenz(antrags)verfahren des Lieferanten entbindet den Kunden nicht von der Zahlung der Rechnung, wenn er die Ware erhalten hat und behalten möchte.
Ist es jetzt "zu gefährlich" bei Tennis-Point GmbH zu bestellen?
Das kann man jetzt noch nicht abschließend beurteilen... grundsätzlich ermöglicht die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter gleichzeitiger Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann hierbei die Ermächtigung vom Insolvenzgericht erhalten, sog. Verbindlichkeiten aus Neugeschäften als Masseverbindlichkeiten einzugehen. Heißt also: wenn der vorläufige Insolvenzverwalter dem Geschäft zustimmt, dann ist dieses Geschäft (entweder durch Warenlieferung oder aber durch Zahlung) auch zu erfüllen. Wie das jedoch bei einer Vielzahl von täglichen Bestellungen über das Internet konkret ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind Kunden gut damit beraten, die Lieferung auf Zahlung per Rechnung umzustellen - auch wenn dies manchmal mit Zahlungsaufschlägen verbunden ist.
Insolvenzantragspflichten
Bei juristischen Personen, aber auch bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (z. B. Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR -, OHG, KG), bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, besteht für die Geschäftsleiter (im Folgenden: Geschäftsführer unabhängig von der Gesellschaftsform) nach § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Der Insolvenzantrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Die Frist beginnt unabhängig von der Kenntnis des Geschäftsführers, knüpft also ausschließlich an den objektiven Eintritt des Insolvenzereignisses an. Sie ist eine Höchstfrist und darf nur ausgenutzt werden, wenn Sanierungsmaßnahmen innerhalb der Frist sinnvoll und erfolgversprechend erscheinen.
Schon hieran wird deutlich, dass der Geschäftsführer die finanzielle Lage der Gesellschaft stets überwachen muss, um bei Eintritt einer Krise gegebenenfalls rechtzeitig Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, denn innerhalb der Antragsfristen ist eine Sanierung in den wenigsten Fällen noch möglich.
Unabhängig davon hat seit 2021 nach § 1 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) der Geschäftsführer ohnehin fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können.
Erstattungspflichten der Geschäftsführer bei nicht rechtzeitigem Insolvenzantrag
Wird der Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt, machen sich die Geschäftsführer nicht nur strafbar, sondern müssen auch nach Ablauf der Frist noch geleistete Zahlungen erstatten. Einzelheiten regelt heute § 15b InsO. Vor dessen Inkrafttreten 2021 gab es dem Grundsatz nach entsprechende, in Einzelheiten jedoch stark abweichende Regelungen in den Gesetzen, die die jeweilige Gesellschaftsform behandeln, für die GmbH war dies § 64 GmbHG a. F.
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Die beiden Insolvenzgründe, Zahlungsunfähigkeit und insolvenzrechtliche Überschuldung, sind häufig nicht leicht zu ermitteln. Das Besprechungsurteil befasst sich mit letzterem.
Nach § 19 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Ob die bestehenden Verbindlichkeiten in diesem Sinne noch gedeckt sind, ergibt sich nicht aus der Handelsbilanz oder einer nach den bisherigen Bilanzgrundsätzen aufgestellten Zwischenbilanz, sondern aus der Überschuldungsbilanz, die zu diesem Zweck aufgestellt werden muss. Bei ihr sind die Aktiva nur mit den Werten anzusetzen, die eine Veräußerung im Insolvenzverfahren erbringen würde, also die Liquidationswerte, die um die Verwertungskosten und die Umsatzsteuer zu reduzieren sind. Reichen die so ermittelten Aktiva nicht aus, die Passiva zu decken, muss eine Fortführungsprognose erstellt werden. Es ist darin zu untersuchen, ob eine größere Wahrscheinlichkeit für das Überleben der Gesellschaft besteht oder für deren Scheitern. Der Prognosetatbestand ist nicht deckungsgleich mit der going-concern-Annahme nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Überwiegend wahrscheinlich ist die Fortsetzung, wenn von mehr als 50 % Fortsetzungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann. Nur dann liegt bei Vermögensunterdeckung der Insolvenzgrund der Überschuldung nicht vor.
Der entschiedene Fall
Dem Urteil des OLG Düsseldorf lag – etwas vereinfacht – folgender Fall zugrunde:
V gründete 2014 die R. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), ein Start-up-Unternehmen, über deren Vermögen am 28.12.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Schuldnerin plante ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge ähnlich der heute bekannten Plattform „hey-car“ einzurichten und investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software.
Die Schuldnerin finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen eines Investors, der auch erhebliche Anteile an ihr hielt und ihr beginnend ab dem 10.07.2014 regelmäßig Darlehen „zur Stärkung des Eigenkapitals … in der Gründungsphase des Unternehmens … als Mezzanine Kapital“ gewährte. Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Bis Ende 2015 beliefen sich diese Darlehensforderungen auf insgesamt 608.000 €. Sie wuchsen bis zum 20.07.2016 auf insgesamt 778.000 € an.
Im Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 126.000 € ausgewiesen. Im Jahr 2015 erzielte die Schuldnerin lediglich Umsätze in Höhe von rund 12.000 € und erwirtschaftete einen Verlust von 494.000 €, was zu einer Erhöhung des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags auf rund 620.200 € zum 31.12.2015 führte.
Die Schuldnerin unterhielt bei einer Bank ein Geschäftskonto, das teils im Soll, teils im Haben geführt wurde. In dem Zeitraum zwischen dem 01.01.2016 und dem 29.02.2016 kam es zu Zahlungsbewegungen von insgesamt 55.000 €, denen teilweise Auszahlungen von dem zu diesen Zeitpunkten kreditorisch, also im Haben, geführten Geschäftskonto und teilweise Einzahlungen auf dem zu den entsprechenden Zeitpunkten debitorisch geführten Geschäftskonto zugrunde lagen.
Nachdem der klagende Insolvenzverwalter bestellt worden war, verlangte er von V, der seit der Gründung der Schuldnerin bis Anfang März 2016 deren Geschäftsführer gewesen war, die Erstattung der angeführten Zahlungen, weil er meinte, die Schuldnerin sei seit Ende 2015 überschuldet gewesen, sodass V zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet gewesen wäre. Er ging dabei von der Handelsbilanz aus und legte dar, er sehe keine stillen Reserven oder sonstige nicht in der Handelsbilanz abgebildete Vermögensgegenstände der Schuldnerin.
Der Beklagte meinte dagegen, die Schuldnerin sei nicht im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet gewesen, da die Darlehen wie Eigenkapital gewährt worden seien. Außerdem seien die bis Ende 2015 angefallenen Entwicklungskosten für die Software von ca. 320.000 € bzw. etwaige Anschaffungskosten von 650.000 € für eine externe Entwicklung als stille Reserven anzusetzen. Im Übrigen sei der Investor bereit gewesen, die Schuldnerin auf unbestimmte Zeit zu finanzieren, solange die Planungen realistisch erschienen, was jedenfalls bis September 2016 der Fall gewesen sei. Die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin sei sichergestellt gewesen. Er, der Beklagte, habe monatliche Finanzpläne aufgestellt, die bis 31.12.2020 gereicht hätten und ständig aktualisiert worden seien. Danach hätten im Juli 2016 erstmals Überschüsse erwirtschaftet werden sollen. Den sich aus der Planung ergebenden Finanzbedarf für die bevorstehende Planungsperiode habe er konkret mit dem Investor abgesprochen, die bevorstehenden Ausgaben seien sehr genau mit ihm abgestimmt und die notwendigen Mittel jeweils als Darlehen zur Verfügung gestellt worden. Bis zur Beendigung seiner – des Beklagten – Geschäftsführertätigkeit hätten keine Anzeichen bestanden, dass der Investor von seinem Fortführungswillen abrücken werde.
Das OLG verurteilte den Beklagten zur Erstattung der 55.000 €.
Die Begründung des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf schließt sich der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, wonach die Handelsbilanz zwar nicht für die insolvenzrechtliche Überschuldung maßgeblich ist, ihr aber für die Frage der rechnerischen Überschuldung im auf Zahlungserstattung gerichteten Prozess gegen den Geschäftsführer indizielle Bedeutung zukommt. Legt der Insolvenzverwalter für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, und legt er dar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind, muss der beklagte Geschäftsführer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vortragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind.
Vorliegend war von einem nicht durch Eigenkapitalbetrag gedeckten Fehlbetrag von mehr als 600.000 € auszugehen und der Kläger hatte geltend gemacht, stille Reserven seien nicht vorhanden.
Der Beklagte hatte sich einerseits darauf berufen, der Kläger habe immaterielle Vermögensgegenstände von beträchtlichem Wert, nämlich die erstellte Software, und eine harte Patronatserklärung des Investors nicht berücksichtigt. Außerdem habe dieser für seine Darlehensforderung eine Rangrücktrittserklärung abgegeben. Sie seien in der Überschuldungsbilanz folglich nicht zu berücksichtigen.
Dagegen stellte das OLG Düsseldorf nach der Vernehmung von Zeugen fest, dass die in der Bilanz mit 30.000 € angesetzte Software im Insolvenzverfahren nur für 10.000 € veräußert werden konnte, stille Reserven also nicht beinhaltete. Von einer harten Patronatserklärung, wie vom Beklagten behauptet, konnte das OLG sich ebenfalls nicht überzeugen. Schließlich erklärte der als Zeuge vernommene Investor, keinen Rangrücktritt für seine Darlehen erklärt zu haben. Auch in den schriftlichen Darlehensverträgen konnte das OLG eine solche nicht auffinden.
Als Folge der Unterdeckung blieb daher zu klären, ob eine positive Fortführungsprognose bestand. Der hieran anzulegende Maßstab, so meint das OLG, müsse von dem üblichen Maßstab, den die Rechtsprechung hierfür entwickelt habe, unter Berücksichtigung der Start-up-Situation modifiziert werden.
Solche Unternehmen seien in einer – mehr oder weniger langen – Anfangsphase meist nicht ertragsfähig, jedoch seien operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. In Fällen von Start-Ups sehe auch der BGH die Ertragsfähigkeit (Selbstfinanzierungskraft) nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an. Es liege in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst nur Schulden mache und von Darlehen abhängig sei. In diesen Fällen müsse daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum (12 Monate) abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden könnten. Der Rückgriff auf eine Ertragsfähigkeit würde diesen Unternehmen dagegen die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen. Bei einem Start-Up-Unternehmen müssten daher die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden. Die Fortführungsfähigkeit muss im Sinne des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50% wahrscheinlich sein; maßgeblich sei also, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken. Das OLG knüpft damit die Fortführungswahrscheinlichkeit an die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsfähigkeit an.
Als Grundlage dieser Beurteilung fordert es allerdings eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept, das die in den Blick genommene Etablierung der Geschäftsidee eines Start-Up-Unternehmens erfolgversprechend erscheinen lasse. Denn eine mittelfristige Liquiditätssicherung werde in der Regel nur dann erreicht, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden könnten. Die bloße Darstellung von Zahlen reiche hierfür folglich nicht aus. Vielmehr sei die Liquiditätsplanung ständig an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Soweit hierbei auf Finanzierungszusagen Dritter rekurriert werde, müsse der Nachweis erbracht werden, dass die Planungen diesen zur Kenntnis gebracht worden seien und sie ihre Finanzierungszusagen aufrechterhalten haben.
Diese Nachweise habe der Beklagte nicht erbracht. Seine entsprechenden Behauptungen wurden von dem auch hierzu als Zeugen vernommenen Investor nicht bestätigt.
Trotz der wie dargestellt reduzierten Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose konnte sich das OLG Düsseldorf nicht von deren Vorliegen überzeugen und verurteilte den Beklagten dem Klageantrag entsprechend.
Eine weitere Besonderheit des Falles musste das OLG Düsseldorf bei der Entscheidung berücksichtigen. V hatte als Geschäftsführer, wie oben erwähnt, nicht nur Zahlungen vom kreditorisch geführten Konto geleistet, sondern zu Zeiten, in denen dieses im Soll geführt wurde, Forderungen der Schuldnerin hierauf eingezogen. Die Summe dieser Buchungen ergab den Klagebetrag von 55.000 €. Auf den ersten Blick erscheint es befremdlich, den Forderungseinzug als „Zahlung“ zu interpretieren. Verdeutlicht man sich jedoch, dass bei debitorischem Konto der Bankkredit reduziert wird, stellt sich der Forderungseinzug wirtschaftlich als Zahlung an einen einzelnen Gläubiger, nämlich die Bank, dar, was es nach der Rechtsprechung des BGH rechtfertigt, ihn als solche zu behandeln und die Erstattungspflicht hierauf zu erstrecken.
Parallele Wertungen im Insolvenzanfechtungsrecht
Die Modifizierung der Voraussetzungen einer positiven Fortführungsprognose im Rahmen des § 19 InsO korrespondiert mit der Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen, die bei der Insolvenz von Start-Up-Unternehmen an die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Sinne des Insolvenzanfechtungstatbestands des § 133 InsO gestellt werden (BGH, Urteil vom 05.03.2009 – IX ZR 85/07). Danach gilt: Überträgt der Gründer eines Unternehmens der finanzierenden Bank nahezu das gesamte Vermögen zur Sicherung ihrer Kredite, handelt er auch dann nicht mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn seine Hoffnung, die Gründung werde erfolgreich sein, objektiv unberechtigt ist. Der BGH stellt damit auch insoweit auf die besondere Situation von Start-Up-Unternehmen ab.
Liegt eine steuerrechtliche Organschaft vor, wird die Organgesellschaft steuerrechtlich nicht mehr als Steuersubjekt behandelt, die steuerrechtliche Verantwortung für die Organgesellschaft lastet vielmehr auf dem Organträger, das heißt, die durch die Organgesellschaft verursachten Steuern werden als Steuern des Organträgers behandelt. Im Umsatzsteuerrecht steht ihm allerdings auch der Vorsteuerabzug zu. Es ist daher sehr wichtig, eine Organschaft zu erkennen und entsprechende Steuererklärungen und – voranmeldungen abzugeben. Die Verkennung der Organschaft, aber auch ihre unzutreffende Annahme können weitreichende Folgen nach sich ziehen, insbesondere, aber nicht nur, wenn im sog. Organkreis ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sei es über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft.
Kursorische Übersicht über die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft, die nicht mit der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nach §§ 14 ff. Körperschaftsteuergesetz (KStG) verwechselt werden darf, ist in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) geregelt.
Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird danach nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
Schlagwortartig zusammengefasst müssen für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein.
Für die finanzielle Eingliederung ist erforderlich, dass der Organträger über eine Kapitalbeteiligung verfügt, die ihm nach Gesetz und Satzung ermöglicht, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen, im Regelfall also mehr als 50 % der Anteile.
Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt immer von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Dies gilt selbst gegenüber rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandanten, auch sogar gegenüber Rechtsanwälten als Mandanten. Der anwaltlich vertretene Mandant hat Anspruch darauf, dass er die erforderliche Beratung erhält. Er muss die Beratung nicht durch eigene Überlegungen ersetzen und erst recht keinen weiteren Berater hinzuziehen. Die Beratungsbedürftigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil der Mandant von sich aus in der Lage wäre, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Der Rechtsanwalt darf deshalb nur dann von einer (weiteren) Beratung des Mandanten absehen, wenn er positiv weiß, dass dieser über die erforderlichen Informationen bereits verfügt.
Die wirtschaftliche Eingliederung setzt voraus, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint, weil ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung vorhanden ist.
Dieorganisatorische Eingliederung folgt nicht notwendig aus der finanziellen, viel-mehr wird verlangt, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft wirklich wahrgenommen wird. Der Abhängigkeitsvermutung des § 17 AktG kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Nach der seit einigen Jahren herrschenden Rechtsprechung ist erforderlich, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann.
Die neuen Entscheidungen
„Juristische Person“ als Organgesellschaft
Die erste Neuerung betrifft die Anforderungen an die Beteiligten des Organkreises, genauer an die Organgesellschaft. Der Gesetzeswortlaut ist hier eindeutig, Organgesellschaft kann nur eine juristische Person sein (vor allem eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH). Dennoch gibt es seit längerer Zeit Bestrebungen, auch Personenhandelsgesellschaften, also OHG und KG hierunter zu fassen. Im speziellen Fall der sogenannten Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ (etwa eine GmbH & Co. KG) hatte der BFH diesen Forderungen schon früher nachgegeben, dabei allerdings vorausgesetzt, dass neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft nur Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Diese Anforderung gibt der BFH mit dem Urteil vom 16.03.2023 jetzt auf. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ kann daher auch Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind. Das betrifft sowohl juristische wie natürliche Personen als Gesellschafter.
Die erforderliche Kapitalbeteiligung
Das Gesetz verlangt eine Beteiligung des Organträgers am Kapital der Organgesellschaft von mehr als 50 %, grundsätzlich genügt somit eine exakt fünfzigprozentige Beteiligung nicht. Mit dem Urteil vom 18.01.2023 macht der BFH auch hiervon eine Ausnahme, allerdings ist auch dieser Fall sehr speziell.
Ausgehend von der Überlegung, dass die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger diesem die Durchsetzung seines Willens in der Organgesellschaft ermöglichen soll, beharrt der BFH schon bisher nicht auf der Voraussetzung einer Beteiligung von mehr als 50 %; weicht die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab, ist nämlich auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen. Verfügt der Organträger über mehr als 50 % der Stimmrechte, so genügt dies, da er auch so seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Daran anknüpfend gilt nach dem neuen Urteil nunmehr: Eine finanzielle Eingliederung kann auch dann vorliegen, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter (Organträger) zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt. Da der Organträger in der Gesellschafterversammlung hier nicht überstimmt werden kann, reicht die Einflussnahme auf den von ihm gestellten Geschäftsführer aus, um seinem Willen bei Stimmengleichheit zum Durchbruch zu verhelfen, meint der BFH.
Aspekte der wirtschaftlichen Eingliederung
Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Eingliederung scheint der Wortlaut des Gesetzes recht eindeutig. Die Organgesellschaft muss in das Unternehmen des Organträgers wirtschaftlich eingegliedert sein. Bei genauerer Betrachtung fordert das Gesetz aber nicht, dass die Eingliederung auf der unmittelbaren Beziehung zwischen Organgesellschaft und Organträger beruhen muss, sondern weiter zu fassen ist. Gibt es etwa neben der (potenziellen) Organgesellschaft weitere Organgesellschaften, die sich wirtschaftlich ergänzen, kann für die Organschaft ausreichend sein, dass eine Verflechtung dieser Gesellschaften im Organkreis gegeben ist. Nach der Rechtsprechung ist allerdings ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen erforderlich, wobei die Tätigkeiten in diesen Bereichen zumindest aufeinander abgestimmt sein und sich dabei fördern und ergänzen müssen.
Dem Urteil vom 11.05.2023 lag dabei folgender Fall zugrunde: Die Klägerin, eine GmbH, meinte, in das Einzelunternehmen des G, dessen Gegenstand der Erwerb von Immobilienvermögen war, auch wirtschaftlich eingeordnet zu sein, was das Finanzamt in Abrede stellte.
Die Klägerin war Teil der „V-Gruppe“, der mehrere Kapitalgesellschaften sowie eine KG angehörten und die Dienstleistungen im Immobilienbereich anbot. Hierzu gehörten neben der Sanierung und dem Neubau von Wohn- und Geschäftshäusern die Finanzierungsberatung von Anlegern und Eigentümern, die Vermittlung, Vermarktung, Vermietung und Verwaltung von Objekten sowie die Projektentwicklung, wobei jede Gesellschaft ihren eigenen Geschäftsbereich hatte. Die KG trat als Spitze der Unternehmensgruppe auf. Zur Geschäftstätigkeit der Klägerin gehörte unter anderem die Verwaltung von Mieteinheiten, die sich auf zwölf mit Wohnhäusern bebauten Grundstücken befanden, die im Eigentum des G standen. Zudem mietete die Klägerin Büroräume von einer GbR, an der G zu 95 % beteiligt war. Der BFH, ein Revisionsgericht, das erstinstanzliche Urteile ausschließlich auf Rechtsfehler hin untersucht, sah sich auf der Basis dieses vom Finanzgericht in erster Instanz festgestellten Sachverhalts nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine ausreichende Verflechtung der Klägerin mit den anderen Gesellschaften bestand, die es gerechtfertigt hätte, eine wirtschaftliche Eingliederung in das Unternehmen des G anzunehmen. Er hat die Sache daher aufgehoben und an das Finanzgericht zu neuerlicher Entscheidung zurückverwiesen.
Zum Umfang der anwaltlichen Beratungspflicht
Führt die anwaltliche Beratung nicht das vom Mandanten gewünschte Ergebnis herbei, kommt es nicht selten zu einem zweiten Rechtsstreit, nämlich über die Haftung des Rechtsanwalts wegen mangelhafter Beratung. So auch vorliegend.
Der BGH stellt seiner Entscheidung in der Sache einen kurzen Überblick über einige Aspekte der Beratungspflichten eines Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten voran:
Amtliche Leitsätze der Entscheidung:
1. Der Rechtsanwalt ist im Grundsatz gehalten, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu treffen; hierzu hat er den Mandanten über die Vor- und Nachteile des Vergleichs zu beraten.
2. Die Beratungsbedürftigkeit des Mandanten entfällt erst dann, wenn der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Bilde ist; dies hat der Rechtsanwalt darzulegen und zu beweisen.
Grundsatz der umfassenden Beratungspflicht:
Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige Mandanten muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist.
Einschränkungen des Grundsatzes der umfassenden Beratungspflicht:
Nicht jeder Mandant ist beratungsbedürftig. Das gilt auch im Fall der beabsichtigten Beendigung einer Rechtsangelegenheit durch Vergleich. Ist der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile im Bilde und deshalb in der Lage, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen, bedarf es keiner (zusätzlichen) Beratung durch den Rechtsanwalt.
Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt immer von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Dies gilt selbst gegenüber rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandanten, auch sogar gegenüber Rechtsanwälten als Mandanten. Der anwaltlich vertretene Mandant hat Anspruch darauf, dass er die erforderliche Beratung erhält. Er muss die Beratung nicht durch eigene Überlegungen ersetzen und erst recht keinen weiteren Berater hinzuziehen. Die Beratungsbedürftigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil der Mandant von sich aus in der Lage wäre, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Der Rechtsanwalt darf deshalb nur dann von einer (weiteren) Beratung des Mandanten absehen, wenn er positiv weiß, dass dieser über die erforderlichen Informationen bereits verfügt.
Beweislast für umfassende Vorinformation des Mandanten:
Behauptet der Rechtsanwalt im Regressprozess, der Mandant sei umfassend informiert und deshalb nicht beratungsbedürftig gewesen, trifft ihn insoweit die Beweislast.
Der notwendige Beratungsinhalt:
Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Dazu muss sich der Anwalt über die Sach- und Rechtslage klarwerden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen. Der Mandant benötigt, insbesondere wenn er juristischer Laie ist, nicht unbedingt eine vollständige rechtliche Analyse, sondern allein die Hinweise, die ihm im Hinblick auf die aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendige Entscheidungsgrundlage liefern. Erscheint unter mehreren rechtlich möglichen Alternativen die eine deutlich vorteilhafter als die andere, hat der Anwalt darauf hinzuweisen und eine entsprechende Empfehlung zu erteilen.
Beratungspflicht bei beabsichtigtem Vergleichsschluss:
Zu den entscheidenden Weichenstellungen in einer Rechtsangelegenheit zählt die Frage, ob diese durch einen Vergleich beendet werden soll. Auch hier muss der Mandant in die Lage versetzt werden, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dazu bedarf es in aller Regel einer anwaltlichen Beratung, deren Art und Umfang nicht generell abstrakt festgelegt werden kann. Die konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen vielmehr, in welcher Art und in welchem Umfang der Mandant zu beraten ist.
Um eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs treffen zu können, muss der Mandant insbesondere um die Vor- und Nachteile einer (vorzeitigen) Beendigung seiner Rechtsangelegenheit durch Vergleich wissen. Eine Beendigung der Angelegenheit durch Vergleich kann für den Mandanten derart nachteilig sein, dass der Rechtsanwalt vom Vergleichsschluss abzuraten hat.
Die Frage, ob der Rechtsanwalt über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs zu beraten hat, ist unabhängig vom vorgesehenen Inhalt des Vergleichs. Ist der Mandant über die Vor- und Nachteile des Vergleichs nicht bereits aus anderen Gründen im Bilde, muss er in jedem Fall entsprechend beraten werden. Zwar kann ein Abfindungsvergleich besondere Risiken für den Mandanten mit sich bringen. Das bedeutet aber nicht, dass der Mandant nicht oder nur in abgeschwächtem Maße über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs zu beraten ist, der keine Abfindungsregelung enthält. Der notwendige Beratungsaufwand wächst mit der Komplexität des vorgesehenen Vergleichs und dessen (Abfindungs-)Folgen.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch. Er wirft ihm vor, über die Folgen eines (Abfindungs-)Vergleichs nicht ordnungsgemäß beraten zu haben. Dem liegt der folgende Ausgangsrechtsstreit zugrunde:
Der Kläger beauftragte einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb (im Folgenden: Betrieb) mit Drainage- und Abdichtungsarbeiten an seinem Hausgrundstück. Nach Durchführung der Arbeiten bemängelte er Feuchteschäden am Haus und beauftragte einen Privatsachverständigen, der ein Gutachten erstellte, und den jetzt beklagten Rechtsanwalt. Letzterer leitete ein selbstständiges Beweisverfahren ein, das allein der Tatsachenfeststellung dient und nicht zu einem Urteil führt. Das Gericht bestellte ebenfalls einen Sachverständigen, der einen ersten Ortstermin durchführte, in dem er sich ein äußerliches Bild von den Gegebenheiten machte. Aufgrabungen zu einer näheren Begutachtung des Werks des Betriebs wurden nicht vorgenommen. Im Anschluss an den ersten Ortstermin erstellte der Sachverständige einen Zwischenbericht, in dem er mit hoher Wahrscheinlichkeit Arbeiten an der Drainage für erforderlich hielt und darauf hinwies, dass ein Teil der Mängelbeseitigungskosten Sowieso-Kosten sein könnten, die im Rahmen der Mängelbeseitigung nicht vom Unternehmer zu tragen sind.
Anlässlich eines zweiten Ortstermins (Teilnehmer aufseiten des Klägers: der Kläger, der Privatsachverständige und der Rechtsanwalt) stand ein Bagger bereit, mit dessen Hilfe die erforderlichen Aufgrabungen vorgenommen werden sollten. Noch vor Beginn dieser Arbeiten wurde ein durch gerichtlichen Beschluss bestätigter Vergleich geschlossen, durch den sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag über die Drainage- und Abdichtungsarbeiten abgegolten und erledigt sein sollten.
Der Kläger behauptet im vorliegenden Regressprozess gegen den Rechtsanwalt, die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten betrügen mehr als das Vierfache der Vergleichssumme von 55.000 €. Er verlangt von seinem Rechtsanwalt Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen Vergleichssumme und Mängelbeseitigungskosten.
Die Klage hatte weder vor dem Land- noch dem Oberlandesgericht in der Berufung Erfolg. Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidungsgründe
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze meint der BGH, das Berufungsgericht hätte aufklären müssen, ob der Rechtsanwalt den Kläger über den Inhalt des Vergleichs, insbesondere im Hinblick auf die Abgeltungsklausel beraten hatte. Dies habe es unterlassen. Anders als das Berufungsgericht sieht der BGH im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses Prognoseschwierigkeiten über den notwendigen Umfang und die Kosten der Mängelbeseitigung und der vom Kläger selbst zu tragenden Sowieso-Kosten. Es habe nicht einmal eine konkrete Vorstellung über die Kosten gegeben. Der Rechtsanwalt hätte den Kläger umfassend über die sich hieraus ergebenden Risiken beraten müssen, insbesondere darüber, dass die Kosten weit über 55.000 € liegen könnten. Der beklagte Rechtsanwalt habe auch nicht ausreichend dargelegt, dass der Kläger auch ohne Beratung über die Risiken im Bilde gewesen sei. Erforderlich dafür wäre die Kenntnis des Klägers darüber, dass er möglicherweise einen ganz erheblichen Teil der Mangelbeseitigungskosten selbst zu tragen haben würde. Zu einer solchen Kenntnis hatte das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Nach der Zurückverweisung wird das Oberlandesgericht die bisher nicht getroffenen Feststellungen nachzuholen und eine neue Entscheidung zu treffen haben.
Das Amt des Geschäftsführers einer GmbH ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dies gilt nicht nur für das operative Geschäft der Gesellschaft, vielmehr hat der Geschäftsführer stets die finanzielle Lage zu überwachen, um gegebenenfalls Krisen zu erkennen und, wenn sie sich nicht innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Fristen beseitigen lassen, zur Vermeidung der eigenen persönlichen Haftung und Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung, einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft zu stellen.
Ungemach droht dem Geschäftsführer allerdings auch, wenn er die steuerlichen Pflichten, die ihm die Abgabenordnung für die Gesellschaft auferlegt, nicht erfüllt. Nach § 35 Abs. 1 GmbHG wird die Gesellschaft durch den Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Als gesetzlicher Vertreter der GmbH hat er deshalb gemäß § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) deren steuerliche Pflichten zu erfüllen und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln der GmbH entrichtet werden und Steuererklärungen vollständig, richtig und rechtzeitig abgegeben und unzutreffende berichtigt werden. Verletzt er diese Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann ihn das Finanzamt nach § 69 AO durch Haftungsbescheid nach § 191 AO in Haftung nehmen, wenn Steuern in Folge der Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet werden. Unter Umständen kommt die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO hinzu.
Der zu entscheidende Fall
Der Kläger und Revisionskläger war in der Zeit zwischen 2002 und 2012 alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Faktischer Geschäftsführer der GmbH, also derjenige, der die Geschäfte tatsächlich führte, war allerdings der Sohn des Klägers, B, der formal als Prokurist der GmbH angestellt war. Zudem war der Kläger zu 90 % an der GmbH beteiligt. Die übrigen 10 % der Gesellschaftsanteile hielt sein Enkelsohn, C. Dieser übernahm 2012 auch die Geschäftsführung der GmbH.
Ab dem Jahr 2010 führte die Steuerfahndung Oldenburg bei der GmbH eine Fahndungsprüfung durch. Diese kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Sohn, B, in der Zeit von 2007 bis 2011 Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer verkürzt hätten. Dabei habe der Kläger in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass sein Sohn als faktischer Geschäftsführer 67 Scheinrechnungen tatsächlich nicht existierender Firmen und 34 beleglose Buchungen für angebliche Wareneinkäufe und Fremdleistungen in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage der jeweiligen Jahressteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht habe. Tatsächlich hätten diesen Rechnungen jedoch keine realen Leistungen zugrunde gelegen.
Das Finanzamt erließ in der Folge der Betriebsprüfung entsprechende Änderungsbescheide gegenüber der GmbH. Die ursprünglichen Steuerbescheide hatten auf den unzutreffenden Steuererklärungen der GmbH beruht. Diese Änderungsbescheide sind bestandskräftig.
Gegen den Kläger wurde wegen Steuerhinterziehung ein Strafverfahren eingeleitet, das allerdings gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Der Sohn des Klägers wurde wegen Steuerhinterziehung und weiterer Delikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Strafverfahren hatte er eingeräumt, dass es sich bei den von der Steuerfahndung aufgegriffenen Rechnungen um „Scheinrechnungen“ gehandelt habe. Ebenfalls verurteilt wurde der Rechnungsaussteller, der eingeräumt hatte, auf Veranlassung des Sohnes des Klägers und nach dessen Vorgaben die Scheinrechnungen ausgestellt zu haben.
Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 2013 auf Antrag des Finanzamts das Insolvenzverfahren eröffnet.
Das Finanzamt nahm den Kläger wegen Steuerschulden der GmbH nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 Abs. 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch. Seinen Einspruch wies das Finanzamt zurück. Mit seiner Klage blieb er vor dem Finanzgericht Münster ohne Erfolg. Auch mit seiner Revision konnte der Kläger nicht durchdringen.
Der Kläger hatte sich unter anderem darauf gestützt, nicht grob fahrlässig gehandelt zu haben. Er meinte, auch ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer hätte nicht erkennen können, dass Scheinrechnungen und beleglose Buchungen in die Buchführung eingestellt worden seien. Zudem wäre er aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und insbesondere aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht in der Lage gewesen, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen.
Die Entscheidungsgründe
Der BFH stellt seinem Beschluss folgenden Leitsatz voraus:
„Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.“
Diese auf der bisherigen Rechtsprechung des BFH beruhende Entscheidung wird im Einzelnen wie folgt begründet: Der Kläger habe durch die Abgabe unrichtiger Steuerklärungen, teilweise auch die Nichtabgabe von Steuererklärungen seine aus § 34 Abs. 1 AO beruhenden Pflichten verletzt. Er habe dabei auch mit der von § 69 AO vorausgesetzten groben Fahrlässigkeit gehandelt. Hier gelte die prozessrechtliche Besonderheit, dass die objektive Pflichtverletzung das notwendige Verschulden indiziere. Das wiederum bedeute für den in Haftung Genommenen, hier den Kläger, dass er das durch die objektive Pflichtverletzung indizierte Verschulden entkräften muss.
Der Kläger hatte sich hierfür zunächst darauf berufen, seinem Sohn die Geschäftsführungsaufgabe überlassen zu haben. Der BFH folgt dieser Argumentation nicht. Grundsätzlich brauche ein Geschäftsführer die steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft zwar nicht selbst zu erledigen, sondern dürfe sie anderen Personen übertragen. Der Geschäftsführer dürfe aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen, hier der Sohn des Klägers, Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen wolle. Er sei daher verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der steuerlichen Pflichten übertrage, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Er müsse sich insbesondere ständig so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen könne und ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar werde. Mangelhafte Überwachung der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen sei regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung einzustufen, wenn auch die notwendigen Überwachungsmaßnahmen weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhingen. Die Anforderungen seien umso höher, je weniger sich der Geschäftsführer ein auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden konnte, ob die hinzugezogene Person die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung biete.
Der Kläger konnte sich auch mit der Auffassung nicht durchsetzen, das Verschulden entfalle, weil er nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen, sei es seiner Unfähigkeit oder seinem Alter geschuldet. Wie im Leitsatz formuliert, könne sich niemand auf eigens Unvermögen berufen. Wer die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernehme, hafte, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden könne, nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen. So könne sich ein Geschäftsführer nicht damit entschuldigen, dass in Wirklichkeit zum Beispiel der Ehepartner die Geschäftsführung innehatte. Ebenso wenig entschuldige, dass der Betreffende als Strohmann oder Strohfrau nur vorgeschoben worden sei.
Vorliegend habe der Kläger die faktische Geschäftsführung durch seinen Sohn geduldet, sich um die GmbH nicht gekümmert und auch keinerlei Überwachungsmaßnahmen ergriffen. Er habe sich deshalb auch nicht darauf berufen können, dass für einen sorgfältigen Geschäftsführer die Manipulationen des B ebenfalls nicht erkennbar gewesen seien. Ein solcher hätte schon die faktische Geschäftsführung nicht geduldet oder für ausreichende Überwachung gesorgt. Zudem hätte der Kläger „durch einen Blick in die Buchführung“ die beleglosen Buchungen erkennen können.
Die Forderungsanmeldung
Wer im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vermögensrechtliche Forderung – in erster Linie ist das ein Anspruch auf Zahlung von Geld - gegen den Insolvenzschuldner hat, kann diesen nicht mehr selbst durchsetzen, sondern muss seine Forderung zur Insolvenztabelle schriftlich unter Beifügung geeigneter Belege anmelden. Häufig stellen die Insolvenzverwalter hierfür Formulare auf einer Website zur Verfügung. Das Insolvenzgericht bestimmt für die Forderungsanmeldung eine Frist.
Ferner setzt das Insolvenzgericht einen sogenannten Prüfungstermin an, an dem neben dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner alle Insolvenzgläubiger oder ihre Vertreter teilnehmen können. In diesem Termin muss der Insolvenzverwalter erklären, welche der angemeldeten Forderungen er anerkennt und welche er bestreitet. Auch jeder einzelne Gläubiger hat das Recht der Forderung eines anderen zu widersprechen. Die nicht bestrittenen Forderungen stellt das Gericht zur Tabelle fest, sie nehmen später an der Auszahlung der Quote teil.
Bestrittene Forderungen werden dagegen jedenfalls zunächst nicht zur Tabelle festgestellt. In der Tabelle wird der Widerspruch vermerkt. Der Gläubiger hat aber die Möglichkeit, gegen den Bestreitenden eine sogenannte Tabellenfeststellungsklage zu erheben. Ist die angemeldete Forderung dagegen tituliert, liegt etwa ein vollstreckbares Urteil oder ein Vollstreckungsbescheid vor, bleibt es dem Bestreitenden überlassen, gegen den anmeldenden Insolvenzgläubiger gerichtlich vorzugehen, um das Nichtbestehen der Forderung feststellen zu lassen. Das gilt ebenso, wenn das eine Steuerforderung zur Tabelle anmeldende Finanzamt die Steuer durch Bescheid feststellt, nachdem sie bestritten wurde, oder der Anmeldung eine bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuerforderung zugrunde liegt, denn auch dies ist eine Titulierung.
Häufig ist der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin noch nicht in der Lage, den Bestand oder die Höhe der angemeldeten Forderung abschließend zu beurteilen. Im Allgemeinen erklärt er dann, dass er die Forderung vorläufig bestreitet, und teilt nach Abschluss seiner Ermittlungen mit, ob das Bestreiten endgültig ist oder er die Forderung nachträglich ganz oder teilweise anerkennt. In der Insolvenzordnung ist dieses vorläufige Bestreiten zwar nicht vorgesehen, es entspricht aber einem praktischen Bedürfnis und auch der Handhabung in der Praxis. Rechtlich ist das vorläufige Bestreiten so zu behandeln wie das uneingeschränkte Bestreiten, die (vorläufig) bestrittene Forderung wird also nicht zur Tabelle festgestellt, aber das vorläufige Bestreiten ebenso wie das uneingeschränkt erklärte Bestreiten in der Tabelle vermerkt.
Der zu entscheidende Fall
Im vorliegenden Fall geht es um ein solches vorläufiges Bestreiten, bei dem der Insolvenzverwalter nach Ansicht des klagenden Gläubigers, hier der Freistaat Sachsen, vertreten durch das Finanzamt, Fehler bei der weiteren Abwicklung gemacht haben soll.
Das Finanzamt hatte Steuerforderungen in Höhe von 50.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet, die nur in Höhe von 9.000 € zur Tabelle festgestellt wurden, die weitergehende Forderung in Höhe von 41.000 € hatte der beklagte Insolvenzverwalter vorläufig bestritten. Später teilte er dem Finanzamt schriftlich mit, nach nochmaliger Prüfung könne die Forderung mit kleinen Ausnahmen insgesamt anerkannt werden. Das Finanzamt unterließ es deshalb, die Forderung durch Bescheid festzustellen, wie oben beschrieben.
Erst nachdem der Schlusstermin für das Insolvenzverfahren bekannt gemacht worden war, forderte das Finanzamt die Insolvenztabelle an und verlangte von dem Verwalter die Korrektur wegen der Steuerforderung, also die nachträgliche Feststellung zur Tabelle. Dieser lehnte das Ansinnen als rechtlich nicht mehr möglich ab. Da die Steuerforderung folglich bestritten blieb, erhielt das Finanzamt keine Quote zugeteilt, die anderenfalls rund 4.000 € betragen hätte.
Das Finanzamt meint, es habe nur deshalb keinen Feststellungsbescheid erlassen, weil der Verwalter die Forderung anerkannt habe. Er hätte entweder das Insolvenzgericht von der Aufgabe des Bestreitens informieren oder das Finanzamt zur Betreibung der Tabellenberichtigung auffordern müssen. Da er beides nicht getan habe, habe er sich in Höhe der anderenfalls ausgezahlten Quote dem Finanzamt gegenüber persönlich schadenersatzpflichtig gemacht. Diesen Betrag verlangt das Finanzamt mit seiner Klage und stützt sich dabei auf § 60 InsO.
In beiden Vorinstanzen, Amts- und Landgericht, hatte das Finanzamt keinen Erfolg. Das Landgericht hatte jedoch die Revision zugelassen, sodass trotz des geringen Streitwerts das Finanzamt Revision zum BGH einlegen konnte. Diese hatte insoweit Erfolg als der BGH das landgerichtliche Urteil aufhob und die Sache an das Landgericht zurückverwies.
Die Begründung des BGH
Ebenso wie das Finanzamt und entgegen den Vorinstanzen meint der BGH, dass der Insolvenzverwalter sich im Ausgangspunkt persönlich schadenersatzpflichtig gemacht habe. Auch er leitet dies aus § 60 InsO ab. Nach dieser Norm ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten des Insolvenzverfahrens zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Er hat für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen
Zu den Beteiligten des Insolvenzverfahrens gehören zweifelsfrei die Insolvenzgläubiger, hier also auch der durch das Finanzamt vertretene Freistaat Sachsen. Schwieriger ist zu ermitteln, welche Pflichten insolvenzspezifisch sind, sodass ihre Verletzung zu einer Ersatzpflicht nach § 60 InsO führen kann. So werden auch die Pflichten des Verwalters im Zusammenhang mit der Rücknahme des Bestreitens einer Insolvenzforderung in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und juristischen Fachliteratur nicht einheitlich beurteilt. Der BGH hatte die Frage bisher noch nicht entscheiden müssen. Vertreten wird auf der einen Seite, der Insolvenzverwalter müsse das Insolvenzgericht zur Berichtigung der Tabelle, in der der Widerspruch noch eingetragen ist, veranlassen. Auf der anderen Seite wird angenommen, der Verwalter müsse den Gläubiger von der Aufgabe des Bestreitens unterrichten. Vertreten wird aber auch, dass der Verwalter zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen könne.
Im Grundsatz schließt der BGH sich der letzten Auffassung an, lässt dem Insolvenzverwalter also die Wahl. Allerdings modifiziert er diese Auffassung maßgeblich. Nehme nämlich der Insolvenzverwalter seinen ursprünglichen Widerspruch zurück, werde die Insolvenztabelle unrichtig, der Verwalter habe deshalb alles dafür zu tun, dass durch den Vermerk der Rücknahme die Tabelle wieder korrekt werde, müsse also auf ihre Berichtigung hinwirken. Entweder er beantrage selbst bei Gericht die Berichtigung oder er weise den Gläubiger auf die Notwendigkeit eines entsprechenden Antrags an das Gericht hin.
Für den Hinwies an den Gläubiger reiche jedoch nicht die einfache Information über die Rücknahme, die der Verwalter vorliegend allein erteilt hatte. Er hafte deshalb grundsätzlich nach § 60 InsO gegenüber dem durch das Finanzamt vertretenen Freistaat Sachsen.
Der BGH konnte den Fall allerdings nicht abschließend entscheiden, da das Berufungsgericht – aus seiner Sicht konsequent – ein Mitverschulden des Finanzamts, das dem Freistaat zuzurechnen wäre, nicht geprüft hatte. Eine solche Tatsachenprüfung ist dem BGH als reiner Rechtsinstanz verwehrt. Der BGH macht keine Ausführungen dazu, worin er ein Mitverschulden des Finanzamts erblickt. Naheliegend wäre zu berücksichtigen, dass das Finanzamt sich über mehrere Jahre um seine Forderung nicht gekümmert und erst nach Einreichung des Schlussberichts des Verwalters Informationen aus der Tabelle verlangt hat. Von erheblichem Gewicht dürfte sein, dass das Finanzamt die Mittelung des Verwalters über die Rücknahme des Widerspruchs nicht zum Anlass genommen hat, sich zu erkundigen, ob dieser auch für die Berichtigung der Tabelle gesorgt hatte. Dabei wird auch die Wertung des § 183 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen sein, der es für den Fall des Obsiegens des Gläubigers im Feststellungsprozess diesem überlässt, die Berichtigung der Tabelle bei Gericht zu beantragen. Zwar gab es hier keinen Feststellungsprozess, die Interessenlage ist aber vergleichbar.
Wohnungsrecht gegen Eigentumsrecht
Die Wohnung ist unverletzlich. Das gilt auch für den Wohnungsmieter. Dieses Gebot des Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) richtet sich wie alle Grundrechte in erster Linie an den Staat, aber zumindest mittelbar über Gerichtsentscheidungen auch an die Bürger, da die Gerichte als staatliche Institutionen durch die Grundrechte gebunden sind.
Aber auch der Vermieter von Wohnraum ist in seinem Eigentumsrecht durch das Grundgesetz geschützt, denn Art. 14 Abs. 1 GG bestimmt: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
Will der Wohnungseigentümer die vermietete Wohnung veräußern, hat er ein massives Interesse daran, die Wohnung mit Maklern, Kaufinteressenten, Handwerkern und anderen Personen zu betreten. Im Gegensatz dazu möchte der Mieter ungestört sein – im Grundsatz auch den Eigentümer ausschließendes – Besitzrecht an der Wohnung ausüben. Erschwert wird die Situation zusätzlich, dadurch, dass auch das Besitzrecht an der Mietwohnung nach der Rechtsprechung des BVerfG durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt wird.
Ein vergleichbarer Interessengegensatz ergibt sich auch, wenn der Vermieter während des Laufs der Kündigungsfrist bereits mit neuen Mietinteressenten oder Maklern die noch vermietete Wohnung besichtigen möchte.
Zur Vermeidung von Streitigkeiten finden sich in vielen Fällen bereits vertraglich geregelte Zutrittsrechte für den Vermieter. So hatten auch die Parteien im vorliegenden Fall in § 14 des Mietvertrags das Recht zum Betreten der Mieträume geregelt:
Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei.
Zudem bestätigt der BGH im vorliegenden Urteil seine frühere Rechtsprechung, wonach eine entsprechende vertragliche Nebenpflicht zur Duldung der Besichtigung aus dem Mietvertrag besteht, selbst wenn eine solche vertraglich gar nicht geregelt ist. Er leitet diese Nebenpflicht aus § 242 BGB ab. Die Vorschrift bestimmt, dass die Parteien ihre beiderseitigen Leistungen nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu erbringen haben.
Trotz dieser oder einer vergleichbaren Regelung im Vertrag und trotz der allgemeinen vertraglichen Nebenpflicht kommt es doch immer wieder zum Streit über das Besichtigungsrecht des Vermieters, so auch in diesem sehr speziellen Fall.
Der zu entscheidende Fall
Die Wohnung ist unverletzlich. Das gilt auch für den Wohnungsmieter. Dieses Gebot des Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) richtet sich wie alle Grundrechte in erster Linie an den Staat, aber zumindest mittelbar über Gerichtsentscheidungen auch an die Bürger, da die Gerichte als staatliche Institutionen durch die Grundrechte gebunden sind.
Zur Begründung verwies sie auf ihre schwerwiegende psychische Erkrankung. Ein später vom Landgericht in der Berufungsinstanz eingeholtes psychologisches Sachverständigengutachten ergab ein komplexes, seit über 20 Jahren bestehendes psychisches Störungsbild mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen Störungen. Die Mieterin war in dieser Zeit in teilweise stationärer Behandlung und unternahm mehrere Suizidversuche. Der Sachverständige befand, dass trotz andauernder fachärztlicher Behandlung im Falle ihrer Verurteilung sowie bei Vollstreckung eines Urteils, das dem Vermieter die Besichtigung ermögliche, ein hohes Risiko von selbstschädigenden Handlungen bis hin zum vollendeten Suizid bestehe. Der ohnehin schlechte Zustand drohe sich noch weiter zu verschlechtern. Die Mieterin empfinde ihre Wohnung als Rückzugs- und Schutzraum.
Nachdem das Amtsgericht die Mieterin in erster Instanz verurteilt hatte, den genannten Personen (maximal zwei) werktags zwischen 10.00 und 18.00 Uhr mit einer Woche Ankündigungsvorlauf für die Dauer von höchstens 45 Minuten Zutritt zu gewähren, wies das Landgericht auf die Berufung der Mieterin unter Berücksichtigung des Gutachtens die Klage ab.
Die Revision des Vermieters hatte Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück.
Die Begründung des BGH
Dieses Ergebnis der Revisionsinstanz erscheint zunächst etwas überraschend, zumal der BGH die gesamten Urteilsgründe des Landgerichts für zutreffend erachtet. Unter Berücksichtigung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG stehe dem Vermieter grundsätzlich das von ihm wegen der geplanten Veräußerung geforderte Besichtigungsrecht zu. Die Einschränkung des ebenfalls durch Art. 14 GG geschützten Besitzrechts der Mieterin und ihr Interesse, gemäß Art. 13 GG in der Wohnung „in Ruhe gelassen zu werden“, sei im Regelfall geringfügig und müsse hinter dem berechtigten Interesse des Vermieters zurücktreten.
Unter besonderen Umständen, wie sie im konkreten Fall vorliegen, muss in die Interessenabwägung jedoch ein weiteres Interesse des Mieters einbezogen werden, nämlich das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das von den Gerichten verlangt, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und bei der Interessenabwägung besondere Rücksicht auf die der einen Partei drohenden Gefahren zu nehmen. Deshalb hatte das Landgericht richtigerweise das psychiatrische Gutachten eingeholt und überwiegend zutreffend bei der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung gewürdigt.
Dabei hatte es den besonders gravierenden Krankheitszustand der Mieterin ebenso im Blick wie die zwanzigjährige im Ergebnis nicht sehr erfolgreiche Therapie, auch hatte es berücksichtigt, dass eine zukünftige Besserung des Zustands äußerst unwahrscheinlich war. Auf der anderen Seite hatte es nicht übersehen, dass das geschilderte Krankheitsbild unter Umständen zu einem dauerhaften Entzug des Besichtigungsrechts führen könnte, dem aber auch entgegengehalten, dass, wenn auch mit Einschränkungen, eine Veräußerung ohne Besichtigung möglich sei und zumindest zum Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Preisverfall auf dem Wohnungsmarkt nicht drohte. Zugunsten der Mieterin lehnte das Landgericht eine temporäre Unterbringung der Mieterin in einer psychiatrischen Einrichtung zutreffend als unverhältnismäßig ab.
Diese Abwägung des Landgerichts hält auch der BGH in der Begründung und im Ergebnis für richtig. Das Landgericht hatte aber bei seinen Überlegungen die Ansicht des Sachverständigen nicht einbezogen, das Risiko gesundheitlicher Komplikationen lasse sich verringern, wenn die Mieterin sich von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, weil es fälschlich annahm, der Sachverständige hätte dies nur im Fall einer zuvor eingetreten Besserung des Gesundheitszustands in Erwägung gezogen.
Dieser Fehler in der Sachverhaltsermittlung führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. In der jetzt anstehenden neuerlichen Berufungsinstanz wird das Landgericht den Widerspruch in den Ausführungen des Sachverständigen aufzuklären haben, der einerseits bereits die Verurteilung der Mieterin als lebensbedrohlich eingeschätzt, andererseits aber ein vermindertes Risiko bei einer Besichtigung attestiert hatte, wenn die Mieterin sich durch eine Vertrauensperson vertreten lasse. Hierzu wird der Sachverständige ergänzend befragt werden müssen.
BGH, Beschluss vom 02.03.2023 – V ZB 64/21
Ein Grundstück, sei es Hausgrundstück, eine Gewerbeimmobilie oder landwirtschaftliche Nutzfläche, stellt im Allgemeinen einen erheblichen Vermögenswert dar, auf den Gläubiger säumiger Schuldner gern zugreifen. Grundstücke werden zudem als Kreditsicherheiten eingesetzt. Der Wert des Grundstücks als Zugriffs- oder Sicherungsobjekt sinkt, wenn es dinglich, durch Eintragung im Grundbuch belastet ist. Neben den in der Abteilung III. des Grundbuchs einzutragenden Sicherungsrechten, etwa eine Grundschuld, eine Hypothek oder auch eine in der Zwangsvollstreckung einzu-tragende Zwangssicherungshypothek, gibt es weitere nicht so bekannte Rechte, die in der Abteilung II. des Grundbuchs vermerkt werden. Hierzu gehören Wege- oder Überbaurechte, aber auch die sogenannten beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten.
Nach § 1190 BGB kann ein Grundstück in der Weise belastet werden, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, das Grundstück in einzelnen Beziehungen zu benutzen, oder dass ihm eine sonstige Befugnis zusteht, die den Inhalt einer Grunddienstbarkeit bilden kann. Eine besondere Form der be-schränkten persönlichen Dienstbarkeit ist das in § 1093 BGB geregelte Wohnungsrecht. Es gestattet dem Wohnungsberechtigten, ein Gebäude oder einen Teil hiervon unter Ausschluss des Eigentümers zu benutzen. Der Berechtigte ist befugt, seine Familie sowie die (das BGB trat 1900 in Kraft) zur standesgemäßen Bedienung und zur Pflege erforderlichen Personen in der Wohnung aufzunehmen. Das Wohnungsrecht kann unentgeltlich und auf Lebenszeit des Berechtigten eingeräumt werden, es ist nicht übertragbar und kann einem anderen nur dann zur Ausübung überlassen werden, wenn dem Berechtigten dies ausdrücklich gestattet wird. Für Wohnungseigentum gilt Entsprechendes.
Dass das Wohnungsrecht, das nicht zur Ausübung an Dritte überlassen werden kann, und das gesamte Gebäude oder – bei Wohnungseigentum – die gesamte Wohnung umfasst, die Verwertung des Grundstücks oder des Wohnungseigentums in der Zwangsvollstreckung, also typischerweise durch Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung, und in der Insolvenz erheblich erschwert und häufig wirtschaftlich unmöglich macht, bedarf keiner näheren Erläuterung. Das wäre im Ergebnis immer noch unproblematisch, wenn das Wohnungsrecht selbst gepfändet werden oder in der Insolvenz mit dem Grundstück verwertet werden könnte. Dies ist indessen nicht der Fall, weil § 857 Abs. 3 ZPO bestimmt, dass unter anderem das Wohnungsrecht, das nicht einem Dritten zur Ausübung überlassen werden kann, der Pfändung nicht unterliegt. Es steht damit für den Zugriff der Gläubiger in der Zwangsvollstreckung nicht zur Verfügung und fällt deshalb nach den insolvenzrechtlichen Regelungen nicht in die Insolvenzmasse. Das bedeutet, dass der Insolvenz-verwalter das Grundstück nur mit der Belastung durch das Wohnungsrecht veräußern kann, Interessenten dürften hierfür im Allgemeinen fehlen. Dasselbe Bild zeigt sich in der Einzelzwangsvollstreckung. Das Grundstück ist faktisch wertlos.
Nach dem gesetzlichen Modell der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten kann der Eigentümer des Grundstücks ein solches Recht nur einem Dritten einräumen, nicht aber sich selbst. Dennoch hat der Bundesgerichtshof schon 1964 auch die Bestellung eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück für zulässig erachtet. In der Folge ergibt sich hieraus, dass ein Schuldner, der den wirtschaftlichen Wert eines Wohngrundstücks oder eines Wohnungseigentums seinen Gläubigern entziehen möchte, nicht einmal auf das Mittun eines Dritten angewiesen ist. Es scheint sich also um ein perfektes Modell der Gläubigerbenachteiligung zu handeln.
Bisherige Rechtsprechung
Dieser Missstand könnte beseitigt werden, wenn der Insolvenzverwalter mithilfe der Insolvenzanfechtung den Schuldner auf Löschung des Wohnungsrechts in Anspruch nehmen könnte. Diese Möglichkeit versagt ihm der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs jedoch, weil er jegliche Anfechtung gegenüber dem Schuldner für unzulässig erachtet. Zwar ist der Bundesfinanzhof, der für Anfechtungen des Finanzamts nach dem Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens zuständig ist, hier großzügiger und lässt die Anfechtung auch gegenüber dem Schuldner zu, eine Anglei-chung der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung hat jedoch bislang nicht stattgefunden.
Zumindest in der Insolvenz hielt die Gläubigerbenachteiligung durch Einräumung ei-nes Wohnungsrechts am eigenen Grundstück daher stand.
Der zu entscheidende Fall
Der vorliegend zur Entscheidung berufene V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte – etwas vereinfacht - folgende Situation zu klären. Der spätere Insolvenzschuldner bestellte sich an seinem eigenen werthaltigen Grundstück ein Wohnungsrecht, das nicht zur Ausübung an Dritte überlassen werden konnte. Das Wohnungsrecht wurde im Grundbuch eingetragen. Drei Jahre später wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Verwalter bewilligte und beantragte die Löschung des zugunsten des Schuldners eingetragenen Wohnungsrechts. Seinem Antrag gab das Grundbuchamt statt und löschte das Wohnungsrecht im Grundbuch.
Hiergegen wendete sich der Schuldner mit seiner Beschwerde und mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er blieb in allen Instanzen erfolglos.
Der V. Senat des Bundesgerichtshofs verweist auf seine schon erwähnte Rechtsprechung aus dem Jahr 1964, wonach nicht nur die Eintragung eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück zulässig ist, sondern dass in diesem Sonderfall stillschweigend die Gestattung der Überlassung des Wohnungsrecht an Dritte gleichsam automatisch als Inhalt des Wohnungsrechts zu erachten ist. Anders formuliert: Das außerhalb von Zwangsvollstreckung und Insolvenz nicht übertragbare Wohnungsrecht wird in für deren Zwecke so behandelt, als sei die Überlassung zur Ausübung an Dritte im Bestellungsakt vereinbart worden.
Der bisher gegenteilig entscheidende IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Anfrage des V. Senats erklärt, an seiner gegenteiligen Rechtsprechung nicht mehr festhalten zu wollen.
Seinen Beschluss begründet der V. Senat mit dem Schutzzweck des Übertragungsverbots. Bei dem gesetzgeberischen Modell der Personenverschiedenheit von Eigentümer und Wohnungsberechtigtem solle die Unübertragbarkeit des Wohnungsrechts den Eigentümer davor schützen, dass der Berechtigte ohne Mitwirkung des Eigentümers ausgetauscht werden könne. Dieses Schutzes bedürfe der Schuldner mit Wohnungsrecht am eigenen Grundstück nicht, er müsse sich so behandeln lassen, als habe er gestattet, die Ausübung einem anderen zu überlassen. Seine Gläubiger können folglich außerhalb der Insolvenz in das Grundstück zusammen mit dem Wohnungsrecht vollstrecken, der Insolvenzverwalter kann es freihändig verwerten. Eine Art der Verwertung liegt in der Löschung des Wohnungsrechts.
Diese Rechtsfolge soll zudem unabhängig davon eintreten, ob der Schuldner bei Bestellung des Wohnungsrechts schon Eigentümer des Grundstücks war oder es erst später erworben hat. Sie soll auch greifen, wenn der Schuldner das Grundstück nach Bestellung des Wohnungsrechts veräußert hat und dieses erst aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Erwerber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wieder für den Schuldner im Grundbuch eingetragen wird.
Damit ist das in der Überschrift dieses Beitrags erwähnte Schlupfloch zugunsten der Gläubiger geschlossen.
BGH, Urteil vom 17.11.2022 – IX ZR 42/22
BGH, Urteil vom 13.10.2022 – IX ZR 266/20
BGH, Urteil vom 10.03.2022 – IX ZR 178/20
Stellung und Funktion des gemeinsamen Vertreters
Der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist eine weitgehend unbekannte Rechtsfigur, obwohl er in der Praxis eine wichtige Rolle spielt. Das gilt nicht nur für werbende Schuldner (im Folgenden als Unternehmer bezeichnet), die Schuldverschreibungen begeben, sondern auch dann, wenn der Unternehmer sich im Insolvenzverfahren befindet. Maßgeblich sind die Grundsätze des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG). Dieses Gesetz gilt für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungen), jedoch nicht für gedeckte Schuldverschreibungen im Sinne des Pfandbriefgesetzes und nicht für Schuldverschreibungen, deren Schuldner eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft ist.
Die Gläubiger können nach Maßgabe des § 5 SchVG die Anleihebedingungen mit der erforderlichen Stimmenmehrheit ändern und zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. Der gemeinsame Vertreter hat nach § 7 SchVG die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt wurden und hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. Er haftet den Gläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben, bei der er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Vom Unternehmer kann er alle Auskünfte verlangen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Die Kosten und Aufwendungen des gemeinsamen Vertreters, einschließlich einer angemessenen Vergütung, trägt der Unternehmer. Da die Schuldverschreibungen häufig in sehr großer Zahl begeben werden, erleichtert die Installation des gemeinsamen Vertreters die Handhabung, denn die große Zahl der Gläubiger bereitet leicht erhebliche logistische Schwierigkeiten. Die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters liegt damit in der Regel sowohl im Interesse des Unternehmers wie der Gläubiger.
In den letzten Jahren ist eine besondere Form des gemeinsamen Vertreters gelegentlich in der Wirtschaftspresse im Zusammenhang mit insolventen Gesellschaften in Erscheinung getreten, die vor ihrem Zusammenbruch im Rahmen von Anlegerbetrugsmodellen Schuldverschreibungen begeben haben. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Infinus-Gruppe aus Dresden.
In der Insolvenz des Unternehmers und unter besonderen Umständen in der Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz können die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen besonderen Typus des gemeinsamen Vertreters bestellen. Das Insolvenzgericht muss zu diesem Zweck eine Gläubigerversammlung einberufen. Dieser gemeinsame Vertreter wird ausschließlich im Insolvenzverfahren tätig und ist allein für alle Gläubiger berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Anders als der einzelne Gläubiger braucht der gemeinsame Vertreter die Schuldurkunden nicht vorzulegen, was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn die aktuellen Gläubiger nicht bekannt sind, denn die Rechte aus der Schuldverschreibung sind häufig abtretbar.
Auch dem gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren steht eine Vergütung zu. Wie er diese erlangen kann, ist Gegenstand der drei Besprechungsentscheidungen des Bundesgerichtshofs. Dieser hat bereits 2016 und 2017 entschieden, dass im Ausgangspunkt auch in der Insolvenz der Unternehmer die Vergütung des gemeinsamen Vertreters aller Gläubiger zu tragen hat. Im SchVG ist allerdings nicht geregelt, ob es sich bei der Vergütung um Insolvenzforderungen handelt, die im Allgemeinen nur mit einer geringen Quotenzahlung rechnen können, oder um Massekosten oder -verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter vorab aus der Masse zu leisten hat. In Betracht kommt schließlich, dass die Vergütungsforderung weder Insolvenzforderung noch Masseverbindlichkeit ist, sondern sich gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners richtet, der gemeinsame Vertreter aller Gläubiger also sogenannter Neugläubiger ist und auch dann faktisch keine Aussicht auf Befriedigung hat.
Der Bundesgerichtshof hat sich im Urteil vom 12.01.2017 – IX ZR 87/16 – für Letzteres entschieden, was bei wirtschaftlicher Betrachtung dazu führt, dass der gemeinsame Vertreter aller Gläubiger de facto keine Vergütung erhält, ein Ergebnis, das das Gericht dogmatisch zwar zutreffend abgeleitet hat, das praktisch aber ausgesprochen unbefriedigend ist, da unter diesen Bedingungen kaum qualifizierte Person zur Übernahme des Amts bereit sind.
Der zu entscheidende Fall
Die Klägerin hält Schuldverschreibungen einer inzwischen insolventen F. KGaA. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung, an der die Klägerin nicht teilnahm, zum gemeinsamen Vertreter bestellt.
In der Folgezeit zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartende Insolvenzquote. Der Beklagte leitete den auf die Klägerin entfallenden Betrag an diese weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1% der Nominalhöhe der Schuldverschreibung zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt 654,50 €, als Abschlag auf seine Vergütung ein.
Die Klägerin verlangt nunmehr auch die Auszahlung des einbehaltenen Betrags. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der 654,50 € verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts, also die Klageabweisung, erreichen. Der Bundesgerichtshof gibt ihm Recht.
Entnahmerecht des gemeinsamen Vertreters aus der ausgezahlten Insolvenzquote
Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter hat, so der Bundesgerichtshof, Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richte sich zwar – wie oben dargestellt - grundsätzlich gegen den Unternehmer, was auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu gelten habe. Auch hier stehe dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durch¬setz¬barer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu, wenn er mit diesem keine gesonderte Vergütungsvereinbarung geschlossen habe.
Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage dieser Entnahmebefugnis sei der nach § 19 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das SchVG schütze den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirkten. Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Vergütung des gemeinsamen Vertreters auch in der Insolvenz des Unternehmers diesem zur Last falle, lasse sich im Insolvenzverfahren nicht mehr verwirklichen.
Diese erstmals im Urteil vom 10.03.2022 – IX ZR 178/20 – vom BGH angeführte Begründung ist dogmatisch zwar kaum zu vertreten und deshalb in der juristischen Literatur heftig kritisiert worden, der Bundesgerichtshof hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber in den beiden angeführten neueren Entscheidungen ohne weiterreichende Begründung an ihr fest.
Die Folge ist, dass die Vergütung des gemeinsamen Vertreters für alle Gläubiger nunmehr über den Einbehalt von den Gläubigern der Schuldverschreibung anteilig zu tragen ist. Wirtschaftlich entspricht dieses dogmatisch zweifelhafte Urteil praktischer Vernunft, tragen doch jetzt die von der Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters Begünstigten auch dessen Vergütung. Dass allerdings auch der Insolvenzverwalter und damit letztlich die Insolvenzmasse durch die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters eine Entlastung erfährt, spiegelt das Ergebnis nicht wider.
BGH, Urteil vom 14.03.2023 – II ZR 162/21
Die Haftung des Geschäftsführers – ein weites Feld
Der Geschäftsführer einer GmbH handelt nicht nur für die Gesellschaft, er haftet auch persönlich, wenn er seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Meist geht es um Schadenersatzansprüche der Gesellschaft, nicht selten aber auch um Ansprüche dritter Personen.
Gegenüber der Gesellschaft haftet er gemäß § 42 Abs. 2 GmbHG, wenn er in deren Angelegenheiten nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anwendet, wie es § 43 Abs. 1 GmbHG formuliert. Auf ihn finden dabei die haftungsrechtlichen Milderungen nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen keine Anwendung. Insbesondere hat der Geschäftsführer die finanzielle Lage der Gesellschaft zu beobachten und darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesell-schafter auszahlen. Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und / oder der Überschul-dung im insolvenzrechtlichen Sinn ist er nach § 15a InsO verpflichtet, für die Gesell-schaft einen Insolvenzantrag zu stellen, und darf im Grundsatz keine Zahlungen mehr leisten. Verstößt er hiergegen, hat er der Gesellschaft die pflichtwidrigen Zah-lungen aus seinem eigenen Vermögen zu erstatten. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, ist es Aufgabe des Insolvenzverwal-ters, diese Ansprüche gegen den Geschäftsführer durchzusetzen. Zwar kann wegen der Haftungsrisiken eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden, ob sie im Fall der Insolvenzverschleppung aber eintritt, ist in der Praxis zweifelhaft. Häufig muss gegen den Versicherer ein Deckungsprozess geführt werden.
Im öffentlich-rechtlichen Bereich droht dem Geschäftsführer vor allem die Haftung gegenüber der Finanzverwaltung nach § 69 AO, wenn Steuern infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten steuerrechtlichen Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder es zu ungerechtfertig-ten Steuererstattungen kommt. Im sozialrechtlichen Umfeld ist vor allem die Haftung für nicht abgeführte Beiträge zur Gesamtsozialversicherung zu nennen.
Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG
Besonders gelagerte Fragen stellen sich im Bereich der Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber der GmbH & Co. KG, die der Bundesgerichtshof bisher nur für den Fall entschieden hat, dass die GmbH innerhalb der KG die Funktion der (geschäftsführenden) Komplementärin übernommen hatte. Hier erstreckt Bundesge-richtshof in ständiger Rechtsprechung den Schutzbereich des zwischen der Kom-plementär-GmbH einer GmbH & Co. KG und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses im Hinblick auf die Haftung des Geschäftsfüh-rers aus § 43 Abs. 2 GmbHG auf die Kommanditgesellschaft, was bedeutet, dass der Geschäftsführer auch für Schäden der Kommanditgesellschaft einzustehen hat.
Der zu entscheidende Fall
Im konkreten Fall war die maßgebliche GmbH jedoch nicht Komplementärin, sondern unüblicherweise eine Kommanditistin. Komplementärin muss daher eine weitere, vom Bundesgerichtshof allerdings nicht erwähnte GmbH gewesen sein. Nach dem Gesellschaftsvertrag oblag der Kommanditistin dennoch die alleinige Geschäftsfüh-rung der KG. Der Beklagte wiederum war einer von zwei Geschäftsführern der GmbH, die auch in weiteren Kommanditgesellschaften, es handelte sich um soge-nannte Fondsgesellschaften, diese Rolle spielte.
In den mit einer Vielzahl von Anlegern geschlossenen Gesellschaftsverträgen hatte die GmbH Co. KG sich verpflichtet, die Anlegergelder einer D. AG als Darlehen zur Verfügung zu stellen, jedoch nur nach Stellung werthaltiger Sicherheiten. Dennoch hatte sie dieser Aktiengesellschaft bei werthaltigen Sicherheiten in Höhe von lediglich 2,7 Mio. € Darlehen in Höhe von 38 Mio. € ausgereicht. In dieser Situation überwies der weitere Geschäftsführer der GmbH an die D. AG noch einmal 510.000 €. Nach-dem über das Vermögen der GmbH & Co. KG ein Insolvenzverfahren eröffnet wor-den war, verlangt der Insolvenzverwalter von dem Beklagten Erstattung der 510.000 €.
Es stellten sich folglich mehrere Fragen:
1. Ist die oben dargestellte Rechtsprechung auf den Fall zu übertragen, dass die ge-schäftsführende GmbH nicht Komplementärin, sondern (nur) Kommanditistin der GmbH & Co. KG ist?
2. Gilt das gegebenenfalls auch dann, wenn die Führung der Geschäfte der GmbH & Co. KG nicht die alleinige oder zumindest wesentliche Aufgabe der GmbH darstellt?
3. Haftet der Beklagte selbst, obwohl nicht er, sondern der weitere Geschäftsführer die Überweisung veranlasst hatte?
Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur geschäftsführenden Komplementärin auf die geschäftsführende Kommanditistin
Der Bundesgerichtshof bejaht die erste Frage, weil die Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hier zugunsten der GmbH & Co. KG fruchtbar gemacht werden könnten. Diese komme mit der Leistung des Geschäftsführers in gleicher Weise in Berührung wie bei der geschäftsführenden Komplementärin.
Das wohlverstandene Interesse der die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft führenden und an dieser beteiligten GmbH gehe dahin, dass ihr Geschäftsführer die Leitung der GmbH & Co. KG im Rahmen seiner Organpflichten ordnungsgemäß ausübt. Sie müsse auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung ihrer Beteiligung be-dacht sein. Vor allem aber hafte sie der Kommanditgesellschaft für Schäden aus der Verletzung der von ihr im Gesellschaftsvertrag übernommenen Geschäftsführungs-aufgaben. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die geschäftsführende GmbH die Komplementärin oder eine Kommanditistin der Kommanditgesellschaft sei.
Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes bestehe ein Bedürfnis, was für die GmbH auch erkennbar war.
Exklusive Tätigkeit für die Kommanditgesellschaft erforderlich?
Auch die zweite Frage entscheidet der Bundesgerichtshof im Sinne des klagenden Insolvenzverwalters. Am Pflichtenkreis der geschäftsführenden GmbH ändere sich nichts dadurch, dass sie noch in weiteren Kommanditgesellschaften die Geschäfts-führung übernommen hatte. Der Geschäftsführer selbst habe sich bei Antritt seines Amts über den Umfang der Geschäftsführung und den damit verbundenen Aufgaben einen Überblick zu verschaffen. Könnten die GmbH oder ihr Geschäftsführer diese nicht gewährleisten, sei nicht der Haftungsumfang zu reduzieren, sondern die GmbH müsse ihren Aufgabenkreis so weit reduzieren, dass sie die von ihr geschuldeten, vertraglich übernommen Pflichten auch erfüllen könne.
Haftungsausschluss durch Ressortverteilung?
Schließlich komme es nicht darauf an, so der Bundesgerichtshof, dass der Beklagte nach der internen Ressortverteilung zwischen ihm und dem weiteren Geschäftsfüh-rer für die konkrete GmbH & Co. KG nicht einmal zuständig gewesen sei.
Den Geschäftsführer einer GmbH treffe grundsätzlich die Pflicht zur Geschäftsfüh-rung im Ganzen. Eine gleichwohl zulässige Ressortverteilung lasse daher die Ver-antwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft nicht entfallen, vielmehr verblieben dem organisatorisch nicht betroffenen Geschäftsführer wegen seiner Allzuständigkeit Überwachungspflichten, deren Reichweite nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sei. Insbesondere müsse der nach der Geschäftsverteilung nicht zuständige Geschäftsführer Hinweisen auf Fehl-entwicklungen oder Unregelmäßigkeiten in einem fremden Ressort immer und unverzüglich nachgehen.
Das Berufungsgericht habe zudem beanstandungsfrei festgestellt, dass der Beklagte seine Überwachungspflichten nicht erfüllt habe. Aus dem schon vor der Überweisung der 510.000 € vorliegenden Geschäftsbericht habe sich ergeben, dass nur ein Bruchteil der Anlegergelder wie in den Anlageverträgen versprochen von der D. AG besichert worden sei. Dieser Missstand im Kerngeschäft der Kommanditgesellschaft habe dem Beklagten bei pflichtgemäßer Geschäftsführung nicht verborgen bleiben können. Er hat deshalb persönlich einzustehen.
Haftungsausschluss wegen mangelnder persönlicher Fähigkeiten?
Bei den vielfältigen Haftungsrisiken des Geschäftsführers mag man sich die Frage stellen, ob im Fall persönlicher Unfähigkeit die Haftung des Geschäftsführers eingeschränkt werden kann.
Dies verneint der Bundesfinanzhof jedenfalls für die steuerrechtliche Haftung nach § 69 AO mit Beschluss vom 15.11.2022 – VII R 23/19, und führt dazu im Leitsatz der Entscheidung aus:
„Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.“
Ein offenbar erst vor kurzem aufgetauchtes Testament aus dem Jahre 2005 könnte nach dem, was in den Medien berichtet wird, das Potenzial haben, die zuletzt angenommene gesetzliche Erbenstellung der beiden Töchter des im Jahre 2019 verstorbenen Schalke-Managers Rudi Assauer zu beseitigen. Bereits im Herbst 2022 erließ das zuständige Amtsgericht Recklinghausen einen Beschluss, wonach ein in 2012 von Rudi Assauer notariell errichtetes Testament, welches seine ältere Tochter Katy Assauer als Alleinerbin benennt, unwirksam sei. Assauer, auch bekannt für Krombacher Werbespots, litt an Demenz, weshalb aufgrund von Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung - so das AG Recklinghausen - nicht der Inhalt des Testaments, sondern die gesetzliche Erbfolge maßgeblich sein soll.
Das nunmehr aufgetauchte handschriftliche Testament aus dem Jahre 2005 soll Simone Thomalla, mit der Assauer von 2000-2009 liiert war, als Alleinerbin benennen. Dem Nachlassgericht zukommen lassen hat Thomalla das Testament über ihre Steuerberaterin per Fax. Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung zur Abgabe von Testamenten gem. § 2259 BGB. Wer der Ablieferungspflicht nicht nachkommt, läuft Gefahr, sich wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 StGB strafbar zu machen.
Auch wenn Thomalla bisher keinen Erbscheinsantrag gestellt haben soll, stellt sich die Frage wie das offenbar nur als Faxkopie vorhandene Testament zu bewerten ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf und das Oberlandesgericht München sind sich dahingehend einig und haben entschieden, dass auch ein nur noch in Kopie vorhandenes Testament zumindest zu eröffnen ist. Argumentiert wird damit, dass auch ein formunwirksames Testament, dem bspw. die Unterschrift fehlt, eröffnet werden muss. Zwar trifft die Eröffnung eines Schriftstücks als Testament noch keine Aussage über dessen Wirksamkeit, es ist jedoch auch nicht allzu schwer, ein wirksames Testament zu errichten: Testieren kann grundsätzlich jede testierfähige Person bereits ab ihrem 16. Lebensjahr, sofern sie das Testament eigenhändig verfasst und unterschreibt. Es kann daher mangels anderer Anhaltspunkte zunächst davon ausgegangen werden, dass Rudi Assauer 2005 ein wirksames Testament zu Gunsten von Simone Thomalla errichtet hat.
Auch wenn der Grundsatz gilt, dass die gewillkürte Erbfolge durch Vorlage der Originalurkunde zu belegen ist, so kann, wenn das Originaltestament nicht mehr auffindbar ist, die Existenz, die formgültige Errichtung sowie der Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln, also auch einer Kopie, bewiesen werden und damit unter engen Voraussetzungen die Erbenstellung begründen, so das OLG Naumburg .
Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Streitigkeiten um Rudi Assauers Nachlass weiterentwickeln.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.08.2022 – I-3 Wx 119/22
OLG München, Beschl. 07.04.2021 – 31 Wx 108/21
OLG Naumburg, Beschl. v. 29.03.2012 – 2 Wx 60/11
Hatten wir in unserem News-Beitrag im „Anspruch auf Löschung des Merkmals Restschulbefreiung gegenüber der Schufa“ noch darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des OLG Schleswig die Schufa zu einer Löschung des Merkmals „Restschuldbefreiung“ nach sechs Monaten verurteilt hatte, die Schufa jedoch gegen dieses Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einlegte, kommt jetzt von unerwarteter Seite – nämlich von der Schufa höchst selbst – Bewegung in die Sache.
Am 28.03.2023 ließ die Schufa eigeninitiativ verlauten, dass sie die Speicherung von Einträgen zu Privatinsolvenzen von drei Jahren auf sechs Monate verkürzt. Die Schufa begründet diesen Schritt mit dem Streben nach Klarheit und Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Meiner Einschätzung nach ist die Schufa damit einer absehbaren Verurteilung zur Löschung nach sechs Monaten zuvorgekommen. Der Bundesgerichtshof hatte nämlich in der Revisionsangelegenheit (siehe oben) ebenfalls am 28.03.2023 verfügt, die Revision auszusetzen, bis die Frage der Speicherdauer durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in zwei ganz ähnlich gelagerten Fällen geklärt ist. Es wird also definitiv eine Klärung, inwieweit die derzeitige dreijährige Speicherung mit geltendem und in Deutschland seit Mai 2018 umgesetzten EU-Datenschutzrecht vereinbar ist, geben. Gegenwärtig – und unseres Erachtens völlig zurecht – ist anzunehmen, dass sich der EuGH für die kürze Frist der Datenspeicherung von sechs Monaten entscheiden wird. Nur so ist auch das proaktive Handeln der Schufa zu erklären.
Spannend ist auch die Frage, ob ebenso ein Anspruch auf Löschung seitens der Verbraucher*innen nach sechs Monaten besteht, wenn die Betroffenen die Restschuldbefreiung nicht auf Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung, sondern auf andere Weise, z.B. durch Gläubigerentscheid im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens erhalten haben!
BFH, Urteil vom 17.06.2020 – X R 26/18
BFH, Urteil vom 12.05.2022 – V R 19/20
Verkäufe bei eBay oder anderen Versteigerungsplattformen gehören zum täglichen Leben. Handelt es sich dabei um einmalige oder seltene Verkäufe aus dem eigenen Bestand (private Vermögensverwaltung), unterliegen sie keinerlei Besteuerung. Anders kann es jedoch sein, wenn nicht vorhandene, sondern zum Zweck des Weiterverkaufs erworbene Gegenstände angeboten werden, wie es typischerweise bei gewerblichen Händlern der Fall ist.
Die Klägerin kaufte von 2009 bis 2013 Gegenstände aus Haushaltsauflösungen an und bot sie auf eBay in Form von Versteigerungen zum Verkauf an. Dort war sie als private Kundin angemeldet. Dazu legte sie vier eBay-Konten an und eröffnete zwei Girokonten. Steuererklärungen gab sie nicht ab. 2009 erzielte sie bei 577 Auktionen Einkünfte von ca. 40.000 €, 2010 bei 1057 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €, 2011 bei 628 Auktionen Einkünfte von ca. 95.000 €, 2012 bei 554 Auktionen Einkünfte von ca. 90.000 € und 2013 bei 260 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €.
Nach einer Außenprüfung meinte das Finanzamt, die Klägerin sei in diesen Jahren gewerblich tätig gewesen und setzte gegen sie Einkommen- sowie Umsatzsteuer fest und erließ Gewerbesteuermessbescheide, wobei es einen Schätzbetrag für Betriebsausgaben (30 %) abzog.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erreichte die Klägerin mit ihrer Klage zum Finanzgericht Hessen nur einen Teilerfolg, weil dieses die Betriebsausgaben auf 60 % schätze, die Veranlagung ansonsten aber für rechtmäßig erachtete. Ihre Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im X. Senat wegen der Einkommen- und Gewerbesteuer und im V. Senat wegen der Umsatzsteuer), führte nicht zu dem von ihr erstrebten Erfolg. Die beiden Senate des BFH hoben zwar die jeweiligen Teile des erstinstanzlichen Urteils auf und verwiesen die Sachen an das Finanzgericht zurück, jedoch nur wegen eines Berechnungs- und eines Begründungsmangels. An der Gewerblichkeit der Auktionen hatten auch sie keine Zweifel. Im zweiten Durchgang wird das Finanzgericht lediglich die beiden Fehler zu beseitigen haben, an der Beurteilung der Gewerblichkeit wird sich nichts mehr ändern.
Mit der Revision hatte die Klägerin geltend gemacht, sie sei nicht als Händlerin anzusehen, da sie weder ein Konzept noch eine Organisation noch Vorkenntnisse im Handel habe. Sie kaufe gelegentlich aus Haushaltsauflösungen und verkaufe die Gegenstände wieder über eBay für ein Mindestgebot von 1 €. Zahlreiche Gegenstände verkaufe sie deutlich unter Einkaufswert, andere werfe sie einfach weg. Sie habe auch nichts dafür getan, die Gegenstände gewinnbringend zu veräußern (z.B. nicht geworben) und jedenfalls per Saldo keinen Gewinn erzielt. Ihr Ziel sei der Nervenkitzel gewesen, es habe sich um reine Liebhaberei gehandelt.
Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer
Entscheidend für die Einkommensteuerpflicht ist in diesem Zusammenhang die Gewerblichkeit der fraglichen Tätigkeit, die zu verneinen ist, wenn es lediglich um private Vermögensverwaltung geht. Hierzu definiert § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, dass ein Gewerbebetrieb eine selbständige nachhaltige Betätigung ist, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer. Die Betätigung muss über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgehen. Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt. Maßgebend ist unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und der Verkehrsanschauung, ob die Tätigkeit, soll sie gewerblich sein, dem Bild entspricht, das einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das „Bild des Gewerbebetriebs“ durch Orientierung an unmittelbar der Lebenswirklichkeit entlehnten Berufsbildern zu konturieren. Eine typische gewerbliche Tätigkeit ist der Handel. Zu seinem Wesen gehört der Kauf oder die sonstige Anschaffung von Sachen zum Zwecke der Weiterveräußerung in gleichem Zustand oder nach weiterer Be- oder Verarbeitung. Der Steuerpflichtige verhält sich wie ein Händler, wenn er planmäßig und auf Dauer mit auf Güterumschlag gerichteter Absicht tätig geworden ist. Er handelt dann gewerblich.
Gemessen an diesen Grundsätzen sei die Einschätzung des Finanzgerichts Hessen, die Klägerin habe ein händlertypisches Verhalten gezeigt, nicht zu beanstanden, so der BFH.
Das Finanzgericht habe nicht allein auf die Dauer und die Anzahl bzw. Höhe der Verkäufe abgestellt. Vielmehr habe es im besonderen Maße den planmäßigen An- und Verkauf gewürdigt. Werde nämlich ein solcher wie im Streitfall betrieben und liege schon beim Ankauf Wiederveräußerungsabsicht vor, sei die Grenze der privaten Vermögensverwaltung überschritten. Eindeutig stehe bei der Klägerin die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung im Vordergrund. In den andauernden und wiederholten An- und Verkäufen der Klägerin sei ein planmäßiges Vorgehen zu sehen. Sie kaufe in systematischer Art und Weise einerseits bei Haushaltsauflösungen Gegenstände an und biete andererseits die hierbei erworbenen Gegenstände über eBay wieder zum Verkauf an.
Das Finanzgericht habe zudem die Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin zutreffend festgestellt, nachdem es sich zu Recht davon überzeugt habe, dass die Klägerin in den Streitjahren tatsächliche Gewinne erzielt hatte. Der Betriebsausgabenabzug in Höhe von 60 % der Umsätze, den das Finanzgericht vorgenommen habe, sei fehlerfrei. Da die Klägerin pflichtwidrig keinerlei Aufzeichnungen getätigt habe, ließ sich ihre Behauptung, überhaupt keinen Gewinn erzielt zu haben, nicht verifizieren. War danach von tatsächlich erzielten Gewinnen, wenn auch nur in Höhe von 40 %, auszugehen, stellten diese nach der Rechtsprechung ein kaum zu widerlegendes Indiz dafür dar, dass auch die Absicht bestand, solche zu erzielen.
Nicht gegen die Gewerblichkeit ließe sich dagegen anführen, wie die Klägerin es versucht hatte, dass sie Spaß an der Versteigerung gehabt, sie kein bestimmtes Konzept verfolgt und keine Mindestpreise gefordert habe. Unerheblich sei ebenso, dass sie über keine Vorkenntnisse im Handel verfüge.
Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer
Der Umsatzbesteuerung unterliegen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen ausschließlich Unternehmer. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn – anders als bei der Einkommensteuer – die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Es muss sich dabei um eine wirtschaftliche Betätigung handeln, die nachhaltig ausgeübt wird. Der BFH hatte bereits früher entschieden, dass die Beurteilung als nachhaltig bei der laufenden Veräußerung von Gegenständen in erheblichem Umfang in Betracht kommt, es liege keine nur private Vermögensverwaltung vor, wenn der Verkäufer aktive Schritte zum Vertrieb der Gegenstände unternehme, indem er sich ähnlicher Mittel bediene wie ein Händler.
Auch der V. Senat des BFH sieht im Grundsatz keinen Anlass, die Entscheidung des Finanzgerichts zu kritisieren. Es habe richtig auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abgestellt und berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Verkaufstätigkeit über viele Jahre hinweg nachhaltig ausgeübt habe, weil auch die Anzahl der Verkäufe von beträchtlichem Umfang gewesen sei, was eine Betriebsorganisation erfordert habe. Sie habe Verpackungsmaterial kaufen, Waren verpacken, Porto zahlen und digitale Bilder der angebotenen Gegenstände fertigen müssen. Auf die Absicht der Gewinnerzielung stelle das Umsatzsteuerrecht zudem nicht ab.
Das Finanzgericht hatte danach zu recht die Klägerin der Umsatzsteuer unterworfen. Zurückverwiesen wurde die Sache, weil das Finanzgericht nicht festgestellt hatte, ob die Klägerin der sogenannten Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterfiel oder zumindest einzelne Umsätze nur dem ermäßigten Steuersatz hätten unterworfen werden dürfen.
BFH, Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20
Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20 entschieden.
Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte "Reichensteuer", die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Der BFH ist dem nicht gefolgt. Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen.
Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.
Anmerkung: Gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, des höchsten deutschen Steuergerichts ist nur noch eine Verfassungsbeschwerde möglich.
BFH, Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 33/18
BFH, Urteil vom 24.08.2022 – XI 3 3/22
Es geht um eine Selbständige und Arbeitnehmer betreffende Frage: Kann ich die Kosten beruflich genutzter Kleidung, vor allem wenn sie speziell für die Berufsausübung angeschafft wird, steuermindert geltend machen, auch wenn es sich um bürgerliche Kleidung wie etwa einen schwarzen Anzug handelt, den ich aber außerhalb des Berufs nicht trage. Bei Selbständigen geht es dabei nicht nur um die Einkommensteuer, sondern auch um den Vorsteuerabzug.
Der zu entscheidende Fall
Die in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Eheleute waren als Trauerredner und Trauerbegleiter selbständig tätig. Sie machten die Kosten der Anschaffung, Änderung, Reparatur und Reinigung von Kleidung (u.a. Anzüge, Hemden, Röcke, Kleider, Mäntel, Blusen, Pullover, Hosen, Jacken, Krawatten, Schals, Schuhe) als Betriebsausgaben geltend und zogen die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Steuer als Vorsteuer ab.
Nach steuerlichen Außenprüfungen versagte das Finanzamt hinsichtlich der Einkommensteuer die Anerkennung der Kosten als Betriebsausgaben und bezüglich der Umsatzsteuer den Vorsteuerabzug. Der nach den erfolglosen Einspruchsverfahren eingereichten Klage entsprach das FG Berlin-Brandenburg nicht. Auch die Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im VIII. Senat wegen der Einkommen- und im XI. Senat wegen der Umsatzsteuer) führte nicht zum Erfolg der Eheleute.
Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer
Dazu bestimmt § 12 Abs. 1 EStG unter anderem, dass die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen. Dazu gehören auch die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Derartige Aufwendungen, so der Bundesfinanzhof, sind durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums (sogenannter Grundfreibetrag) pauschal abgegolten oder als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbar. In aller Regel liegen allerdings die Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs oder der außergewöhnlichen Belastungen jedenfalls nicht allein aufgrund der Beschaffung der für den Beruf benötigten Kleidung vor.
Allerdings gestattet das Einkommensteuergesetz den Abzug der Aufwendungen für typische Berufskleidung als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben an. Welche Art von Kleidungsstücken unter den Begriff der „typischen Berufskleidung“ fällt, ist im Gesetz nicht näher definiert.
Bei der Gesetzesauslegung ist zu berücksichtigen, dass Aufwendungen für bürgerliche Kleidung grundsätzlich den nicht abziehbaren und nicht aufteilbaren unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung zuzurechnen sind, die durch den Grundfreibetrag pauschal abgegolten werden. Typische Berufskleidung umfasst daher nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind. Dies gilt insbesondere für Uniformen, Kleidung mit dauerhaft angebrachten Firmenemblemen oder Schutzkleidung, wie zum Beispiel Arbeitsschutzschuhen.
Kleidungsstücke, die als normale bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegen, fallen dagegen nicht unter den Begriff der typischen Berufskleidung, selbst wenn sie durch die berufliche Nutzung einem erhöhten Verschleiß unterliegen oder ihre Anschaffung überhaupt nur aus beruflichen Gründen erfolgt. Danach sind die Ausgaben für die von den Eheleuten als Trauerredner und Trauerbegleiter getragenen Kleidungsstücke nicht steuermindernd abziehbar, selbst wenn, wie sie im Rechtsstreit geltend gemacht hatten, von dieser Berufsgruppe kulturhistorisch von der Verkehrsauffassung das Tragen schwarzer Kleidung zwingend erwartet werden sollte.
Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer
Ein Unternehmer, hier die Eheleute, kann unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, gemäß § 15 UStG als Vorsteuer abziehen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nicht abziehbar sind nach § 15 Abs. 1a UStG zum Beispiel Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen entfallen, für die das Abzugsverbot § 12 Nr. 1 EStG gilt. Wie zuvor zur Einkommensteuer schon behandelt, wird von diesem Abzugsverbot bürgerliche Kleidung, auch wenn sie ganz oder überwiegend beruflich getragen wird, betroffen.
Nachdem der VIII. Senat des BFH schon am 16.03.2022 den Abzug bei der Einkommensteuer nicht zugelassen hatte, schließt sich der XI. Senat in seinem Urteil vom 24.08.2022 im Wesentlichen der Entscheidung des VIII. Senats an. Mithin wurde den Eheleuten auch der Vorsteuerabzug versagt.
BFH, Beschluss vom 28.10.2022 – VI B 15/22 (AdV)
Der zu entscheidende Fall
Die Antragstellerin entrichtete die Lohnsteuer (2.805,54 €) und Umsatzsteuer (1.435,68 €) für Juli 2021 trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die dadurch angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 28 € zur Lohnsteuer und 14 € zur Umsatzsteuer entrichtete sie nicht. Das Finanzamt wies die Säumniszuschläge in einem Abrechnungsbescheid aus. Über den gegen diesen gerichteten Einspruch hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Die Antragstellerin begehrt vor dem Finanzgericht Münster (Beschluss vom 14.02.2022 – 8 V 2789/21) erfolgreich die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids. Auf die Beschwerde des Finanzamts hebt der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) diesen Beschluss auf und weist den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück.
Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Nachzahlungszinsen
Die Abgabenordnung (AO) kennt neben den Straftatbeständen der Steuerhinterziehung einige Sanktionen für steuerliches Fehlverhalten. So kann nach § 152 AO gegen Steuerpflichtige, die ihrer Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommen, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Dieser beträgt im Allgemeinen für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 % der festgesetzten Steuer. Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, also verspätet oder eventuell gar nicht gezahlt, entsteht gemäß § 240 AO kraft Gesetzes für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % der rückständigen Steuer. Während die Verfassungsmäßigkeit der Verspätungszuschläge nicht ernstlich in Frage steht, werden in jüngerer Zeit wegen der lange andauernden Niedrigzinsphase vermehrt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge geäußert. Diese wurden vertieft durch zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), nach denen die Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO in Höhe 0,5 % pro Monat, jedoch sogar nur für volle Monate, derzeit als nicht verfassungsgemäß anzusehen ist. Zwar könne der Gesetzgeber, so das BVerfG, Zinsen typisierend – ohne Rücksicht auf den Einzelfall - regeln, eine solche gesetzliche Festlegung des Zinssatzes sei aber trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen wie etwa der Niedrigzinsphase seit 2014 oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.
Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge?
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist allerdings streitig, ob diese Entscheidungen des BVerfG ohne Weiteres auf die Säumniszuschläge übertragen werden können. Säumniszuschläge sind nämlich keine Zinsen, sondern zum einen ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (Druckfunktion), zum anderen verfolgen sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das ungerechtfertigte Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten (Zinsfunktion). Durch die Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den Finanzämtern dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen. In Rechtsprechung und juristischer Literatur ist im Einzelnen umstritten, welcher Anteil auf die einzelnen Funktionen entfällt. Weitestgehend gesichert ist nur, dass die Druckfunktion mit der Hälfte der Zuschläge, also mit 0,5 % monatlich zu Buche schlägt. Da die Abgeltung der Verwaltungsaufwendungen eher niedrig zu bemessen sein dürfte, lässt sich der Zinsfunktion der Säumniszuschläge grob ermittelt auch ein Anteil von 0,5 % der Zuschläge zuweisen. Bei dieser Aufteilung entspricht die Zinsfunktion rechnerisch der vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO.
Diese Realation hat den V. und den VII. Senat des BFH bewogen, auch die Säumniszuschläge als derzeit nicht mit der Verfassung in Einklang stehend anzusehen: BFH, Beschluss vom 23.05.2022 – V B 4/22 (AdV) und BFH, Beschluss vom 26.05.2021 – VII B 13/21, wobei letzterer bereits vor den Entscheidungen des BVerfG ergangen ist.
Der VI. Senat des BFH tritt dem V. und dem VII. Senat jetzt in einer Serie von Beschlüssen vom 28.10.2022, die am 24.11.2022 veröffentlicht wurden, entgegen - VI B 15/22 (AdV), VI B 27/22 (AdV), VI B 31/22 (AdV), VI B 38/22 (AdV), VI B 48/22 (AdV) . Er kann die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge nicht erkennen.
Besonderheiten des „AdV-Verfahrens“
Den Aktenzeichen aller genannter Beschlüsse lässt sich entnehmen, dass es um „AdV-Verfahren“ geht, schnellere Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids. Die Finanzgerichtsordnung sieht ein solches Verfahren vor, damit nicht Steuerbescheide, die im Allgemeinen vollziehbar, also vollstreckbar sind, vollzogen werden, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen und hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Diese brauchen nicht einmal zu überwiegen.
Trotz dieser relativ niedrigen Schwelle meint der VI. Senat des BFH, dass die vom BVerfG zu beurteilende Verzinsungspflicht nach §§ 233a, 238 AO und die Säumniszuschläge keine ausreichende Gemeinsamkeit aufweisen, um auch die Säumniszuschläge bei summarischer Prüfung für verfassungswidrig zu halten. Dies folge schon aus den drei Funktionen der Säumniszuschläge, die bei der Verzinsung keine Rolle spielten, insbesondere komme dieser keine Lenkungs- oder Druckfunktion zu. Außerdem vermöge ein lediglich gedachter, gesetzlich aber nicht quantifizierter Zinsanteil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht zu begründen. Werde die Lohnsteuer nicht rechtzeitig abgeführt, habe dies schon deshalb zu gelten, weil der Arbeitgeber nicht selbst Steuerschuldner sei, sondern der Arbeitnehmer, für den der Arbeitgeber lediglich treuhänderisch nach Abzug vom Lohn die Steuer abzuführen habe. Ähnliches gelte auch für die Umsatzsteuer, die der Unternehmer wirtschaftlich auf den Leistungsempfänger abwälze.
Ein völlig anderer Aspekt veranlasste den II. Senat des BFH ebenso zu entscheiden wie jetzt der VI. Senat, wenn auch nur im Ergebnis (Beschluss vom 20.09.2022 – II B 3/22). Beruhen nämlich die ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, wie hier bei den Säumniszuschlägen, auf eventuellen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der ihm zugrunde liegenden Vorschrift und nicht auf schlichter Fehlanwendung eines Gesetzes, wird von der Rechtsprechung allgemein verlangt, dass ein besonderes Aussetzungsinteresse besteht. Dieses besondere Interesse verneint der II. Senat, wenn ein durchaus auch erheblicher Säumniszuschlag (im zu entscheidenden Fall immerhin über 6.000 €) den Steuerschuldner wirtschaftlich nicht erheblich belaste und seine wirtschaftliche Tätigkeit nicht in bedeutendem Maße beeinträchtigt.
Verfassungswidrigkeit nur der Gesamtregelung der Säumniszuschläge“
Einig sind sich alle Senate des BFH nur insoweit, als die Säumniszuschläge unter keinen Umständen nur teilweise als verfassungswidrig qualifiziert werden können, insbesondere nicht etwa beschränkt auf die Zinsfunktion. Sollte die Regelung des § 240 AO über die Säumniszuschläge verfassungswidrig sein, erfasste dies die gesamte Vorschrift. Der Gesetzgeber müsste sodann eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen.
Ausblick
Angesichts dieser sich widersprechenden Beschlüsse des höchsten deutschen Steuergerichts bleibt nicht nur der Steuerbürger, sondern auch sein steuerlicher Berater etwas ratlos zurück. Es ist anzunehmen, dass erst eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge, insbesondere in einem Regelverfahren, nicht in einem solchen über die Aussetzung der Vollziehung endgültige Klarheit bringen wird.
Beginnend im September 2022 wurde den Arbeitnehmern einmalig zur Entlastung bei den gestiegenen Energiekosten die Energiepreispauschale (EPP) ausbezahlt. Die Auszahlung erfolgte bei Arbeitern und Angestellten über den Arbeitgeber mit dem Lohn/Gehalt zur Auszahlung gebracht und war weder der Lohnsteuer noch der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterworfen. 300,00 EUR brutto gleich netto soweit so gut. Wie sieht jedoch die Situation in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Leistungsempfängers aus? Das Amtsgericht Norderstedt hat hierzu in einem Beschluss vom 15.09.2022 – Az.: 66 IN 90/19 entschieden, dass die Energiepreispauschale im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens gemäß §§ 112 ff. EStG pfändbar ist und insbesondere dem Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO unterliegt. Der Insolvenzverwalter hat also – will er sich nicht persönlich haftbar machen – keine andere Möglichkeit, als dem betroffenen Insolvenzschuldner den gesamten Betrag der EPP zu nehmen und der Insolvenzmasse zukommen zu lassen. Es fragt sich sodann, welche Möglichkeiten der Schuldner hat, seine erhöhten Kosten letztendlich doch über die EPP abzudecken?
Auch hierzu hat sich das AG Norderstedt im Rahmen des vorgenannten Beschlusses geäußert: Möchte sich der Schuldner gegen die Vereinnahmung der EPP durch den Insolvenzverwalter zur Wehr setzen, muss er einen Antrag auf Vollstreckungsschutz für die EPP nach § 765a ZPO zum zuständigen Insolvenzgericht stellen:
Hier können Sie sich den Musterantrag herunterladen
Das AG Norderstedt hat aber schon in seinem oben zitierten Beschluss richtigerweise darauf hingewiesen, dass für den Erfolg eines solchen Antrages hohe Hürden zu überwinden sind. Es handelt sich bei § 765a ZPO um eine Ausnahmevorschrift! Der Antragsteller muss daher im Rahmen seines Antrages geltend machen, dass er tatsächlich von höheren Energiekosten und -preisen belastet ist, die einen Entzug des Geldes gegenüber den Gläubigern rechtfertigen können. Hierzu könnte auch gehören, dass der Schuldner diese erhöhten Kosten im Rahmen von Nachzahlungsbelegen, Vergleichsrechnungen der Benzinpreise etc. darlegt. Inwieweit die jeweiligen Insolvenzgerichte den Argumentationen der antragstellenden Schuldner folgen werden, bleibt abzuwarten.
Die Welt am Sonntag vom 06.11.2022 fasst im Wirtschaftsteil unter der Überschrift „Liquiditätsopfer“ vermeintliche Zahlungsschwierigkeiten beim Hannoveraner Medizin-Start-Up Syntellix AG zusammen. Im Artikel selbst wird von Mitarbeiterin berichtet, die längst fällige Gehaltszahlungen nicht erhalten haben und deswegen zum Teil auch vor das zuständige Arbeitsgericht gezogen seien. Dort seien dann jeweils Vergleiche geschlossen worden, in denen sich die Syntellix AG verpflichtet habe, die rückständigen und fälligen Gehälter zu bezahlen. Weiter wird berichtet, dass zunächst die im Vergleich vereinbarte Zahlungsfrist ohne Zahlung verstrichen sei und anschließende Vollstreckungsversuche aus den gerichtlichen Vergleichen für die Arbeitnehmer erfolglos verlaufen seien. Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zu Lasten eines Kontos der Aktiengesellschaft bei der NordLB hätten nicht zur Befriedigung der Forderungen aus den Vergleichen geführt. Konkret heißt es in dem Artikel: „Einige Ex-Beschäftigte haben sich aus Angst vor Repressalien vertraulich an WELT AM SONNTAG gewandt, ihre Namen sind der Redaktion bekannt. Syntellix bestreitet die Angaben des Amtsgerichts und der früheren Beschäftigten auf Anfrage: „Es trifft nicht zu, dass Anträge auf Pfändung des Kontos der Syntellix AG bei der NordLB vorliegen“, teilt das Unternehmen mit. „Die Syntellix AG ist selbstverständlich in der Lage, alle ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.““
Der Artikel wirft indirekt die Frage auf, was die (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit fälligen Gehaltsforderungen nun tun können. Er wirft weiter die Frage auf, ob die Syntellix AG möglicherweise insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) ist. Die Syntellix AG bestreitet dies. Eine Klärung ist auf diese Weise nicht möglich. Die Situation wirft aber dennoch die Frage auf, wie Gläubiger erforderlichenfalls ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners initiieren können bzw. dessen Insolvenzreife unabhängig prüfen lassen können.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzantrag eines Gläubigers (sog. Fremdantrag) zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Legt man die Angaben der (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG als zutreffend zugrunde, sind sie Gläubiger der Aktiengesellschaft. Sie verfügen über einen vollstreckbaren Titel in Form des arbeitsgerichtlichen Vergleichs und haben erfolglos versucht, aus diesem Vergleich die Vollstreckung zu betreiben. Reicht das für die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit? Im praktischen Fall müssten die (ehemaligen) Mitarbeiter wohl damit rechnen, dass sich die Syntellix AG gegen diese Behauptung im Rahmen eines Insolvenzantragsverfahrens zur Wehr setzt.
Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit ist das praktisch gängigste Mittel die Vorlage einer sog. Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers gemäß § 63 GVGA. Diese Bescheinigung sollte nicht älter als sechs Monate sein (so das OLG Dresden in ZInsO 2001, Seite 1110). Um eine solche zu erhalten, müssten also die Gläubiger zunächst einmal den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung beauftragen. Das kann dauern. Fraglich ist aber, ob das – weiterhin die Angaben im Zeitungsartikel als zutreffend unterstellt – überhaupt notwendig ist? Hierzu halten wir fest, dass die (ehemaligen) Mitarbeiter keine Befriedigung aus der Pfändung des Geschäftskontos erlangen konnten. Die Pfändung des Kontos wurde eingeleitet, nachdem die Syntellix AG die sie treffende Zahlungsverpflichtung aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen nicht – jedenfalls nicht fristgemäß – eingehalten hat. Hierzu wiederum heißt es bei Vuia – Münchener Kommentar zur InsO, 4. Auflage (2019), § 14, Rn. 14: „Als urkundliche Mittel der Glaubhaftmachung kommen bei der Zahlungsunfähigkeit … ferner schriftliche Erklärungen des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, in denen er seine Zahlungsunfähigkeit für die absehbare Zukunft eingesteht, etwa Gesuche um Zahlungsaufschub von deutlich mehr als einem Monat, ferner schriftliche Anerkenntnisse oder Zahlungsankündigungen, denen (was gesondert glaubhaft zu machen ist) allenfalls eigenmächtige Teilzahlungen folgen sowie zuverlässige substantiierte Presseberichte, auch wenn keine amtliche Verlautbarung enthalten,“ [in Betracht].
Für die (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG könnte sich also zur weiteren Sachaufklärung durchaus ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Syntellix AG lohnen. Die Vorlage des gerichtlichen Vergleichs, die Nichteinhaltung der im Vergleich enthaltenen vereinbarten Zahlungsfrist und die letztendlich erfolglose Pfändung des Geschäftskontos bei der NordLB könnten das Insolvenzgericht überzeugen, hier den Insolvenzantrag zunächst für zulässig zu erachten und einen Gutachter zur weiteren Sachaufklärung zu bestellen.
Unabhängig von der objektiven Frage der Insolvenzreife zeigen Fremdanträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch immer wieder, dass solche Anträge dem betroffenen Schuldner lästig sind und er infolgedessen bisweilen neue Eigen- und/oder Fremdmittel beschafft, um letztendlich die der Antragstellung zugrundeliegenden Forderung doch noch zu erfüllen!
BGH, Urteil vom 23.09.2022 – V ZR 148/21
Allgemeines zum Autokauf
Für die Übertragung des Eigentums reicht der Abschluss eines Kaufvertrags entgegen weit verbreiteter Ansicht nicht aus, hinzukommen muss die Übereignungshandlung. Bewegliche Sachen, zu denen auch PKW gehören, werden übereignet, indem der bisherige Eigentümer sich mit dem Erwerber, meist ein Käufer, darüber einig wird, dass das Eigentum übergehen soll, was nicht notwendig ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Handeln erfolgen kann, und die Sache körperlich übergeben wird. Bei der Übereignung eines PKW werden dazu im Allgemeinen die Fahrzeugschlüssel übergeben.
Sinnvoll, aber keineswegs erforderlich ist wiederum entgegen weit verbreiteter Ansicht die Übergabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und II (früher KFZ-Schein und KFZ-Brief).
Im Grundsatz möglich ist es aber auch, von einem Nichteigentümer – auch gegen den Willen des tatsächlichen Eigentümers – das Eigentum zu erwerben, wenn die Voraussetzungen des sogenannten gutgläubigen Erwerbs vorliegen. Der Bundesgerichtshof hatte in folgendem Sachverhalt zu klären, ob dies der Fall war.
Der zu entscheidende Fall
Die Käuferin schloss mit einem Autohaus einen Kaufvertrag über einen PKW zum Preis von 30.000 € ab. Der PKW gehörte allerdings nicht dem Autohaus, sondern einer Leasinggesellschaft, die auch die Zulassungsbescheinigung Teil II in ihrem Besitz und der Veräußerung nicht zugestimmt hatte. Der PKW wurde der Käuferin am Tag des Kaufes übergeben, nicht jedoch die Zulassungsbescheinigung Teil II. Diese sollte ihr einige Tage später zugeschickt werden, was aber nicht geschah.
Später erfuhr die Käuferin, dass der Geschäftsführer des Autohauses in ähnlicher Weise etwa 100 weitere Kunden betrogen hatte. Nach erfolglosen außergerichtlichen Bemühungen klagt nun die Käuferin gegen die Leasinggesellschaft auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II. Sie behauptet dazu, ihr sei eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II beim Kauf vorgelegt worden, in der das Autohaus als Halter eingetragen gewesen sei. Sie sei Eigentümerin des PKW geworden und daher auch Eigentümerin der Zulassungsbescheinigung Teil II, sodass ihr ein Herausgabeanspruch zustehe.
Die Leasinggesellschaft bestreitet die Vorlage einer gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II und meint, sie sei nach wie vor Eigentümerin des PKW. Sie erhebt deshalb Widerklage gegen die Käuferin auf Herausgabe des PKW.
Der Klage wurde stattgegeben, die Widerklage abgewiesen.
Die Zulassungsbescheinigung Teil II
Erneut entgegen weit verbreiteter Ansicht wird in der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht der Eigentümer, sondern der Halter des PKW eingetragen, die häufig nicht identisch sind. Ein typischer Fall für das Auseinanderfallen dieser beiden Eigenschaften ist die Sicherungsübereignung des PKW, die ohne Übergabe des Fahrzeugs möglich ist. Eigentümer ist hier die finanzierende Bank, Halter hingegen der Kreditnehmer, der das Auto in Besitz behält und nutzt. Genauso verhält es sich bei Leasingfahrzeugen, hier tritt an die Stelle der Bank im vorigen Beispiel die Leasinggesellschaft.
Das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung Teil II steht dem Eigentümer des PKW zu, wird also das Eigentum am PKW übertragen, geht das Eigentum an der Bescheinigung automatisch auf den Erwerber des Fahrzeugs über.
Im zu entscheidenden Fall kam es daher für die Klage und die Widerklage allein darauf an, ob die Käuferin das Eigentum am PKW erworben hatte oder ob die Leasinggesellschaft weiter Eigentümerin war.
Der gutgläubige Erwerb des Fahrzeugs
Für einen gutgläubigen Eigentumserwerb von einem Veräußerer, der selbst nicht Eigentümer ist, muss der Erwerber beim Übertragungsakt berechtigter Weise davon ausgehen dürfen, dass der Veräußerer zur Veräußerung berechtigt ist, er muss also glauben dürfen, dieser sei der Eigentümer. Das Gesetz formuliert negativ, der Erwerber sei nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
Da die Käuferin nicht wusste, dass der PKW nicht dem Autohaus, sondern der Leasinggesellschaft gehörte, hatte sie nur dann nicht das Eigentum erworben, wenn sie dies grob fahrlässig nicht bemerkt hätte. Hier kommt die Zulassungsbescheinigung Teil II ins Spiel. Wie schon ausgeführt, ist in dieser zwar nicht der Eigentümer, sondern der Halter eingetragen, sie gibt daher – anders als das Grundbuch – keine Auskunft über die Eigentümerstellung. Da üblicherweise jedoch der Eigentümer auch im Besitz der Bescheinigung ist, verlangt die Rechtsprechung, dass ein Erwerber, dem die sie nicht vorgelegt wird, nachforschen muss, weshalb der Veräußerer sie nicht vorlegen kann. Tut er das nicht, ist er grob fahrlässig und daher nicht in gutem Glauben. Er kann das Eigentum nicht gutgläubig erwerben. Nicht anders ist es, wenn die Bescheinigung zwar vorgelegt wird, jedoch jemand anderes als der Veräußerer als Halter eingetragen ist.
In unserem Fall behauptete die Käuferin, sie habe wegen der Hochwertigkeit der Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht erkennen können, dass das Autohaus in Wahrheit nicht Halter des PKW gewesen sei, sie habe daher gutgläubig das Eigentum erworben. Das bestreitet aber die beklagte Leasinggesellschaft. Es kam daher darauf an, ob die Käuferin ihre Gutgläubigkeit oder umgekehrt die Leasinggesellschaft deren Bösgläubigkeit zu beweisen hat. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der bisherige Eigentümer die Bösgläubigkeit zu beweisen hat, dem Erwerber obliegt es nur, die Tatsachen vorzutragen, aus denen er seine Gutgläubigkeit ableitet.
Dieser sogenannten Vortragslast war die Käuferin mit ihren Ausführungen zur Vorlage einer Fälschung nachgekommen. Die Leasinggesellschaft hätte daher beweisen müssen, dass deren Behauptungen zur Vorlage einer Fälschung nicht zutrafen. Das wäre etwa durch Benennung des Geschäftsführers des Autohauses als Zeugen möglich gewesen. Einen Beweis hatte die Leasinggesellschaft jedoch nicht angeboten. Da das Gericht im Zivilrechtsstreit anders als zum Beispiel im Strafverfahren den Lebenssachverhalt nicht von sich aus ermittelt, war die Behauptung der Käuferin zur Fälschungsvorlage als zutreffend anzusehen und der Entscheidung zugrunde zu legen, sodass die Käuferin als gutgläubig zu behandeln war. Ihr wurde deshalb ein Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II zugesprochen und die Widerklage auf Herausgabe des PKW abgewiesen.
Rechte des bisherigen Eigentümers
Der bisherige Eigentümer in einer solchen Situation ist nicht vollständig rechtlos gestellt. Zwar hat er das Eigentum an der Sache (hier PKW) verloren, kann aber von dem unberechtigt handelnden Veräußerer verlangen, dass dieser ihm herausgibt, was er für die Sache erhalten hat, regelmäßig also den Kaufpreis. Ist dieser jedoch nicht mehr vorhanden, was bei kriminellem Vorgehen nicht unüblich, aber auch sonst nicht ausgeschlossen ist, bleibt der bisherige Eigentümer auf dem Schaden sitzen. Das Gesetz mutet dem Eigentümer also zu, auf seine Sachen Acht zu geben und genau zu schauen, wem er den Besitz daran überlässt.
Angemerkt sei noch, dass ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist, er also den Besitz unfreiwillig verloren hat.
BFH, BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 17/21 >br>BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 19/21
In jedem Beruf gibt es schwarze Schafe, leider auch unter Insolvenzverwaltern.
Nach § 58 InsO steht der Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Begeht er in Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren eine Straftat, zum Beispiel eine Untreue, hat das für ihn regelmäßig nicht nur strafrechtliche Folgen, sondern fordert auch insolvenzgerichtliche Maßnahmen heraus.
In dem Verfahren, das dem ersten Beschluss des BGH zugrunde lag, hatte der (spätere) Insolvenzverwalter für seine Gutachtertätigkeit im Eröffnungsverfahren aus der Staatskasse die ihm zustehende Vergütung erhalten, dennoch entnahm er nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet und er zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, der Masse ein zweites Mal diese Vergütung.
Dieses Vorgehen musste insolvenzgerichtliche Sanktionen nach sich ziehen, nachdem es bekannt wurde. In Betracht gekommen wäre ohne Weiteres von Amts wegen eine Entlassung aus dem Amt des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO, wenn er nicht seinerseits einen eigenen Antrag auf Entlassung aus dem Amt gestellt hätte, dem das Insolvenzgericht nachgekommen war.
Grundsätzlich hat allerdings auch derjenige Insolvenzverwalter Anspruch auf die Vergütung seiner Tätigkeit, der sich nicht pflichtgemäß verhält. Dementsprechend stellte der (jetzt frühere) Insolvenzverwalter einen Antrag an das Gericht, seine Vergütung festzusetzen. Das Gericht wies seinen Antrag zurück, weil er seinen Vergütungsanspruch verwirkt habe. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück. Ebenso wenig hatte er mit seiner Rechtsbeschwerde zum BGH Erfolg.
Der Insolvenzverwalter, so das Bundesgericht, verwirkt seinen Anspruch auf Vergütung, wenn er vorsätzlich oder grob leichtfertig die ihm obliegende Treuepflicht so schwerwiegend verletzt, dass er sich seines Lohnes als „unwürdig“ erweist. Da der Insolvenzverwalter einen gemäß Art. 12 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit hat, kommt ein solcher Ausschluss der Vergütung bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.
Dafür genügt nicht jede objektiv erhebliche Pflichtverletzung. Die Versagung jeglicher Vergütung kommt vielmehr nur bei einer schweren, subjektiv in hohem Maße vorwerfbaren Verletzung der Treuepflicht in Betracht. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Insolvenzverwalter besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen in Form von Straftaten zum Nachteil der Masse begangen hat. Eine solche gravierende Straftat liegt in einer bewusst die Insolvenzmasse schädigenden Untreuehandlung, wie sie hier gegeben war.
In dem zweiten Verfahren hatte der Verwalter zwar keine Unterschlagung begangen, das Insolvenzgericht hat ihm dennoch die Vergütung versagt, weil er in dem ersten Verfahren die erwähnte Unterschlagung begangen hatte und es in 18 weiteren Insolvenzverfahren zu erheblichen Pflichtverletzungen gekommen war. Eine Pflichtverletzung in diesem zweiten Verfahren war jedoch nicht gegeben.
Der BGH hat sich auch in diesem Fall den Vorinstanzen angeschlossen, die den Vergütungsanspruch als verwirkt angesehen hatten. Dieses Ergebnis begründet der BGH wie folgt.
Die Verwirkung des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters könne grundsätzlich nur auf Pflichtverletzungen des Verwalters bei der Ausübung des konkreten Amtes gestützt werden, für das er eine Vergütung beansprucht. Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters in anderen Verfahren führten demgegenüber nur unter besonderen Umständen zum Verlust des Anspruchs auf Vergütung. So komme die Versagung der Vergütung grundsätzlich nur bei gewichtigen, vorsätzlichen oder zumindest leichtfertigen Pflichtverstößen in Betracht. Allerdings könne eine einmalige, in der Begehung einer Straftat zum Ausdruck kommende Pflichtverletzung genügen, denn auch eine in einem anderen Verfahren verübte Straftat könne die unbedingt und ausnahmslos erforderliche charakterliche Eignung des Verwalters, fremdes Vermögen zu verwalten, entfallen lassen.
BFH, Urteil vom 12.07.2022 – VIII R 8/19
Allgemeines zum häuslichen Arbeitszimmer
Das häusliche Arbeitszimmer (ein eigener Raum in Wohnung oder Haus mit nur untergeordneter privater Mitbenutzung) kann einkommensteuermindernd berücksichtigt werden – jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen:
Die für den Steuerabzug notwendigen Angaben hat der Steuerpflichtige in seiner jährlichen Einkommensteuererklärung zu machen. Es ist offensichtlich, dass diese Angaben leicht manipuliert werden können, viele Steuerpflichtige können dieser Versuchung auch nicht widerstehen. Insbesondere die tatsächliche Nutzung und Gestaltung des angeblichen Arbeitszimmers wird häufig „geschönt“.
Dementsprechend kritisch betrachten die Veranlagungsbeamten der Finanzämter die Angaben der Steuerpflichtigen, gelegentlich möchten sie sich auch vor Ort von den Tatsachen überzeugen. Das ist grundsätzlich zulässig, aber auch das Finanzamt muss die dafür geltenden Regeln beachten, insbesondere darf es nicht gegen den auch für das Arbeitszimmer geltenden Grundrechtsschutz aus Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen, der die Unverletzlichkeit der Wohnung als Teil der Privatsphäre schützt.
Der zu entscheidende Fall
Im hier besprochenen Fall hatte die Steuerpflichtige, die die Kosten ihres Arbeitszimmers steuermindernd geltend machen wollte, ihrer Einkommensteuererklärung eine Skizze beigefügt, auf der nicht alle Räume der Wohnung, sondern nur ein als Schlafzimmer bezeichneter Raum und ein Wohn-/Essraum verzeichnet waren. Das Wort „Schlafzimmer“ war gestrichen und darunter „Arbeitszimmer“ vermerkt. Für den Veranlagungsbeamten lag der Schluss nahe, dass dies nur möglich war, wenn der Wohn-/Essraum auch zum Schlafen genutzt wurde. Hieran hatte er nicht ganz unberechtigte Zweifel. Er beauftragte daher einen Mitarbeiter der Steuerfahndung, einen „Flankenschutzprüfer“, mit einer Ortsbesichtigung.
Der Steuerfahnder erschien unangekündigt in der Privatwohnung der Steuerpflich-tigen, wies sich aus und betrat die Wohnung zur Überprüfung der Angaben in der Steuererklärung. Die Steuerpflichtige widersprach dem nicht. Dabei stellte sich heraus, dass die Angaben zum Arbeitszimmer zutrafen, die Skizze jedoch nicht alle Räume der Wohnung umfasste. Es gab zwei weitere Zimmer, von denen eines als Schlafzimmer diente.
Die Steuerpflichtige wies den Steuerfahnder zudem darauf hin, dass sie alsbald in die Nachbarwohnung umziehen werde.
Mit ihrer Klage möchte die Steuerpflichtige die Feststellung erreichen, dass die Besichtigung rechtswidrig war, was der BFH im Revisionsverfahren anders als erstinstanzlich das Finanzgericht Münster für berechtigt hält, weil die Klage zulässig und begründet war.
Rechtswidrigkeit der Besichtigung
Im Ergebnis meint der BFH, das Finanzamt habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Grundsätzlich gilt nach § 88 Abgabenordnung (AO) der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz, das bedeutet, dass das Finanzamt selbst alle für die Besteuerung notwendigen Tatsachen zu ermitteln hat. Dabei darf es sich nach pflichtgemäßem Ermessen aller zulässigen Beweismittel bedienen und dabei im Ausgangspunkt auf das zweckmäßigste Mittel zugreifen.
Bei der Ermessensausübung hat das Finanzamt dabei zunächst zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige den erheblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offenlegen kann. Außerdem muss es wie bei jeder Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, mit anderen Worten muss es prüfen, ob das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich ist, den erstrebten Zweck, hier die Ermittlung der Wohnungssituation der Steuerpflichtigen, zu erreichen. Nicht erforderlich ist eine Maßnahme, wenn eine andere, gleich wirksame, aber weniger fühlbar den Bürger einschränkende Maßnahme gewählt werden könnte.
Nach den §§ 92, 99 AO darf das Finanzamt grundsätzlich zur Einnahme eines Augenscheins die Wohnräume eines Bürgers betreten, zumal wenn dieser, wie hier die Steuerpflichtige, zustimmt. Die unangemeldete Besichtigung war auch geeignet, die Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen.
Die unangekündigte Besichtigung war aber nach der höchstrichterlichen Ansicht nicht erforderlich, da mildere Mittel unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung zur Verfügung gestanden hätten. Das Finanzamt hätte zunächst die Steuerpflichtige zu einer ergänzenden Erläuterung zu ihrer Wohnung auffordern müssen, da zu vermuten stand, dass die entstandenen Unklarheiten der Raumsituation dadurch beseitigt werden konnten.
Zusätzlich war auch die konkrete Durchführung der Besichtigung nicht verhältnismäßig. Das Eindringen staatlicher Organe in die Wohnung bedeutet regelmäßig einen Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Bürgers. Daher muss es – so der BFH – zur Feststellung der häuslichen Verhältnisse im Allgemeinen genügen, aus dem äußeren Anschein die erforderlichen Folgerungen zu ziehen.
Im Zusammenhang mit dem Arbeitszimmer der Steuerpflichtigen bedeutet dies, dass eine Besichtigung nur ganz ausnahmsweise zulässig ist. Das Finanzamt ist in einem solchen Fall nach § 99 Abs. 1 AO gehalten, die Besichtigung angemessene Zeit vorher anzukündigen. Nur ausnahmsweise darf die Ankündigung unterbleiben, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt wür-de, etwa die berechtigte Annahme besteht, das Besichtigungsobjekt, also das Ar-beitszimmer im Zusammenhang mit der gesamten Wohnungssituation könne ver-ändert werden. Anhaltspunkte dafür gab es vorliegend nicht.
Das Finanzamt handelte schließlich auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil nicht der Veranlagungsbeamte die Besichtigung durchführte, sondern ein Beamter der Steuerfahndung. Die Besichtigung durch die Steuerfahndung belastet den Bürger mehr, weil bei zufällig anwesenden anderen Personen der Eindruck entstehen könnte, gegen den Bürger werde strafrechtlich ermittelt, was sein persönliches Ansehen gefährden könnte. Dabei ist unerheblich, ob die Besichtigung tatsächlich von Dritten bemerkt wurde, es reicht insoweit die abstrakte Gefahr aus.
Weil die Steuerpflichtige in die Durchführung der Ortsbesichtigung eingewilligt hatte, lag zwar kein schwerer Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung vor, das Finanzamt durfte sein Ermessen dennoch selbstverständlich nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben ausüben.
BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21
BGH, Urteil vom 28.04.2022 – IX ZR 48/21
BGH, Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20
Alle drei Entscheidungen befassen sich mit dem im Insolvenzrecht zentralen Begriff der
Für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zur Zahlungsstockung stellt das Gesetz mehrere Methoden zur Verfügung.
Erste Methode:
Zunächst ist der Schuldner nach § 17 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Diesen für Nichtjuristen schwer greifbaren Tatbestand hat der Bundesgerichtshof dahingehend konkretisiert, dass Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn die liquiden Mittel die Verbindlichkeiten nicht zu mehr als 90 %decken, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
Will der Geschäftsführer aktuell feststellen, ob sein Unternehmen zahlungsunfähig in diesem Sinne ist, muss er zunächst auf den laufenden Tag (Stichtag) einen sogenannten Liquiditätsstatus erstellen, in den auf der einen Seite die vorhandene Liquidität (Barkasse Bankguthaben, nicht ausgeschöpfter Kredit = Aktiva I) und auf der anderen die fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) eingestellt werden müssen. Erreicht der so ermittelte Deckungsgrad nicht mindestens 90 %, ist zu untersuchen, ob und wie sich die Finanzlage in den kommenden drei Wochen ändert. Dazu ist ein Finanzplan aufzustellen, bei dem auf der Aktivseite zusätzlich zu der Liquidität am Stichtag die im Drei-Wochenzeitraum zu erwartende Liquidität (Forderungseinzug, Erlös aus der Verwertung von schnell zu veräußernden beweglichen Gegenständen des Anlagevermögens, der in diesem Zeitraum zu erzielen ist, neue Kreditbeschaffung = Aktiva II) und auf der Passivseite die im Drei-Wochenzeitraum zusätzlich noch fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) einzustellen sind. Ergibt sich hieraus keine über 90 % hinausgehende Deckung, ist Zahlungsunfähigkeit mit den oben aufgezeigten Konsequenzen gegeben.
Allerspätestens jetzt, besser schon bei ernstlichen Zweifeln an der gegenwärtigen und/oder zukünftigen Liquidität der Gesellschaft, sollte die Geschäftsleitung einen erfahrenen Fachmann für Sanierungsberatungen hinzuziehen, um das Überleben der Gesellschaft zu sichern.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2022 ist nunmehr eine modifizierte Methode zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zulässig, die allerdings nur bei rückwärtiger Betrachtung eingesetzt werden kann. Ausgehend von dem Stichtag, an dem der Liquiditätsstatus eine Unterdeckung von 10 % oder mehr ausweist, ist eine aussagekräftige Anzahl (ausreichend sind drei im Wochenabstand) taggenauer Liquiditätsstatus aufzustellen. Ergibt sich auch zu diesen Zeitpunkten kein besserer oder gar ein schlechterer Deckungsgrad, ist Zahlungsunfähigkeit eingetreten.
Da die erste Methode ein prognostisches Element enthält, kann sie zu anderen Ergebnissen führen als die retrograde, von feststehenden Zahlen ausgehende zweite Methode. Welcher in einem solchen Fall der Vorrang einzuräumen ist, hat der Bundesgerichtshof bislang allerdings nicht entschieden. Es spricht viel dafür, dass die retrograde Ermittlung hier maßgeblich ist.
Zweite Methode:
In diesem Zusammenhang arbeitet § 17 InsO mit einer sogenannten gesetzlichen Vermutung. Danach ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Trotz der Ähnlichkeit der Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung sind sie inhaltlich nicht deckungsgleich. Die Zahlungseinstellung ist dasjenige äußerliche Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Sie wird nicht durch Liquiditätsstatus festgestellt, sondern beruht auf Indizien (tatsächlichen Umständen), die üblicherweise für einen Mangel an liquiden Mitteln sprechen.
In der Rechtsprechung sind dafür Kriterien herausgearbeitet worden, die entweder allein oder in ihrer Zusammenschau die Zahlungseinstellung ergeben können. Von der Rechtsprechung anerkannte Indizien sind (nicht abschließend) etwa:
Rückstände bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.04.2022 sehr konkret gewürdigt und erstmals eine Art Rasterprüfung vorgestellt. Danach gilt:
Während herkömmlich alle diese Indizien im Grundsatz als gleichwertig eingeschätzt wurden und im Einzelfall gewichtet werden mussten, sieht der Bundesgerichtshof seit dem Urteil vom 06.05.2021 die eigene Erklärung des Schuldners im Vordergrund. Als besonders aussagekräftig im Sinne einer Zahlungseinstellung ist danach nunmehr die Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht ratenweise - begleichen zu können. Besonders gravierend ist die ausdrückliche Erklärung des Schuldners, zahlungsunfähig zu sein.
Fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die übrigen Umstände in der Gesamtschau ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.
Bei allem soll nicht schematisch vorgegangen, sondern alle Aspekte des Einzelfalls gewürdigt werden. Allerdings hält der Bundesgerichtshof diesen Ansatz selbst nicht konsequent durch, wie etwa die Rasterprüfung zu Rückständen bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung zeigt.
Ergibt sich aus der Wertung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände die Zahlungseinstellung kann die daraus folgende Vermutung der Zahlungseinstellung von dem dadurch Belasteten, etwa dem Anfechtungsgegner oder dem auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführer entkräftet werden. Möglich ist dies im Rechtsstreit durch die Einholung eines (sehr teuren) Sachverständigengutachtens, typischerweise eines Wirtschaftsprüfers. Nach der langjährigen Erfahrung des Verfassers dieser Kommentierung wird die Zahlungsunfähigkeit bei zuvor festgestellter Zahlungseinstellung jedoch nahezu ausnahmslos durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Dadurch erhöhen sich die Kosten des Rechtsstreits, die derjenige tragen muss, der im Prozess unterliegt, ganz erheblich. Bevor also ein Sachverständigengutachten zur Beweisführung im Prozess angeboten wird, müssen die Chancen und Risiken dieser Beweisführung sehr sorgfältig gegenübergestellt werden.
BGH, Urteil vom 03.03.2022 – IX ZR 78/20
Der Bundesgerichtshof hatte schon mit Urteil vom 06.05.2021 die Voraussetzungen deutlich verschärft, unter denen Insolvenzverwalter die Vorsatzanfechtung im Insolvenzverfahren nach § 133 InsO durchführen können. So soll es insbesondere nicht mehr möglich sein, automatisch von der dem Insolvenzschuldner bekannten eigenen Zahlungsunfähigkeit auf den Benachteiligungsvorsatz zu schließen. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht danach für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Erst wenn also die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht hat, nach dem selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung aufgrund objektiver Anhaltspunkte in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lässt, muss dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen darf, ohne andere zu benachteiligen. Nur wenn er in einer solchen Lage, die der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss, einzelne Gläubiger, handelt er weiterhin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, und solche Zahlungen bleiben anfechtbar nach § 133 InsO. Der Vorsatz fehlt hingegen (anders als nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung), wenn Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit besteht. Wieviel Zeit dem Schuldner hierfür verbleibt, kann dabei nicht pauschal bestimmt werden, sondern hängt vom Verhalten der (übrigen) Gläubiger ab. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Sieht sich der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung, die Gegenstand einer anfechtungsrechtlichen Auseinandersetzung ist, erheblichem Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck ausgesetzt, begrenzt dies den für eine Beseitigung der vorhandenen Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum. Das Gericht betont mehrfach, dass für die Feststellung des Vorsatzes eine pauschale Betrachtung nicht ausreicht, sondern alle Aspekte des jeweiligen Einzelfalls einer besonderen Würdigung zu unterziehen sind.
Mit dem neuen recht komplex gestalteten Urteil aus dem Frühjahr 2022 konkretisiert der Bundesgerichtshof nun diese bereits 2021 verschärften Anforderungen für eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO durch die Insolvenzverwalter. Maßgeblich ist danach auch, ob der noch zahlende Schuldner aufgrund der ihm bekannten Krisenursachen nach den objektiven Umständen erkannt hat, dass ein Insolvenzverfahren unvermeidlich ist und er tatsächlich keine Aussichten mehr hat, seine Gläubiger zukünftig zu befriedigen. Daran soll es fehlen, wenn der Schuldner nach den objektiven Umständen noch annehmen konnte, dass die Krise nur vorübergehend ist oder die von ihm eingeleiteten Schritte zur Überwindung der Krise oder die begonnenen Sanierungsmaßnahmen Erfolg haben werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner damit rechnet, dass alsbald ein anderer Gläubiger einen zulässigen und begründeten Insolvenzantrag stellen wird.
Bisher erschien es naheliegend, dass die Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen (etwa GmbH, AG oder auch eingetragener Verein) diesen Zeitraum auf drei Wochen begrenzt, denn die Organe sind bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, spätestens nach dieser Zeit einen Insolvenzantrag zu stellen, sodass ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Dieser Überlegung erteilt der Bundesgerichtshof jetzt aber bei der Vorsatzanfechtung eine Absage, weil die Voraussetzungen, unter denen der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handele, nicht deckungsgleich seien mit dem vom Gesetzgeber für die Insolvenzantragspflicht der Organe der juristischen Person bestimmten Zeitraum.
Der Benachteiligungsvorsatz soll nicht mehr alleinstrong> aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit hergeleitet werden können. Ausreichend soll bei drohender Zahlungsunfähigkeit aber sein, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sicher zu erwarten ist und alsbald bevorsteht, der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt. Als weiteres Indiz wird eine unmittelbare Benachteiligung angesehen, die vorliegt, wenn die angefochtene Rechtshandlung selbst ohne das Hinzutreten weiterer Umstände die Benachteiligung bewirkt.
Unternimmt der Schuldner in der ihm verbleibenden Zeit einen Sanierungsversuch, kann dies auch gegen den Benachteiligungsvorsatz sprechen. Bislang verlangte die Rechtsprechung dann vom Anfechtungsgegner den Nachweis, dass das zugrunde liegende Konzept ungeeignet gewesen ist. Diese Beweislastverteilung ändert der Bundesgerichtshof nun ab. jetzt muss der Insolvenzverwalter beweisen, dass der Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat.
Bisher wurde für ein erfolgversprechendes, den Vorsatz ausschließendes Sanierungskonzept verlangt, dass es im Zeitpunkt der Rechtshandlung bereits in den Anfängen in die Tat umgesetzt worden war, etwa die Bank einen Sanierungskredit zugesagt hatte. Bei der Anfechtung von Honorarzahlungen an einen Sanierungsberater soll dies nach der neuen Entscheidung nicht uneingeschränkt gelten, sofern der Sanierungsversuch nicht von vornherein aussichtslos ist und der Schuldner mit der Vorstellung handelt, dass eine Vergütung der Beratungsleistungen erforderlich ist, um die Erfolgsaussichten einer Sanierung prüfen oder eine Sanierung beginnen zu können.
Bemerkenswert ist bei allem, dass das Gesetz bei der für die Vorsatzanfechtung notwendigen Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners eine Vermutung aufstellt. Wusste dieser nämlich, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die übrigen Gläubiger benachteiligt, wird vermutet, dass er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kannte. In einem solchen Fall muss der Anfechtungsgegner diese Vermutung widerlegen, was in der Praxis nur sehr schwer gelingt. Zumindest vordergründig erscheint es nicht vollständig ohne Widerspruch, den Vorsatz des Schuldners an anderen Maßstäben zu messen, wie es die neue Rechtsprechung tut.
In einer weiteren Entscheidung vom 03.03.2022 misst der Bundesgerichtshof der vom Insolvenzverwalter zu beweisenden insolvenzrechtlichen Überschuldung den Charakter eines eigenständigen Indizes für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei. Die Stärke des Beweisanzeichens soll davon abhängen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht.
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass Zahlungen im Vorfelde der Insolvenz für die Insolvenzverwalter nunmehr schwieriger anzufechten sind und die Erfolgssausichten von Zahlungsempfängern, sich gegen solche Anfechtungen zu wehren, damit erheblich gestiegen sind.
Boris Becker ist vom Southwark Crown Court in London zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen unvollständiger/falscher Angaben zu seinen Vermögenswerten in seinem Insolvenzverfahren verurteilt worden. Der ehemalige Ausnahmesportler musste nach Urteilsverkündung seine Haftstrafe umgehend aus dem Gerichtssaal antreten, wenngleich ihm noch das Rechtsmittel der Berufung zusteht.
Als Boris Becker seinen ersten von insgesamt drei Wimbledonsiegen erreichte, war ich selbst acht Jahre alt. Es ist wohl das älteste Sport-Großereignis, an das ich konkrete Erinnerungen habe. Steffi Graf, Boris Becker, Michael Stich, Anke Huber, Michael Westphal, Patrick Kühnen, Charly (Carl-Uwe) Steeb… sie alle haben in den 1980er und 1990er-Jahren zahlreiche Kinder und Jugendliche begeistert, sportlich inspiriert und letztendlich auch selbst zum Tennisspielen angetrieben. Und doch war „Boris“ immer besonders. Nicht nur sein langjähriger Trainer, Günther Bosch, sah das so, wie er in zahlreichen Co-Kommentatorenauftritten nimmermüde betonte. Boris war ein Garant für Drama, für Mitfiebern, für Kampf – er war im wahrsten Sinne des Wortes „mitreißend“. Und wenn sich diese Kindheitserinnerung nunmehr mit meiner beruflichen Expertise kreuzt, dann wird klar, warum mich dieser Fall beschäftigt.
Oft habe ich in letzter Zeit gelesen, dass Boris Becker „wegen Insolvenzverschleppung“ vor Gericht steht/verurteilt worden ist. Schon das ist so nicht korrekt und wäre im Übrigen auch nach deutschem Insolvenzrecht schlicht falsch. Das „delayed filing for insolvency“ ist zwar grundsätzlich auch im Vereinigten Königreich strafbar, jedoch betrifft diese Straftat – ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland die Geschäftsführer/Vorstände von Kapitalgesellschaften. Deren strafbewehrte Pflicht ist es, unverzüglich bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Natürliche Personen (Menschen) sind jedoch weder in Großbritannien noch in Deutschland dazu verpflichtet, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, können also in diesem Sinne in Bezug auf ihr eigenes Vermögen schon keine Insolvenzverschleppung begehen.
Boris Becker hat im Übrigen auch zu keinem Zeitpunkt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen selbst beantragt. Im Jahre 2017 wurde er von einem Londoner Gericht für zahlungsunfähig erklärt, nachdem die britische Privatbank Arbuthnot Latham die gerichtliche Feststellung gegen Becker beantragt hatte. Dieser Fall ist soweit nicht ungewöhnlich und auch dem deutschen Insolvenzrecht nicht fremd: auch in Deutschland kann ein Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Schuldners beantragen, wenn er gegenüber dem zuständigen Insolvenzgericht seine Gläubigerstellung und den Insolvenzgrund auf Seiten des Schuldners glaubhaft macht (§ 14 InsO).
Im Falle des Fremdantrages der britischen Privatbank über das Vermögen von Boris Becker hatte sich Letzterer im Jahre 2017 versucht, mit allen Mitteln gegen den Antrag zu stemmen. Die prominenteste Verteidigungsstrategie war sicherlich im April 2018 der Versuch der Prozessbevollmächtigten, Boris Becker diplomatischen Schutz aufgrund seiner Funktion als Sportattaché der Zentralafrikanischen Republik zuzubilligen, mit dem Ziel die Unzulässigkeit des Insolvenzverfahrens wegen diplomatischer Immunität zu erreichen. Ein Versuch, der allenfalls kreative Wertschätzung abringt, da unabhängig von der Tatsache, dass diplomatische Immunität sicher nicht rückwirkend entfaltet werden kann, es sich bei der Funktion des Sportattachés um kein Amt mit Diplomatenstatus handelte und Becker im Übrigen ein entsprechender Pass von der Regierung der Zentralafrikanischen Republik zu keinem Zeitpunkt ausgestellt wurde.
Das Insolvenzverfahren in Großbritannien über das Vermögen von Boris Becker wurde bekanntlich durchgeführt und Becker zur Zusammenarbeit mit dem „Trustee“ (Insolvenzverwalter) angehalten. Nichts anderes gilt auch in Deutschland: nach § 97 InsO ist der Insolvenzschuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch der Gläubigerversammlung Auskunft über „alle das Verfahren betreffende Verhältnisse“ zu geben. Dies beinhaltet selbstverständlich auch sämtliche Vermögenswerte des Schuldners, unabhängig davon, wo sich diese Vermögensverhältnisse befinden.
Boris Becker wurde nunmehr aufgrund der Verletzung einer inhaltsgleichen Verpflichtung nach englischem Insolvenzrecht verurteilt. Konkret hatte es der heute 54-jährige versäumt, richtige und vollständige Angaben zu seinen Vermögenswerten – konkret einer Immobilie in Leimen (Deutschland) und Gesellschaftsanteile an einer Firma für Künstliche Intelligenz sowie die Existenz einer Darlehensschuld – zu machen. Darüber hinaus hatte Becker unerlaubt hohe Summen auf andere (fremde) Konten transferiert und somit dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen.
Sämtliche der vorstehenden Handlungen wären im Übrigen auch nach deutschem Recht in einem Insolvenzverfahren mit Folgen verbunden. Zum einen liefert der Schuldner als natürliche Person damit seinen Gläubigern einen Grund, einen (wohl begründeten) Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Die Erteilung einer Restschuldbefreiung ist aber nach deutschem Insolvenzrecht sowieso nur dann denkbar, wenn der Schuldner zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hat, der wiederum regelmäßig mit einem eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden sein muss. Würde man also „deutsche Insolvenzrechtsmaßstäbe“ auf das Insolvenzverfahren Beckers übertragen, kam für Boris Becker die Erteilung einer Restschuldbefreiung in seinem Insolvenzverfahren nicht in Betracht, weil das Verfahren ja bekanntlich nur auf Antrag der englischen Privatbank eröffnet wurde.
Zum anderen wären aber auch die von Becker vorgenommen Handlungen bzw. seine Unterlassungen auch nach deutschem Strafrecht relevant gewesen: Betrug, Untreue, Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung oder auch Bankrott wären im vorliegenden Fall sicherlich Straftatbestände, nach denen ein deutscher Staatsanwalt das Verhalten Boris Beckers zu beurteilen gehabt hätte. Und auch hier wäre – insbesondere gemessen an den vergleichsweise hohen Vermögenswerten, die den Taten zugrunde liegen und eben nach der kriminellen Energie – eine nicht unempfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen. Die Strafzumessung muss letztendlich auch unter dem Aspekt betrachtet werden, dass Boris Becker zumindest den deutschen Strafverfolgungsbehörden – nicht nur wegen seines sportlichen Ausnahmekönnens – kein Unbekannter ist: am 24.10.2002 wurde Boris Becker wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, außerdem musste er einen Betrag von 200.000,00 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen.
Insgesamt können also folgende Punkte festgehalten werden:
1. Boris Becker ist ein Garant für Drama – auch lange Zeit, nachdem er seine aktive Tenniskarriere beendet hat;
2. Boris Becker hat aus seiner Vergangenheit nicht wirklich etwas gelernt: spätestens nachdem er wegen Steuerhinterziehung (möglicherweise aufgrund falscher Beratung?) verurteilt worden ist, hätte er ein eigenes Interesse an der Ordnung seiner Vermögensverhältnisse entwickeln müssen;
3. Boris Becker hat sowohl im Insolvenzverfahren als auch im sich anschließenden Strafverfahren schlicht eine falsche und für ihn verheerende Strategie gewählt: Falsch- und Desinformation sowie Verschleierung und Leugnung haben hier zu Kopfschütteln und rechtlichen Konsequenzen geführt, die durch Kooperation und Transparenz vollständig hätten vermieden werden können.
OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2021 – 2 U 23/21
Die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegenüber Steuerberatern und GmbH-Geschäftsführern insolventer Unternehmen ist für Insolvenzverwalter ein wichtiges Instrument zur Massegenerierung. Dass hierzu wohl in Zukunft vermehrt Sanierungsberater als Anspruchsgegner zur Kasse gebeten werden und für den Haftungsanspruch eine vergleichsweise geringe Hürde genommen werden muss, zeigt eine Entscheidung des OLG Köln vom 13.10.2021.
Dort hatte der Insolvenzverwalter einer insolventen GmbH die ehemalige Sanierungsberaterin auf Zahlung von knapp einer halben Million Euro in Anspruch genommen. Er stützte seinen Anspruch zum Teil auf erklärte Insolvenzanfechtung, zum Teil auf Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife von der GmbH geleistet wurden. Die Beklagte war von der Insolvenzschuldnerin zur Erstellung eines Sanierungs- und Finanzkonzepts beauftragt worden. Ausweislich des erstellten Sanierungskonzepts lag für die Insolvenzschuldnerin eine positive Zukunftsprognose, wenn auch mit angespannter Liquiditätssituation vor. Altverbindlichkeiten hätten selbst mit neuen Fremdmitteln nur nach einigen Monaten befriedigt werden können.
Die Beklagte hat gegen das erstinstanzlich vom Insolvenzverwalter gewonnene Urteil Berufung eingelegt, unterlag jedoch auch in der zweiten Instanz. Auch das Berufungsgericht sah die Voraussetzungen der §§ 143 I, 133 I InsO als gegeben an, worauf sich der klägerische Teilanspruch auf Rückzahlung des Beraterhonorars stützte. Insbesondere die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, die offenen Steuerverbindlichkeiten und offenen Löhne, allen voran aber der Ratschlag der Beklagten, die Insolvenzschuldnerin solle ein Treuhandkonto einrichten, um Zahlungen an bestimmte Gläubiger priorisieren zu können, sah das Gericht als Indizien für die von der Beklagten erkannte Zahlungsunfähigkeit an.
Auch den Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280 I, 611, 675, 398 BGB hinsichtlich des weiteren geltend gemachten Teilbetrags hat das Berufungsgericht im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) bejaht. Die Beklagte war aufgrund ihrer überlegenen Sachkunde verpflichtet, auf die Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin hinzuweisen. Denn der Sanierungsvertrag entfaltet eine Schutzwirkung zugunsten Dritter – vorliegend zugunsten des Geschäftsführers –, da die Insolvenzverschleppung strafbar ist und der Geschäftsführer insoweit persönlich zivilrechtlich haftet. Die Hinweispflicht bzgl. der Insolvenzantragspflicht greift auch dann, wenn keine entsprechende Beauftragung zugrunde liegt, sofern einem Sanierungsberater alle zur Prüfung relevanten Informationen zur Verfügung gestellt wurden und in dem Sanierungsvertrag keine konkreten Leistungen unter Ausschluss einer Beratung in rechtlichen und steuerlichen Angelegenheiten abschließend geregelt sind.
Die Arbeitnehmer eines in Insolvenz geratenen Unternehmens sind gewöhnlicherweise für den Zeitraum der letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse) durch das Insolvenzgeld der örtlich zuständigen Bundesagentur für Arbeit abgesichert. Dies gilt aber nach einem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.10.2018 (Az.: S 1 AL 3799/16) nicht für solche Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag mit dem später in Insolvenz fallenden Unternehmen zu einem Zeitpunkt abgeschlossen war, als der Arbeitgeber schon insolvenzreif war.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld gestellt. Der Arbeitnehmer war aber erst zu einem Zeitpunkt (hier: 01.05.2016) in das Unternehmen eingetreten, zu dem das Unternehmen bereits insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) war. Einen solchen Fall sichere das Insolvenzgeld nicht ab, so das Heilbronner Sozialgericht. Tatsächlich hatte der betroffene Arbeitnehmer zu keinem Zeitpunkt eine vertraglich zugesicherte Gehaltsleistung des später insolventen Arbeitgebers erhalten.
Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.
Interessant ist, dass im vorliegenden Fall der Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit nicht auf die Kenntnis des Arbeitnehmers von der wirtschaftlichen Krise des Arbeitgebers gestützt wurde, sondern von der objektiven Insolvenzreife. Es stellt sich hieraus die Frage, wie Arbeitnehmer hierauf reagieren und sich absichern können? Allein die Frage danach, ob es denn dem Unternehmen wirtschaftlich gut gehe, könnte einerseits wohl nicht den erhofften Effekt in Bezug auf eine Gewährung von Insolvenzgeld einbringen, andererseits aber auch negativen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgebers nehmen, den so dreist nachfragenden Arbeitnehmer letztendlich einzustellen.
Entscheiden sich die Gesellschafter einer GmbH im Rahmen der Feststellung eines Jahresabschlusses dazu, den Gewinn in der Gesellschaft belassen, so kann eine zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Ausschüttungen nach §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sein. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.07.2021 – Az.: IX ZR 195/20 entschieden.
Worum es geht…
Im zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Alleingesellschafter einer GmbH den Jahresgewinn „seiner“ GmbH nicht ausgeschüttet, sondern in der Gesellschaft belassen. Im darauffolgenden Geschäftsjahr verfasste der Gesellschafter dann einen insoweit abändernden Beschluss, einen Teilbetrag von 200.000,00 EUR als Gewinn auszuschütten. Vier Monate nach diesem abändernden Beschluss stellte die GmbH einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im eröffneten Insolvenzverfahren forderte der Insolvenzverwalter die Ausschüttung von 200.000,00 EUR unter Berufung auf §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO vom Gesellschafter zurück. Mit Erfolg, wie der Bundesgerichtshof urteilte.
Gewinnausschüttung als eine „einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung“
Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.
Konsequenzen für die Beratungspraxis
Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung sind also nicht nur bei der Beratung in Zusammenhang mit der Ausreichung/dem Stehenlassen eines Gesellschafterdarlehens, sondern eben auch bei der Frage der Gewinnverwendung intime Kenntnisse der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften gefordert. Dies schon deshalb, weil die Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO seit 2008 krisenunabhängig im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung möglich ist. Mithin sollten also auch Steuerberater zukünftig bei der Beratung im Zusammenhang mit der Gewinnverwendung einen entsprechenden Hinweis zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit stehengelassener Gewinne erteilen.
Seit jeher wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass ein gesellschaftsvertraglicher Ausschluss des Abfindungsanspruches nach § 738 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB bei Versterben eines Gesellschafters und Fortsetzung der Personengesellschaft keine pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkung i.S.d. §§ 2325 ff. BGB an die verbleibenden Gesellschafter darstellt. Gleiches gilt für den Fall einer gesellschaftsvertraglichen Begrenzung des Abfindungsguthabens, welches nach § 1922 BGB in den Nachlass fällt.
Zur Begründung wird angeführt, dass eine solche Regelung für alle Gesellschafter gilt und somit Gegenleistungscharakter hat: Jeder Gesellschafter hat beim Ableben eines Mitgesellschafters und der Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern die Chance, den Anteil des Ausgeschiedenen durch Anwachsung unter Ausschluss des Abfindungsanspruches zu erwerben, während für ihn gleichermaßen das Risiko besteht, bei Versterben seinen Anteil ohne Ausgleich für den Nachlass zu verlieren. Ferner diene eine solche Vertragsregelung dem Unternehmenserhalt.
Etwas anderes hat der BGH am 03.06.2020 nun für eine Konstellation entschieden (Az. IV ZR 16/19), in der die einzigen Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eheleute waren und sich der Gesellschaftszweck auf die Verwaltung von (z.T. selbstgenutztem) Immobilienvermögen beschränkte. Mit dem Tod des Ehemannes wurde die GbR aufgelöst und die Ehefrau erhielt die Anteile gemäß gesellschaftsvertraglicher Regelung. Eine Abfindung wurde im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen. In dem konkreten Einzelfall hat der BGH eine ergänzungspflichtige Schenkung an die Ehefrau angenommen, da im Vordergrund nicht die Fortführung des nicht am Wirtschaftsleben teilnehmenden Unternehmens stand, sondern eine Regelung vergleichbar der gewillkürten Erbfolge, mit der Pflichtteilsansprüche minimiert werden sollten.
Ob hier ein Paradigmenwechsel eingeleitet wird und der BGH das auch in Bezug auf andere ähnliche Konstellationen bei rein vermögensverwaltenden Gesellschaften so sehen wird, bleibt abzuwarten.
Nachdem das Vereinigte Königreich am 31.01.2020 die Europäische Union verlassen hat, stellt sich die Frage, welche gesellschaftsrechtlichen Folgen dies für Gesellschafter einer britischen Limited mit ausschließlichem Tätigkeitsfeld in der Bundesrepublik Deutschland hat. Aufgrund des Wegfalls der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen nach britischem Recht erkennt Deutschland die britische Limited als solche nicht mehr an. Aufgrund ihrer ausschliefllichen Tätigkeit der Limited in der Bundesrepublik Deutschland besteht auch hier ihr “faktischer Verwaltungssitz”. Die fehlende Anerkennung der britischen Gesellschaftsform führt dann jedoch dazu, dass die Limited nicht mehr als Kapitalgesellschaft (mit beschränkter) Haftung, sondern rechtlich als Personenhandelsgesellschaft mit der Folge der vollumfänglichen persönlichen Haftung der Gesellschafter eingeordnet wird. Dies wurde durch das Urteil des OLG München vom 05.08.2021 - Az.: 29 U 2411/21 bestätigt. Je nach Ausgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit kann die in Deutschland werbende britische Limited als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Offene Handelsgesellschaft (OHG) einzuordnen sein.
Betroffene Unternehmer befinden sich daher gegenwärtig in einer Haftungslage, die sie durch Gründung einer haftungsbeschränkten (ausländischen) Gesellschaftsform gerade zu vermeiden versucht haben. Hier besteht Handlungsbedarf ! Bitte kontaktieren Sie gerne die gesellschaftsrechtlichen Spezialisten unserer Kanzlei.
Mit Urteil vom 18.11.2020 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Directors & Officers (D&O) Versicherung für den durch einen Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer einer GmbH / Vorstand einer Aktiengesellschaft geltend gemachten sog. “Insolvenzverschleppungsschaden” einzustehen hat, sofern dieser Schaden durch das Vertretungsorgan nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt wurde. Eine vorhergehende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 20.07.2018 hatte Geschäftsführern/Vorständen insolventer Unternehmen zusätzlich schlaflose Nächte bereitet, da dieses geurteilt hatte, dass der Insolvenzverschleppungsschaden nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. als Anspruch “sui generis” nicht von der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abgedeckt sei. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr Klarheit zugunsten der versicherten Personen geschaffen: Auch der Verschleppungsschaden ist von der D&O Versicherung abgedeckt. Zur Begründung führte das höchste deutsche Zivilgericht aus, dass von einem Geschäftsführer/Vorstand, der/die zwar in der Regel geschäftserfahren sei, jedoch nicht erwartet werden könne, einen üblichen Haftpflichtanspruch von einem Anspruch nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. zu erkennen. Deshalb sei der in Rede stehende Erstattungsanspruch (nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F.) von der Versicherung erfasst.
Ungeachtet dessen bereiten derartige Prozesse den Geschäftsführern bzw. Vorständen insolventer Unternehmen häufig schlaflose Nächte, da die geforderten Beträge häufig in Millionenhöhe gehen können. Umso wichtiger ist es, dass Sie sich als betroffener Geschäftsführer/Vorstand frühzeitig professionellen Rat suchen.
Für einen Beratungsvertrag, der zwischen einer Aktiengesellschaft und einer von einem Aufsichtsratsmitglied vertretenen GmbH abgeschlossen worden ist, sind die ßß 113 ff. AktG anwendbar. Fehlt es an der Zustimmung des Aufsichtsrats zum Abschluss eines solchen Vertrages sind die auf Grundlage des Vertrages gezahlten Honorare an die Aktiengesellschaft zurückzugewähren. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 29.06.2021 - Az.: II ZR 75/20 entschieden.
Bei dieser Entscheidung zeigt sich erneut die Strenge des Aktienrechts. Möchte ein Aufsichtsratsmitglied als Geschäftsführer einer GmbH einen Beratungsvertrag zwischen der AG und “seiner” GmbH abschlieflen, bedarf dieser Vertrag für seine Wirksamkeit zwingend der Zustimmung des Aufsichtsrates. Ausdrücklich regelt dies ß 114 Abs. 1 AktG nur für die Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds selbst. Der BGH sieht jedoch Raum für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs, da es unbeachtlich sei, dass das Aufsichtsratsmitglied ein vom wirtschaftlichen Erfolg der Aktiengesellschaft unabhängiges Gehalt bezieht. Vielmehr zeigt dieses Urteil, dass der BGH die Fragen eines Interessenkonflikts ernst nimmt und daher das Zustimmungserfordernis auch auf Sachverhalte ausdehnt, in denen das Aufsichtsratsmitglied mittelbar wirtschaftlich von einem Vertragsabschluss profitiert.
Wendet sich der aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossene Gesellschafter gegen seinen Ausschluss, muss er seinen Abfindungsanspruch nicht vor einer Entscheidung über die Wirksamkeit des Ausschlusses gegenüber der Gesellschaft geltend machen, so BGH ñ Urteil vom 18.05.2021 - Az.: II ZR 41/20. Im konkret durch den BGH entschiedenen Fall wurde der Gesellschafter einer GbR im Jahre 2009 aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Er wehrte sich gegen seinen Ausschluss über einen Zeitraum von sechs Jahren. Im Jahre 2015 machte er dann nach rechtskräftiger Feststellung des Ausschlusses seinen Abfindungsanspruch gegenüber der Gesellschaft geltend. Die übrigen Gesellschafter der GbR erhoben hiergegen die Verjährungseinrede.
Zu Unrecht, wie der BGH nun am 18.05.2021 entschied. Zwar entstehe der Anspruch auf Abfindung mit dem Ausscheiden der Gesellschaft und unterliege der dreijährigen Regelverjährungsfrist. Jedoch beginne die Verjährung nicht schon mit dem Ausschlieflungsbeschluss, sondern erst mit dessen Rechtskraft. Zuvor sei die Rechtslage im Falle eines Gesellschaftsausschlusses so wage, dass eine zusätzliche (Sicherheits- )Klage auf Zahlung einer Abfindung nicht zumutbar sei. Etwas anderes könne nach BGH nur für solche Fälle gelten, in denen entweder die Wirksamkeit des Ausschlusses nicht streitig sei oder aber der Ausschluss offensichtlich wirksam ist.
Auch dieser Fall zeigt, dass im Rahmen des Gesellschaftsrechts eine taktische Beratung von Beginn einer Auseinandersetzung angefordert ist. Kontaktieren Sie daher im Falle eines Gesellschafts-/Gesellschafterstreits frühzeitig unsere Experten auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts.
Eine natürliche Person, der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt worden ist, hat spätestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses über die Restschuldbefreiung gegenüber der Schufa einen Anspruch auf Löschung der eingetragenen Restschuldbefreiung. Dies urteilte das Oberlandesgerichts Schleswig am 02.07.2021 - Az.: 17 U 15/21. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Dennoch urteilte das OLG Schleswig in bemerkenswerter Klarheit, dass ein ehemaliger Insolvenzschuldner ein berechtigtes Interesse an der Löschung schon nach sechs Monaten habe. Ein berechtigtes Interesse für die dreijährige Speicherung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO habe die Schufa nicht, da eine solch lange Speicherung der in § 3 InsoBekV zuwiderlaufen würde.
Das OLG Schleswig “harmonisiert” durch sein Urteil die Fristen zur Löschung des Merkmals der Restschuldbefreiung im Rahmen der “Insolvenzbekanntmachungen” mit denen der Schufa. Unter Insolvenzbekanntmachungen.de wird der Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung sechs Monate nach Rechtskraft wieder gelöscht und ist für Dritte nicht mehr einsehbar. Sollte das Urteil auch nach der Revision beim Bundesgerichtshof Bestand haben, bedeutet dies, dass ehemalige Insolvenzschuldner den Nimbus der früheren Insolvenz ca. sieben Monaten nach Erteilung der Restschuldbefreiung endgültig abstreifen können.