Wir halten Sie auf dem Laufenden mit aktuellen Informationen und hilfreichen News.
BFH, Urteil vom 17.06.2020 – X R 26/18
BFH, Urteil vom 12.05.2022 – V R 19/20
Verkäufe bei eBay oder anderen Versteigerungsplattformen gehören zum täglichen Leben. Handelt es sich dabei um einmalige oder seltene Verkäufe aus dem eigenen Bestand (private Vermögensverwaltung), unterliegen sie keinerlei Besteuerung. Anders kann es jedoch sein, wenn nicht vorhandene, sondern zum Zweck des Weiterverkaufs erworbene Gegenstände angeboten werden, wie es typischerweise bei gewerblichen Händlern der Fall ist.
Die Klägerin kaufte von 2009 bis 2013 Gegenstände aus Haushaltsauflösungen an und bot sie auf eBay in Form von Versteigerungen zum Verkauf an. Dort war sie als private Kundin angemeldet. Dazu legte sie vier eBay-Konten an und eröffnete zwei Girokonten. Steuererklärungen gab sie nicht ab. 2009 erzielte sie bei 577 Auktionen Einkünfte von ca. 40.000 €, 2010 bei 1057 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €, 2011 bei 628 Auktionen Einkünfte von ca. 95.000 €, 2012 bei 554 Auktionen Einkünfte von ca. 90.000 € und 2013 bei 260 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €.
Nach einer Außenprüfung meinte das Finanzamt, die Klägerin sei in diesen Jahren gewerblich tätig gewesen und setzte gegen sie Einkommen- sowie Umsatzsteuer fest und erließ Gewerbesteuermessbescheide, wobei es einen Schätzbetrag für Betriebsausgaben (30 %) abzog.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erreichte die Klägerin mit ihrer Klage zum Finanzgericht Hessen nur einen Teilerfolg, weil dieses die Betriebsausgaben auf 60 % schätze, die Veranlagung ansonsten aber für rechtmäßig erachtete. Ihre Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im X. Senat wegen der Einkommen- und Gewerbesteuer und im V. Senat wegen der Umsatzsteuer), führte nicht zu dem von ihr erstrebten Erfolg. Die beiden Senate des BFH hoben zwar die jeweiligen Teile des erstinstanzlichen Urteils auf und verwiesen die Sachen an das Finanzgericht zurück, jedoch nur wegen eines Berechnungs- und eines Begründungsmangels. An der Gewerblichkeit der Auktionen hatten auch sie keine Zweifel. Im zweiten Durchgang wird das Finanzgericht lediglich die beiden Fehler zu beseitigen haben, an der Beurteilung der Gewerblichkeit wird sich nichts mehr ändern.
Mit der Revision hatte die Klägerin geltend gemacht, sie sei nicht als Händlerin anzusehen, da sie weder ein Konzept noch eine Organisation noch Vorkenntnisse im Handel habe. Sie kaufe gelegentlich aus Haushaltsauflösungen und verkaufe die Gegenstände wieder über eBay für ein Mindestgebot von 1 €. Zahlreiche Gegenstände verkaufe sie deutlich unter Einkaufswert, andere werfe sie einfach weg. Sie habe auch nichts dafür getan, die Gegenstände gewinnbringend zu veräußern (z.B. nicht geworben) und jedenfalls per Saldo keinen Gewinn erzielt. Ihr Ziel sei der Nervenkitzel gewesen, es habe sich um reine Liebhaberei gehandelt.
Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer
Entscheidend für die Einkommensteuerpflicht ist in diesem Zusammenhang die Gewerblichkeit der fraglichen Tätigkeit, die zu verneinen ist, wenn es lediglich um private Vermögensverwaltung geht. Hierzu definiert § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, dass ein Gewerbebetrieb eine selbständige nachhaltige Betätigung ist, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer. Die Betätigung muss über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgehen. Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt. Maßgebend ist unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und der Verkehrsanschauung, ob die Tätigkeit, soll sie gewerblich sein, dem Bild entspricht, das einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das „Bild des Gewerbebetriebs“ durch Orientierung an unmittelbar der Lebenswirklichkeit entlehnten Berufsbildern zu konturieren. Eine typische gewerbliche Tätigkeit ist der Handel. Zu seinem Wesen gehört der Kauf oder die sonstige Anschaffung von Sachen zum Zwecke der Weiterveräußerung in gleichem Zustand oder nach weiterer Be- oder Verarbeitung. Der Steuerpflichtige verhält sich wie ein Händler, wenn er planmäßig und auf Dauer mit auf Güterumschlag gerichteter Absicht tätig geworden ist. Er handelt dann gewerblich.
Gemessen an diesen Grundsätzen sei die Einschätzung des Finanzgerichts Hessen, die Klägerin habe ein händlertypisches Verhalten gezeigt, nicht zu beanstanden, so der BFH.
Das Finanzgericht habe nicht allein auf die Dauer und die Anzahl bzw. Höhe der Verkäufe abgestellt. Vielmehr habe es im besonderen Maße den planmäßigen An- und Verkauf gewürdigt. Werde nämlich ein solcher wie im Streitfall betrieben und liege schon beim Ankauf Wiederveräußerungsabsicht vor, sei die Grenze der privaten Vermögensverwaltung überschritten. Eindeutig stehe bei der Klägerin die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung im Vordergrund. In den andauernden und wiederholten An- und Verkäufen der Klägerin sei ein planmäßiges Vorgehen zu sehen. Sie kaufe in systematischer Art und Weise einerseits bei Haushaltsauflösungen Gegenstände an und biete andererseits die hierbei erworbenen Gegenstände über eBay wieder zum Verkauf an.
Das Finanzgericht habe zudem die Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin zutreffend festgestellt, nachdem es sich zu Recht davon überzeugt habe, dass die Klägerin in den Streitjahren tatsächliche Gewinne erzielt hatte. Der Betriebsausgabenabzug in Höhe von 60 % der Umsätze, den das Finanzgericht vorgenommen habe, sei fehlerfrei. Da die Klägerin pflichtwidrig keinerlei Aufzeichnungen getätigt habe, ließ sich ihre Behauptung, überhaupt keinen Gewinn erzielt zu haben, nicht verifizieren. War danach von tatsächlich erzielten Gewinnen, wenn auch nur in Höhe von 40 %, auszugehen, stellten diese nach der Rechtsprechung ein kaum zu widerlegendes Indiz dafür dar, dass auch die Absicht bestand, solche zu erzielen.
Nicht gegen die Gewerblichkeit ließe sich dagegen anführen, wie die Klägerin es versucht hatte, dass sie Spaß an der Versteigerung gehabt, sie kein bestimmtes Konzept verfolgt und keine Mindestpreise gefordert habe. Unerheblich sei ebenso, dass sie über keine Vorkenntnisse im Handel verfüge.
Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer
Der Umsatzbesteuerung unterliegen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen ausschließlich Unternehmer. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn – anders als bei der Einkommensteuer – die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Es muss sich dabei um eine wirtschaftliche Betätigung handeln, die nachhaltig ausgeübt wird. Der BFH hatte bereits früher entschieden, dass die Beurteilung als nachhaltig bei der laufenden Veräußerung von Gegenständen in erheblichem Umfang in Betracht kommt, es liege keine nur private Vermögensverwaltung vor, wenn der Verkäufer aktive Schritte zum Vertrieb der Gegenstände unternehme, indem er sich ähnlicher Mittel bediene wie ein Händler.
Auch der V. Senat des BFH sieht im Grundsatz keinen Anlass, die Entscheidung des Finanzgerichts zu kritisieren. Es habe richtig auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abgestellt und berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Verkaufstätigkeit über viele Jahre hinweg nachhaltig ausgeübt habe, weil auch die Anzahl der Verkäufe von beträchtlichem Umfang gewesen sei, was eine Betriebsorganisation erfordert habe. Sie habe Verpackungsmaterial kaufen, Waren verpacken, Porto zahlen und digitale Bilder der angebotenen Gegenstände fertigen müssen. Auf die Absicht der Gewinnerzielung stelle das Umsatzsteuerrecht zudem nicht ab.
Das Finanzgericht hatte danach zu recht die Klägerin der Umsatzsteuer unterworfen. Zurückverwiesen wurde die Sache, weil das Finanzgericht nicht festgestellt hatte, ob die Klägerin der sogenannten Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterfiel oder zumindest einzelne Umsätze nur dem ermäßigten Steuersatz hätten unterworfen werden dürfen.
BFH, Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20
Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20 entschieden.
Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte "Reichensteuer", die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Der BFH ist dem nicht gefolgt. Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen.
Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.
Anmerkung: Gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, des höchsten deutschen Steuergerichts ist nur noch eine Verfassungsbeschwerde möglich.
BFH, Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 33/18
BFH, Urteil vom 24.08.2022 – XI 3 3/22
Es geht um eine Selbständige und Arbeitnehmer betreffende Frage: Kann ich die Kosten beruflich genutzter Kleidung, vor allem wenn sie speziell für die Berufsausübung angeschafft wird, steuermindert geltend machen, auch wenn es sich um bürgerliche Kleidung wie etwa einen schwarzen Anzug handelt, den ich aber außerhalb des Berufs nicht trage. Bei Selbständigen geht es dabei nicht nur um die Einkommensteuer, sondern auch um den Vorsteuerabzug.
Der zu entscheidende Fall
Die in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Eheleute waren als Trauerredner und Trauerbegleiter selbständig tätig. Sie machten die Kosten der Anschaffung, Änderung, Reparatur und Reinigung von Kleidung (u.a. Anzüge, Hemden, Röcke, Kleider, Mäntel, Blusen, Pullover, Hosen, Jacken, Krawatten, Schals, Schuhe) als Betriebsausgaben geltend und zogen die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Steuer als Vorsteuer ab.
Nach steuerlichen Außenprüfungen versagte das Finanzamt hinsichtlich der Einkommensteuer die Anerkennung der Kosten als Betriebsausgaben und bezüglich der Umsatzsteuer den Vorsteuerabzug. Der nach den erfolglosen Einspruchsverfahren eingereichten Klage entsprach das FG Berlin-Brandenburg nicht. Auch die Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im VIII. Senat wegen der Einkommen- und im XI. Senat wegen der Umsatzsteuer) führte nicht zum Erfolg der Eheleute.
Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer
Dazu bestimmt § 12 Abs. 1 EStG unter anderem, dass die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen. Dazu gehören auch die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Derartige Aufwendungen, so der Bundesfinanzhof, sind durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums (sogenannter Grundfreibetrag) pauschal abgegolten oder als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbar. In aller Regel liegen allerdings die Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs oder der außergewöhnlichen Belastungen jedenfalls nicht allein aufgrund der Beschaffung der für den Beruf benötigten Kleidung vor.
Allerdings gestattet das Einkommensteuergesetz den Abzug der Aufwendungen für typische Berufskleidung als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben an. Welche Art von Kleidungsstücken unter den Begriff der „typischen Berufskleidung“ fällt, ist im Gesetz nicht näher definiert.
Bei der Gesetzesauslegung ist zu berücksichtigen, dass Aufwendungen für bürgerliche Kleidung grundsätzlich den nicht abziehbaren und nicht aufteilbaren unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung zuzurechnen sind, die durch den Grundfreibetrag pauschal abgegolten werden. Typische Berufskleidung umfasst daher nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind. Dies gilt insbesondere für Uniformen, Kleidung mit dauerhaft angebrachten Firmenemblemen oder Schutzkleidung, wie zum Beispiel Arbeitsschutzschuhen.
Kleidungsstücke, die als normale bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegen, fallen dagegen nicht unter den Begriff der typischen Berufskleidung, selbst wenn sie durch die berufliche Nutzung einem erhöhten Verschleiß unterliegen oder ihre Anschaffung überhaupt nur aus beruflichen Gründen erfolgt. Danach sind die Ausgaben für die von den Eheleuten als Trauerredner und Trauerbegleiter getragenen Kleidungsstücke nicht steuermindernd abziehbar, selbst wenn, wie sie im Rechtsstreit geltend gemacht hatten, von dieser Berufsgruppe kulturhistorisch von der Verkehrsauffassung das Tragen schwarzer Kleidung zwingend erwartet werden sollte.
Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer
Ein Unternehmer, hier die Eheleute, kann unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, gemäß § 15 UStG als Vorsteuer abziehen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nicht abziehbar sind nach § 15 Abs. 1a UStG zum Beispiel Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen entfallen, für die das Abzugsverbot § 12 Nr. 1 EStG gilt. Wie zuvor zur Einkommensteuer schon behandelt, wird von diesem Abzugsverbot bürgerliche Kleidung, auch wenn sie ganz oder überwiegend beruflich getragen wird, betroffen.
Nachdem der VIII. Senat des BFH schon am 16.03.2022 den Abzug bei der Einkommensteuer nicht zugelassen hatte, schließt sich der XI. Senat in seinem Urteil vom 24.08.2022 im Wesentlichen der Entscheidung des VIII. Senats an. Mithin wurde den Eheleuten auch der Vorsteuerabzug versagt.
BFH, Beschluss vom 28.10.2022 – VI B 15/22 (AdV)
Der zu entscheidende Fall
Die Antragstellerin entrichtete die Lohnsteuer (2.805,54 €) und Umsatzsteuer (1.435,68 €) für Juli 2021 trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die dadurch angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 28 € zur Lohnsteuer und 14 € zur Umsatzsteuer entrichtete sie nicht. Das Finanzamt wies die Säumniszuschläge in einem Abrechnungsbescheid aus. Über den gegen diesen gerichteten Einspruch hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Die Antragstellerin begehrt vor dem Finanzgericht Münster (Beschluss vom 14.02.2022 – 8 V 2789/21) erfolgreich die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids. Auf die Beschwerde des Finanzamts hebt der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) diesen Beschluss auf und weist den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück.
Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Nachzahlungszinsen
Die Abgabenordnung (AO) kennt neben den Straftatbeständen der Steuerhinterziehung einige Sanktionen für steuerliches Fehlverhalten. So kann nach § 152 AO gegen Steuerpflichtige, die ihrer Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommen, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Dieser beträgt im Allgemeinen für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 % der festgesetzten Steuer. Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, also verspätet oder eventuell gar nicht gezahlt, entsteht gemäß § 240 AO kraft Gesetzes für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % der rückständigen Steuer. Während die Verfassungsmäßigkeit der Verspätungszuschläge nicht ernstlich in Frage steht, werden in jüngerer Zeit wegen der lange andauernden Niedrigzinsphase vermehrt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge geäußert. Diese wurden vertieft durch zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), nach denen die Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO in Höhe 0,5 % pro Monat, jedoch sogar nur für volle Monate, derzeit als nicht verfassungsgemäß anzusehen ist. Zwar könne der Gesetzgeber, so das BVerfG, Zinsen typisierend – ohne Rücksicht auf den Einzelfall - regeln, eine solche gesetzliche Festlegung des Zinssatzes sei aber trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen wie etwa der Niedrigzinsphase seit 2014 oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.
Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge?
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist allerdings streitig, ob diese Entscheidungen des BVerfG ohne Weiteres auf die Säumniszuschläge übertragen werden können. Säumniszuschläge sind nämlich keine Zinsen, sondern zum einen ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (Druckfunktion), zum anderen verfolgen sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das ungerechtfertigte Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten (Zinsfunktion). Durch die Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den Finanzämtern dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen. In Rechtsprechung und juristischer Literatur ist im Einzelnen umstritten, welcher Anteil auf die einzelnen Funktionen entfällt. Weitestgehend gesichert ist nur, dass die Druckfunktion mit der Hälfte der Zuschläge, also mit 0,5 % monatlich zu Buche schlägt. Da die Abgeltung der Verwaltungsaufwendungen eher niedrig zu bemessen sein dürfte, lässt sich der Zinsfunktion der Säumniszuschläge grob ermittelt auch ein Anteil von 0,5 % der Zuschläge zuweisen. Bei dieser Aufteilung entspricht die Zinsfunktion rechnerisch der vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO.
Diese Realation hat den V. und den VII. Senat des BFH bewogen, auch die Säumniszuschläge als derzeit nicht mit der Verfassung in Einklang stehend anzusehen: BFH, Beschluss vom 23.05.2022 – V B 4/22 (AdV) und BFH, Beschluss vom 26.05.2021 – VII B 13/21, wobei letzterer bereits vor den Entscheidungen des BVerfG ergangen ist.
Der VI. Senat des BFH tritt dem V. und dem VII. Senat jetzt in einer Serie von Beschlüssen vom 28.10.2022, die am 24.11.2022 veröffentlicht wurden, entgegen - VI B 15/22 (AdV), VI B 27/22 (AdV), VI B 31/22 (AdV), VI B 38/22 (AdV), VI B 48/22 (AdV) . Er kann die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge nicht erkennen.
Besonderheiten des „AdV-Verfahrens“
Den Aktenzeichen aller genannter Beschlüsse lässt sich entnehmen, dass es um „AdV-Verfahren“ geht, schnellere Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids. Die Finanzgerichtsordnung sieht ein solches Verfahren vor, damit nicht Steuerbescheide, die im Allgemeinen vollziehbar, also vollstreckbar sind, vollzogen werden, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen und hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Diese brauchen nicht einmal zu überwiegen.
Trotz dieser relativ niedrigen Schwelle meint der VI. Senat des BFH, dass die vom BVerfG zu beurteilende Verzinsungspflicht nach §§ 233a, 238 AO und die Säumniszuschläge keine ausreichende Gemeinsamkeit aufweisen, um auch die Säumniszuschläge bei summarischer Prüfung für verfassungswidrig zu halten. Dies folge schon aus den drei Funktionen der Säumniszuschläge, die bei der Verzinsung keine Rolle spielten, insbesondere komme dieser keine Lenkungs- oder Druckfunktion zu. Außerdem vermöge ein lediglich gedachter, gesetzlich aber nicht quantifizierter Zinsanteil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht zu begründen. Werde die Lohnsteuer nicht rechtzeitig abgeführt, habe dies schon deshalb zu gelten, weil der Arbeitgeber nicht selbst Steuerschuldner sei, sondern der Arbeitnehmer, für den der Arbeitgeber lediglich treuhänderisch nach Abzug vom Lohn die Steuer abzuführen habe. Ähnliches gelte auch für die Umsatzsteuer, die der Unternehmer wirtschaftlich auf den Leistungsempfänger abwälze.
Ein völlig anderer Aspekt veranlasste den II. Senat des BFH ebenso zu entscheiden wie jetzt der VI. Senat, wenn auch nur im Ergebnis (Beschluss vom 20.09.2022 – II B 3/22). Beruhen nämlich die ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, wie hier bei den Säumniszuschlägen, auf eventuellen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der ihm zugrunde liegenden Vorschrift und nicht auf schlichter Fehlanwendung eines Gesetzes, wird von der Rechtsprechung allgemein verlangt, dass ein besonderes Aussetzungsinteresse besteht. Dieses besondere Interesse verneint der II. Senat, wenn ein durchaus auch erheblicher Säumniszuschlag (im zu entscheidenden Fall immerhin über 6.000 €) den Steuerschuldner wirtschaftlich nicht erheblich belaste und seine wirtschaftliche Tätigkeit nicht in bedeutendem Maße beeinträchtigt.
Verfassungswidrigkeit nur der Gesamtregelung der Säumniszuschläge“
Einig sind sich alle Senate des BFH nur insoweit, als die Säumniszuschläge unter keinen Umständen nur teilweise als verfassungswidrig qualifiziert werden können, insbesondere nicht etwa beschränkt auf die Zinsfunktion. Sollte die Regelung des § 240 AO über die Säumniszuschläge verfassungswidrig sein, erfasste dies die gesamte Vorschrift. Der Gesetzgeber müsste sodann eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen.
Ausblick
Angesichts dieser sich widersprechenden Beschlüsse des höchsten deutschen Steuergerichts bleibt nicht nur der Steuerbürger, sondern auch sein steuerlicher Berater etwas ratlos zurück. Es ist anzunehmen, dass erst eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge, insbesondere in einem Regelverfahren, nicht in einem solchen über die Aussetzung der Vollziehung endgültige Klarheit bringen wird.
Beginnend im September 2022 wurde den Arbeitnehmern einmalig zur Entlastung bei den gestiegenen Energiekosten die Energiepreispauschale (EPP) ausbezahlt. Die Auszahlung erfolgte bei Arbeitern und Angestellten über den Arbeitgeber mit dem Lohn/Gehalt zur Auszahlung gebracht und war weder der Lohnsteuer noch der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterworfen. 300,00 EUR brutto gleich netto soweit so gut. Wie sieht jedoch die Situation in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Leistungsempfängers aus? Das Amtsgericht Norderstedt hat hierzu in einem Beschluss vom 15.09.2022 – Az.: 66 IN 90/19 entschieden, dass die Energiepreispauschale im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens gemäß §§ 112 ff. EStG pfändbar ist und insbesondere dem Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO unterliegt. Der Insolvenzverwalter hat also – will er sich nicht persönlich haftbar machen – keine andere Möglichkeit, als dem betroffenen Insolvenzschuldner den gesamten Betrag der EPP zu nehmen und der Insolvenzmasse zukommen zu lassen. Es fragt sich sodann, welche Möglichkeiten der Schuldner hat, seine erhöhten Kosten letztendlich doch über die EPP abzudecken?
Auch hierzu hat sich das AG Norderstedt im Rahmen des vorgenannten Beschlusses geäußert: Möchte sich der Schuldner gegen die Vereinnahmung der EPP durch den Insolvenzverwalter zur Wehr setzen, muss er einen Antrag auf Vollstreckungsschutz für die EPP nach § 765a ZPO zum zuständigen Insolvenzgericht stellen:
Hier können Sie sich den Musterantrag herunterladen
Das AG Norderstedt hat aber schon in seinem oben zitierten Beschluss richtigerweise darauf hingewiesen, dass für den Erfolg eines solchen Antrages hohe Hürden zu überwinden sind. Es handelt sich bei § 765a ZPO um eine Ausnahmevorschrift! Der Antragsteller muss daher im Rahmen seines Antrages geltend machen, dass er tatsächlich von höheren Energiekosten und -preisen belastet ist, die einen Entzug des Geldes gegenüber den Gläubigern rechtfertigen können. Hierzu könnte auch gehören, dass der Schuldner diese erhöhten Kosten im Rahmen von Nachzahlungsbelegen, Vergleichsrechnungen der Benzinpreise etc. darlegt. Inwieweit die jeweiligen Insolvenzgerichte den Argumentationen der antragstellenden Schuldner folgen werden, bleibt abzuwarten.
Die Welt am Sonntag vom 06.11.2022 fasst im Wirtschaftsteil unter der Überschrift „Liquiditätsopfer“ vermeintliche Zahlungsschwierigkeiten beim Hannoveraner Medizin-Start-Up Syntellix AG zusammen. Im Artikel selbst wird von Mitarbeiterin berichtet, die längst fällige Gehaltszahlungen nicht erhalten haben und deswegen zum Teil auch vor das zuständige Arbeitsgericht gezogen seien. Dort seien dann jeweils Vergleiche geschlossen worden, in denen sich die Syntellix AG verpflichtet habe, die rückständigen und fälligen Gehälter zu bezahlen. Weiter wird berichtet, dass zunächst die im Vergleich vereinbarte Zahlungsfrist ohne Zahlung verstrichen sei und anschließende Vollstreckungsversuche aus den gerichtlichen Vergleichen für die Arbeitnehmer erfolglos verlaufen seien. Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zu Lasten eines Kontos der Aktiengesellschaft bei der NordLB hätten nicht zur Befriedigung der Forderungen aus den Vergleichen geführt. Konkret heißt es in dem Artikel: „Einige Ex-Beschäftigte haben sich aus Angst vor Repressalien vertraulich an WELT AM SONNTAG gewandt, ihre Namen sind der Redaktion bekannt. Syntellix bestreitet die Angaben des Amtsgerichts und der früheren Beschäftigten auf Anfrage: „Es trifft nicht zu, dass Anträge auf Pfändung des Kontos der Syntellix AG bei der NordLB vorliegen“, teilt das Unternehmen mit. „Die Syntellix AG ist selbstverständlich in der Lage, alle ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.““
Der Artikel wirft indirekt die Frage auf, was die (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit fälligen Gehaltsforderungen nun tun können. Er wirft weiter die Frage auf, ob die Syntellix AG möglicherweise insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) ist. Die Syntellix AG bestreitet dies. Eine Klärung ist auf diese Weise nicht möglich. Die Situation wirft aber dennoch die Frage auf, wie Gläubiger erforderlichenfalls ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners initiieren können bzw. dessen Insolvenzreife unabhängig prüfen lassen können.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzantrag eines Gläubigers (sog. Fremdantrag) zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Legt man die Angaben der (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG als zutreffend zugrunde, sind sie Gläubiger der Aktiengesellschaft. Sie verfügen über einen vollstreckbaren Titel in Form des arbeitsgerichtlichen Vergleichs und haben erfolglos versucht, aus diesem Vergleich die Vollstreckung zu betreiben. Reicht das für die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit? Im praktischen Fall müssten die (ehemaligen) Mitarbeiter wohl damit rechnen, dass sich die Syntellix AG gegen diese Behauptung im Rahmen eines Insolvenzantragsverfahrens zur Wehr setzt.
Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit ist das praktisch gängigste Mittel die Vorlage einer sog. Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers gemäß § 63 GVGA. Diese Bescheinigung sollte nicht älter als sechs Monate sein (so das OLG Dresden in ZInsO 2001, Seite 1110). Um eine solche zu erhalten, müssten also die Gläubiger zunächst einmal den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung beauftragen. Das kann dauern. Fraglich ist aber, ob das – weiterhin die Angaben im Zeitungsartikel als zutreffend unterstellt – überhaupt notwendig ist? Hierzu halten wir fest, dass die (ehemaligen) Mitarbeiter keine Befriedigung aus der Pfändung des Geschäftskontos erlangen konnten. Die Pfändung des Kontos wurde eingeleitet, nachdem die Syntellix AG die sie treffende Zahlungsverpflichtung aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen nicht – jedenfalls nicht fristgemäß – eingehalten hat. Hierzu wiederum heißt es bei Vuia – Münchener Kommentar zur InsO, 4. Auflage (2019), § 14, Rn. 14: „Als urkundliche Mittel der Glaubhaftmachung kommen bei der Zahlungsunfähigkeit … ferner schriftliche Erklärungen des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, in denen er seine Zahlungsunfähigkeit für die absehbare Zukunft eingesteht, etwa Gesuche um Zahlungsaufschub von deutlich mehr als einem Monat, ferner schriftliche Anerkenntnisse oder Zahlungsankündigungen, denen (was gesondert glaubhaft zu machen ist) allenfalls eigenmächtige Teilzahlungen folgen sowie zuverlässige substantiierte Presseberichte, auch wenn keine amtliche Verlautbarung enthalten,“ [in Betracht].
Für die (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG könnte sich also zur weiteren Sachaufklärung durchaus ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Syntellix AG lohnen. Die Vorlage des gerichtlichen Vergleichs, die Nichteinhaltung der im Vergleich enthaltenen vereinbarten Zahlungsfrist und die letztendlich erfolglose Pfändung des Geschäftskontos bei der NordLB könnten das Insolvenzgericht überzeugen, hier den Insolvenzantrag zunächst für zulässig zu erachten und einen Gutachter zur weiteren Sachaufklärung zu bestellen.
Unabhängig von der objektiven Frage der Insolvenzreife zeigen Fremdanträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch immer wieder, dass solche Anträge dem betroffenen Schuldner lästig sind und er infolgedessen bisweilen neue Eigen- und/oder Fremdmittel beschafft, um letztendlich die der Antragstellung zugrundeliegenden Forderung doch noch zu erfüllen!
BGH, Urteil vom 23.09.2022 – V ZR 148/21
Allgemeines zum Autokauf
Für die Übertragung des Eigentums reicht der Abschluss eines Kaufvertrags entgegen weit verbreiteter Ansicht nicht aus, hinzukommen muss die Übereignungshandlung. Bewegliche Sachen, zu denen auch PKW gehören, werden übereignet, indem der bisherige Eigentümer sich mit dem Erwerber, meist ein Käufer, darüber einig wird, dass das Eigentum übergehen soll, was nicht notwendig ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Handeln erfolgen kann, und die Sache körperlich übergeben wird. Bei der Übereignung eines PKW werden dazu im Allgemeinen die Fahrzeugschlüssel übergeben.
Sinnvoll, aber keineswegs erforderlich ist wiederum entgegen weit verbreiteter Ansicht die Übergabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und II (früher KFZ-Schein und KFZ-Brief).
Im Grundsatz möglich ist es aber auch, von einem Nichteigentümer – auch gegen den Willen des tatsächlichen Eigentümers – das Eigentum zu erwerben, wenn die Voraussetzungen des sogenannten gutgläubigen Erwerbs vorliegen. Der Bundesgerichtshof hatte in folgendem Sachverhalt zu klären, ob dies der Fall war.
Der zu entscheidende Fall
Die Käuferin schloss mit einem Autohaus einen Kaufvertrag über einen PKW zum Preis von 30.000 € ab. Der PKW gehörte allerdings nicht dem Autohaus, sondern einer Leasinggesellschaft, die auch die Zulassungsbescheinigung Teil II in ihrem Besitz und der Veräußerung nicht zugestimmt hatte. Der PKW wurde der Käuferin am Tag des Kaufes übergeben, nicht jedoch die Zulassungsbescheinigung Teil II. Diese sollte ihr einige Tage später zugeschickt werden, was aber nicht geschah.
Später erfuhr die Käuferin, dass der Geschäftsführer des Autohauses in ähnlicher Weise etwa 100 weitere Kunden betrogen hatte. Nach erfolglosen außergerichtlichen Bemühungen klagt nun die Käuferin gegen die Leasinggesellschaft auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II. Sie behauptet dazu, ihr sei eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II beim Kauf vorgelegt worden, in der das Autohaus als Halter eingetragen gewesen sei. Sie sei Eigentümerin des PKW geworden und daher auch Eigentümerin der Zulassungsbescheinigung Teil II, sodass ihr ein Herausgabeanspruch zustehe.
Die Leasinggesellschaft bestreitet die Vorlage einer gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II und meint, sie sei nach wie vor Eigentümerin des PKW. Sie erhebt deshalb Widerklage gegen die Käuferin auf Herausgabe des PKW.
Der Klage wurde stattgegeben, die Widerklage abgewiesen.
Die Zulassungsbescheinigung Teil II
Erneut entgegen weit verbreiteter Ansicht wird in der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht der Eigentümer, sondern der Halter des PKW eingetragen, die häufig nicht identisch sind. Ein typischer Fall für das Auseinanderfallen dieser beiden Eigenschaften ist die Sicherungsübereignung des PKW, die ohne Übergabe des Fahrzeugs möglich ist. Eigentümer ist hier die finanzierende Bank, Halter hingegen der Kreditnehmer, der das Auto in Besitz behält und nutzt. Genauso verhält es sich bei Leasingfahrzeugen, hier tritt an die Stelle der Bank im vorigen Beispiel die Leasinggesellschaft.
Das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung Teil II steht dem Eigentümer des PKW zu, wird also das Eigentum am PKW übertragen, geht das Eigentum an der Bescheinigung automatisch auf den Erwerber des Fahrzeugs über.
Im zu entscheidenden Fall kam es daher für die Klage und die Widerklage allein darauf an, ob die Käuferin das Eigentum am PKW erworben hatte oder ob die Leasinggesellschaft weiter Eigentümerin war.
Der gutgläubige Erwerb des Fahrzeugs
Für einen gutgläubigen Eigentumserwerb von einem Veräußerer, der selbst nicht Eigentümer ist, muss der Erwerber beim Übertragungsakt berechtigter Weise davon ausgehen dürfen, dass der Veräußerer zur Veräußerung berechtigt ist, er muss also glauben dürfen, dieser sei der Eigentümer. Das Gesetz formuliert negativ, der Erwerber sei nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
Da die Käuferin nicht wusste, dass der PKW nicht dem Autohaus, sondern der Leasinggesellschaft gehörte, hatte sie nur dann nicht das Eigentum erworben, wenn sie dies grob fahrlässig nicht bemerkt hätte. Hier kommt die Zulassungsbescheinigung Teil II ins Spiel. Wie schon ausgeführt, ist in dieser zwar nicht der Eigentümer, sondern der Halter eingetragen, sie gibt daher – anders als das Grundbuch – keine Auskunft über die Eigentümerstellung. Da üblicherweise jedoch der Eigentümer auch im Besitz der Bescheinigung ist, verlangt die Rechtsprechung, dass ein Erwerber, dem die sie nicht vorgelegt wird, nachforschen muss, weshalb der Veräußerer sie nicht vorlegen kann. Tut er das nicht, ist er grob fahrlässig und daher nicht in gutem Glauben. Er kann das Eigentum nicht gutgläubig erwerben. Nicht anders ist es, wenn die Bescheinigung zwar vorgelegt wird, jedoch jemand anderes als der Veräußerer als Halter eingetragen ist.
In unserem Fall behauptete die Käuferin, sie habe wegen der Hochwertigkeit der Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht erkennen können, dass das Autohaus in Wahrheit nicht Halter des PKW gewesen sei, sie habe daher gutgläubig das Eigentum erworben. Das bestreitet aber die beklagte Leasinggesellschaft. Es kam daher darauf an, ob die Käuferin ihre Gutgläubigkeit oder umgekehrt die Leasinggesellschaft deren Bösgläubigkeit zu beweisen hat. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der bisherige Eigentümer die Bösgläubigkeit zu beweisen hat, dem Erwerber obliegt es nur, die Tatsachen vorzutragen, aus denen er seine Gutgläubigkeit ableitet.
Dieser sogenannten Vortragslast war die Käuferin mit ihren Ausführungen zur Vorlage einer Fälschung nachgekommen. Die Leasinggesellschaft hätte daher beweisen müssen, dass deren Behauptungen zur Vorlage einer Fälschung nicht zutrafen. Das wäre etwa durch Benennung des Geschäftsführers des Autohauses als Zeugen möglich gewesen. Einen Beweis hatte die Leasinggesellschaft jedoch nicht angeboten. Da das Gericht im Zivilrechtsstreit anders als zum Beispiel im Strafverfahren den Lebenssachverhalt nicht von sich aus ermittelt, war die Behauptung der Käuferin zur Fälschungsvorlage als zutreffend anzusehen und der Entscheidung zugrunde zu legen, sodass die Käuferin als gutgläubig zu behandeln war. Ihr wurde deshalb ein Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II zugesprochen und die Widerklage auf Herausgabe des PKW abgewiesen.
Rechte des bisherigen Eigentümers
Der bisherige Eigentümer in einer solchen Situation ist nicht vollständig rechtlos gestellt. Zwar hat er das Eigentum an der Sache (hier PKW) verloren, kann aber von dem unberechtigt handelnden Veräußerer verlangen, dass dieser ihm herausgibt, was er für die Sache erhalten hat, regelmäßig also den Kaufpreis. Ist dieser jedoch nicht mehr vorhanden, was bei kriminellem Vorgehen nicht unüblich, aber auch sonst nicht ausgeschlossen ist, bleibt der bisherige Eigentümer auf dem Schaden sitzen. Das Gesetz mutet dem Eigentümer also zu, auf seine Sachen Acht zu geben und genau zu schauen, wem er den Besitz daran überlässt.
Angemerkt sei noch, dass ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist, er also den Besitz unfreiwillig verloren hat.
BFH, BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 17/21 >br>BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 19/21
In jedem Beruf gibt es schwarze Schafe, leider auch unter Insolvenzverwaltern.
Nach § 58 InsO steht der Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Begeht er in Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren eine Straftat, zum Beispiel eine Untreue, hat das für ihn regelmäßig nicht nur strafrechtliche Folgen, sondern fordert auch insolvenzgerichtliche Maßnahmen heraus.
In dem Verfahren, das dem ersten Beschluss des BGH zugrunde lag, hatte der (spätere) Insolvenzverwalter für seine Gutachtertätigkeit im Eröffnungsverfahren aus der Staatskasse die ihm zustehende Vergütung erhalten, dennoch entnahm er nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet und er zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, der Masse ein zweites Mal diese Vergütung.
Dieses Vorgehen musste insolvenzgerichtliche Sanktionen nach sich ziehen, nachdem es bekannt wurde. In Betracht gekommen wäre ohne Weiteres von Amts wegen eine Entlassung aus dem Amt des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO, wenn er nicht seinerseits einen eigenen Antrag auf Entlassung aus dem Amt gestellt hätte, dem das Insolvenzgericht nachgekommen war.
Grundsätzlich hat allerdings auch derjenige Insolvenzverwalter Anspruch auf die Vergütung seiner Tätigkeit, der sich nicht pflichtgemäß verhält. Dementsprechend stellte der (jetzt frühere) Insolvenzverwalter einen Antrag an das Gericht, seine Vergütung festzusetzen. Das Gericht wies seinen Antrag zurück, weil er seinen Vergütungsanspruch verwirkt habe. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück. Ebenso wenig hatte er mit seiner Rechtsbeschwerde zum BGH Erfolg.
Der Insolvenzverwalter, so das Bundesgericht, verwirkt seinen Anspruch auf Vergütung, wenn er vorsätzlich oder grob leichtfertig die ihm obliegende Treuepflicht so schwerwiegend verletzt, dass er sich seines Lohnes als „unwürdig“ erweist. Da der Insolvenzverwalter einen gemäß Art. 12 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit hat, kommt ein solcher Ausschluss der Vergütung bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.
Dafür genügt nicht jede objektiv erhebliche Pflichtverletzung. Die Versagung jeglicher Vergütung kommt vielmehr nur bei einer schweren, subjektiv in hohem Maße vorwerfbaren Verletzung der Treuepflicht in Betracht. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Insolvenzverwalter besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen in Form von Straftaten zum Nachteil der Masse begangen hat. Eine solche gravierende Straftat liegt in einer bewusst die Insolvenzmasse schädigenden Untreuehandlung, wie sie hier gegeben war.
In dem zweiten Verfahren hatte der Verwalter zwar keine Unterschlagung begangen, das Insolvenzgericht hat ihm dennoch die Vergütung versagt, weil er in dem ersten Verfahren die erwähnte Unterschlagung begangen hatte und es in 18 weiteren Insolvenzverfahren zu erheblichen Pflichtverletzungen gekommen war. Eine Pflichtverletzung in diesem zweiten Verfahren war jedoch nicht gegeben.
Der BGH hat sich auch in diesem Fall den Vorinstanzen angeschlossen, die den Vergütungsanspruch als verwirkt angesehen hatten. Dieses Ergebnis begründet der BGH wie folgt.
Die Verwirkung des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters könne grundsätzlich nur auf Pflichtverletzungen des Verwalters bei der Ausübung des konkreten Amtes gestützt werden, für das er eine Vergütung beansprucht. Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters in anderen Verfahren führten demgegenüber nur unter besonderen Umständen zum Verlust des Anspruchs auf Vergütung. So komme die Versagung der Vergütung grundsätzlich nur bei gewichtigen, vorsätzlichen oder zumindest leichtfertigen Pflichtverstößen in Betracht. Allerdings könne eine einmalige, in der Begehung einer Straftat zum Ausdruck kommende Pflichtverletzung genügen, denn auch eine in einem anderen Verfahren verübte Straftat könne die unbedingt und ausnahmslos erforderliche charakterliche Eignung des Verwalters, fremdes Vermögen zu verwalten, entfallen lassen.
BFH, Urteil vom 12.07.2022 – VIII R 8/19
Allgemeines zum häuslichen Arbeitszimmer
Das häusliche Arbeitszimmer (ein eigener Raum in Wohnung oder Haus mit nur untergeordneter privater Mitbenutzung) kann einkommensteuermindernd berücksichtigt werden – jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen:
Die für den Steuerabzug notwendigen Angaben hat der Steuerpflichtige in seiner jährlichen Einkommensteuererklärung zu machen. Es ist offensichtlich, dass diese Angaben leicht manipuliert werden können, viele Steuerpflichtige können dieser Versuchung auch nicht widerstehen. Insbesondere die tatsächliche Nutzung und Gestaltung des angeblichen Arbeitszimmers wird häufig „geschönt“.
Dementsprechend kritisch betrachten die Veranlagungsbeamten der Finanzämter die Angaben der Steuerpflichtigen, gelegentlich möchten sie sich auch vor Ort von den Tatsachen überzeugen. Das ist grundsätzlich zulässig, aber auch das Finanzamt muss die dafür geltenden Regeln beachten, insbesondere darf es nicht gegen den auch für das Arbeitszimmer geltenden Grundrechtsschutz aus Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen, der die Unverletzlichkeit der Wohnung als Teil der Privatsphäre schützt.
Der zu entscheidende Fall
Im hier besprochenen Fall hatte die Steuerpflichtige, die die Kosten ihres Arbeitszimmers steuermindernd geltend machen wollte, ihrer Einkommensteuererklärung eine Skizze beigefügt, auf der nicht alle Räume der Wohnung, sondern nur ein als Schlafzimmer bezeichneter Raum und ein Wohn-/Essraum verzeichnet waren. Das Wort „Schlafzimmer“ war gestrichen und darunter „Arbeitszimmer“ vermerkt. Für den Veranlagungsbeamten lag der Schluss nahe, dass dies nur möglich war, wenn der Wohn-/Essraum auch zum Schlafen genutzt wurde. Hieran hatte er nicht ganz unberechtigte Zweifel. Er beauftragte daher einen Mitarbeiter der Steuerfahndung, einen „Flankenschutzprüfer“, mit einer Ortsbesichtigung.
Der Steuerfahnder erschien unangekündigt in der Privatwohnung der Steuerpflich-tigen, wies sich aus und betrat die Wohnung zur Überprüfung der Angaben in der Steuererklärung. Die Steuerpflichtige widersprach dem nicht. Dabei stellte sich heraus, dass die Angaben zum Arbeitszimmer zutrafen, die Skizze jedoch nicht alle Räume der Wohnung umfasste. Es gab zwei weitere Zimmer, von denen eines als Schlafzimmer diente.
Die Steuerpflichtige wies den Steuerfahnder zudem darauf hin, dass sie alsbald in die Nachbarwohnung umziehen werde.
Mit ihrer Klage möchte die Steuerpflichtige die Feststellung erreichen, dass die Besichtigung rechtswidrig war, was der BFH im Revisionsverfahren anders als erstinstanzlich das Finanzgericht Münster für berechtigt hält, weil die Klage zulässig und begründet war.
Rechtswidrigkeit der Besichtigung
Im Ergebnis meint der BFH, das Finanzamt habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Grundsätzlich gilt nach § 88 Abgabenordnung (AO) der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz, das bedeutet, dass das Finanzamt selbst alle für die Besteuerung notwendigen Tatsachen zu ermitteln hat. Dabei darf es sich nach pflichtgemäßem Ermessen aller zulässigen Beweismittel bedienen und dabei im Ausgangspunkt auf das zweckmäßigste Mittel zugreifen.
Bei der Ermessensausübung hat das Finanzamt dabei zunächst zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige den erheblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offenlegen kann. Außerdem muss es wie bei jeder Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, mit anderen Worten muss es prüfen, ob das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich ist, den erstrebten Zweck, hier die Ermittlung der Wohnungssituation der Steuerpflichtigen, zu erreichen. Nicht erforderlich ist eine Maßnahme, wenn eine andere, gleich wirksame, aber weniger fühlbar den Bürger einschränkende Maßnahme gewählt werden könnte.
Nach den §§ 92, 99 AO darf das Finanzamt grundsätzlich zur Einnahme eines Augenscheins die Wohnräume eines Bürgers betreten, zumal wenn dieser, wie hier die Steuerpflichtige, zustimmt. Die unangemeldete Besichtigung war auch geeignet, die Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen.
Die unangekündigte Besichtigung war aber nach der höchstrichterlichen Ansicht nicht erforderlich, da mildere Mittel unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung zur Verfügung gestanden hätten. Das Finanzamt hätte zunächst die Steuerpflichtige zu einer ergänzenden Erläuterung zu ihrer Wohnung auffordern müssen, da zu vermuten stand, dass die entstandenen Unklarheiten der Raumsituation dadurch beseitigt werden konnten.
Zusätzlich war auch die konkrete Durchführung der Besichtigung nicht verhältnismäßig. Das Eindringen staatlicher Organe in die Wohnung bedeutet regelmäßig einen Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Bürgers. Daher muss es – so der BFH – zur Feststellung der häuslichen Verhältnisse im Allgemeinen genügen, aus dem äußeren Anschein die erforderlichen Folgerungen zu ziehen.
Im Zusammenhang mit dem Arbeitszimmer der Steuerpflichtigen bedeutet dies, dass eine Besichtigung nur ganz ausnahmsweise zulässig ist. Das Finanzamt ist in einem solchen Fall nach § 99 Abs. 1 AO gehalten, die Besichtigung angemessene Zeit vorher anzukündigen. Nur ausnahmsweise darf die Ankündigung unterbleiben, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt wür-de, etwa die berechtigte Annahme besteht, das Besichtigungsobjekt, also das Ar-beitszimmer im Zusammenhang mit der gesamten Wohnungssituation könne ver-ändert werden. Anhaltspunkte dafür gab es vorliegend nicht.
Das Finanzamt handelte schließlich auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil nicht der Veranlagungsbeamte die Besichtigung durchführte, sondern ein Beamter der Steuerfahndung. Die Besichtigung durch die Steuerfahndung belastet den Bürger mehr, weil bei zufällig anwesenden anderen Personen der Eindruck entstehen könnte, gegen den Bürger werde strafrechtlich ermittelt, was sein persönliches Ansehen gefährden könnte. Dabei ist unerheblich, ob die Besichtigung tatsächlich von Dritten bemerkt wurde, es reicht insoweit die abstrakte Gefahr aus.
Weil die Steuerpflichtige in die Durchführung der Ortsbesichtigung eingewilligt hatte, lag zwar kein schwerer Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung vor, das Finanzamt durfte sein Ermessen dennoch selbstverständlich nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben ausüben.
BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21
BGH, Urteil vom 28.04.2022 – IX ZR 48/21
BGH, Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20
Alle drei Entscheidungen befassen sich mit dem im Insolvenzrecht zentralen Begriff der
Für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zur Zahlungsstockung stellt das Gesetz mehrere Methoden zur Verfügung.
Erste Methode:
Zunächst ist der Schuldner nach § 17 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Diesen für Nichtjuristen schwer greifbaren Tatbestand hat der Bundesgerichtshof dahingehend konkretisiert, dass Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn die liquiden Mittel die Verbindlichkeiten nicht zu mehr als 90 %decken, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
Will der Geschäftsführer aktuell feststellen, ob sein Unternehmen zahlungsunfähig in diesem Sinne ist, muss er zunächst auf den laufenden Tag (Stichtag) einen sogenannten Liquiditätsstatus erstellen, in den auf der einen Seite die vorhandene Liquidität (Barkasse Bankguthaben, nicht ausgeschöpfter Kredit = Aktiva I) und auf der anderen die fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) eingestellt werden müssen. Erreicht der so ermittelte Deckungsgrad nicht mindestens 90 %, ist zu untersuchen, ob und wie sich die Finanzlage in den kommenden drei Wochen ändert. Dazu ist ein Finanzplan aufzustellen, bei dem auf der Aktivseite zusätzlich zu der Liquidität am Stichtag die im Drei-Wochenzeitraum zu erwartende Liquidität (Forderungseinzug, Erlös aus der Verwertung von schnell zu veräußernden beweglichen Gegenständen des Anlagevermögens, der in diesem Zeitraum zu erzielen ist, neue Kreditbeschaffung = Aktiva II) und auf der Passivseite die im Drei-Wochenzeitraum zusätzlich noch fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) einzustellen sind. Ergibt sich hieraus keine über 90 % hinausgehende Deckung, ist Zahlungsunfähigkeit mit den oben aufgezeigten Konsequenzen gegeben.
Allerspätestens jetzt, besser schon bei ernstlichen Zweifeln an der gegenwärtigen und/oder zukünftigen Liquidität der Gesellschaft, sollte die Geschäftsleitung einen erfahrenen Fachmann für Sanierungsberatungen hinzuziehen, um das Überleben der Gesellschaft zu sichern.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2022 ist nunmehr eine modifizierte Methode zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zulässig, die allerdings nur bei rückwärtiger Betrachtung eingesetzt werden kann. Ausgehend von dem Stichtag, an dem der Liquiditätsstatus eine Unterdeckung von 10 % oder mehr ausweist, ist eine aussagekräftige Anzahl (ausreichend sind drei im Wochenabstand) taggenauer Liquiditätsstatus aufzustellen. Ergibt sich auch zu diesen Zeitpunkten kein besserer oder gar ein schlechterer Deckungsgrad, ist Zahlungsunfähigkeit eingetreten.
Da die erste Methode ein prognostisches Element enthält, kann sie zu anderen Ergebnissen führen als die retrograde, von feststehenden Zahlen ausgehende zweite Methode. Welcher in einem solchen Fall der Vorrang einzuräumen ist, hat der Bundesgerichtshof bislang allerdings nicht entschieden. Es spricht viel dafür, dass die retrograde Ermittlung hier maßgeblich ist.
Zweite Methode:
In diesem Zusammenhang arbeitet § 17 InsO mit einer sogenannten gesetzlichen Vermutung. Danach ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Trotz der Ähnlichkeit der Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung sind sie inhaltlich nicht deckungsgleich. Die Zahlungseinstellung ist dasjenige äußerliche Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Sie wird nicht durch Liquiditätsstatus festgestellt, sondern beruht auf Indizien (tatsächlichen Umständen), die üblicherweise für einen Mangel an liquiden Mitteln sprechen.
In der Rechtsprechung sind dafür Kriterien herausgearbeitet worden, die entweder allein oder in ihrer Zusammenschau die Zahlungseinstellung ergeben können. Von der Rechtsprechung anerkannte Indizien sind (nicht abschließend) etwa:
Rückstände bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.04.2022 sehr konkret gewürdigt und erstmals eine Art Rasterprüfung vorgestellt. Danach gilt:
Während herkömmlich alle diese Indizien im Grundsatz als gleichwertig eingeschätzt wurden und im Einzelfall gewichtet werden mussten, sieht der Bundesgerichtshof seit dem Urteil vom 06.05.2021 die eigene Erklärung des Schuldners im Vordergrund. Als besonders aussagekräftig im Sinne einer Zahlungseinstellung ist danach nunmehr die Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht ratenweise - begleichen zu können. Besonders gravierend ist die ausdrückliche Erklärung des Schuldners, zahlungsunfähig zu sein.
Fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die übrigen Umstände in der Gesamtschau ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.
Bei allem soll nicht schematisch vorgegangen, sondern alle Aspekte des Einzelfalls gewürdigt werden. Allerdings hält der Bundesgerichtshof diesen Ansatz selbst nicht konsequent durch, wie etwa die Rasterprüfung zu Rückständen bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung zeigt.
Ergibt sich aus der Wertung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände die Zahlungseinstellung kann die daraus folgende Vermutung der Zahlungseinstellung von dem dadurch Belasteten, etwa dem Anfechtungsgegner oder dem auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführer entkräftet werden. Möglich ist dies im Rechtsstreit durch die Einholung eines (sehr teuren) Sachverständigengutachtens, typischerweise eines Wirtschaftsprüfers. Nach der langjährigen Erfahrung des Verfassers dieser Kommentierung wird die Zahlungsunfähigkeit bei zuvor festgestellter Zahlungseinstellung jedoch nahezu ausnahmslos durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Dadurch erhöhen sich die Kosten des Rechtsstreits, die derjenige tragen muss, der im Prozess unterliegt, ganz erheblich. Bevor also ein Sachverständigengutachten zur Beweisführung im Prozess angeboten wird, müssen die Chancen und Risiken dieser Beweisführung sehr sorgfältig gegenübergestellt werden.
BGH, Urteil vom 03.03.2022 – IX ZR 78/20
Der Bundesgerichtshof hatte schon mit Urteil vom 06.05.2021 die Voraussetzungen deutlich verschärft, unter denen Insolvenzverwalter die Vorsatzanfechtung im Insolvenzverfahren nach § 133 InsO durchführen können. So soll es insbesondere nicht mehr möglich sein, automatisch von der dem Insolvenzschuldner bekannten eigenen Zahlungsunfähigkeit auf den Benachteiligungsvorsatz zu schließen. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht danach für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Erst wenn also die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht hat, nach dem selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung aufgrund objektiver Anhaltspunkte in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lässt, muss dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen darf, ohne andere zu benachteiligen. Nur wenn er in einer solchen Lage, die der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss, einzelne Gläubiger, handelt er weiterhin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, und solche Zahlungen bleiben anfechtbar nach § 133 InsO. Der Vorsatz fehlt hingegen (anders als nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung), wenn Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit besteht. Wieviel Zeit dem Schuldner hierfür verbleibt, kann dabei nicht pauschal bestimmt werden, sondern hängt vom Verhalten der (übrigen) Gläubiger ab. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Sieht sich der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung, die Gegenstand einer anfechtungsrechtlichen Auseinandersetzung ist, erheblichem Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck ausgesetzt, begrenzt dies den für eine Beseitigung der vorhandenen Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum. Das Gericht betont mehrfach, dass für die Feststellung des Vorsatzes eine pauschale Betrachtung nicht ausreicht, sondern alle Aspekte des jeweiligen Einzelfalls einer besonderen Würdigung zu unterziehen sind.
Mit dem neuen recht komplex gestalteten Urteil aus dem Frühjahr 2022 konkretisiert der Bundesgerichtshof nun diese bereits 2021 verschärften Anforderungen für eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO durch die Insolvenzverwalter. Maßgeblich ist danach auch, ob der noch zahlende Schuldner aufgrund der ihm bekannten Krisenursachen nach den objektiven Umständen erkannt hat, dass ein Insolvenzverfahren unvermeidlich ist und er tatsächlich keine Aussichten mehr hat, seine Gläubiger zukünftig zu befriedigen. Daran soll es fehlen, wenn der Schuldner nach den objektiven Umständen noch annehmen konnte, dass die Krise nur vorübergehend ist oder die von ihm eingeleiteten Schritte zur Überwindung der Krise oder die begonnenen Sanierungsmaßnahmen Erfolg haben werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner damit rechnet, dass alsbald ein anderer Gläubiger einen zulässigen und begründeten Insolvenzantrag stellen wird.
Bisher erschien es naheliegend, dass die Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen (etwa GmbH, AG oder auch eingetragener Verein) diesen Zeitraum auf drei Wochen begrenzt, denn die Organe sind bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, spätestens nach dieser Zeit einen Insolvenzantrag zu stellen, sodass ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Dieser Überlegung erteilt der Bundesgerichtshof jetzt aber bei der Vorsatzanfechtung eine Absage, weil die Voraussetzungen, unter denen der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handele, nicht deckungsgleich seien mit dem vom Gesetzgeber für die Insolvenzantragspflicht der Organe der juristischen Person bestimmten Zeitraum.
Der Benachteiligungsvorsatz soll nicht mehr alleinstrong> aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit hergeleitet werden können. Ausreichend soll bei drohender Zahlungsunfähigkeit aber sein, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sicher zu erwarten ist und alsbald bevorsteht, der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt. Als weiteres Indiz wird eine unmittelbare Benachteiligung angesehen, die vorliegt, wenn die angefochtene Rechtshandlung selbst ohne das Hinzutreten weiterer Umstände die Benachteiligung bewirkt.
Unternimmt der Schuldner in der ihm verbleibenden Zeit einen Sanierungsversuch, kann dies auch gegen den Benachteiligungsvorsatz sprechen. Bislang verlangte die Rechtsprechung dann vom Anfechtungsgegner den Nachweis, dass das zugrunde liegende Konzept ungeeignet gewesen ist. Diese Beweislastverteilung ändert der Bundesgerichtshof nun ab. jetzt muss der Insolvenzverwalter beweisen, dass der Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat.
Bisher wurde für ein erfolgversprechendes, den Vorsatz ausschließendes Sanierungskonzept verlangt, dass es im Zeitpunkt der Rechtshandlung bereits in den Anfängen in die Tat umgesetzt worden war, etwa die Bank einen Sanierungskredit zugesagt hatte. Bei der Anfechtung von Honorarzahlungen an einen Sanierungsberater soll dies nach der neuen Entscheidung nicht uneingeschränkt gelten, sofern der Sanierungsversuch nicht von vornherein aussichtslos ist und der Schuldner mit der Vorstellung handelt, dass eine Vergütung der Beratungsleistungen erforderlich ist, um die Erfolgsaussichten einer Sanierung prüfen oder eine Sanierung beginnen zu können.
Bemerkenswert ist bei allem, dass das Gesetz bei der für die Vorsatzanfechtung notwendigen Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners eine Vermutung aufstellt. Wusste dieser nämlich, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die übrigen Gläubiger benachteiligt, wird vermutet, dass er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kannte. In einem solchen Fall muss der Anfechtungsgegner diese Vermutung widerlegen, was in der Praxis nur sehr schwer gelingt. Zumindest vordergründig erscheint es nicht vollständig ohne Widerspruch, den Vorsatz des Schuldners an anderen Maßstäben zu messen, wie es die neue Rechtsprechung tut.
In einer weiteren Entscheidung vom 03.03.2022 misst der Bundesgerichtshof der vom Insolvenzverwalter zu beweisenden insolvenzrechtlichen Überschuldung den Charakter eines eigenständigen Indizes für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei. Die Stärke des Beweisanzeichens soll davon abhängen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht.
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass Zahlungen im Vorfelde der Insolvenz für die Insolvenzverwalter nunmehr schwieriger anzufechten sind und die Erfolgssausichten von Zahlungsempfängern, sich gegen solche Anfechtungen zu wehren, damit erheblich gestiegen sind.
Boris Becker ist vom Southwark Crown Court in London zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen unvollständiger/falscher Angaben zu seinen Vermögenswerten in seinem Insolvenzverfahren verurteilt worden. Der ehemalige Ausnahmesportler musste nach Urteilsverkündung seine Haftstrafe umgehend aus dem Gerichtssaal antreten, wenngleich ihm noch das Rechtsmittel der Berufung zusteht.
Als Boris Becker seinen ersten von insgesamt drei Wimbledonsiegen erreichte, war ich selbst acht Jahre alt. Es ist wohl das älteste Sport-Großereignis, an das ich konkrete Erinnerungen habe. Steffi Graf, Boris Becker, Michael Stich, Anke Huber, Michael Westphal, Patrick Kühnen, Charly (Carl-Uwe) Steeb… sie alle haben in den 1980er und 1990er-Jahren zahlreiche Kinder und Jugendliche begeistert, sportlich inspiriert und letztendlich auch selbst zum Tennisspielen angetrieben. Und doch war „Boris“ immer besonders. Nicht nur sein langjähriger Trainer, Günther Bosch, sah das so, wie er in zahlreichen Co-Kommentatorenauftritten nimmermüde betonte. Boris war ein Garant für Drama, für Mitfiebern, für Kampf – er war im wahrsten Sinne des Wortes „mitreißend“. Und wenn sich diese Kindheitserinnerung nunmehr mit meiner beruflichen Expertise kreuzt, dann wird klar, warum mich dieser Fall beschäftigt.
Oft habe ich in letzter Zeit gelesen, dass Boris Becker „wegen Insolvenzverschleppung“ vor Gericht steht/verurteilt worden ist. Schon das ist so nicht korrekt und wäre im Übrigen auch nach deutschem Insolvenzrecht schlicht falsch. Das „delayed filing for insolvency“ ist zwar grundsätzlich auch im Vereinigten Königreich strafbar, jedoch betrifft diese Straftat – ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland die Geschäftsführer/Vorstände von Kapitalgesellschaften. Deren strafbewehrte Pflicht ist es, unverzüglich bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Natürliche Personen (Menschen) sind jedoch weder in Großbritannien noch in Deutschland dazu verpflichtet, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, können also in diesem Sinne in Bezug auf ihr eigenes Vermögen schon keine Insolvenzverschleppung begehen.
Boris Becker hat im Übrigen auch zu keinem Zeitpunkt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen selbst beantragt. Im Jahre 2017 wurde er von einem Londoner Gericht für zahlungsunfähig erklärt, nachdem die britische Privatbank Arbuthnot Latham die gerichtliche Feststellung gegen Becker beantragt hatte. Dieser Fall ist soweit nicht ungewöhnlich und auch dem deutschen Insolvenzrecht nicht fremd: auch in Deutschland kann ein Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Schuldners beantragen, wenn er gegenüber dem zuständigen Insolvenzgericht seine Gläubigerstellung und den Insolvenzgrund auf Seiten des Schuldners glaubhaft macht (§ 14 InsO).
Im Falle des Fremdantrages der britischen Privatbank über das Vermögen von Boris Becker hatte sich Letzterer im Jahre 2017 versucht, mit allen Mitteln gegen den Antrag zu stemmen. Die prominenteste Verteidigungsstrategie war sicherlich im April 2018 der Versuch der Prozessbevollmächtigten, Boris Becker diplomatischen Schutz aufgrund seiner Funktion als Sportattaché der Zentralafrikanischen Republik zuzubilligen, mit dem Ziel die Unzulässigkeit des Insolvenzverfahrens wegen diplomatischer Immunität zu erreichen. Ein Versuch, der allenfalls kreative Wertschätzung abringt, da unabhängig von der Tatsache, dass diplomatische Immunität sicher nicht rückwirkend entfaltet werden kann, es sich bei der Funktion des Sportattachés um kein Amt mit Diplomatenstatus handelte und Becker im Übrigen ein entsprechender Pass von der Regierung der Zentralafrikanischen Republik zu keinem Zeitpunkt ausgestellt wurde.
Das Insolvenzverfahren in Großbritannien über das Vermögen von Boris Becker wurde bekanntlich durchgeführt und Becker zur Zusammenarbeit mit dem „Trustee“ (Insolvenzverwalter) angehalten. Nichts anderes gilt auch in Deutschland: nach § 97 InsO ist der Insolvenzschuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch der Gläubigerversammlung Auskunft über „alle das Verfahren betreffende Verhältnisse“ zu geben. Dies beinhaltet selbstverständlich auch sämtliche Vermögenswerte des Schuldners, unabhängig davon, wo sich diese Vermögensverhältnisse befinden.
Boris Becker wurde nunmehr aufgrund der Verletzung einer inhaltsgleichen Verpflichtung nach englischem Insolvenzrecht verurteilt. Konkret hatte es der heute 54-jährige versäumt, richtige und vollständige Angaben zu seinen Vermögenswerten – konkret einer Immobilie in Leimen (Deutschland) und Gesellschaftsanteile an einer Firma für Künstliche Intelligenz sowie die Existenz einer Darlehensschuld – zu machen. Darüber hinaus hatte Becker unerlaubt hohe Summen auf andere (fremde) Konten transferiert und somit dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen.
Sämtliche der vorstehenden Handlungen wären im Übrigen auch nach deutschem Recht in einem Insolvenzverfahren mit Folgen verbunden. Zum einen liefert der Schuldner als natürliche Person damit seinen Gläubigern einen Grund, einen (wohl begründeten) Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Die Erteilung einer Restschuldbefreiung ist aber nach deutschem Insolvenzrecht sowieso nur dann denkbar, wenn der Schuldner zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hat, der wiederum regelmäßig mit einem eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden sein muss. Würde man also „deutsche Insolvenzrechtsmaßstäbe“ auf das Insolvenzverfahren Beckers übertragen, kam für Boris Becker die Erteilung einer Restschuldbefreiung in seinem Insolvenzverfahren nicht in Betracht, weil das Verfahren ja bekanntlich nur auf Antrag der englischen Privatbank eröffnet wurde.
Zum anderen wären aber auch die von Becker vorgenommen Handlungen bzw. seine Unterlassungen auch nach deutschem Strafrecht relevant gewesen: Betrug, Untreue, Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung oder auch Bankrott wären im vorliegenden Fall sicherlich Straftatbestände, nach denen ein deutscher Staatsanwalt das Verhalten Boris Beckers zu beurteilen gehabt hätte. Und auch hier wäre – insbesondere gemessen an den vergleichsweise hohen Vermögenswerten, die den Taten zugrunde liegen und eben nach der kriminellen Energie – eine nicht unempfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen. Die Strafzumessung muss letztendlich auch unter dem Aspekt betrachtet werden, dass Boris Becker zumindest den deutschen Strafverfolgungsbehörden – nicht nur wegen seines sportlichen Ausnahmekönnens – kein Unbekannter ist: am 24.10.2002 wurde Boris Becker wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, außerdem musste er einen Betrag von 200.000,00 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen.
Insgesamt können also folgende Punkte festgehalten werden:
1. Boris Becker ist ein Garant für Drama – auch lange Zeit, nachdem er seine aktive Tenniskarriere beendet hat;
2. Boris Becker hat aus seiner Vergangenheit nicht wirklich etwas gelernt: spätestens nachdem er wegen Steuerhinterziehung (möglicherweise aufgrund falscher Beratung?) verurteilt worden ist, hätte er ein eigenes Interesse an der Ordnung seiner Vermögensverhältnisse entwickeln müssen;
3. Boris Becker hat sowohl im Insolvenzverfahren als auch im sich anschließenden Strafverfahren schlicht eine falsche und für ihn verheerende Strategie gewählt: Falsch- und Desinformation sowie Verschleierung und Leugnung haben hier zu Kopfschütteln und rechtlichen Konsequenzen geführt, die durch Kooperation und Transparenz vollständig hätten vermieden werden können.
OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2021 – 2 U 23/21
Die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegenüber Steuerberatern und GmbH-Geschäftsführern insolventer Unternehmen ist für Insolvenzverwalter ein wichtiges Instrument zur Massegenerierung. Dass hierzu wohl in Zukunft vermehrt Sanierungsberater als Anspruchsgegner zur Kasse gebeten werden und für den Haftungsanspruch eine vergleichsweise geringe Hürde genommen werden muss, zeigt eine Entscheidung des OLG Köln vom 13.10.2021.
Dort hatte der Insolvenzverwalter einer insolventen GmbH die ehemalige Sanierungsberaterin auf Zahlung von knapp einer halben Million Euro in Anspruch genommen. Er stützte seinen Anspruch zum Teil auf erklärte Insolvenzanfechtung, zum Teil auf Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife von der GmbH geleistet wurden. Die Beklagte war von der Insolvenzschuldnerin zur Erstellung eines Sanierungs- und Finanzkonzepts beauftragt worden. Ausweislich des erstellten Sanierungskonzepts lag für die Insolvenzschuldnerin eine positive Zukunftsprognose, wenn auch mit angespannter Liquiditätssituation vor. Altverbindlichkeiten hätten selbst mit neuen Fremdmitteln nur nach einigen Monaten befriedigt werden können.
Die Beklagte hat gegen das erstinstanzlich vom Insolvenzverwalter gewonnene Urteil Berufung eingelegt, unterlag jedoch auch in der zweiten Instanz. Auch das Berufungsgericht sah die Voraussetzungen der §§ 143 I, 133 I InsO als gegeben an, worauf sich der klägerische Teilanspruch auf Rückzahlung des Beraterhonorars stützte. Insbesondere die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, die offenen Steuerverbindlichkeiten und offenen Löhne, allen voran aber der Ratschlag der Beklagten, die Insolvenzschuldnerin solle ein Treuhandkonto einrichten, um Zahlungen an bestimmte Gläubiger priorisieren zu können, sah das Gericht als Indizien für die von der Beklagten erkannte Zahlungsunfähigkeit an.
Auch den Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280 I, 611, 675, 398 BGB hinsichtlich des weiteren geltend gemachten Teilbetrags hat das Berufungsgericht im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) bejaht. Die Beklagte war aufgrund ihrer überlegenen Sachkunde verpflichtet, auf die Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin hinzuweisen. Denn der Sanierungsvertrag entfaltet eine Schutzwirkung zugunsten Dritter – vorliegend zugunsten des Geschäftsführers –, da die Insolvenzverschleppung strafbar ist und der Geschäftsführer insoweit persönlich zivilrechtlich haftet. Die Hinweispflicht bzgl. der Insolvenzantragspflicht greift auch dann, wenn keine entsprechende Beauftragung zugrunde liegt, sofern einem Sanierungsberater alle zur Prüfung relevanten Informationen zur Verfügung gestellt wurden und in dem Sanierungsvertrag keine konkreten Leistungen unter Ausschluss einer Beratung in rechtlichen und steuerlichen Angelegenheiten abschließend geregelt sind.
Die Arbeitnehmer eines in Insolvenz geratenen Unternehmens sind gewöhnlicherweise für den Zeitraum der letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse) durch das Insolvenzgeld der örtlich zuständigen Bundesagentur für Arbeit abgesichert. Dies gilt aber nach einem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.10.2018 (Az.: S 1 AL 3799/16) nicht für solche Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag mit dem später in Insolvenz fallenden Unternehmen zu einem Zeitpunkt abgeschlossen war, als der Arbeitgeber schon insolvenzreif war.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld gestellt. Der Arbeitnehmer war aber erst zu einem Zeitpunkt (hier: 01.05.2016) in das Unternehmen eingetreten, zu dem das Unternehmen bereits insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) war. Einen solchen Fall sichere das Insolvenzgeld nicht ab, so das Heilbronner Sozialgericht. Tatsächlich hatte der betroffene Arbeitnehmer zu keinem Zeitpunkt eine vertraglich zugesicherte Gehaltsleistung des später insolventen Arbeitgebers erhalten.
Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.
Interessant ist, dass im vorliegenden Fall der Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit nicht auf die Kenntnis des Arbeitnehmers von der wirtschaftlichen Krise des Arbeitgebers gestützt wurde, sondern von der objektiven Insolvenzreife. Es stellt sich hieraus die Frage, wie Arbeitnehmer hierauf reagieren und sich absichern können? Allein die Frage danach, ob es denn dem Unternehmen wirtschaftlich gut gehe, könnte einerseits wohl nicht den erhofften Effekt in Bezug auf eine Gewährung von Insolvenzgeld einbringen, andererseits aber auch negativen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgebers nehmen, den so dreist nachfragenden Arbeitnehmer letztendlich einzustellen.
Entscheiden sich die Gesellschafter einer GmbH im Rahmen der Feststellung eines Jahresabschlusses dazu, den Gewinn in der Gesellschaft belassen, so kann eine zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Ausschüttungen nach §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sein. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.07.2021 – Az.: IX ZR 195/20 entschieden.
Worum es geht…
Im zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Alleingesellschafter einer GmbH den Jahresgewinn „seiner“ GmbH nicht ausgeschüttet, sondern in der Gesellschaft belassen. Im darauffolgenden Geschäftsjahr verfasste der Gesellschafter dann einen insoweit abändernden Beschluss, einen Teilbetrag von 200.000,00 EUR als Gewinn auszuschütten. Vier Monate nach diesem abändernden Beschluss stellte die GmbH einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im eröffneten Insolvenzverfahren forderte der Insolvenzverwalter die Ausschüttung von 200.000,00 EUR unter Berufung auf §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO vom Gesellschafter zurück. Mit Erfolg, wie der Bundesgerichtshof urteilte.
Gewinnausschüttung als eine „einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung“
Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.
Konsequenzen für die Beratungspraxis
Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung sind also nicht nur bei der Beratung in Zusammenhang mit der Ausreichung/dem Stehenlassen eines Gesellschafterdarlehens, sondern eben auch bei der Frage der Gewinnverwendung intime Kenntnisse der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften gefordert. Dies schon deshalb, weil die Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO seit 2008 krisenunabhängig im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung möglich ist. Mithin sollten also auch Steuerberater zukünftig bei der Beratung im Zusammenhang mit der Gewinnverwendung einen entsprechenden Hinweis zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit stehengelassener Gewinne erteilen.
Seit jeher wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass ein gesellschaftsvertraglicher Ausschluss des Abfindungsanspruches nach § 738 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB bei Versterben eines Gesellschafters und Fortsetzung der Personengesellschaft keine pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkung i.S.d. §§ 2325 ff. BGB an die verbleibenden Gesellschafter darstellt. Gleiches gilt für den Fall einer gesellschaftsvertraglichen Begrenzung des Abfindungsguthabens, welches nach § 1922 BGB in den Nachlass fällt.
Zur Begründung wird angeführt, dass eine solche Regelung für alle Gesellschafter gilt und somit Gegenleistungscharakter hat: Jeder Gesellschafter hat beim Ableben eines Mitgesellschafters und der Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern die Chance, den Anteil des Ausgeschiedenen durch Anwachsung unter Ausschluss des Abfindungsanspruches zu erwerben, während für ihn gleichermaßen das Risiko besteht, bei Versterben seinen Anteil ohne Ausgleich für den Nachlass zu verlieren. Ferner diene eine solche Vertragsregelung dem Unternehmenserhalt.
Etwas anderes hat der BGH am 03.06.2020 nun für eine Konstellation entschieden (Az. IV ZR 16/19), in der die einzigen Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eheleute waren und sich der Gesellschaftszweck auf die Verwaltung von (z.T. selbstgenutztem) Immobilienvermögen beschränkte. Mit dem Tod des Ehemannes wurde die GbR aufgelöst und die Ehefrau erhielt die Anteile gemäß gesellschaftsvertraglicher Regelung. Eine Abfindung wurde im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen. In dem konkreten Einzelfall hat der BGH eine ergänzungspflichtige Schenkung an die Ehefrau angenommen, da im Vordergrund nicht die Fortführung des nicht am Wirtschaftsleben teilnehmenden Unternehmens stand, sondern eine Regelung vergleichbar der gewillkürten Erbfolge, mit der Pflichtteilsansprüche minimiert werden sollten.
Ob hier ein Paradigmenwechsel eingeleitet wird und der BGH das auch in Bezug auf andere ähnliche Konstellationen bei rein vermögensverwaltenden Gesellschaften so sehen wird, bleibt abzuwarten.
Nachdem das Vereinigte Königreich am 31.01.2020 die Europäische Union verlassen hat, stellt sich die Frage, welche gesellschaftsrechtlichen Folgen dies für Gesellschafter einer britischen Limited mit ausschließlichem Tätigkeitsfeld in der Bundesrepublik Deutschland hat. Aufgrund des Wegfalls der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen nach britischem Recht erkennt Deutschland die britische Limited als solche nicht mehr an. Aufgrund ihrer ausschliefllichen Tätigkeit der Limited in der Bundesrepublik Deutschland besteht auch hier ihr “faktischer Verwaltungssitz”. Die fehlende Anerkennung der britischen Gesellschaftsform führt dann jedoch dazu, dass die Limited nicht mehr als Kapitalgesellschaft (mit beschränkter) Haftung, sondern rechtlich als Personenhandelsgesellschaft mit der Folge der vollumfänglichen persönlichen Haftung der Gesellschafter eingeordnet wird. Dies wurde durch das Urteil des OLG München vom 05.08.2021 - Az.: 29 U 2411/21 bestätigt. Je nach Ausgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit kann die in Deutschland werbende britische Limited als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Offene Handelsgesellschaft (OHG) einzuordnen sein.
Betroffene Unternehmer befinden sich daher gegenwärtig in einer Haftungslage, die sie durch Gründung einer haftungsbeschränkten (ausländischen) Gesellschaftsform gerade zu vermeiden versucht haben. Hier besteht Handlungsbedarf ! Bitte kontaktieren Sie gerne die gesellschaftsrechtlichen Spezialisten unserer Kanzlei.
Mit Urteil vom 18.11.2020 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Directors & Officers (D&O) Versicherung für den durch einen Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer einer GmbH / Vorstand einer Aktiengesellschaft geltend gemachten sog. “Insolvenzverschleppungsschaden” einzustehen hat, sofern dieser Schaden durch das Vertretungsorgan nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt wurde. Eine vorhergehende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 20.07.2018 hatte Geschäftsführern/Vorständen insolventer Unternehmen zusätzlich schlaflose Nächte bereitet, da dieses geurteilt hatte, dass der Insolvenzverschleppungsschaden nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. als Anspruch “sui generis” nicht von der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abgedeckt sei. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr Klarheit zugunsten der versicherten Personen geschaffen: Auch der Verschleppungsschaden ist von der D&O Versicherung abgedeckt. Zur Begründung führte das höchste deutsche Zivilgericht aus, dass von einem Geschäftsführer/Vorstand, der/die zwar in der Regel geschäftserfahren sei, jedoch nicht erwartet werden könne, einen üblichen Haftpflichtanspruch von einem Anspruch nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. zu erkennen. Deshalb sei der in Rede stehende Erstattungsanspruch (nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F.) von der Versicherung erfasst.
Ungeachtet dessen bereiten derartige Prozesse den Geschäftsführern bzw. Vorständen insolventer Unternehmen häufig schlaflose Nächte, da die geforderten Beträge häufig in Millionenhöhe gehen können. Umso wichtiger ist es, dass Sie sich als betroffener Geschäftsführer/Vorstand frühzeitig professionellen Rat suchen.
Für einen Beratungsvertrag, der zwischen einer Aktiengesellschaft und einer von einem Aufsichtsratsmitglied vertretenen GmbH abgeschlossen worden ist, sind die ßß 113 ff. AktG anwendbar. Fehlt es an der Zustimmung des Aufsichtsrats zum Abschluss eines solchen Vertrages sind die auf Grundlage des Vertrages gezahlten Honorare an die Aktiengesellschaft zurückzugewähren. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 29.06.2021 - Az.: II ZR 75/20 entschieden.
Bei dieser Entscheidung zeigt sich erneut die Strenge des Aktienrechts. Möchte ein Aufsichtsratsmitglied als Geschäftsführer einer GmbH einen Beratungsvertrag zwischen der AG und “seiner” GmbH abschlieflen, bedarf dieser Vertrag für seine Wirksamkeit zwingend der Zustimmung des Aufsichtsrates. Ausdrücklich regelt dies ß 114 Abs. 1 AktG nur für die Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds selbst. Der BGH sieht jedoch Raum für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs, da es unbeachtlich sei, dass das Aufsichtsratsmitglied ein vom wirtschaftlichen Erfolg der Aktiengesellschaft unabhängiges Gehalt bezieht. Vielmehr zeigt dieses Urteil, dass der BGH die Fragen eines Interessenkonflikts ernst nimmt und daher das Zustimmungserfordernis auch auf Sachverhalte ausdehnt, in denen das Aufsichtsratsmitglied mittelbar wirtschaftlich von einem Vertragsabschluss profitiert.
Wendet sich der aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossene Gesellschafter gegen seinen Ausschluss, muss er seinen Abfindungsanspruch nicht vor einer Entscheidung über die Wirksamkeit des Ausschlusses gegenüber der Gesellschaft geltend machen, so BGH ñ Urteil vom 18.05.2021 - Az.: II ZR 41/20. Im konkret durch den BGH entschiedenen Fall wurde der Gesellschafter einer GbR im Jahre 2009 aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Er wehrte sich gegen seinen Ausschluss über einen Zeitraum von sechs Jahren. Im Jahre 2015 machte er dann nach rechtskräftiger Feststellung des Ausschlusses seinen Abfindungsanspruch gegenüber der Gesellschaft geltend. Die übrigen Gesellschafter der GbR erhoben hiergegen die Verjährungseinrede.
Zu Unrecht, wie der BGH nun am 18.05.2021 entschied. Zwar entstehe der Anspruch auf Abfindung mit dem Ausscheiden der Gesellschaft und unterliege der dreijährigen Regelverjährungsfrist. Jedoch beginne die Verjährung nicht schon mit dem Ausschlieflungsbeschluss, sondern erst mit dessen Rechtskraft. Zuvor sei die Rechtslage im Falle eines Gesellschaftsausschlusses so wage, dass eine zusätzliche (Sicherheits- )Klage auf Zahlung einer Abfindung nicht zumutbar sei. Etwas anderes könne nach BGH nur für solche Fälle gelten, in denen entweder die Wirksamkeit des Ausschlusses nicht streitig sei oder aber der Ausschluss offensichtlich wirksam ist.
Auch dieser Fall zeigt, dass im Rahmen des Gesellschaftsrechts eine taktische Beratung von Beginn einer Auseinandersetzung angefordert ist. Kontaktieren Sie daher im Falle eines Gesellschafts-/Gesellschafterstreits frühzeitig unsere Experten auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts.
Eine natürliche Person, der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt worden ist, hat spätestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses über die Restschuldbefreiung gegenüber der Schufa einen Anspruch auf Löschung der eingetragenen Restschuldbefreiung. Dies urteilte das Oberlandesgerichts Schleswig am 02.07.2021 - Az.: 17 U 15/21. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Dennoch urteilte das OLG Schleswig in bemerkenswerter Klarheit, dass ein ehemaliger Insolvenzschuldner ein berechtigtes Interesse an der Löschung schon nach sechs Monaten habe. Ein berechtigtes Interesse für die dreijährige Speicherung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO habe die Schufa nicht, da eine solch lange Speicherung der in § 3 InsoBekV zuwiderlaufen würde.
Das OLG Schleswig “harmonisiert” durch sein Urteil die Fristen zur Löschung des Merkmals der Restschuldbefreiung im Rahmen der “Insolvenzbekanntmachungen” mit denen der Schufa. Unter Insolvenzbekanntmachungen.de wird der Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung sechs Monate nach Rechtskraft wieder gelöscht und ist für Dritte nicht mehr einsehbar. Sollte das Urteil auch nach der Revision beim Bundesgerichtshof Bestand haben, bedeutet dies, dass ehemalige Insolvenzschuldner den Nimbus der früheren Insolvenz ca. sieben Monaten nach Erteilung der Restschuldbefreiung endgültig abstreifen können.